PERSÖNLICHES VORWORT – 20. NOV. 2023
Ich hatte 1973 mit einer geführten China-Gruppenreise eine dreiwöchige Erfahrung gemacht, war also vertraut mit Selbstdarstellung und Eitelkeiten (nicht nur) autoritärer Staaten.
Die Volksrepublik Polen erschien ohnehin als eine andere Welt, eben europäisch. Die DDR kannte ich noch überhaupt nicht. Das kommunistische Projekt gänzlich abzuschreiben, soweit war ich noch nicht, verhielt mich auch gegenüber China abwartend. „Revisionismus“ war bei mir aber unten durch. Anstatt mich an den Spielräumen der Intelligenz zu freuen, nervten mich die Privilegien der Funktionäre, die uns begegneten.
So provozierte ich einmal eine distinguierte Dame mit der scheinheiligen Frage, ob man in der Partei schon einmal über Lenins Vorschlag: Dienst zum Arbeiterlohn diskutiert habe. Sie wies mich empört auf die italienischen Eurokommunisten hin – unter westdeutschen Linken gerade gut angesehen – und deren Praxis, zu festlichen Gelegenheiten Fiat-Polski-Kleinwagen zu verlosen. Ich zielte naiv auf den bürgerlichen Habitus und den auffälligen Abstand zum ‚Volk’ der Bauern und Arbeiter, auch in den schönen Künsten; die durften in der Volksrepublik Polen hübsch ‚dekadent’ sein.
Ein Straßenbekannter in Danzig, der mich in seine Siedlungswohnung einlud, schüttelte nur ungläubig den Kopf, als ich von China und seiner Kulturrevolution schwärmte.
Auf dem Heimweg ins Novotel meinte ich einen Mann zu sehen, der mich eine Weile verfolgte. Der Gastgeber hatte mir zehn ältere Hefte einer satirischen Zeitschrift, „Szpilki“ („Nägel“) verkauft, die ich im Hotelzimmer vorsichtshalber fotografierte; dabei war das gar nicht nötig.
Die polnische Zensur bemühte den liberalen Anschein für das westliche Ausland, auch als Exportmarkt, und kontrollierte lieber unauffällig, am liebsten über die Papierzuteilung. Ein scharfer Karikaturist, A. Krauze, durfte sogar in einem Presseklub in Danzig ausstellen. „Szpilki“ war immer bereits nach Stunden ausverkauft. Näheres über den LINK zum illustrierten Artikel „Zwei Generationen polnischer Karikaturisten 1976 – Eryk Lipinski und Andrzej Krauze„.
Die gebildeten Städter und Intellektuellen wurden bis 1990 manchmal als Bedrohung des Regimes wahrgenommen; doch bis auf Ausnahmen arrangierten sie sich erfolgreich. Ob sie als Salonmarxisten von links oder als bürgerliche Nationalisten von rechts kamen, war wohl bis 1989 nicht entscheidend. Erst danach kamen die ideologischen Gegensätze in hässlichen Polemiken zum Ausbruch. Die Angst des populären Journalisten und Literaten Kapuszynski wäre ein Beispiel.( LINK zur kritischen Biografie von Artur Domosławski, deutsch 2014)
Bloß, dass das Regime die wirtschaftlichen Defizite bis zum Ende nicht in den Griff bekam, führte periodisch zu heftigen Arbeiterprotesten, auch 1976 wieder. Armut und Verschmutzung nahmen wir hauptsächlich durch die Fenster des Reisebusses wahr. Oder als gigantische Siedlungsfronten in Form von Baustellen und Konsumwüsten.
Meine Sympathie galt auch den dickköpfigen polnischen Bauern, die man lange vergeblich in Rente schicken wollte, weniger den Apparatschiks, die mit modernem Gerät und großen Viehställen gegenüber den Besuchern prunkten. Ich hatte bereits zu viel über sozialistische Kollektive gelesen. Anrührend war das gelegentliche Bild alter Frauen, die allein auf weiter Flur ihre Kuh weideten, übrigens bis weit in die achtziger Jahre zu sehen.
Im nachhinein habe ich den Eindruck, dass der soziale Graben sich bis in die Gegenwart erhalten hat und im lange erfolgreichen Regime der PIS resultierte.
MUSTERSCHULE , ANGENEHM ENTSPANNT
Die Modzelewski-Schule in einem wohlhabenden Viertel (suburbs) Warschaus, wie mir jetzt bewusst wird, war in der Tat eine Vorzeigeschule. Die wohlerzogenen Schüler und Schülerinnen nahmen den Besuch entspannt. Beeindruckend: Nach der großen Pause stellten sie sich brav vor dem Klassenzimmer auf. Hinter ihnen im Flur hingen linientreue holzschnittartige Kunstprodukte einer unvermeidlichen DDR-Partnerschule, aber in seinem Fachraum signalisierte der Deutschlehrer, was Deutschland auch war: eine bis zu Hitler anerkannte Kulturnation. Über ihm schwebte schützend der polnische Adler, das Kreuz wäre noch gut zwei Jahrzehnte verfrüht gewesen. In den achtziger Jahre besuchte ich zwei- oder dreimal wieder die Modzelewski-Schule mit meinen Kronberger Oberstufenschülern. Die Eindruck war jedesmal positiv. Keine Vorführstunde mehr, sondern offener Meinungsaustausch unter den Schülern. Private Verabredungen unter den Jugendlichen schlossen sich an.
MUSTERBETRIEB
Führung durch einen polnischen Staatsbetrieb, der damals Gefrierobst und -gemüse bereits nach Westdeutschland liefert: HORTEX in Plonsk. Mein Protokoll (nur Typoskript, vergrößern durch Anklicken; am Ende folgen zwei Fotos)
Die Arbeit der Frauen unter Kälte erinnere ich bis heute, obschon solche Arbeitsbedingungen mir inzwischen oft begegnet sind und wir seit einem halben Jahrhundert im Supermarkt davon profitieren. Gefrierkost ist als Konservierungstechnik nicht mehr wegzudenken.