DER HÄSSLICHE EUROPÄER DER CHOKWE – DIE MASKE ‚KATOYO‘

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Ich stelle einen geschnitzten ausnehmend hässlichen Maskentyp vor.

Er findet Verwendung in den Makishi-Tänzen der Chokwe (und ihrer Nachbarn), deren würdevollen Masken Chihongo (m) und Pwevo (w) allgemein hohes Ansehen genießen. Aber auch die sehr komischen ‚negativen’ Darstellungen des Warzenschweins (Ngulu) sind bei Maskeraden beliebt, sie versprechen unterhaltsame Auftritte. Die demonstrativ hässliche Katoyo aber stellt einen Fremden, einen Weißen dar. Komisch? Das kommt darauf an.

Chokwe Katojo IMG_7022

Dieser negative Typ taucht wohl nur in Museen und Fachliteratur auf und führt bei Galeristen und Sammlern ein Schattendasein. Ich begegne ihm zum ersten Mal an einem Stand, dessen Angebot über Kinshasa aus kongolesischen Dörfern kommt, diese über die angolanischen Grenze. Je nach Sicherheitslage und Runner wechseln die vorherrschenden Stilregionen.

 

„CHOKWE!- Art and Initiation Among Chokwe and Related Peoples.“ – das Produkt mehrerer amerikanischer Museen, 1998 bei Prestel erschienen, ist ein solches Fachbuch.

Im Kapitel „Engaging the Ancestors: Makishi Masquerades....“ stellt Manuel Jordan vorbildliche und negative Maskentypen vor. Er schreibt auf S.73 und ich übersetze mit Google:

( ….) Während Chihongo und Chisaluke männliche Vorbilder von gesellschaftlichem Ansehen, Macht, Reichtum und spirituellem Einfluss darstellen, stehen andere männliche Charaktere für Werte, die gesellschaftlich als negativ angesehen werden. Ein Likishi-Charakter namens Ndondo hat eine einfache Gesichtsmaske, die normalerweise aus Faser und Harz besteht, und sein Kostüm besteht aus zerlumpten Tüchern und einem geschwollenen Bauch. Ndondo soll hässlich sein und sich dumm verhalten. In mukanda-bezogenen Dorfaufführungen kriecht Ndondo auf dem Boden, bettelt um Geld und sagt idiotische Dinge.

Zaire – Masken Figuren, Basel 1986, no.98 ‚mwana po‘ 1931

 

Neben der schönen, gebildeten Pwevo, einem Muster an Kultiviertheit, verkörpert Ndondo einen Menschen mit schlechten Manieren. Seine Darbietung wird als humorvoll und unterhaltsam wahrgenommen, aber sie klärt das Publikum über Verhaltensweisen auf, die gesellschaftlich nicht akzeptabel sind.

 

Die von Chokwe und verwandten Völkern geschaffenen und durchgeführten Maskeraden schließen auch andere Charaktere ein, die soziale und kulturelle Prinzipien repräsentieren, die im Gegensatz zu ihren eigenen stehen. Katoyo ist eine Maske, die von den Chokwe geschaffen wurde, um eine weiße Person darzustellen (Tafeln 76, 78-80 unten). Wie Ndondo hat diese Maske karikaturhafte Züge. Katoyo-Masken, die aus Fasern und Harz modelliert oder aus Holz geschnitzt werden, übertreiben oft die Gesichtszüge von Weißen durch spitze Nasen, „übermäßige“ Gesichtsbehaarung oder große, krumme Zähne. Die Stirn der Katoyo wird manchmal als verlängerte Kappe aufgefasst, eine Anspielung auf die Form eines portugiesischen Militärmütze oder -helm. Ironischerweise dokumentierten einige europäische Entdecker Katoyo-Maskierte, ohne zu erkennen, dass sie weiße Ausländer parodierten.

 In der Vergangenheit halfen Katoyo-Auftritte den Chokwe-Gemeinschaften wahrscheinlich dabei, mit der Idee des Neuen oder dem, was ihnen fremd war, umzugehen. Heute verspotten die Maskeraden der kongolesischen Chokwe, südlichen Lunda, Mbunda, Luvale und Luchazi weiterhin solche „Außenseiter“ wie ihre Lozi- und Nkoya-Nachbarn. Masken, die „die anderen“ darstellen, verstärken ein Gefühl kultureller Identität, indem sie unangenehme oder absurde Aspekte des Verhaltens benachbarter Völker definieren. Im Fall der Lozi und Nkoya ist der wichtigste kulturelle Unterscheidungsfaktor, dass sie kein Mukanda praktizieren. Da Mukanda, einschließlich des Schlüsselritus der Beschneidung,  für den Eintritt ins Erwachsenenalter bei den Chokwe und verwandten Völkern, erforderlich ist betrachten die Chokwe Lozi- und Nkoya-Männer, die nicht beschnitten sind, als sozial und kulturell „mangelhaft“ – nicht als Erwachsene.

Ngulu Typen

Das große Repertoire an Makishi-Masken, die von Chokwe und verwandten Völkern geschaffen wurden, umfasst auch Darstellungen von Tieren und einer großen Anzahl mehrdeutiger Kreaturen. Ngulu, das Schwein, tanzt normalerweise neben Pwevo und verhält sich unberechenbar und „töricht“, um das Bild menschlicher Anständigkeit zu verstärken, das durch die weibliche Vorfahrin charakterisiert wird (Pk. 81-83). (….)

 

Die Abbildungen werden von kurzen erklärenden Texten begleitet, die ebenso von den Vorfahren übernommene Verhaltensnormen wie die ständigen Konflikte mit den kolonialen ‚weißen’ Herren in den Blick nehmen.

Jordan Chokwe! no.76 Katoyo

 

 

Zu 76  19.Jh. „reiche Oberflächenpatina, die auf ausgiebige Verwendung im Feld hinweist, bevor sie gesammelt wurde. Sie weist noch einen großen spitzen Metallzahn, Gesichtshaar und weißen Ton um die Augen auf. Weiß wird mit den Knochen der Vorfahren assoziiert, und wenn weiße Kreide um die Augen gelegt wird, bezieht sie sich auf die scharfen und durchdringenden Blicke der Vorfahren.“ 23,2 cm

 

 

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Jordan Chokwe! no.78 Katoyo

 

 

zu 78Anfang des 20. Jahrhunderts, 17 cm (immer x 2,85 nehmen. Die vier Beispiele sind alle unter 20 cm hoch) „Die spitze Nase und die übertriebenen Lippen karikieren einen europäischen Charakter. Bei öffentlichen Aufführungen half Katoyo den Chokwe-Gemeinden, mit der Anwesenheit von Fremden und ihren neuen Formen politischen Einflusses zurechtzukommen.

 

 

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Jordan Chokwe! no.79 Katoyo

 

 

Zu 79Die Kappe imitiert die Helme der portugiesischen Offiziere …. Knochen oder Stöcke wurden auf den Mund gelegt, um die ‚übermäßige‘ Gesichtsbehaarung der Europäer zu kommentieren.“

 

 

 

 

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Jordan Chokwe! no.80 Katoyo

 

 

Zu 80 Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts „Lange Nase und große Zähne …. verspotten die Gesichtszüge der Europäer. Skarifikationen (Schnittnarben) betonen das Konzept, dass … es sich dennoch im Wesentlichen um Ahnenwesen handelt. Im Rahmen der Mukanda-Initiation wurde Katoyo zusammen mit Chihongo getanzt, damit das Publikum die schlechten Manieren und Haltung von Katoyo mit den kraftvollen Eigenschaften des männlichen Chihongo-Vorfahren vergleichen konnte.

 

 

 

Beschreibung meiner Erwerbung

Chokwe Katojo IMG_7027

Vom zerrissenen und verdreckten roten Textilnetz (weitgehend) befreit, kommt der markante eiförmige aufgedunsen wirkende Kopf zur Geltung mit dem böse schimpfenden Mund über einem aggressive vorstehenden Kinn wie ein Rammbock. Die lächerlich kleine gebogene Nase, suggeriert im ersten Moment einen Nasenbeinbruch. Die runde Kappe schließt die geschnitzte Form nach oben ab. An Hässlichkeit nimmt er es mit den Beispielen in Chokwe! noch lange auf!

Schwärzlich rote Schlammpatina mit anhaftenden roten Staubpartikeln. Die Kappe hat eine rote Fehlstelle; trotzdem meine ich, dass die stumpfe Schlammpatina keine nachträgliche Veränderung ist.

 

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IMG_7028 – Eine Glaszylindervase bietet eine in der Höhe, Stabilität und Immaterialität perfekte Stütze.

 

Als Teil eines Ahnenkults waren wenigstens die Ohren geschmückt; übrig ist aber nur auf einer Seite ein Stück Schnur.

Dass nur zwei hölzerne Zahnstifte, statt Metallstifte im Oberkiefer stecken, könnte auf Ersatz hinweisen.

Nichts von der Lebendigkeit oder Würde, die – nicht nur – die afrikanischen Maskengesichter auszeichnen, ist zu erkennen. Am ehesten ein Geistergesicht.

Ich kann jedenfalls den Blick nicht abwenden von diesem Abbild der ‚Kolonisatoren’! Eine künstlerische Klasse für sich!

Die aufgeschwemmte, leere Glätte der Wangen  und Stirnen! Die Augenhöhlen, im Schatten die Sichtluken! Die bewusst verkleinerten Ohren und Hakennasen! Die fehlenden Lippen am bis zu den Zähnen aufgerissenen Mund!

Der Fremde wird durch eine Fratze repräsentiert. Disproportionen an jedem Detail: niedrige Stirn wie ein Helm, eng stehende Äuglein, tiefsitzend, aber schamlos offen, kurze Hakennase, Wangenpartie und Kinn endlos lang. Hängende Mundwinkel wie eine Hexe im Puppenspiel.

Das aufgerissene Maul mit zwei faulen Zähnen stößt verächtliche Worte aus oder brüllt einen primitiven Befehl. Wie wenn KZ-Überlebende, um ihre ‚dürftigen‘ Deutsch zu demonstrieren, oft eine kurze gebrüllte Schimpftirade im O-Ton wählen. So karikieren sie ihre Peiniger.

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Frobenius-Bibl. Af I 1826 Yoruba Egun-Masken

 

Dieses Feldfoto von einer Maskerade der Yoruba westlich des Niger, rund achtzehnhundert Kilometer das Atlantik nach Nordwesten verblüfft mich.

Auch hier haben die Gesichter eine aufgedunsene ‚hohle‘ Form, der Mund ist weit unter die Nase gerutscht. Die moderne Kostümierung und die rot geschminkten Lippen der Frau können ihre Geisterhaftigkeit nicht verbergen.

Ist etwas dran an diesem Verdacht?

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Der verstorbene Ethnologe Fritz W. Kramer ging in seinem bekannten Buch über afrikanische Besessenheitskulte „Der rote Fez“ (1987) im Kapitel „Die Cokwe und die Bilder der Portugiesen“auf deren „Hamba-Besessenheitskult „und die Verwendung kleiner Figuren von Weißen ein.

Sie fänden sich „in den Körben der Wahrsager“, die Besessene therapierten. Er zitiert eine dritte Erklärung, „dass der Klient von jemandem verhext worden war, der einen Europäer zu den cokwe begleitet hatte“ (181) und führt S.183 aus:“später infizierten sich die Besessenen an den Gräbern verstorbenen Europäer“

Drei Abbildungen (28-31) kommentiert er: „Hakennasen und schmale Lippen,“ „mitunter begnügte sich der Bildhauer mit der Andeutung einer für ihn merkwürdigen Körperhaltung oder eines Tropenhelms zuweilen gab er aber die Identität der Dargestellten auch durch scharfe Hakennasen zu erkennen, wie sie in der Kunst der Cokwe nur noch an der katoyo-Maske vorkommen…“ Da ist sie wieder, die Katoyo-Maske!

Wer ist näher an der Realität? Jordan, der die Maskentheater in diesem geografischen Raum zwischen dem kongolesischen Grenzgebiet  und de Sambesi genau studieren konnte und der mit bekannten Kollegen den Überblick beweist – Jordan kommentiert sie sie fern jeder Besessenheit – oder Fritz Kramer, der die magische Macht der Weißen der Fremden ins Zentrum rückt, aber ganz von Sekundärliteratur abhängig war? Auch wenn Jordan mehr Gelassenheit in der Rolle der Maske wahrnimmt als der aus der Ferne raunend dramatisierende Fritz Kramer. bleibt die Frage für mich offen.

Was hat sich durch den  verheerenden Stellvertreterkrieg zwischen NATO, UNITA und MPLA seit einem halben Jahrhundert in Angola ( 1959 – 1994; LINK) für diese Völker verändert? Davon schreibt er  wie  über die Besessenheit nichts. Besessenheit hat mit der ‚regulären‘ Initiationskultur vielleicht nichts zu tun. Doch sie ist in diesen Gesellschaften – ebenso wie die Hexerei – nicht erst seit der Kolonialeroberung endemisch.

In der Arbeit am Blog ist mir die unheimliche Macht der ‚Weissen‘, die ‚mit  dem Teufel im Bunde‘ stehen immer wieder begegnet. (LINK zu :Die Weissen halten unsere Geister gefangen “ – Unterwerfung, Magie und Entfremdung“ ( LINK )

Was verspricht uns Constantine Petridis‘ The Language of Beauty in African Art“ (Yale University Press 2022), ein Schwergewicht unter den Coffee-Table-Books ?

Ob es mehr wird als ein lexikalischer Überblick unter Stichworten wie „Horrifying Masks (7.2), „Evil Masks“ (7.3)  und „Humorous Imperfections“ (7.4) ?

Bei den durchweg ‚edel‘ abgebildeten ‚Museumsschätzen‘ und Sammlerobjekten des Prachtbandes wirken auch die unter der Überschrift „Intentional Ugliness“ (Beabsichtigte Hässlichkeit)  in Kapitel 7 für meine Augen so ’schön‘ wie die anderen. Oder sollte man das bereits als Ergebnis von Verfälschungen ansehen?

Die Autoren berufen sich auf einen „Essentialism in African Art“. Zu „Essentialismus“ werden nur Lehnwörter angeboten, aber dies meint wohl Stilisierung, um „tiefere „Wahrheiten“ , das „Wesen von etwas“ auszudrücken, unter Absehen von „physischen Gegebenheiten“ (physical data) (111)   Der Begriff  erscheint mir vom Konzept auch noch nach zwei Jahren ‚aufgesetzt‘, europäisch ‚akademisch‘. Doch lesen wir die Einleitung zum 7. Kapitel (p.251, in Übersetzung):

So wie schöne künstlerische Ausdrucksformen, können hässliche Kunstwerke geschaffen werden, um religiöse, soziale, politische, erzieherische Aufgaben zu erfüllen oder schlicht unterhalten.

Zu den Merkmalen solcher Objekte und Performances gehören visuelle und materielle Bezüge auf die unberechenbare Wildnis und die Tierwelt. Hässliche Darstellungen, die in der Regel als Gegenpol zum Schönheitsbegriff einer Kultur wahrgenommen werden, spiegeln das in Afrika weit verbreitete Verständnis wider, dass dunkle, grobe und asymmetrische Formen mit einem schlechten Charakter und unangemessenem Verhalten korrespondieren und sogar das Böse darstellen können. So kennzeichnen beispielsweise die Gesichtsverzerrungen und Krankheitsdarstellungen in den idiok ekpo-Masken der Ibibio in Nigeria diese Skulpturen als moralisch verwerflich*. Körperliche Krankheit und Entstellung werden oft als übernatürliche Strafen für verachtenswertes Verhalten angesehen und dienen als Warnungen vor solchen Verhaltensweisen. Darüber hinaus werden abstoßende Merkmale wie geschwollene Gesichter, hervorquellende Augen und gefletschte Zähne zur Einschüchterung und Abschreckung eingesetzt. Diese Funktion der Hässlichkeit zeigt sich in den Troh-Masken der Bangwa in Kamerun oder in den Komo-Masken der Bamana in Mali. In einigen Kulturen ist diese furchteinflößende Wirkung im Kontext der physischen Kriegsführung wichtig, sie kann aber auch auf symbolischer Ebene bei der Verteidigung gegen übernatürliche Kräfte und Geister wirken.*
Hässlichkeit kann auch einen komischen Zweck haben und bei Maskeraden zum Einsatz kommen, deren Hauptziel die Unterhaltung des Publikums ist, etwa die Gonde und Gongoli der Mende (Sierra Leone) mit ihren geschwollenen Wangen und verdrehten Nasen sind oft Umkehrungen des Schönheitsideals.

In einigen Kulturen werden das Hässliche und das Schöne in einer geschlechtsspezifischen Paarung zusammengebracht, wobei männliche Masken, die tierische und menschliche Merkmale kombinieren, weiblichen Masken gegenübergestellt werden, die den lokalen Kanon der körperlichen Attraktivität veranschaulichen. Eindrucksvolle Beispiele für solche komplementären Paare finden sich in den Maskeraden der Senufo in Côte d’Ivoire und der Igbo in Nigeria.

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*  Eine idiok ekpo Maske der Ibibio (LINK) der Pace Gallery  illustriert auf ihre Weise Ambivalenz und Komplexität des Themas am Beispiel. Doch wir erfahren auch nicht mehr über ‚die Fremden‘ und das Jahrhundert dieser Masken aus dem subsaharischen Afrika.

www.paceafricanart.com:feature247: Bildschirmfoto 2024-11-27  – 38 cm  – frühes 20. Jh. EX: F.Rolin, N.Y.

 

 

Ibibio-Idiok-Masken stellen zerstörerische Geister oder die Geister von Vorfahren dar, die zu Lebzeiten gegen die Tradition verstoßen haben. Idiok-Masken sollen sowohl Angst als auch Respekt einflößen. Bei Maskenaufführungen der Ekpo-Gesellschaft werden wiedergeborene unmoralische Vorfahren durch Idiok-Masken mit dunkler Oberfläche und verschiedenen Entstellungen dargestellt.“

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