Quelle : Z.S.Strother “Inventing Masks – Agency and History in the Art of the Central Pende“, The University of Chicago Press, 1998, cloth & Paperback, xxvii und 348 pp., reich illustriert, Index, im Netz etwa ab 40€
Veröffentlicht: 20.9.2017 Fortsetzung der Geschichte 22.11.2018 (93% = 19 S.)
Einleitung
Ausgangspunkt und Ziel der Studie von Zoé Strother
Die Studie erforscht Geschichte und Prozess der Erfindung, Innovation in den Maskeraden und erzählt wie beiläufig die Erfahrung der Pende mit der kolonialen Unterwerfung im 20. Jahrhundert.
Zoé Strother erzählt, dass ihr Maskenprojekt „Inventing Masks“ eher zufällig entstand – nach einem bereits über zweijährigen Aufenthalt am Kasai bei den ‚östlichen’ Pende – als sie auf einem Tanz-Festival in der Nähe von Kinshasa ihrer Begeisterung über eine „Explosion an Akrobatik und Synchronisation“ in der Performance von Tänzern der ‚zentralen’ Pende Luft machte und überrascht von einem Chef zu hören bekam: „Ja, sehr nett, aber kein Pende-Tanz.“ (xiii) Ein angesehener Tänzer klärte sie auf: „Natürlich war das kein Pende-Tanz. Wir haben ihn von den Kwese übernommen nach dem Ende der Rebellion 1965. Den alten Tanz kann man außer beim Tod eines Beschneiders, eine inzwischen seltene Gelegenheit, nicht mehr erleben.“ (xiv)
Nun wurde Zoé nachdenklich: Warum sollte ein 1989 erlebter Tanz bereits 1960 dieselbe Form gehabt haben?
Sie verstand auch nicht mehr, warum sie bisher Gesichtsmaske, Kostüm, Tanz, Lied und den Namen des Ganzen sich als unauflösliches Paket vorgestellt hatte statt als eine Assemblage oder Montage, in der vielleicht ein Teil sogar drastisch verändert werden konnte, während anderes am Maskenauftritt beim alten blieb. (xiv)
Es blieben ihr noch vier Monate für die Feldstudien, aber sie hatte bereits Erfahrung und wurde gastlich aufgenommen. Dass sie den altertümlichen Dialekt aus dem Osten sprach, fand man nur etwas lustig. Man empfahl ihr ein aktives Holzschnitzerdorf , Nyoka-Munene (18) im Norden des ‚zentralen’ Siedlungsgebiet, dort wo die weltberühmten Katundu-Tanzmasken entstanden sind.
Meine Vorgehensweise, Zitierweise und Perspektive
In vielen Facetten kommt an der Geschichte der Maskeraden und Masken eine Geschichte kollektiver Traumatisierungen und Reaktionen zum Vorschein. Mengenmäßig nehmen bei Zoé Strother die kollektiven Erfahrungen mit der Kolonialmacht relativ wenig Raum ein in der dreihundert Seiten starken Studie, aber ihre ständige Präsenz ist von durchschlagender Wirkung. Wie beides am Detail verwoben ist und dass auf jeder Seite faszinierende Querverbindungen auftauchen, hat mich an der Lektüre fasziniert. Viele Seitenverweise schmücken nun meine strapazierfähige Paperbackausgabe, doch das befriedigte mich noch nicht, ich wollte den Überblick. Im Ergebnis habe ich einen lesbaren zusammenhängenden Text angestrebt. Die Zusammenfassung bündelt nun Informationen, die sich in unterschiedlichen Kontexten finden, von der Einleitung bis in die letzten Anmerkungen. Den Schwerpunkt bildet dabei das Kapitel 8 über Masken in der Kolonialzeit.
Dieser Umstand wie auch die Übersetzung aus dem Englischen machen eine Kennzeichnung direkter ‚Zitate’ illusorisch. Dafür steht die entsprechende Seitenzahl am Ende jedes Absatzes und direkt nach kurzen erläuternden Einfügungen aus anderen Kapiteln, sodass jeder der will nachschlagen kann.
Mit dieser Zusammenstellung hoffe ich dem Leser ein vereinfachtes lokales Modell zur Kolonialgeschichte des Kongo zu vermitteln, wie sie – für das Land der Yombe und Kongo – auf dem Rücken der Studien von Wyatt McGaffey und Kejsa Friedman Ekholm – bereits im Blog zu lesen sind.
Inzwischen hat sich neues Material zu Einzelaspekten angesammelt (Reiseberichte 1887, 1906, 1939; Palmöl-Ökonomie am Kwilu, die Rebellion 1931 … ). Das wäre in einem zweiten oder dritten Beitrag vorzustellen und zu diskutieren. Und, obwohl sich mein Beitrag vorzugsweise an interessierte Sammler afrikanischer Stammeskunst richtet, konnte ich auf den Weg von Masken nach Europa in der Kolonialzeit noch gar nicht eingehen.
Den Beitrag zur Modernisierung der Pende-Masken habe ich inzwischen überarbeitet, unter dem neuen Titel „Bewertungen von Mbuya-Masken (Pende) – de Sousberghe oder Z.S.Strother“ (Link).
Die Abbildungen in diesem Beitrag dienen der Veranschaulichung, sie sollen die Vorstellungskraft des Lesers zusätzlich anregen, weil ohne innere Bilder historisches Wissen stumpf bleibt. Sie verlangen aber selber nach Diskussion und Problematisierung.
Aus der Geschichte der Pende
Wer sind überhaupt die Pende?
Nach ihrer mündlichen Überlieferung flohen sie vor dem Sklavenhandel in Angola rund vierhundert Kilometer in den heutigen Kongo, in kleinen Gruppen, Archäologen zufolge während des 17. Jahrhunderts. In der Savanne fanden sie eine Nische für den gewohnten Hirseanbau und lebten friedlich mit Völkern, die ihrerseits mit der Erfahrung in der Waldwirtschaft aus dem Norden eingewandert waren. (5) Ende des 19. Jahrhunderts störten die Chokwe mit einem bewaffneten Vorstoß das Gleichgewicht und trieben die Pende an die Grenzen der Mbuun und an das Ufer des Kasai. Erst die Kolonialverwaltung der Belgier beendete die Aggressionen der Chokwe. (6)
Dann trieben die neuen Provinzgrenzen zwischen Leopoldville-Bandundu im Westen und Kasai einen Keil zwischen die Pende. (6) Sie erlebten die Kolonialzeit unterschiedlich. Der Druck auf die Kasai Pende im Osten war geringer, bei ihnen behielten die alten Eliten mehr Macht und Autorität.
Wie erkennen sich die Pende nun aber untereinander, seit sie dem Kolonialstaat unterworfen waren, die traditionellen Familienverbände über das ganze Territorium verstreut wurden und aufkommende ‚exogame’ (Link) Heiratspraktiken einen ‚Sinn für die kollektive Identität’ erforderlich machten? (4)
Wenn bei wichtigen Ritualen Fremde anderer ethnischer Gruppen bei Regelverstößen erfolgreich Unkenntnis geltend machen können, so wird eine solche Entschuldigung von „Pende“ nicht akzeptiert, egal woher sie kommen. (4) Als Unterscheidungsmerkmale zu vor allem nördlichen Nachbarn betrachten sie: Sprache, Mutterrecht, Hirseanbau, Beschneidung und Altersgrade der Männerbruderschaft mukanda, sowie – früher wichtiger – die Verwendung der Objekte mahamba als spirituelle ‚Transistoren’, die den Kontakt zu den Ahnen erleichtern. (4/5) Es besteht ein lebhafter Sinn für die Kultur der Einwanderer aus Angola. „Er stammt aus Angola“, ist die ultimative Begründung für einen Glauben oder Brauch. (5)
Ein Jahrhundert (1885 bis 1980) – als Abfolge von Generationen
Um Individuen und Objekte zeitlich einzuordnen, verwendet Zoé Strother ein Datierungssystem der Pende: die Altersgruppen der Männer. Bis in die 1980er Jahre nahmen die Pende Knaben etwa alle zehn bis fünfzehn Jahre in den Männerbund mukanda auf. Die Initianten waren dabei zwischen 8 und über 20 Jahre alt. (9) Die Dörfer entschieden autonom über den Zeitpunkt ihres Initiationslagers, doch nachdem die ersten Dörfer damit begannen, entstand auch in den übrigen ein ‚Initiationsfieber’, das zwei, fünf oder mehr Jahre dauerte. Nachzügler gab es immer, man kann sich das vorstellen.
Den entsprechenden ‚Generationen’ (indongo) benannte man nach einer Besonderheit, einem Ereignis, das zu der damaligen Zeit von allgemeinem Interesse war.
Erste Generation MILENGA (‚UNREIFER MANIOK’) ca.1885-1890
Die erste Generation in Strothers Liste hieß Milenga, was (vereinfacht) unreifen Maniok bezeichnet. Zwischen 1885 und 1890 mussten viele Pende der Zentralregion vor dem Krieg mit den Chokwe nach Norden zu den Mbuun flüchten und ihre Felder verlassen. Nach ihrer Rückkehr nahmen sie überstürzt die Initiation vor. Die Frauen hatten bereits neu angepflanzt, aber der Maniok war noch nicht reif. De Sousberghe berichtet, dass die Letzten dieser Generation in den fünfziger Jahren starben und nennt den Holzbildhauer Maluba. (9)
Zweite Generation MINGELU (‚ÖLGLANZ’) ca.1901-1903
Vom Verb „widerspiegeln“ abgeleitet, das bei Wasser wie Öl verwendet wird. Palmöl muss vor Gebrauch erhitzt werden, dabei wird es hell glänzend. Palmöl wurde in der lokalen Fabrik Bienge in großen Mengen erhitzt, viele dieser Generation wurden gewaltsam rekrutiert, um kleine Barrels und größere Drums über die Strecke von zweihundert Kilometer in die Hauptniederlassung der Firma in Kikwit zu schleppen. (9)
.Die Mingelu waren die letzte Generation, die in der vorkolonialen Pende-Gesellschaft die Volljährigkeit erreichten. (252)
Die Compagnie des Magasins Généraux du Congo hatte zwar ihren ersten Handelsposten im Pendeland nach1888 eröffnet, aber die Handelspolitik von Leopolds ‚Kongofreistaat’ wirkte sich vor 1903 kaum aus, als die 1901 gegründete halbstaatliche Compagnie du Kasai (CK) mit ihrem Monopol für den Kautschukexport das Pendeland erreichte. Schon 1902-03 waren die Kautschukbäume entlang des Loange erschöpft und man dehnte die Posten auf die gut bevölkerte Savanne bei Mukedi aus. Der Staat verlangte eine Naturalsteuer in Kautschuk, deren Umfang weit mehr als die offiziell angesetzten 40 Arbeitsstunden im Monat erforderte. Ganze Familien wurden gezwungen, mehrfach im Monat weit weg von ihren Dörfern Kautschukbäume zu erschließen. Besonders lastete die Arbeit auf den Mingelu zwischen 20 und 30. Schon 1906 war die Gegend von Handelsposten übersät, 1908-09 waren sie gut mit Gewehren ausgestattet. Da der Staat keine Aufsicht über die Handelsagenten ausübte, trieben sie die geforderten Mengen mit Gewalt ein, mit Auspeitschungen von Chiefs und Klanoberhäuptern, mit der Geiselnahme von Frauen und dem Raub in Vieh. Versuche der Bevölkerung, junge Männer, Frauen und Vieh im Wald zu verstecken, wurden mit Niederbrennen des Dorfes beantwortet. Als die CK 1909 (?) ihr Monopol verlor, verschlimmerte sich die Situation durch grimmigen Wettbewerb der Unternehmen um die knappen Ressourcen. (252-253)
Zwischen 1910 und 1916 begann der Staat selbst das Pendeland westlich des Loange zu kontrollieren.
Er schickte ab 1910 militärisch eskortierte Kolonialbeamte zur Eintreibung einer Kopfsteuer für Männer plus Aufpreis für polygame Haushalte. Zoé Strother zitiert dazu M.Lyons: Eroberung war von der Steuer nicht zu trennen, denn sie wurde ja für die Steuer unternommen. (253)
Ethnographische Untersuchungen wurden unternommen, um regierungsfreundliche chefferies zu schaffen, 1913 wurden die ersten territoires geschaffen. Von 1913 bis 1931 übernahm der Staat in zunehmendem Maß die Investitur von Chefs und gruppierte Klans und Dörfer neu, was bis heute (1989) bittere Dispute um Land und politische Macht provoziert. Einzelne verzweifelte Dörfer versuchten zwischen 1916 und 1919 bewaffnete Aufstände. Darauf wurde im Herzland der zentralen Pende in Kilembe eine militärische Station eingerichtet. Wegen des darauf folgenden passiven Widerstands, den vor allem die inzwischen herangewachsenen Mingelu trugen, wurden 1919-20 Dorfchefs reihenweise abgesetzt. Damals wurden die Masken mbuja jia mafuzo erfunden. (253).
Die Schlafkrankheit brach 1916 aus. An der Anfälligkeit der einheimischen Bevölkerung waren die Kolonialisten selber schuld. (254) Daraufhin begannen die Umsiedlungen auf die Plateaus über den Flusstälern und an die Überlandstraßen.
Der staatstreue Missionar De Pierpont war 1919 erstaunt über den Schrecken und die Flucht, den das Erscheinen eines Weißen regelmäßig in den Dörfern auslöste. Auch die ärztliche Untersuchung bei Entdeckung von Schlafkranken im Dorf wurde zum Trauma. Das begann mit den Vorbereitungen („Wenn dein Hals schmutzig ist, zahlst du eine Strafe“) und setzte sich mit der Einsperrung und mit der Spritze fort. Die Reihenuntersuchungen wurden militärisch abgesichert und zugleich für einen zuverlässigen Zensus genutzt, da sich die Pende aus Erfahrung jeder Zählung entzogen. (255)
Nach fallenden Kautschukpreisen auf dem Weltmarkt wechselte die Ökonomie im Pendeland 1915 bis 1921 definitiv zu Produkten der Ölpalme über.
In Kinguba entstand eine kommerzielle Ölmühle. In der Anfangszeit kauften die Agenten in den Dörfern traditionell hergestelltes Öl in Kalabassen. Zwar war die Ernte weniger beschwerlich als das Gummizapfen, der erzwungene Tragedienst über viele Kilometer nach Kikwit sehr hart. Das Schlimmste daran: Man konnte jederzeit von gleich auf jetzt abkommandiert werden. Erst trugen die Pende Kalebassen, schließlich rollten sie Fässer. (255)
Wo Ölpalmen besonders gut gediehen, im Norden am Lake Mashi, war die Bedrückung am größten. Genau dort erfanden sie die mbuja jia mafuzo Masken. (255-56)
Dritte Generation MAPUMBULU (‚SOLDATEN’) ca. 1910-19 je nach Region !
Für die Region westlich längs des Kwilu datiert der kongolesische Historiker Sikitele (332) die Initiationsperiode bereits auf die Jahre 1910-1912, als die ersten Kolonialadministratoren des belgischen Staats dort mit militärischer Eskorte auftauchten. Diese Soldaten hießen Mapumbulu, ein Wort, das nach pombeiros klingt, dem Ausdruck für die bewaffneten Karawanen portugiesisch-luso-afrikanischer Händler zur Zeit des Sklavenhandels in Angola. (320)
De Sousberghe nimmt die Zeitspanne von 1916 bis 1919 an. Strother fand sie in den Dörfern des Zentrum bestätigt. (320) Abgeleitet von „Soldaten“, beziehen sie den Namen auf ältere Jungen, die von den Belgiern für den Ersten Weltkrieg rekrutiert wurden, aus dem Initiationslager geholt wurden oder nach dem Abschluss der Initiation eingezogen (252). Diese Mapumbulu wurden ziemlich spät initiiert. Sousberghe sieht einen weiteren Grund dafür in der Belastung durch das erzwungene Sammeln von Kautschuk in der Savanne (302, Anm.11.)
Trotz dieser ohnehin langen Zeitspanne können Initiationen noch später abgehalten worden sein. Nur wenige der Allerjüngsten der Generation waren 1989 noch am Leben. (252). So der Tänzer Muhenge Mutala, den Zoé noch traf. 1921 spät initiiert, musste in seiner Jugend mindestens einmal die üblichen Transporte für Weiße im Handkarren über 150 Kilometer machen (66).
Koloniale Gewalt prägt die Vorstellungswelt der Kolonisierten.
Wie spiegelt sie sich in den Maskeraden?
Nach 1910 erschien eine neue revolutionäre Kategorie von Masken auf der Bildfläche, die mbuya jia mafuzo, und beherrschte die Maskeraden über zwanzig Jahre lang (252: „to early 1930s“). Lebensgroße Puppen, schwerfällige Modelle grimmiger Tiere, wirbelnde Fässer und sich windende Schlangentänzer – sie wurden von älteren Männern erfunden und dafür Konzessionen an andere Tänzer verkauft. Diese Gruppe von Masken ist heute ihrer Systematik undurchsichtig und unverständlich. (229) (Siehe unten: Abb.101,104)
Das Wort mafuzo, vom Verb „anblasen“ abgeleitet, bezog sich auf die Helfer der Maske, welche geheimnisvolle Substanzen in Richtung der Menge der Zuschauer bliesen. (232) Bedrohung und Hexerei lagen in der Luft. (233)
Die frühe koloniale Okkupation wurde als Ansturm von Hexern erfahren. Das Dorf konnte die Integrität seiner Grenzen nicht gegen den Ansturm der Kaufleute, Steuereintreiber, Rekrutierer, gegen medizinisches Personal, Missionare und Agrar-Kontrolleure schützen. (259) Die Furcht lebendig aufgefressen, vernichtet zu werden, wurde vom vielmäuligen Monster Gimbombi aus den Volkserzählungen verkörpert, einer Kreatur aus dem Busch wie Raubtiere und Maschinen (!), welche die Leute einfängt und verschlingt. Ginzengi war die Maske eines zweiköpfigen voluminös ausgepolsterten Mannes, der in der Mitte des Tanzplatzes direkt neben dem Häuptling schwerfällig Platz nahm, ein großes Messer auf dem Rücken, in den Händen Bogen und Pfeile. So hat ihn Delhaise 1924 beschrieben. Frauen und Kinder flohen bei seinem Anblick. Anfangs soll die Maske Ginzengi von zwei bis fünf zusammengebundenen Tänzern gebildet worden sein, zwei davon mit weiblichen Gesichtern. Oder auch einmal mit einer dreiköpfigen Helmmaske. (243) (vierköpfig? Tf. 106 , p. 244)
Zoé Strother verweist auf eine wachsende Literatur über ähnliche Überzeugungen in Zentral- und Ostafrika (z.B. „Sinister Caricatures“, Allan F.Roberts 1973).
Ich selber möchte auf die Beiträge in Africa Screams – Das Böse in Kino, Kunst und Kult (Frankfurt 2004, Hg. T.Wendt) hinweisen – Strother sieht den Historiker Achille Mbembe (336) darin bestätigt, dass koloniale Gewalt nicht nur die physischen Raum des Eingeborenen berührte, sondern sogar die Fundamente seiner Vorstellungswelt. In seiner Arbeit über Traumtagebücher eines Freiheitskämpfers in Kamerun (1991) schreibt er: Weil der Kolonialismus als Ausübung „krimineller Hexerei“ wahrgenommen wurde, war seine Bekämpfung die Sache von Männern, deren ‚Blick die Nacht durchdringen’ konnte. Die Nacht war ein gefürchtetes Universum. Man konnte verschlungen werden. Sie konnte aber in gefährlichen Situationen zu einem persönlichen Schutzraum verwandelt werden. Träume vermittelten zwischen den Lebenden und dem Jenseits. Das taten auch die Maskeraden. Man stärkte sich durch Siege über die schlimmsten Ängste, etwa durch den getanzten Scheintod von Pagasa, der Maske des gefährlichen Kapbüffels. (259-260) Trotz kolonialer Überwachung gelang es den Generationen der Mingelu und Mapumbulu, ihre Erfahrung zu äußern und sie politisch werden zu lassen.
Die mbuya jia mafuzo übernahmen die Sprache der Macht, verwendeten die Symbole und Insignien der chefs, um die Perversion ihrer traditionellen Autorität anzuprangern.
In den zwanziger Jahren wandelten Dorfchefs sich von rituellen Mittlern zu Kleindespoten, welche ihr Wissen über das Übernatürliche in krimineller Hexerei zum persönlichen Vorteil nutzen. Das sichtbare Abzeichen solcher von den Belgiern installierten chefs médaillés war aber die Peitsche. Sie begleiteten die Territorialbeamten bei der Steuereintreibung und machten die Drecksarbeit – auspeitschen, Vieh beschlagnahmen, Häuser niederbrennen. Waren sie doch dem Staat für die geforderte Menge an Palmprodukten oder Gummi persönlich haftbar. – Nannte man das in Konzentrationslager Europas nicht ‚Kapo’, ‚Funktionshäftlinge’? – ‚Die‘ Dorfchefs bedrängten die Bevölkerung, sich der befohlenen landwirtschaftlichen Produktion und den sanitären Vorschriften zu unterwerfen, etwa die Latrinen zu bauen, die man nicht wollte. Sie wurden zu Agenten mit realer Macht und kaum Rechenschaftspflicht gegenüber ihrem eigenen Volk. Sie hatten darüber zu entscheiden, welche Abstammungsgruppen (Klans) Männer für die Armee oder Kinder für die Missionare zu liefern hatten. (233) Darüber hinaus forderten viele die Privilegien der Kolonialisten ein, zum Beispiel im Tipoy getragen zu werden, ohne Bezahlung Essen und Wasser zu erhalten und außer Sichtweite zu essen. (260)
Erst 1937 bis 1940 schuf eine allgemeine Verwaltungsreform größere Verwaltungseinheiten, Secteurs, um die Verantwortung für Steuern, Ablieferungsquoten und Gerichtsbarkeit u.s.w. aus der untersten Verwaltungsebene heraus zu verlagern. Das war zu spät, um die Reputation lokaler chefs noch zu retten. Pende aus dem Osten, die nicht die harsche Palmöl-Despotie kannten, sind heute (1989) über die Respektlosigkeit überrascht, mit der die Pende westlich des Loange ihre chefs behandeln. (260/61).
Vierte Generation NDENDE (‚PALMNÜSSE’) und die Rebellion von 1931
Sie litten noch als Kinder mit ihren Vätern, auch wenn sie selber nicht mehr als Zwangsarbeiter und Träger versklavt wurden. Denn seit den 1930er Jahren konnten die Güter im Dorf direkt auf Lastwagen geladen und eben auf dem Netz der Landstraßen transportiert werden, für die Mingelu und Mapumbulu eine knochenbrecherische Fron geleistet hatten. Jetzt musste der obligatorische Arbeitsdienst nur noch für die Instandhaltung sorgen. Doch das war nicht alles, denn Besteuerung und Frondienste blieben.
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Der Name Ndende bezieht sich wahrscheinlich auf die große Zahl von Männern dieser Altersgruppe, die für die Palmplantagen im Norden rekrutiert wurden. Viele Initiationslager waren bereits aktiv, als 1931 in der chefferie Yongo am Kwilu im Westen eine Rebellion wegen der Plantagenfron aufflammte. Der zeitweilige Rückzug der Weißen aus dem Gebiet, der euphorisch gefeiert wurde (Näheres H.F.Weiss. R.B.Woodward und Z.S.Strother 2016) und vor allem die nachfolgende allgemeine Repression wurden zum nächsten großen Wendepunkt in der Geschichte der Pende westlich des Kwenge.
Die Rebellion von 1931 verlangt einen eigenen Beitrag …
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Zoé Strother schöpft aus der reich dokumentierten dreibändigen Dissertation von Gize Sikitele „Histoire de la Révolte Pende 1931“ 1986 an der Université de Lumumbashi (332). Sikitele ist heute Professor an der Université de Kinshasa, 2015 stand er in Kontakt mit MoC II (Link) und dem Afrikazentrum an der Universität Würzburg (Link). In ‚meiner‘ Bibliothek ist die Dissertation nicht vorhanden.
Der Bericht von Louis-Francois Vanderstraeten vor der Kgl. Akademie in Brüssel im Jahr 2000 konnte vor ein paar Tagen noch als pdf aus dem Netz frei heruntergeladen werden „La répression de la révolte des Pende du Kwango“ (Link) Er enthält im Anhang den ungeschminkten Untersuchungsbericht des mutigen Präsidenten des Appelationsgerichts Eugène Jungers (1931), der an den Misständen natürlich nicht viel änderte.
H.F.Weiss. R.B.Woodward und Z.S.Strother veröffentlichten 2016 in African Arts (t.49 no.1 Spring, pp. 56-69) unter dem Titel ‚Art with Fight in It’ die interdisziplinäre Analyse einer Kraftfigur der Pende von 1931, das Bildnis des getöteten Kolonialoffiziers Balot aus einer Pende-Werkstatt. Extrem interessant!
NEUE ZEITEN, NEUE GENERATIONEN 1946 – 1957
Das Kolonialsystem änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Wirtschaft boomte, 1946 bis 1957. Auf dem Gebiet der Rekrutierung von Arbeitern, besonders für Frauen und Kinder, traten mehr Schutzgesetze in Kraft und ihre Einhaltung wurde stärker kontrolliert. Der Zwangsaufenthalt in der Palmplantage mochte einem zuwider sein, er resultierte nicht länger in Tod oder schwächender Unterernährung. Und man bekam eine Gegenleistung für seine Arbeit, als bessere Schutzmaßnahmen bessere Bezahlung brachte. Männer begannen sogar sich freiwillig für Arbeiten zu melden, um eine Nähmaschine oder ein Fahrrad nachhause zu bringen. Industriegüter begannen reale Wirkung im Alltag der Leute zu haben. Der Name der Generation Pogo Jia Mesa ist bezeichnet das Messer des europäischen Tischbestecks. (258)
Fünfte Generation POGO JIA MESA ( ‚BESTECKMESSER’) 1938 – 1940
So hieß die erste Generation, in der viele Jungen bereits als Neugeborene in staatlichen Geburtszentren beschnitten worden waren. (10) Das hatte symbolische Bedeutung: Es war die erste Generation, die völlig unter der Kontrolle des Kolonialstaates geboren und aufwuchs. Sie wuchsen auf in zusammengelegten Dörfern auf den Plateaus, in Häusern, die durch Zäune voneinander getrennt waren. Ihre Felder bildeten Quadrate. Und sie waren an die periodischen Besuche der Steuereintreiber gewohnt, an die agents sanitaires und die moniteurs agricoles. Viele der Jungen gingen eine Zeitlang auf eine der überall verstreuten, von den Missionen organisierten Schulen.
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Ein tiefsinniger Trommler beschrieb Zoé gegenüber die geänderte Geisteshaltung seiner Generation am Beispiel der Begräbnisbräuche.
Die Pende bedeckten seit jeher Gräber mit diversen Scherben, Erdnüssen, Kichererbsen und anderen Lebensmitteln. Niemand machte sich Gedanken um eine Störung der Totenruhe, da die meisten Friedhöfe überhaupt mieden aus Angst vor den beunruhigenden Geistern der Verstorbenen (nvumbi). Doch der Trommler und seine Freunde gingen als Kinder hin, um die Erdnüsse zu essen. Die nvumbi erschreckten sie nicht, sie hatten die Wirren der gescheiterten Rebellion von 1931 erlebt. (258)
Von 1942 bis 1947 wurde auf die Landbevölkerung im zentralen Pendeland wieder massiv Druck ausgeübt, um die kriegswirtschaftlich wertvolle Kautschukproduktion wieder anzukurbeln. Man drohte strenge Strafen an und beschränkte in verschiedenen Schritten ihre Bewegungsfreiheit als Mittel gegen die Landflucht. In diesen Jahren wuchsen die Städte schnell, was Historiker als den Versuch deuten, den schweren Lasten eines kolonialen Bauern zu entkommen. Eine (weitere?) Reorganisation der Verwaltung im Pendeland führte zu einer Explosion an Landstreitigkeiten, die bis in die Gegenwart (1989) andauern. Die Leute hassten zutiefst die hartnäckige koloniale Einmischung in Erbschaftssachen. (258)
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Sechste Generation SOLOMOGO (‚AUSBRUCH’) 1946 – 1950
Der Name deutet an, dass die Jungen wenig Zeit im Camp verbrachten. Das ist die Altersgruppe der Tänzer Khoshi Mahumbu (*1935) und Masuwa. (10) Zoé charakterisiert Khoshi als leidenschaftlichen Tänzer und Schnitzer. Sein Engagement für die Maskerade rettete ihm die während der Mulele-Rebellion (1963-1965) beschädigte Reputation. Er kombiniert ein außergewöhnliches kinetisches Gedächtnis mit einem scharfen Sinn dafür, wer was wann neu eingeführt hat. (20) Masuwa war als Tänzer ein ‚Star‘ und als Kostümschneiderwählte er seine Materialien sorgfältig aus. (187-189, Abb.187)
Siebte Generation YEMBELE (….?) 1956 – ?
Dies war die letzte in weiten Teilen der zentralen Region vorgenommene Initiation. Mir fällt auf, dass die Jahrgänge der Yembele in Europa meiner Generation entsprechen. Ich bin 1944 geboren.
Zoé Strother zählt eine Reihe von Künstlern auf. Warum der Tänzer Gambetshi aus Madibu (etwa 1950 geboren) nicht dabei ist, weiß ich nicht. Seine Geschichte erzählte sie bereits 1995 (African Arts, spring 1995, pp.24ff.) Ich fasste sie in „Modernisierung der Pende-Masken“ (Link), Nachtrag 20.1.17 zusammen.
Achte Generation ZAIRE (‚ZAIRE’) 1972
Einige Dörfer hielten eine kurze folkloristische Version der alten Initiationsrituale ab. (10) Der Name ‚Zaire’ spielt auf die Umbenennung des unabhängigen Staates durch Mobutu an.
Neunte Generation DARDAR ( Slang für ‚SCHNELL’) ca. 1980
Wenige Dörfer, besonders im Norden organisierten eine kurze folkloristische Version. (10)
Neuere Formen widerständiger Kultur
Die „Rückkehr zum Gelächter“ (250)
Die Wiedergeburt der Maskerade in den 1940er und 1950er Jahren verdankt sich teilweise dem Verschwinden traditioneller Wege, um als Mann Prestige zu erlangen. Die Chefs, Richter und Elders (Klanoberhäupter) waren als koloniale Strohmänner diskreditiert, die von der staatlichen Ausbeutung der Jugend profitierten.
Die Jagd war verboten, die Metallschmelze verschwunden, die Schmiedekunst war zuerst verboten, dann durch den Verkauf importierter Güter reduziert. Rituelle Beschneider wurden von Krankenschwestern und Hebammen in Entbindungsstationen abgelöst. Der Tanz war also einer der verbliebenen Wege für junge Männer, die sich hervortun wollten. (261)
Die humoristischen Masken der 1940er und 1950er Jahre belegen eine radikal andere Haltung als die der mbuya jia mafuzo (261), obwohl auch sie ein paar komödiantische Masken erfunden hatten. (250)
Pogo jia Mesa ist die Altersgruppe von Mileji Mutundu (geb. 1930), dem Erfinder der Maske Gatomba (10), die sich gegen üble Mächte wehrt. Deren Name bedeutet: finden, durchschauen, die Fährte erkennen. Sie verkörpert den Mann, der den Hexer aufspürt und umbringt, bevor der ihn ein zweites Mal treffen kann. (25, 26 Abb.,27). Jetzt genießt Hexerei in der Maskerade keinen Respekt mehr, sie tritt nur als eigennütziger Gebrauch metaphysischer Kräfte durch Dorfdespoten auf (14). Logischerweise steht sie bei der Darstellung älterer Männer im Zentrum.
„Der Traditionalismus der Jungen“
Die jüngeren Generationen, bereits in das Kolonialsystem hinein geboren, fanden zu einer inneren Distanz von der Okkupation. Bis zu einem gewissen Grade ignorierten sie die Invasoren oder nahmen sie auf den Arm wie in dem Tanz „Gikitishikitshi“ – „ Gikitishikitshi (Weißer), lösch’ deinen brennenden Bart, deinen ungepflegten Bart“(ch.2, 31-33) – oder im „Galubonde“, einem lokalen Tanz mit konkretem Anlass, einem korrupten Beamten gleichen Namens :„Galubonde ist ein Dieb, der senior officer ist ein Dieb“ (34-35). Die Selbstbehauptung der Pende fand ihre kraftvolle Rückversicherung in ihrer‚Tradition’, selbst dann, als sie die Maskerade mit vielen Veränderungen modernisierten, sie von rituellen Kontexten trennten und zum privaten Besitz von Masken und Kostümen übergingen. (261)
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Nach der Niederschlagung der Rebellion von 1931 begannen die Pende, die Invasoren mit den Nadelstichen eines selektiven „Traditionalismus“ zu ärgern, erinnerten sie daran, wer sie waren.
Haarstile wurden die Quelle eines stillen Konflikts. Belgische Beamte und Missionare wollten qualifizierte Arbeitskräfte nicht einstellen, solange sie ihr Haar nicht kurz schnitten. Sie erklärten, kunstvolle Frisuren ermutigten die Leute zur Faulheit, weil sie zu viel Zeit ihrer persönlichen Eitelkeit widmeten, statt mehr für den Staat zu produzieren. Im Gegenzug begannen mehr Pende denn je ihre Haare zu stylen. Fremde (Reisende) machten sich Sorgen über die Aufsässigkeit. Der Jesuit J. Hamerlinck berichtete seinen Vorgesetzten, dass die zentralen Pende sich zwar nicht der Rebellion von 1931 anschlossen, aber stur von allem was europäisch war fernhielten. 1953 notierte der Musikologe Maquet die neue Mode eingeborener Haarstile und der kosmetischen Verwendung von Rotholzpulver auf der Haut. Er wunderte sich, dass die Pende zwar Fahrräder, Glocken, sogar Plattenspieler gerne annahmen, nicht aber westliche Kleidung. Traditionelle Frisuren kamen erst mit der Unabhängigkeit endgültig aus der Mode. (261)
Die Organisation von Maskeraden wurde von den späten 1930er bis in die 1950er Jahre ihre bekannteste Widerstandsform.
Im dicht besiedelten Gebiet um die protestantische Mission von Mukedi etwa waren Maskeraden und Initiationslager für Jungen Ursache erbitterten Streits. Die Missionarin Birkey schrieb 1938: Wir sollten viertausend Besucher haben statt vier- bis fünfhundert … die eingeborene Trommel ruft nicht so viele zum Gottesdienst wie zum Tanz. (261-262) Lubu aus Mukedi berichtet, dass seine Freunde und er gewöhnlich die Trommeln schlugen, sobald die Kirchenglocke ertönte. Die Sonntage wurden zu Wettbewerben in Attraktivität. Der Missionar Vernon Sprunger rannte einmal wutentbrannt aus der Kirche zu den Organisatoren der Maskerade. An diesem Tag blieb er Sieger, da er die lead drum zerbrach. Um die Frauen vom Gottesdienst wegzulocken, begann die Tanzvorstellung nicht wie üblich mit den hässlichen Clowns (Tundu,127), sondern mit der in Mukedi populärsten Maske, dem eleganten Sha’ Kasanda (262), der eine Pantomime der traditionellen Palmölverarbeitung bot, die Grundlage der modernen Ökonomie für die zentralen Pende (251) (Vgl oben Foto von Masuwa )
Der besondere Wert des Tanzes
Natürlich wollten die(se) Europäer die eminente soziale Bedeutung und Wertschätzung der Maskeraden nicht verstehen. Seit sie vom rituellen Kontext abgelöst waren, „verschönerten die Maskeraden das Dorf“ und erfreuten (rejoice) seine Bewohner, wie man Strother 1989 versicherte. Man tanzt, wenn das Dorf mit sich im Frieden lebt, auf keinen Fall, wenn es von Spannungen und Rivalitäten zerrissen ist. (20) Über die Tänzer hinaus verlangt die Maskerade ein Team von Trommlern und so viel Sänger wie möglich. Ihr Erfolg hängt auch von der aktiven Beteiligung des Publikum ab, das singt, klatscht und mittanzt. (14).
Der oben erwähnte Tänzer Muhenge Mutala, ein 1921 spät initiierter Pumbulu schwärmt über Maskeraden: Der Tanz wärmt Körper und Herz, vertreibt die Kälte des sich ankündigenden Todes, stimuliert die Schwachen und Kranken, sodass sie sich stärker fühlen und wieder am Leben interessiert sind. So stärkt der Tanz das Dorf. (20-21) Man weiß: Sogar die Geister der Toten werden nach traditioneller Auffassung allein von der Wärme in der Welt der Lebenden unwiderstehlich angezogen. (20)
1945 empfahl der Territorialagent Cabiaux seinem Territorialadministrator die Absetzung des Chefs der Gatundu mit der Begründung: Seine Autorität ist groß, er bekommt was er will und wann er es will. Das Dorf Mukedi ist für ihn ein Tanzboden und eine Brauerei. Dreißig Minganji-Tänzer stehen in seinem Dienst. Sie tanzen jeden Tag neben seinem Gehöft, ausnahmslos. Die gesunden erwachsenen Männer liefern ihm Palmwein anstatt zu arbeiten. (262;322)
Auch als Kolonialbeamte in den 1950er Jahren die Pende-Maskerade als Folklore ‚promoten’ wollten, blieb sie für einige Missionare Konfliktstoff. (262)
Jean Comaroff berichtet von ähnlichen Konflikten über kollektives Tanzen und Singen in Südafrika und erklärt die heftige Ablehnung der Kolonialisten zum Teil damit, dass die lärmenden Trommeln und die in Gesang und Tanz vereinten Volkshaufen eine unbesiegte afrikanische Identität dramatisierten (262, aus “Body of Power, Spirit of Resistance“ 1985: 151)
Und die Fortsetzung der Geschichte nach 1960 ?
Auf eine auf die Provinz Kwilu begrenzte Rebellion 1963-65 gegen das neue Regime von Mobutu in Kinshasa folgten zwei Jahre der Repressalien der Armee. Dörfer im ganzen Pendeland wurden geplündert und niedergebrannt, die Bewohner in Angst und Schrecken versetzt (3) (Dorthin gehört übrigens die Anekdote der treulosen Mutter (Link): „Die Macht einer ‚Polio’-Puppe“ ). Leider war das nicht die letzten Erfahrungen der Pende mit der Armee des Demokratischen Republik. Daher dürfen hier Uniformierte nicht fehlen, auch nicht von Rebellen eingeschüchterte.
22.11.2018 Die Abschnitte über die jüngsten Generationen sind unbefriedigend!
Bei der Wiederbegegnung mit diesem Buch sieht es so aber aus, als ließe es sich noch einiges zur Fortsetzung der ‚inneren‘ Geschichte sagen. Zum Beispiel :
Die kapitalistische Ökonomie seit der Kolonialzeit zerstörte die traditionellen Regeln von Geben und Nehmen – equitable exchange – zwischen Verwandten. Mit den wachsenden sozialen Spannungen aber nahm der Schadenszauber zu. Die Alten – bitter old men – erpressten nun notfalls mit Hilfe von krimineller Hexerei – criminal sorcery – Geld und Arbeitsleistungen von jüngeren Familienmitgliedern. Junge Leute entwickelten das starke Gefühl, ausgebeutet zu werden. Selbst in Kinshasa waren sie nicht sicher vor den Forderungen ihrer ‘Onkel’. (297/98).
Für die Kritik wurden eigens neue Lieder und Masken erfunden, die bis in die 1980er Jahre wechselnden Erfolg hatten, wie zum Beispiel die um 1954 erfundene Maske NGANGA (THE SORCERER). Sie erregte sofort großen Skandal und verschwand zeitweise wieder. Denn das verstörende Thema passte nicht in den Trend zu Maskeraden, die Gemeinschaftlichkeit und Freude hervorheben sollten (a masquerade tradition stressing communality and joy, 297). Auch war Hexerei kein Thema für Christen und modernen Menschen, wenigstens öffentlich.
Mit der sich verschärfenden Krise in Mobutus Kongo ließen sich auch die finsteren Themen nicht verbannen. Zwar sollten diese mitten im Leben stehenden Künste das Gemeinschaftserleben und Vergnügen an der Vorführung bieten, die Angstlust und die Neugier auf Enthüllungen bedienen, aber auch Ventil sein für Unzufriedenheit und Wut. Der Feind musste ein Gesicht bekommen, ein hässliches, und was ist für ein Feindbild besser geeignet als das Gesicht des Fremden? In „Inventing Maskes“ ist von „fakes“ die Rede, von neuen Maskentypen, die durch formale ihre Übertreibungen und Fremdheit die Zuschauer erschreckten (298). Ein Künstler kopierte etwa den hässlichen Pumbu der östlichen Pende oder schnitzte sogar Masken nach aus einem Buch (Tchokwe-Illustration, Cornet 1972), das er besaß. Der Tänzer Gifembe ließ das neugierige Publikum nur gegen Eintritt das Maskengesicht in einem Verschlag aus der Nähe betrachten. Später verkaufte der Schnitzer Mijiba seine beiden fakes an Zwischenhändler als „echte Ostpende-“ und „Tchokwe“-Masken. (298)
Ich selber besaß übrigens für ein paar Wochen eine hybride Maske mit Chokwe- und Luba-Elementen, die als „Pende“ bezeichnet worden war. Sorgfältig gearbeitet und mit vermutlichen Gebrauchsspuren, könnte sie vielleicht eine ähnliche Entstehungsgeschichte haben. Bei Zoé Strother stieß die angebliche „Pende“ auf scharfe Ablehnung, was mich im Nachhinein an die von ihr geschilderten Reaktionen des Publikums auf Mijiba’s Neuschöpfungen erinnert. Aber das sind bloße Vermutungen.
Doch die Lage verschlimmerte sich nach Mobutus Sturz. Am Ende, so schreibt Strother in einer eMail, waren “In der Bandundu Region so viele Leute unterernährt, dass man seit 1990 nicht mehr viel Maskentänze veranstaltete.”
(Ende des Einschubs)
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Schon bei Zoé Strother wird das Tanz-Festival von Gungu (Link zu 2010 auf youtube) erwähnt, im Netz ist es aktuell noch präsent. – Der Link führt momentan zu einer „Altersbeschränkung“ und zum Hinweis auf „YouTube Community Guidelines“ zur Seite über Sperrung von „Harmfull Contents“. Ich glaub’s nicht. Welcher amerikanische Spleen hat zugeschlagen? 23.5.2021
Tanz und Masken gehören noch immer zu den Pende. Im youtube-Film ist Begeisterung zu spüren. Die scheint mir jedenfalls ‚authentisch‘. Die Tänze kann ich nicht beurteilen.
Nachbemerkungen
(1) Der Generationenbegriff ist uns aus der eigenen Gesellschaft vertraut, überdies ist er von Soziologen wie Heinz Bude („Das Altern einer Generation“) wissenschaftlich fruchtbar gemacht worden. Bei den Pende lebten mehrere Generationen in überschaubaren Verhältnissen zusammen. Sie gaben Erfahrungen und Traditionen weiter, es entstanden ‚Moden’, ‚Stars’ und ‚Werkstätten’ auch in der künstlerischen Praxis, im Tanz- und Maskenwesen, man war selbstverständlich mit Generationskonflikten konfrontiert.
Und diese ‚biografische Zeitrechnung’ war in eine ‚äußere’ fremde, feindliche Chronologie eingehängt.
Ich habe bereits beim Lesen der Einleitung die Pende als unsere Zeitgenossen wahrgenommen oder als die unserer Eltern und Großeltern. Die Lebenserfahrungen dieser Menschen in ihrem abgelegenen kolonialen Menschenpark waren so dramatisch und schrecklich wie die von Europäern. Zoé Strother betont, dass die Kolonialerfahrung überwiegend von der Landbevölkerung erlitten wurde. Die ‚traditionellen’ Formen ihres Widerstands wurden lange Zeit von Wissenschaftlern ignoriert, weil in deren Vorstellung der Begriff ‚traditionell’ eine statische vorkoloniale Praxis bedeutete, die dem ‚modernen’ Leben nichts zu sagen habe. (263)
(2) Die belgische Kolonialverwaltung machte leider nicht so eindeutige Schritte zum Besseren, wie ich bisher angenommen hatte. Und bei Veränderungen zum Besseren waren nicht unbedingt bessere Einsicht am Werk, sondern den Wirtschaftsboom nach 1945 und die konkrete Angst vor Verlust der Kolonie, wie den Europäern seit 1941 in Asien geschehen. Die Figur des ‚Administrators’ war wohl im besten Fall tragisch, wie die von André Ryckmans im Beitrag „Goldene Zeiten – 1955 unterwegs mit dem jungen Administrator von Lufuna“ vom 23. Mai 2016 (Link)
Es handelte sich um den Versuch von Reparaturen bei laufendem Betrieb und in unveränderter ‚rassistischer’ Gemütsverfassung. Der Wandel solcher Einstellungen braucht lange Zeit. Kolonialismus erscheint als systemische Falle aller vor Ort Handelnden, vom jungen Beamten oder Arzt bis zum Missionar; Recht hat Albert Memmi! („Der Kolonisator und der Kolonisierte“, 1957, dt. 1980) (ein Link)
(3) Einen wichtigen Unterschied machten neben globalen Faktoren auch lokale Sonderbedingungen. So wurden die östlich des Loange lebenden Pende vom Kolonialregime lange ‚vergessen’. Die Glücklichen bewahrten nicht nur länger ihre soziale Ordnung und mehr ihrer kulturellen Traditionen als die Pende in der Mitte und im Westen des Siedlungsgebiets, die früh einem zermalmendem Druck ausgesetzt wurden. Die Geschichte der Pende im Westen zeigt aber, dass auch dort jede Generation neue, noch kleinste Chancen nutzte. Zudem setzten die Schocks und starker Druck im Innern der Gruppe Dynamiken frei, an die vorher niemand gedacht hatte.