Bewertungen von Mbuya-Masken (Pende) – de Sousberghe oder Z.S.Strother

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Den ersten Anstoß fĂŒr den Beitrag gab im Januar 2017 eine angebliche Mbuya-Tanzmaske , die mich aber bald nicht mehr ĂŒberzeugte. fĂŒr meine Recherche befragte ich vor allem zwei BĂŒcher, die im Abstand von fĂŒnfzig Jahren erschienen sind: L. de Sousberghe ART PENDE (1958) und ZoĂ© S.Strother PENDE (5 continents, Mailand 2008).      7.6.2022

Vorbemerkung zu Völkern und Stilen

Marc Petit unterscheidet in „100 Peoples of Zaire and their Sculptures“ die Pende Kasai (Osten) von den Pende Kwango (Rest) und zĂ€hlt jeweils andere fĂŒr sie stilistisch relevante Nachbarn auf, fĂŒr die Pende Kwango die folgenden: Yaka und Suku, Mbala und Kwese im Westen, Pindi und Mbuun (Bunda; um die Stadt Idiofa) im Nordwesten, Cokwe und Lunda im SĂŒden und Wongo im Osten.

Gleich mehrere berĂŒhmte Namen der ‚Stammeskunst’ tauchen in den AufzĂ€hlungen auf. Nachahmungen und gegenseitige Übernahmen sind seit jeher die Regel.

Wenn man in Betracht zieht, dass die auf diversen Karten begrenzten ‚Siedlungsgebiete’ sich in der RealitĂ€t auch noch ĂŒberlappen und durchmischen, wundert es nicht, dass man die ‚Stammeskunst’ der KunstbĂŒcher in der RealitĂ€t nicht vorfindet. Sousberghe stellt zum „Stil’ der Pende lakonisch fest, dass der eigentlich nur mit dem Typ der realistischen Gesichtsmasken identifiziert wird. Und damit wird die chefferie Katundu als Zentrum der Herstellung realistischer Gesichtsmasken zum Stilzentrum der Pende Kwango. Es liegt praktischerweise ziemlich in der Mitte ihres Siedlungsgebiets, etwa 80 km östlich Kikwit (auf der Karte links oben).

Sousberge-Pende-Karte - Katundu in der Mitte.

Sousberge-Pende-Karte – Katundu in der Mitte. Schraffur nach rechts oben: Verbreitungsgebiet der ‚Mbuya‘-Masken

L. de Sousberghe 1958:

Wie sich die realistischen Gesichtsmasken „Mbuya“ im Zentrum Katundu zwischen 1920 und 1960 entwickelt haben .

Individuell gestaltete realistischer Gesichtsmasken, die Mbuya, verdrĂ€ngten in Katundu in den fĂŒnfziger Jahren die standardisierten Maskentypen mit langem Bartfortsatz (39, Anmerkung). Die Schnitzer von Katundu konzentrierten ihre KreativitĂ€t ganz auf die Mbuya Typen.

Die Masken wurden immer theatralischer fĂŒr die öffentlichen Auftritte. Sie stellten die verschiedenen Typen in einem Dorf auf die BĂŒhne: den Palmweinzapfer, die Dorfhure (cocotte), die alte Schachtel, die keinen Mann findet, den Nichtsnutz, den Kranken, u.s.w.. Manche Maske rief auch geheimnisvolle Menschen in Erinnerung, mit denen der Fremde nichts anfangen konnte. Vor allem bei der Deutung Ă€lterer Masken – die sich seit den zwanziger Jahren in den Sammlungen  befanden – war ein unlösbares Problem, dass sie zwar soziale Typen oder Untugenden verkörperten, aber so individualisiert waren, dass man unbedingt ihre Namen kennen musste. Beim Erwerb hatte jedoch keiner je danach gefragt, mit der Ausnahme von Delhaise, einem administrateur der Kolonialverwaltung. Bereits in seiner Einleitung zeichnete Sousberghe kein schonungsloses Bild von denen, die in der Kolonie die ethnologischen Objekte eingesammelt hatten: desorientierte Reisende und ihre desinteressierten und nachlĂ€ssigen Helfer.  Am Ende der Kolonialzeit war im Kongo auch diese Chance vertan. Bei seinen Recherchen vor Ort bis 1958 machte er die Erfahrung, dass seine Informanten bloß vortĂ€uschten, etwas zu wissen. So direkt formulierte er das!

Sousberghe war wĂŒtend. Doch von einigen Masken aus der sĂ©rie Delhaise war so begeistert, dass er sich vorstellen konnte, dass sie das Werk von Spezialisten nur fĂŒr diesen Typ waren. (34)

Die Hersteller kamen in seinem Urteil kaum besser weg:  Sie seien nach dem Krieg nicht mehr talentiert oder inspiriert genug gewesen, um individuelle Charakteristika herauszuarbeiten. Manchmal beeindruckte ihn zwar ‚eine hervorragende plastische QualitĂ€t’ (valeur plastique eminent). Doch wenn ein Meister seine ‚Form’ gefunden habe, dann wende er sie  auf alle Typen unverĂ€ndert an, die er herstelle (… qui possĂšde Ă  perfection une formule technique appliquĂ©e ne varietur,34). Mit welcher Maske man es zu tun habe, erkenne man seither nur noch an Details der Frisur und der Kleidung des TĂ€nzers, an seinen Requisiten – bei der Hure schöne Stoffe, Kamm und Spiegel– an Haltungen und Tanzschritten  (32). Ansonsten sei alles identisch, fĂŒr Frau oder Mann, alt oder jung. FĂŒr den Beobachter von außen ließen sich Masken außerhalb ihres Tanzauftrittes gar nicht identifizieren, und selbst beim Auftritt wĂŒrden sie oft unter ihren Accessoires verschwinden. (35/36)

Nur traditionell klar definierte Typen seien noch klar unterschieden, wie der Tundu, der Clown (Laman’s Dictionnaire Kikongo: diseur de bonne aventure, vanitĂ©, frivolitĂ©, charactĂšre trompeur, 38) oder eben Mbangu mit seiner epileptischen Grimasse.(34)

Im Ensemble ĂŒberlebten alte Charaktere unter untypischen Masken, wiederum mit Ausnahme Tundu und Mbangu. Ein Ensemble umfasse drei bis fĂŒnf Masken, man kleide sich draußen im Busch ein und trete mit Orchester auf. Auf Veranlassung der Territorialbehörde (autoritĂ©s territoriales) und gegen AufwandsentschĂ€digung trete man auch im Dutzend auf, besonders hĂ€ufig in Katundu. (37)

Ein Handelsangestellter im Kongo habe zwar ihm gegenĂŒber 1951 behauptet, zweiundvierzig verschiedene mbuya Maskentypen zu kennen, aber er habe seine Liste nicht ĂŒbermittelt, und einunddieselbe Maske trage ja durchaus verschiedene Namen. Sogar europĂ€ische wĂŒrden ihnen gegeben. So heiße die Kokotte kabuku bei den jungen Leuten nur noch Maria (33).

„Afrika – die Kunst eines Kontinents“ (Tom Phillips*, Berlin 1996, no. 4.34, p. 264, Slg. Felix) zeigt die ‚formenrhythmische‘  Maske einer Prostituierten (ngobo), die T.P. aber einer anderen rituellen Gelegenheit zuordnet:  „Die Maske (…)  fand bei rituellen TĂ€nzen im Anschluss an die Initiation von Knaben Verwendung. Sie  war verbunden mit einer zweiten Initiation, die traditionsgemĂ€ĂŸ mit einer ‚Frau der Nacht‘ stattfand. Wahrscheinlich muss man sich vorstellen, ein den ganzen Körper bedeckendes KostĂŒm mit großen fasergefĂŒllten BrĂŒsten trug.“  –  Nach Sousberghes Informationen wĂŒrde dieselbe Maske und ihr TĂ€nzer zu beiden Gelegenheiten aufgetreten sein.

FĂŒr heutige private Sammler sind die Mitteilungen Sousberghes eigentlich eine gute Nachricht. Der Sammler kann sich an den plastischen Nuancen und an den Emotionen erfreuen, die sich fĂŒr ihn auf dem Gesicht zeigen, kann Traurigkeit, BeschrĂ€nktheit oder alles Mögliche darauf projizieren.

Nun steht dieser entspannten Betrachtungsweise der vermeintlich ‚klar definierte’ Typ Mbangu entgegen. Doch ist im entsprechenden Unterkapitel der Studie alles wieder offen. Erstens wird der Maske eine breite Palette von Bedeutungen beigelegt. Zweitens „ist die  Machart der Mbangu ziemlich frei und abwechslungsreich, und ihre Grimasse wird auf recht unterschiedliche Weise gestaltet.“ (Mbangu est d’une facture assez libre et variĂ©e et sa grimace traitĂ©e de bien des facons diffĂ©rentes, 43)

Man darf nicht vergessen, dass nach einer ersten Zeit der UnterdrĂŒckung des Vereins- und Maskenwesens die ‚Folklore‘ schon unter der Kolonialherrschaft und erst recht danach in den Vordergrund rĂŒckte, und damit sĂ€kulare Volksfeste, Wettbewerbe und  ĂŒberregionale Festivals. Da konnte man leicht sagen: erlaubt ist, was gefĂ€llt.

Zoé S. Strother

Man kann die Stilentwicklung auch positiv sehen:

Strother bewertet hingegen Entwicklung, Modernisierung positiv. In ihr schmales Buch fĂŒr ‚5 CONTINENTS, Milan 2008, hat sie sogar Masken aufgenommen, die man getrost als exzentrisch oder manieristisch ansehen kann. Sie schreibt von einem gefeierten Schnitzer und von einem Run von den 50er Jahren an auf solche Meister. EuropĂ€er kauften ganz frische Masken. Darauf bezieht sich wohl de Souberghe, er hat solche Objekte nicht in seine Galerie aufgenommen, auch nicht die berĂŒhmte, die wohl schon im Tervuren Museum war („Masterpieces from Central Africa„,1996, no. 46, p.159: „Registered in 1959“).

Strother’s große Studie „Inventing Masks„, 1998 nach drei Jahren Feldstudien veröffentlicht, hat die Kapitel: Birth of an Atelier, Birth of a Style.  Ich bin darauf gespannt. Doch so  ein ‚Run’ muss zu denken geben. Der machte zweifellos die begehrtesten Objekte zu Airport Art. Ihre Hersteller wurden fĂŒr ihre soziale Umgebung unbezahlbar.

Strother 'Pende' (2008) Abb.18

Strother ‚Pende‘ (2008) Abb.18

Ich empfinde die Maske Ă€sthetisch als ambivalent, spĂŒre, wie eine formule technique sie  zu einem reproduzierbaren Muster, zu einem Prototyp, zum  Markenzeichen der modernen Pende-Maske macht, modernistisch durchkonstruiert und auf zahlkrĂ€ftige Kundschaft gerichtet, kommerziell, gezielt ‚stilbildend’, freilich auch experimentell in einer pluralistischen Kunstlandschaft. William Rubin, in dessen „Primitivismus und die Kunst des zwanzigsten Jahrhundert“ (1985) sie bereits als Gaststar auftrat (Abb. 340, S.273), gab dafĂŒr eine plausible ErklĂ€rung: die scheinbare NĂ€he zu Gesichtern in Picassos GemĂ€lde „Les Demoiselles d’Avignon“ von 1907. Der konnte damals die Maske nicht kennen, aber gilt das auch fĂŒr den Pende-Meister und die Kunstikonen des europĂ€ischen Kubismus?

Die mir bekannten drei Abbildungen der Maske (1985, 1996, 2008) zeigen sie stets in derselben Ansicht und Beleuchtung.  Ich sehe sie bereits neben den Warhols und der PopArt Platz nehmen. Vielleicht hat den KĂŒnstler aber auch bloß der traditionelle Stil der östlichen Pende-Kasai inspiriert, der traditionell zur geometrischer Klarheit tendiert.

'Afrikanskt' Malmö 1986, no. 163 H: 27cm

‚Afrikanskt‘ Malmö 1986, no. 163 H: 27cm

'25 Sculptures africaines' Ottawa 1978, no.7, p.79 rot-weiß H: 34,3 cm

’25 Sculptures africaines‘ Ottawa 1978, no.7, p.79 rot-weiß H: 34,3 cm

 Neue stilistische Alternativen

Die Freiheit und Konkurrenz der WerkstĂ€tten erlaubte es, sich in der ‚psychologisierenden’ Richtung fortzuentwickeln, was Strother ebenso dokumentiert.

Strother Visions Pende 23An Beispielen Strothers kann man sich in etwa vorstellen, wie die weiteren Masken eines entsprechenden Ensembles ausgesehen haben. Wichtig ist ihr zudem die Entdeckung der „Pende Theories of Physiognomy and Gender“ (1998, ch.6). Eine weibliche Maske (2008, no.23) kommentiert sie u.a. folgendermaßen: „Diese Skulptur verbindet Pende-Schönheitsnormen fĂŒr ein weibliches Gesicht (wenig geöffnete Augen, gesenkter Blick; runde Wangen; gerader Mund) mit einem außergewöhnlichen frĂŒhen Naturalismus“ (This sculpture joins Pende norms on feminine physiognomy (small, downturned eyes; plumped cheeks; straight mouth) with an uncanny early naturalism“ ebd. p.106).

Dabei bleibt fĂŒr mich die Wendung „frĂŒher Naturalismus“ noch rĂ€tselhaft.

 

Einen Schritt weiter gekommen !

ZoĂ© S. Strother publizierte in African Arts (spring 1995, pp. 24 – 33, 9o) eine Fallstudie zu ‚Erfindung‘  und Erfolg neuer  Masken:

Der Fall ereignete sich African Arts 28- 1995,26 Z.S.Strother in einem Dorf des zentralen Pende-Gebiets. Ein junger Mann und begabter TĂ€nzer, Gambetshi Kivule –  war eines Tages wieder einmal hoch in einen Mangobaum gestiegen, um sich die leckersten FrĂŒchte zu beschaffen, wurde fortwĂ€hrend  von Ă€lteren Passantinnen aufgefordert, ihnen die gerade erhaschte Frucht  hinunterzuwefen, was er auch tat. Irgendwann rief er Ă€rgerlich hinunter, ob die Frau denn ein  Date mit ihm hĂ€tte, weil er Mangos fĂŒr sie sammeln solle. Der Ärger ĂŒber die Herrschaft der Alten (Gerontokratie) saß tief, und  allmĂ€hlich entwickelte er daraus ein Lied und probierte dafĂŒr nachts Tanzschritte und prĂŒftesie an der Kritik seiner Freunde.  Er fand bei Gelegenheit einen Trommler und improvisierte bei seinem ersten, ĂŒbrigens erfolgreichen Auftritt die ‚Maske‘ mit KĂŒrbis und Sack, wie das Kinder tun. Als er endlich einen Schnitzer aus einem Nachbardorf engagieren konnte, hatte er bereits eine genaue Vorstellung von seiner Maske:  bewegungsfreundliche Alltagskleidung in auffĂ€lligem Stoff als KostĂŒm und als Gesicht eine Maske, „die so weit wie möglich wie ein ‚moderner‘ junger Mann aussah. Das hieß fĂŒr ihn Naturalismus und leidenschaftliche Absage an die visuellen Codes der zentralen Pende wie niedergeschlagene Augen und durchgehende Augenbrauen.“ (27) Es hieß auch Verzicht auf Schmucknarben und auf Verwendung von Rotholz und Kaolin im Makeup. Der Schnitzer hĂ€tte fĂŒr diese Rolle den herkömmlichen Typ ‚Matala‘ vorgezogen, mit großenAfrican Arts 28- 1995,27-trad Augen und keck vorstehender Nase, scharf geschnittenen ZĂŒgen und Schmucknarben. Nach langer Weigerung  aber fĂŒgte er sich dem Willen seines Kunden. Das Ergebnis war ein „im Maskenwesen der Pende einzigartiges Werk, durch seine weiche Modellierung, naturalistische Proportionen, fleischigen Mund und mehr gemalte als geschnitzte Augen“ (ebd.). Als Frisur wĂ€hlte der TĂ€nzer einen modischen Retro-Look.

African Arts 28- 1995,29 ZS Strother, Juni 1989

Der – ĂŒbrigens ‚begnadete‘ – TĂ€nzer und die von ihm erfundene ‚Maske‘  wurden sehr erfolgreich, sein Lied und seine Choreographie oft kopiert und in den kommenden Jahren so oder so abgewandelt. „Doch keiner seiner Bewunderer machte sich die MĂŒhe, das KopfstĂŒck zu kopieren.“ (28)

African Arts 28- 1995,29 ZS Strother, Juni 1989, ĂŒber zwanzig Jahre spĂ€ter  >

Was lernen wir daraus? Erstens, dass eine Betrachtung nach ‚Stilen‘ und ‚WerkstĂ€tten‘ ziemlich ‚abgehoben‘ ist , wenn nicht weltfremd. Strother zitiert dazu einen Fachkollegen mit der Frage: „Was ist wichtiger zu wissen, die Regeln oder die Art, wie die Leute sie leben?“  (26; Patrick McNaughton 1993). Und sie bedauert mit Simon Ottenberg, dass in Kunststudien die gelebte RealitĂ€t von „Konflikt, Wettbewerb, Chaos und Desorganisation“ fehle.

 

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