Eine weitere „Katoyo“-Maske der Chokwe – Mehr über die Ablehnung des Fremden

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Fortsetzung des Beitrags „DER HÄSSLICHE EUROPÄER DER CHOKWE – DIE MASKE ‚KATOYO‘“. LINK: (LINK)

Katoyo Mai 2025.   IMG _0702

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Charakter

Maskenhafte Starre. Kein Mienenspiel.  Glatte und große bogenförmige Oberfläche wie ein Kürbis, leeres Gesicht ohne Stammeszeichen, ohne einen Bart der Alterswürde oder ein anderes Zeichen. Eine gewisse Macht und Würde erhält diese Kopfskulptur von einer Komposition aus roten ‚europäischen‘ Stoffstreifen über einem geflochtenen rotbraunen Stirnband .

Der stechende Blick aus einer Art  ‚Schießscharte‘ heraus, wie aus einem Betonbunker – das Gegenteil plastischer, nach innen gerichteter Bohnenaugen – signalisiert für mich Gefahr. Natürlich kann von ‚Ahnen‘ auch Gefahr ausgehen, aber die „Hässlichkeit“ dieses Maskentyps wendet sich primär nach außen.

Der trapezförmige, aus der tief gelegten Nasenwurzel hervortretende Nasenrücken ist markant, aber ohne Charme.

Die aus dem offen stehenden  Mund heraustretende dicke Zunge macht nicht nur einen einfältigen Eindruck, sondern ist rein physisch nicht zum Sprechen geeignet.

Meine Deutung: Der Fremde erweist sich als unfähig, verständlich, vernünftig zu sprechen. Der Mund, dessen Oberlippe  plastisch abgesetzt ist, wird durch die Zunge zu einer traurigen oder bösen Grimasse, so schlicht wie das bekannte  ‚Emoj‘. – Die Zunge ist hier nach Lage und Größe so dominant, dass Deutugen  wie“Lippe“ oder „Kinn“ nicht wirklich in Frage kommen. Nicht einmal für Stummelzähne lässt sie Platz.

Nicht einmal kleine Ohren existieren wie an der ersten Katoyo, die Maske hört also auch nicht.

Dafür fallen seitlich deutlich sichtbare Befestigungslöcher des Strumpfs auf, welcher das Gesicht des Maskenträgers  völlig verbirgt, aber die Maskierung betont.

 

Vergleich mit der ersten Katoyo

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Nur auf den ersten Blick erschien mir diese Katoyo weniger hässlich als die erste vom November 2024 mit ihren krassen Disproportionen, mit zwei Stummelzähnen, der krummen Stummelnase, dem steilen Kinnfortsatz und der bis auf die geweißelten Augenränder schwarzen Färbung. Die schlichte Kappe war, wie eine frische Fehlstelle zeigt, einmal rot wie das inzwischen verschmutzte Maskennetz auch.

 

Chokwe Katojo IMG_7022

Dieser negative Maskentyp taucht wohl nur in Museen und Fachliteratur auf und führt bei Galeristen und Sammlern ein Schattendasein. Ich begegne ihm zum ersten Mal an einem Stand, dessen Angebot über Kinshasa aus kongolesischen Dörfern kommt, diese Maske an der oder über die angolanischen Grenze. Je nach Sicherheitslage und Runner wechseln die vorherrschenden Stilregionen.

Beschreibung meiner Erwerbung

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Vom zerrissenen und verdreckten roten Textilnetz (weitgehend) befreit, kommt der markante eiförmige aufgedunsen wirkende Kopf zur Geltung mit dem böse schimpfenden Mund über einem aggressive vorstehenden Kinn wie ein Rammbock. Die lächerlich kleine gebogene Nase, suggeriert im ersten Moment einen Nasenbeinbruch. Die runde Kappe schließt die geschnitzte Form nach oben ab. An Hässlichkeit nimmt er es mit den Beispielen in Chokwe! noch lange auf!

Schwärzlich rote Schlammpatina mit anhaftenden roten Staubpartikeln. Die Kappe hat eine rote Fehlstelle; trotzdem meine ich, dass die stumpfe Schlammpatina keine nachträgliche Veränderung ist.

 

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IMG_7028 – Eine Glaszylindervase bietet eine in der Höhe, Stabilität und Immaterialität perfekte Stütze.

 

Als Teil eines Ahnenkults waren wenigstens die Ohren geschmückt; davon ist aber nur auf einer Seite ein Stück Schnur erhalten.

Dass nur zwei hölzerne Zahnstifte, statt Metallstifte im Oberkiefer stecken, könnte auf Ersatz hinweisen.

Nichts von der Lebendigkeit oder Würde, die – nicht nur – die afrikanischen Maskengesichter auszeichnen, ist zu erkennen. Am ehesten ein Geistergesicht.

Ich kann jedenfalls den Blick nicht abwenden von diesem Abbild der ‚Kolonisatoren’! Eine künstlerische Klasse für sich!

Die aufgeschwemmte, leere Glätte der Wangen  und Stirnen! Die Augenhöhlen, im Schatten die Sichtluken! Die bewusst verkleinerten Ohren und Hakennasen! Die fehlenden Lippen am bis zu den Zähnen aufgerissenen Mund!

Der Fremde wird durch eine Fratze repräsentiert. Disproportionen an jedem Detail: niedrige Stirn wie ein Helm, eng stehende Äuglein, tiefsitzend, aber schamlos offen, kurze Hakennase, Wangenpartie und Kinn endlos lang. Hängende Mundwinkel wie eine Hexe im Puppenspiel.

Das aufgerissene Maul mit zwei faulen Zähnen stößt verächtliche Worte aus oder brüllt einen primitiven Befehl. Wie wenn KZ-Überlebende, um ihre ‚dürftigen‘ Deutsch zu demonstrieren, oft eine kurze gebrüllte Schimpftirade im O-Ton wählen. So karikieren sie ihre Peiniger.

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Frobenius-Bibl. Af I 1826 Yoruba Egun-Masken

 

 

Dieses Feldfoto von einer Maskerade der Yoruba westlich des Niger, rund achtzehnhundert Kilometer nördlich am Atlantik verblüfft mich. Zufall?

Auch hier haben die Gesichter eine aufgedunsene ‚hohle‘ Form, der Mund ist weit unter die Nase gerutscht. Die moderne Kostümierung und die rot geschminkten Lippen der Frau können ihre Geisterhaftigkeit nicht verbergen.

Ist etwas dran an diesem Verdacht?

 

Überraschende Blickerweiterung auf das zugehörige Makishi-Ensemble

Erinnern wir uns an die Bemerkung von Jordán  in“Chokwe!“ aus dem ersten Beitrag :

Das große Repertoire an Makishi-Masken, die von Chokwe und verwandten Völkern geschaffen wurden, umfasst auch Darstellungen von Tieren und einer großen Anzahl mehrdeutiger Kreaturen. Ngulu, das Schwein, tanzt normalerweise neben Pwevo und verhält sich unberechenbar und „töricht“, um das Bild menschlicher Anständigkeit zu verstärken, das durch die weibliche Vorfahrin (Pwevo) charakterisiert wird (Pk. 81-83).

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Und nun meine Überraschung:  Eine im Juli 2024 erworbene Ngulu-Maske mit langer Schnauze  und der vollständigen Kopfbedeckung stammt wohl aus derselben Werkstatt wie die zweite Katoyo. Das legt die Kombination der roten Stoffstreifen mit dem gleich angebundenen Gesichtsstrumpf nah. Und die Qualität der Holzarbeit. Damit hätten sich zwei der bei den Chokwe erzieherisch eingesetzten „hässlichen“  Maskentypen, die sogar zusammen  aufgetreten sein können, wiedergefunden. Interessant wäre, wenn eine moralisch „schöne“ Maske derselben Provenienz sich  finden würde, wonach ich bisher nur nicht gesucht habe. Die Kandidat(inn)en waren mir zu grimmig.

Ist sie nicht schön geworden, die Gestaltung der Einfalt durch den Künstler? Wenn ihre  Tänze und dummen Scherze auch so gelungen waren wie der Holzkopf, stand ihrem Erfolg beim afrikanischen Publikum nichts mehr im Wege.

 

 

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