‚Das hässliche Entlein’ unter Wiegmanns Beatenberg-Studien: L 76

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Bin ich der einzige Freund dieser Skizze? Dieses Landschaftsbild unterscheidet sich deutlich von den anderen in demselben – von Wiegmann häufig gewählten – kleinen Format 30×40. Wenn diese als Ausarbeitungen größerer oder einfach verlorener Skizzen wirken, so ist diese Skizze geradezu ungefällig. Ich möchte wetten: vor der Natur entstanden. Wiegmann hat sich nachträglich um die nicht ausgeführten Ecken gekümmert (Siehe die Richtung von Strichen am linken Rand) vielleicht im Zusammenhang der späteren Überarbeitung des ‚Waldrandes‘.  Er hat schließlich die fertige Komposition sogar eines passenden Passepartouts gewürdigt. Schade, dass er kein „W“ hinzugefügt hat, meinetwegen mit Kugelschreiber.

 

L 76 IMG_0257 (2400 Px anzuklicken!)

Beschreibung

Auf weißem Papier mit leicht gekörnter Oberfläche, überwiegend dünner, nicht wirklich deckender Farbauftrag mit breitem, trockenem Pinsel, offenbar spontan und schnell hingepinselt. Entgegen meinem ‚ersten Eindruck’ kann ich keinen durchgängigen Aufbau von Farbschichten erkennen.

 

offenba

Fünf Ebenen zeigen jeweils einen eigenen Charakter:

1

Der unruhige kalt wirkende Himmel ist mittelblau grundiert und mit dunklem Blaugrau und Weiß abgetönt. Die dünnen aufgerissenen „hohe Eisnadelwolken“– Zirruswolken laut Bildwörterbuch – werden ihrerseits unregelmäßig hellblau übermalt und setzen sich in der Mitte in einen strahlend weißen Wolkenstreifen fort. Dort scheint links der Absatz mit dem Spachtel gezogen. Mit Hellblau werden nachträglich auch die dominierenden Bergspitzen links korrigiert, konturiert kann man nicht sagen. Waagrechte Strichführung fällt auf.

2

Der Fels der Zweitausender wird mit wild gesetzten diagonalen Pinselstrichen suggeriert. Formen und Farben der Zirruswolken wiederholen sich in den aus den Tälern aufsteigend Nebelschwaden, welche die dahinter liegenden Berge ‚einsperren’, abheben und optisch entfernen. Eindruck von Dreidimensionalität

3

Die offensichtlich bewachsenen Vorberge schwingen sich großzügig und weich – oder „nass“ – von einer Seite zur anderen.

4

Ein durchgehender Waldrand in senkrecht gesetzten, an manchen Stellen satten Pinselstrichen grenzt die Landschaft im Vordergrund – untere Randzone – deutlich ab. Es handelt sich eindeutig um eine Übermalung. Eine weitere Ansiedlung könnte sich dahinter auf der linken Seite verbergen, aber es kann sich auch um kalkulierte Flüchtigkeit im Sinne der Komposition handeln.

5

Vordergrund: Was aus der Entfernung relativ harmonisch wirkt, ist aus der Nähe ein komplexer Flickenteppich aus breiten spontan hingeworfenen Pinselstrichen. Details lassen sich nur erahnen: ein braun eingestrichenes Feld, magere Weiden; acht oder neun helle Häuserfronten werden durch kurze Striche, drei davon senkrecht, signalisiert: dreimal weiß, dreimal rosa, zweimal hellgrau, in drei Fällen senkrecht.

Meine Beschreibung wird dem speziellen ‚Impressionismus’  (Liebermann, Cezanne  – Siehe LINK zu Andreas Keul) der Darstellung sicher nicht gerecht.  Sie soll nur die Wahrnehmung schärfen.

P.S. Ich muss weitere seiner Arbeiten auf Papier überprüfen

 

 

Zur Belohnung für die bewiesene Geduld: nun das vom Passepartout umschlossene Format:

L-76-IMG_0257-beschnitten

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