Goldene Zeiten – 1955 unterwegs mit dem jungen Administrator von Lufuna

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Erzählung seiner Frau Genevieve : AU TERRITOIRE DE POPOKABAKA – KWANGO – http://www.congo1960.be/WS2009GenevieveRyckmans-Nr127.html

 

„ La Brousse – Nach einigen Wochen der Vorbereitung in verschiedenen Sektoren des Territoire G.Ryckmans Kwango TipoyPopokabaka wurde mein Mann André als Administrator für den Secteur Lufuna benannt, für ein ganz verlassenen Sektor, der sich in Nordsüdrichtung entlang dem Kwango erstreckte, eine großartige Landschaft ausgedehnter Savannen und Galeriewäldern mit schönen Dörfern mit strohgedeckten Holzhäusern, sauber und gut organisiert, und einer klingenden Sprache (parler chantant), dem Kiyaka.

Von Anfang an nehme ich Francois mit in den Busch, später auch Marie und schließlich Emmanuel und Hélène. In den Lastwagen des Territoriums packen wir die großen Koffer (Feldbetten, Küche, Archivkoffer, Badekoffer, Wäsche, Kinderzimmer …) für etwa 25 Tage im Monat. Für Rückkehr oder Ortswechsel müssen wir auf ein Fahrzeug warten. Aber wir reisen auch mit der Sänfte, dem tipoy. Später kaufen wir uns einen VW-Bus, den ersten in der Gegend, mit dem wir uns leichter bewegen können. Im Busch hatten wir keinen Kühlschrank, aber in der Station einen benzinbetriebenen. Dort hielten wir uns aber nur etwa 5 Tage im Monat auf. Wir hatten eine Ordonnanz, einen Koch und einen ’lavander’, den Hausboy zur Verfügung. Die waren aber auch nötig. Ich kümmerte mich um die Kinder, die Kleidung, die allgemeinen Organisation, was nicht immer einfach war, die von den Umständen abhängige Versorgung und half André in der Buchführung.

Andrés Aufgabe war es, den Secteur zu kontrollieren, die Überwachung der Felder und der Hygiene (im Dorf), den Einzug der Gewehrsteuer, was sehr gut funktionierte, denn sie war mit dem Berechtigungbon auf Schießpulver (ein Segen für die Jäger) verbunden. André lernte die Sprache der Signaltrommeln, Lieder der Yaka und Rätsel, publiziert in der Zeitschrift ‚Zaire’ in Louvain, und begann, Sprichwörter zu sammeln, die viel später 1996 bei Harmattan veröffentlicht wurden.

Meine Sorge galt frischen Nahrungsmitteln, Fisch, Champignons, Hühnchen, Lamm, manchmal Wild, saka saka (Maniok-Blätter) und einigen seltenen Wildgemüsen. Ich führte Karotten und Rauchfleisch mit, Milchpulver und einige Gemüsekonserven. Petroleumlampen gaben uns Licht. An Früchten und Gemüse war generell kein Mangel. Eines Tags trocknete der heftige Wind in der glühenden Savanne ausgelegte Bananen in einem Tag, und ich tat sie in eine Keksdose: eine Süßigkeit. Zur Kost gehörten auch Eier, gelegentlich sogar Raupen und Palmmaden, ein wenig Wild und Fisch.

Es war ein unstetes Leben. Als wir einmal mehr oder weniger unvorhergesehen in einem Dorf ankamen, begannen alle Männer, für uns eine Hütte (gite) zu bauen, was sie bereits längst hätten tun sollen. In dieser Nacht schliefen wir in einem Haus, das gut nach Raffia, Rattan und den im Dach verbauten Kräutern roch.(*) Francois war der Schwarm der Frauen des Dorfes. Sie hatten noch nie ein weißes Kind gesehen, und seine blonden Haare brachten ihm den Beinamen ‚mwana mpusu’ ein, ‚frisches Raffia’ .

Das Land ist großartig, der Busch, die Galeriewälder, die Blumen der Regenzeit, die Wolkenbrüche und die Buschfeuer…. Wir mussten viele Reisen im tipoy machen, um abgelegene Dörfer zu erreichen. Uns folgte eine Trägerkarawane mit Koffern und anderen Gepäckstücken. Wir durchquerten unseren Secteur von Dorf zu Dorf und machten Bekanntschaft mit den Leuten. Als sich Marie – das zweite Kind – ankündigt, brauten die Bewohner von Tsakala Ngoa bereits poa poa (Bier ?) in der Mission von Ngoa. Sie wurde im Oktober 1955 in der kleinen Missionsklinik geboren.

Das erste Foto (nicht gezeigt) ist im (westlich angrenzenden) Sektor Lubishi aufgenommen, wohin wir 1956 versetzt worden sind. Später zogen wir nach Kingoma (im Mayumbe) um – das war die erste von einer Serie von 7 weiteren Versetzungen. Dieser Posten liegt an der Hauptstraße und wir sind allein dort. Ein einziges Haus, eine Hütte, die zu überwachende Straße und in ein paar Kilometern eine Mission. Trinkwasser gab es etwas entfernt und tiefer gelegen. Ein Wasserträger machte den Weg. Für Wäsche und Haushalt füllte ich mit Hilfe der Adjutanten einen zweihundert Liter fassenden Tank aus einem schmutzigen Tümpel (marigot).

Außer der gewöhnlichen Verwaltungstätigkeit ( Zivilstand, Kontrolle der Felder, Märkte und Dörfer) etc. mussten wir die Überlandstraße überwachen, um die Spediteure daran zu hindern, Arbeiter ohne Erlaubnis und unter unmöglichen Bedingungen zu transportieren, unter der Plane des Lastwagens zusammengepfercht. Außerdem mussten wir unseren Straßenabschnitt unterhalten, die Streckenarbeiter bezahlen und überwachen. Sie pflanzten Ananas, um die Böschungen zu stabilisieren. Den ganzen Profit davon hatten sie … und die Reisenden. Wir reisten auch in die Dörfer dieser Zone, oft im tipoy in den Galeriewäldern und in den Hügeln.

Eines Tages, als alle Fläschchen zerbrochen waren, lief ein Bote am Abend in die Mission von Kimvula und kam am nächsten Tag mit den Fläschchen zurück. Eine schnell zurück gelegte Strecke, die berühmt wurde. Belohnt und beglückwünscht, war der Bote glücklich. Wer hat gesagt, die Schwarzen wären faul? Dabei waren sie auch noch so aufmerksam: André hörte eines Tages die Träger der tipoy unterwegs singen: ‚Auf Madame acht geben, sie trägt ein kleines Kind im Bauch’. Es war Emmanuel, der sich bereits ankündigte.“

André Ryckmans mit Buschtrommel vor VW-Bus (Buchtitelfoto)

André Ryckmans mit Buschtrommel vor VW-Bus (Buchtitelfoto)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erster Kommentar
‚Goldene Zeiten’ meine ich nicht wirklich ironisch. Bessere Zeiten haben die Yaka vorher und nachher in hundertfünfzig Jahren nicht erlebt. Ich weiß mich darin von Wikipedia (-eng) für den ganzen Belgischen Kongo für’s erste bestätigt, für die Jahrzehnte danach ohnehin. Wirtschaftliche Interessen und der Wille zu einer positiven Entwicklung der ganzen Kolonie und ihrer Bewohner kamen wohl in den fünfziger Jahren vorübergehend in ein Gleichgewicht.
André Ryckmans war, soweit ich bisher weiß, kein gewöhnlicher belgischer Kolonialbeamter, als Sohn eines Generalgouverneurs, im Kongo geboren, für die Menschen im Kongo sehr engagiert und auch ethnologisch interessiert, innerhalb der Kolonialverwaltung ein Kritiker, der gleich zu Anfang der Wirren des Übergangs 1960 mit 31 Jahren umgekommen ist. Seine Witwe hat 1995 ein Buch mit Dokumenten und Briefen herausgegeben, das als e-Book erhältlich, aber mir nicht erreichbar ist.

Link (doc-File):      Un territorial du Congo belge de André Ryckmans

Die von mir übersetzten Erinnerungen Genevieves enthalten zunächst leicht übersehene Zeichen, welche die Idylle etwas abschwächen. Von der Kontrolle der Dörfer und Überwachung der Felder ist die Rede. Das hatte mit dem erzwungenen Anbau bestimmter Feldfrüchte zu tun. Doch klingt das Nahrungsangebot in den Dörfern gut, geradezu verlockend. Wikipedia erwähnt auch die Sanktionierung bei ausbleibender Lieferung als Pflicht der Kontrolleure. Der Export von Arbeitskräften in die Plantagen war sicher auch im Distrikt Popokabaka und seinem Sektor Lufuna Thema – auch wenn der Text über Kingoma am anderen Ufer des Kongo berichtet – Sie lagen schließlich nicht weit von den Zentren.
Doch ist im Text bei allem spontanen Paternalismus so etwas wie Respekt und Fürsorge spürbar. So etwas erleben die Bewohner seit Generationen nicht mehr seitens der Obrigkeiten, höchstens bei Ordensleuten und NGOs.

*Der inzwischen strohgelbe  Behang meiner Yaka-Masken lässt den süßen Geruch von frischem Heu noch ahnen