ErzĂ€hlung seiner Frau Genevieve : AU TERRITOIRE DE POPOKABAKA – KWANGO – http://www.congo1960.be/WS2009GenevieveRyckmans-Nr127.html
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â La Brousse – Nach einigen Wochen der Vorbereitung in verschiedenen Sektoren des Territoire Popokabaka wurde mein Mann AndrĂ© als Administrator fĂŒr den Secteur Lufuna benannt, fĂŒr ein ganz verlassenen Sektor, der sich in NordsĂŒdrichtung entlang dem Kwango erstreckte, eine groĂartige Landschaft ausgedehnter Savannen und GaleriewĂ€ldern mit schönen Dörfern mit strohgedeckten HolzhĂ€usern, sauber und gut organisiert, und einer klingenden Sprache (parler chantant), dem Kiyaka.
Von Anfang an nehme ich Francois mit in den Busch, spĂ€ter auch Marie und schlieĂlich Emmanuel und HĂ©lĂšne. In den Lastwagen des Territoriums packen wir die groĂen Koffer (Feldbetten, KĂŒche, Archivkoffer, Badekoffer, WĂ€sche, Kinderzimmer …) fĂŒr etwa 25 Tage im Monat. FĂŒr RĂŒckkehr oder Ortswechsel mĂŒssen wir auf ein Fahrzeug warten. Aber wir reisen auch mit der SĂ€nfte, dem tipoy. SpĂ€ter kaufen wir uns einen VW-Bus, den ersten in der Gegend, mit dem wir uns leichter bewegen können. Im Busch hatten wir keinen KĂŒhlschrank, aber in der Station einen benzinbetriebenen. Dort hielten wir uns aber nur etwa 5 Tage im Monat auf. Wir hatten eine Ordonnanz, einen Koch und einen âlavanderâ, den Hausboy zur VerfĂŒgung. Die waren aber auch nötig. Ich kĂŒmmerte mich um die Kinder, die Kleidung, die allgemeinen Organisation, was nicht immer einfach war, die von den UmstĂ€nden abhĂ€ngige Versorgung und half AndrĂ© in der BuchfĂŒhrung.
AndrĂ©s Aufgabe war es, den Secteur zu kontrollieren, die Ăberwachung der Felder und der Hygiene (im Dorf), den Einzug der Gewehrsteuer, was sehr gut funktionierte, denn sie war mit dem Berechtigungbon auf SchieĂpulver (ein Segen fĂŒr die JĂ€ger) verbunden. AndrĂ© lernte die Sprache der Signaltrommeln, Lieder der Yaka und RĂ€tsel, publiziert in der Zeitschrift âZaireâ in Louvain, und begann, Sprichwörter zu sammeln, die viel spĂ€ter 1996 bei Harmattan veröffentlicht wurden.
Meine Sorge galt frischen Nahrungsmitteln, Fisch, Champignons, HĂŒhnchen, Lamm, manchmal Wild, saka saka (Maniok-BlĂ€tter) und einigen seltenen WildgemĂŒsen. Ich fĂŒhrte Karotten und Rauchfleisch mit, Milchpulver und einige GemĂŒsekonserven. Petroleumlampen gaben uns Licht. An FrĂŒchten und GemĂŒse war generell kein Mangel. Eines Tags trocknete der heftige Wind in der glĂŒhenden Savanne ausgelegte Bananen in einem Tag, und ich tat sie in eine Keksdose: eine SĂŒĂigkeit. Zur Kost gehörten auch Eier, gelegentlich sogar Raupen und Palmmaden, ein wenig Wild und Fisch.
Es war ein unstetes Leben. Als wir einmal mehr oder weniger unvorhergesehen in einem Dorf ankamen, begannen alle MĂ€nner, fĂŒr uns eine HĂŒtte (gite) zu bauen, was sie bereits lĂ€ngst hĂ€tten tun sollen. In dieser Nacht schliefen wir in einem Haus, das gut nach Raffia, Rattan und den im Dach verbauten KrĂ€utern roch.(*) Francois war der Schwarm der Frauen des Dorfes. Sie hatten noch nie ein weiĂes Kind gesehen, und seine blonden Haare brachten ihm den Beinamen âmwana mpusuâ ein, âfrisches Raffiaâ .
Das Land ist groĂartig, der Busch, die GaleriewĂ€lder, die Blumen der Regenzeit, die WolkenbrĂŒche und die Buschfeuer…. Wir mussten viele Reisen im tipoy machen, um abgelegene Dörfer zu erreichen. Uns folgte eine TrĂ€gerkarawane mit Koffern und anderen GepĂ€ckstĂŒcken. Wir durchquerten unseren Secteur von Dorf zu Dorf und machten Bekanntschaft mit den Leuten. Als sich Marie â das zweite Kind â ankĂŒndigt, brauten die Bewohner von Tsakala Ngoa bereits poa poa (Bier ?) in der Mission von Ngoa. Sie wurde im Oktober 1955 in der kleinen Missionsklinik geboren.
Das erste Foto (nicht gezeigt) ist im (westlich angrenzenden) Sektor Lubishi aufgenommen, wohin wir 1956 versetzt worden sind. SpĂ€ter zogen wir nach Kingoma (im Mayumbe) um â das war die erste von einer Serie von 7 weiteren Versetzungen. Dieser Posten liegt an der HauptstraĂe und wir sind allein dort. Ein einziges Haus, eine HĂŒtte, die zu ĂŒberwachende StraĂe und in ein paar Kilometern eine Mission. Trinkwasser gab es etwas entfernt und tiefer gelegen. Ein WassertrĂ€ger machte den Weg. FĂŒr WĂ€sche und Haushalt fĂŒllte ich mit Hilfe der Adjutanten einen zweihundert Liter fassenden Tank aus einem schmutzigen TĂŒmpel (marigot).
AuĂer der gewöhnlichen VerwaltungstĂ€tigkeit ( Zivilstand, Kontrolle der Felder, MĂ€rkte und Dörfer) etc. mussten wir die ĂberlandstraĂe ĂŒberwachen, um die Spediteure daran zu hindern, Arbeiter ohne Erlaubnis und unter unmöglichen Bedingungen zu transportieren, unter der Plane des Lastwagens zusammengepfercht. AuĂerdem mussten wir unseren StraĂenabschnitt unterhalten, die Streckenarbeiter bezahlen und ĂŒberwachen. Sie pflanzten Ananas, um die Böschungen zu stabilisieren. Den ganzen Profit davon hatten sie … und die Reisenden. Wir reisten auch in die Dörfer dieser Zone, oft im tipoy in den GaleriewĂ€ldern und in den HĂŒgeln.
Eines Tages, als alle FlĂ€schchen zerbrochen waren, lief ein Bote am Abend in die Mission von Kimvula und kam am nĂ€chsten Tag mit den FlĂ€schchen zurĂŒck. Eine schnell zurĂŒck gelegte Strecke, die berĂŒhmt wurde. Belohnt und beglĂŒckwĂŒnscht, war der Bote glĂŒcklich. Wer hat gesagt, die Schwarzen wĂ€ren faul? Dabei waren sie auch noch so aufmerksam: AndrĂ© hörte eines Tages die TrĂ€ger der tipoy unterwegs singen: âAuf Madame acht geben, sie trĂ€gt ein kleines Kind im Bauchâ. Es war Emmanuel, der sich bereits ankĂŒndigte.â
Erster Kommentar
âGoldene Zeitenâ meine ich nicht wirklich ironisch. Bessere Zeiten haben die Yaka vorher und nachher in hundertfĂŒnfzig Jahren nicht erlebt. Ich weiĂ mich darin von Wikipedia (-eng) fĂŒr den ganzen Belgischen Kongo fĂŒrâs erste bestĂ€tigt, fĂŒr die Jahrzehnte danach ohnehin. Wirtschaftliche Interessen und der Wille zu einer positiven Entwicklung der ganzen Kolonie und ihrer Bewohner kamen wohl in den fĂŒnfziger Jahren vorĂŒbergehend in ein Gleichgewicht.
AndrĂ© Ryckmans war, soweit ich bisher weiĂ, kein gewöhnlicher belgischer Kolonialbeamter, als Sohn eines Generalgouverneurs, im Kongo geboren, fĂŒr die Menschen im Kongo sehr engagiert und auch ethnologisch interessiert, innerhalb der Kolonialverwaltung ein Kritiker, der gleich zu Anfang der Wirren des Ăbergangs 1960 mit 31 Jahren umgekommen ist. Seine Witwe hat 1995 ein Buch mit Dokumenten und Briefen herausgegeben, das als e-Book erhĂ€ltlich, aber mir nicht erreichbar ist.
Link (doc-File): Â Â Â Â Un territorial du Congo belge de AndreÌ Ryckmans
Die von mir ĂŒbersetzten Erinnerungen Genevieves enthalten zunĂ€chst leicht ĂŒbersehene Zeichen, welche die Idylle etwas abschwĂ€chen. Von der Kontrolle der Dörfer und Ăberwachung der Felder ist die Rede. Das hatte mit dem erzwungenen Anbau bestimmter FeldfrĂŒchte zu tun. Doch klingt das Nahrungsangebot in den Dörfern gut, geradezu verlockend. Wikipedia erwĂ€hnt auch die Sanktionierung bei ausbleibender Lieferung als Pflicht der Kontrolleure. Der Export von ArbeitskrĂ€ften in die Plantagen war sicher auch im Distrikt Popokabaka und seinem Sektor Lufuna Thema – auch wenn der Text ĂŒber Kingoma am anderen Ufer des Kongo berichtet – Sie lagen schlieĂlich nicht weit von den Zentren.
Doch ist im Text bei allem spontanen Paternalismus so etwas wie Respekt und FĂŒrsorge spĂŒrbar. So etwas erleben die Bewohner seit Generationen nicht mehr seitens der Obrigkeiten, höchstens bei Ordensleuten und NGOs.
*Der inzwischen strohgelbe Behang meiner Yaka-Masken lĂ€sst den sĂŒĂen Geruch von frischem Heu noch ahnen