Die Philosophie des Metzgers

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Voraus ging ein Film über Tod und Leben bei englischen Bauern. Wie viel Traurigkeit. Wie viel Rechtfertigungsdruck. Wie viel Puritanismus.

Von den Chinesen müssen wir das Schlimmste befürchten – wenn sie es nicht mehr für sich behalten wie traditionell. Sie zeigen jedoch alle Zeichen von Hybridisierung, wie sie im Maoismus schon einmal – damals auf die Dritte Welt fokussiert und eher symbolisch – in Erscheinung traten. Sie wollen ihren kulturspezifischen Kannibalismus anerkannt wissen. Und wir sollten als weiße Schweine und  Langnasen immer daran denken.

Wieso mag ich dieses Wort Kannibalismus? Warum ziehe ich es anderen vor? Es ist dieser exotische Anteil daran, dieses phantasiert Lustvolle, das sich im Essen wie im Zubereiten zeigt, das den Kern der Sache trifft.

Zum Beispiel ein Kochwettkampf im Zentrum Chinas – Es geht nicht um raffinierte Kompositionen, um Gaumenfreuden, es geht um Geschwindigkeit und um Grenzleistungen: einen lebenden Fisch binnen einer Minute gegrillt auf die Platte zu legen. Oder sich noch windende Schlangenabschnitte garniert zu  servieren. Eine Minute achtzehn Sekunden. Ach, jetzt ist er tot, aber der nach Sauerstoff schnappende Kopf ist ein Kämpfer. Je schneller man der Ente das Herz aus dem angebohrten Brustkorb herausreißt, desto schneller stirbt sie. Eigentlich logisch. Selbst beim buddhistischen Ritual der Freilassung einer symbolischen Menge von Schlachttieren werden einige Leichen zu Wasser gelassen.

Lu Xuns Ausruf „Sie essen Menschen! Rettet die Kinder“ in der Erzählung Tagebuch eines Wahnsinnigen, 1921 ist unabweisbar. Das Gesicht  darüber oder davor, die Maske nannte er Konfuzianismus. Auch den dokumentiert der Film, als kindliche Pietät der kleinen Küchenhilfen zum Beispiel, und als lügenhafte Propaganda der Unternehmerin, die – ungebildet wie sie ist – skrupellos sich am sozialrhetorischen Arsenal des Maoismus bedient.

Dabei tragen die Serviererinnen, welche die Durchhalteparolen wiederholen, die Verantwortung für ganze Familien und werden sehr kurz gehalten. Die Angestellten des größten Restaurants der Welt  essen aus dem Blechnapf. Erst wenn zu viele kündigen, muss man ein wenig am System ändern. Mit dem Aufwand, den das dreijährige Jubiläum des Restaurants verschlingt, wären sie ihre Sorgen mit einem Schlag los.

Ihre Ausbeuter haben natürlich eine schwere Jugend  hinter sich. Man denkt an den amerikanischen Tellerwäscher. Und sie sorgen dafür, dass es dabei bleibt.

Die Chinesen sind abergläubische Materialisten, ohne sich dafür zu schämen.  Sie finden, dass die Tatsachen des Lebens: Geburt, Heirat, Alter, Tod (im Film ausgelassen) einer aufwendigen, ja ruinösen konsumistischen Bearbeitung bedürfen, bei der man seine Schriftkultur unter Beweis stellt: Alle Homonymen von Glück, Kinderreichtum, langem Leben und Reichtum werden kulinarisch-symbolisch abgehakt: Ohne Schlangen, Schildkröten, Fische und die eher symbolisch repräsentierten Früchte oder noch fleischloseren Symbole geht nichts. Es wird aufgefahren. Es wird auch abgeräumt. Diesen Aspekt ersparte uns der Dokumentarfilm.

Wir sollten als Westler die Verschwendung nicht selbstgerecht verurteilen, denn sie ist auch unserem System inhärent. Die Chinesen müssen einfach als bodenständige Menschen, wenn auch entwurzelt, alle wichtigen Zeichen materialisieren, ausagieren. Und wir?  Wie oft hören wir, dass  Politiker kostspielige Zeichen auf Kosten des Steuerzahlers setzen oder setzen wollen, ohne Unrechtsbewusstsein übrigens.

Immer wieder dachte ich im Film an die Fassungskraft der Mägen der armen Verwandten an den überreichen Tafeln. Würden sie sich nicht gern die Reste einpacken lassen?  Es muss wohl weggeschmissen werden, eben um ein Zeichen der Wertschätzung zu setzen. Beziehungen laufen über Potlatch.

Doch warum soll uns das bedrohen? Weil wir nach 1945 Hemmungen eingebaut bekommen haben. Doch unsere nachfolgenden Generationen zeigen schon, zu welchem funktionalen Kannibalismus sie fähig sind. Die alten Eliten der Bonner Republik, erst recht Amerikas, waren aber  auch nicht ohne.

 

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