Die Philosophie des chinesischen Metzgers

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Geschrieben am 26. Nov. 2009, hochgeladen irgendwann nach  Oktober 2013;  22 Views dokumentiert; der Nachfrage muss nachgeholfen werden, auch mit dem Zusatz „chinesisch“. 24.6.2024

 

Voraus ging ein Film ĂŒber Tod und Leben bei englischen Bauern. Wie viel Traurigkeit. Wie viel Rechtfertigungsdruck. Wie viel Puritanismus.

Von den Chinesen mĂŒssen wir das Schlimmste befĂŒrchten – wenn sie es nicht mehr fĂŒr sich behalten wie traditionell. Sie zeigen jedoch alle Zeichen von Hybridisierung, wie sie im Maoismus schon einmal – damals auf die Dritte Welt fokussiert und eher symbolisch – in Erscheinung traten. Sie wollen ihren kulturspezifischen Kannibalismus anerkannt wissen. Und wir sollten als weiße Schweine und  Langnasen immer daran denken.

Wieso mag ich dieses Wort Kannibalismus? Warum ziehe ich es anderen vor? Es ist dieser exotische Anteil daran, dieses phantasiert Lustvolle, das sich im Essen wie im Zubereiten zeigt, das den Kern der Sache trifft.

Zum Beispiel ein Kochwettkampf im Zentrum Chinas – Es geht nicht um raffinierte Kompositionen, um Gaumenfreuden, es geht um Geschwindigkeit und um Grenzleistungen: einen lebenden Fisch binnen einer Minute gegrillt auf die Platte zu legen. Oder sich noch windende Schlangenabschnitte garniert zu  servieren. Eine Minute achtzehn Sekunden. Ach, jetzt ist er tot, aber der nach Sauerstoff schnappende Kopf ist ein KĂ€mpfer. Je schneller man der Ente das Herz aus dem angebohrten Brustkorb herausreißt, desto schneller stirbt sie. Eigentlich logisch. Selbst beim buddhistischen Ritual der Freilassung einer symbolischen Menge von Schlachttieren werden einige Leichen zu Wasser gelassen.

Lu Xuns Ausruf „Sie essen Menschen! Rettet die Kinder“ in der ErzĂ€hlung Tagebuch eines Wahnsinnigen, 1921 ist unabweisbar. Das Gesicht  darĂŒber oder davor, die Maske nannte er Konfuzianismus. Auch den dokumentiert der Film, als kindliche PietĂ€t der kleinen KĂŒchenhilfen zum Beispiel, und als lĂŒgenhafte Propaganda der Unternehmerin, die – ungebildet wie sie ist – skrupellos sich am sozialrhetorischen Arsenal des Maoismus bedient.

Dabei tragen die Serviererinnen, welche die Durchhalteparolen wiederholen, die Verantwortung fĂŒr ganze Familien und werden sehr kurz gehalten. Die Angestellten des grĂ¶ĂŸten Restaurants der Welt  essen aus dem Blechnapf. Erst wenn zu viele kĂŒndigen, muss man ein wenig am System Ă€ndern. Mit dem Aufwand, den das dreijĂ€hrige JubilĂ€um des Restaurants verschlingt, wĂ€ren sie ihre Sorgen mit einem Schlag los.

Ihre Ausbeuter haben natĂŒrlich eine schwere Jugend  hinter sich. Man denkt an den amerikanischen TellerwĂ€scher. Und sie sorgen dafĂŒr, dass es dabei bleibt.

Die Chinesen sind aberglĂ€ubische Materialisten, ohne sich dafĂŒr zu schĂ€men.  Sie finden, dass die Tatsachen des Lebens: Geburt, Heirat, Alter, Tod (im Film ausgelassen) einer aufwendigen, ja ruinösen konsumistischen Bearbeitung bedĂŒrfen, bei der man seine Schriftkultur unter Beweis stellt: Alle Homonymen von GlĂŒck, Kinderreichtum, langem Leben und Reichtum werden kulinarisch-symbolisch abgehakt: Ohne Schlangen, Schildkröten, Fische und die eher symbolisch reprĂ€sentierten FrĂŒchte oder noch fleischloseren Symbole geht nichts. Es wird aufgefahren. Es wird auch abgerĂ€umt. Diesen Aspekt ersparte uns der Dokumentarfilm.

Wir sollten als Westler die Verschwendung nicht selbstgerecht verurteilen, denn sie ist auch unserem System inhĂ€rent. Die Chinesen mĂŒssen einfach als bodenstĂ€ndige Menschen, wenn auch entwurzelt, alle wichtigen Zeichen materialisieren, ausagieren. Und wir?  Wie oft hören wir, dass  Politiker kostspielige Zeichen auf Kosten des Steuerzahlers setzen oder setzen wollen, ohne Unrechtsbewusstsein ĂŒbrigens.

Immer wieder dachte ich im Film an die Fassungskraft der MĂ€gen der armen Verwandten an den ĂŒberreichen Tafeln. WĂŒrden sie sich nicht gern die Reste einpacken lassen?  Es muss wohl weggeschmissen werden, eben um ein Zeichen der WertschĂ€tzung zu setzen. Beziehungen laufen ĂŒber Potlatch.

Doch warum soll uns das bedrohen? Weil wir nach 1945 Hemmungen eingebaut bekommen haben. Doch unsere nachfolgenden Generationen zeigen schon, zu welchem funktionalen Kannibalismus sie fÀhig sind. Die alten Eliten der Bonner Republik, erst recht Amerikas, waren aber  auch nicht ohne.

 

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