Ich komme gerade aus meinem Galeriekeller, wo ich wieder eine Mappe von Wiegmanns Landschaftsstudien aufgeschlagen habe, in ihren Passepartouts, auch wenn die nach über fünfzig Jahren nicht mehr untadelig sind.
Ich ging mit den Augen und dann mit der kleinen Kamera wieder dicht heran und staunte über die manchmal großzügigen, dann wieder komplex geschichteten Pinselstriche. Unsere Gewöhnung an die allgegenwärtigen Reproduktionen und der schnelle Blick aufs Motiv behindern unsere Wahrnehmung von Kunst.
Ich erinnere an das Zitat Max Liebermanns in Andreas Kreuls Aufsatz:
,,Der Maler hat nur die Farbenskala von Schwarz und Weiß auf der Palette: aus ihr soll er Leben, Licht und Luft auf die Leinwand zaubern, ein paar Striche, ein paar unvermittelt nebeneinandergesetzte Farbenflecke sollen aus der richtigen Entfernung dem Beschauer den Eindruck der Natur suggerieren.” (57) (LINK )
Mir steht aber auch eine inzwischen bald hundertjährige Papier-Karton-Collage – ein Stilleben – von Wiegmann vor Augen, genauer meine fotografische Dokumentation ihrer Schichtungen. Ich komme immer wieder in Versuchung, sie trotz ihres ruinösen Zustands zu erwerben. Schließlich ist sie auf einem Albumfoto von 1928 zu sehen, direkt über der Kommode (LINK). Die Radikalität der Collage ist auf der Aufnahme durch Unschärfe und Spiegelung im Rahmen abgemildert. Schade, dass keine detailliertere Aufnahme existiert. Eine Rekonstruktion wäre sicher interessant.
Diesmal bemerke ich aber noch etwas anderes: die in der Schrägsicht zerklüftete abstrakte Landschaft der Karton- und Papierschichten, deren harte Kanten gegen die feinen Pinselstriche abstechen, mit denen Wiegmann in den sechziger Jahren malerisch farbliche Abstufungen realisierte. Er setzte intuitiv entsprechende Pinselstriche, wie im Anschluss einige Detailfotos zeigen sollen. Seine Abwendung von den Reduktionsstechniken der inzwischen ‚Klassischen Moderne’ hatte sich gelohnt!
Peiping Chronicle 16.2.1936 Ausschnitt
„Die spanische Schule des Velasquez, die französischen Schule Cezannes und die italienische da Vincis waren für ihn Offenbarungen. Deren Studium brachte ihn dazu, sich ihrer Führung und Inspiration zu überlassen und der Schule der Moderne, die er kannte, den Rücken zu kehren. Auf seinen Reisen durch diese Länder nahm er die moderne Entwicklung von diesen alten Meistern aus in den Blick, und er entwickelte das größte Interesse an ihrer Wirkung auf die Kunst der Gegenwart. Als Resultat machte er eine Synthese alles dessen und entwickelte seinen persönlichen Stil.“
Digitale Wiedergabe hat auch ihre Vorzüge: Die Ausschnittsvergrößerung erleichtert den Blick auf die Strichführung. Das Icon auf der Blogseite gibt dagegen den Blick für die “Suggestion” frei. Die Reproduktion ist vom weißen Hintergrund der digitalen Präsentation umgeben wie einem Passepartout.
Die folgenden spontan ausgewählten Bildausschnitte – nur durch Katalognummern identifiziert – werde ich nicht kommentieren. Vergrößerung durch Anklicken. Viel Vergnügen!
Die Zusammensetzung wird sich noch mehrfach verändern, bis sie ‘stimmt’.