„Ich hatte nur das Nichts : ‚Shoah‘ von Claude Lanzmann“ in der Mediathek

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In der arte Mediathek bis 18. Mai 2026 anzusehen: LINK, mit redaktionellem Vorwort. Neunzig konzentrierte Minuten statt neuneinhalb Stunden „Shoah“ – ebenfalls in der Mediathek – ist als Konzentrat aus dem Abstand von vierzig weiteren Jahren ein passendes Angebot für ständig abgelenkte und überforderte Menschen, aber bitte nicht im Smartphone-Format!

Ich versuchte aus meinen Beobachtungen und Emotionen, die auch Menschen im Polen der Siebziger Jahre zeigen, eine Art Rezension zu destillieren, was nicht leicht fiel. Ein erster Leser fand das Ergebnis „berührend“.

26.11.2025. (ARTE) „Ich hatte nur das Nichts : „Shoah“ von Claude Lanzmann“

Als ich in die laufende Sendung ‚zappe‘, sind wir bald bei Lanzmanns Reise nach Treblinka, seine erste im Jahr 1978. Dort sieht und hört man sich mit dem Filmteam um, sicher eine halbe Filmstunde lang. Ich nehme gebannt wahr, was unsere Busreise zehn Jahre später die Schüler und mich nur ahnen ließ, aber eine geglückte Fotoserie stark stilisierend andeutet.

Habe ich Claude Landsmann damals bereits verstanden? Es ging ihm darum, drei Jahrzehnte ‚danach‘ die letzte Chance zu ergreifen, mittels Augenzeugen, Tätern und überlebenden Opfern, die er in der ganzen Welt aufspüren musste, einen erlebten und erlittenen Holocaust für einen Moment Gegenwart werden zu lassen und – bei Ortsbegehungen, in Gesten und sogar Liedern – in einer überwältigend ‚wüsten‘ Umgebung, einem schier endlosen Wald mit wenigen elenden Randexistenzen, die vom Tatort des unbeschreiblichen Massenmordes nicht wegziehen konnten.

Ich habe das Gefühl, in eine tiefere Schicht des Landes einzutauchen, das ich mit Schülern nach scheinbar bewährtem Drehbuch immer wieder als Gast und vielseitig interessierter Beobachter besuchte. Ich wollte mich und meine Schüler von diesem fürchterlichen Aspekt dominieren und herabziehen lassen. Und die ‚Tatorte‘ waren bereits ‚gereinigt‘.

Das Making-of von „Shoah“ wird zur fesselnden Entdeckungsgeschichte. Lanzmanns endlose Geduldsproben während elf Jahren werden kunstvoll rabiat abgekürzt. Neunzig Minuten können viel stärker wirken als neuneinhalb Stunden.
Lanzmann konnte sich und die Zeugen des Massenmordes lange nicht (und manche Täter gar nicht) dazu bringen, das traumatisierende Zentrum der Shoah zu berühren, den Tod.

Diese scheinbar unüberwindliche Hemmschwelle ließ ihn ‚alle‘ Mittel versuchen.
Man nähert sich den Menschen wieder mit ihm auf Hörweite, ihren Körpern und Gesichtern auf Armeslänge, z.B. in der Enge eines Frisörladens oder im Führerhaus einer schwarzen Rauch ausstoßenden Dampflok, auf einem alten Kahn. ‚Vergangenes‘ wird für einen Moment lebendige Gegenwart. Mehr geht nicht. Lanzmann resümierte: „Ich hatte nur das Nichts“. Die drohende Aussicht einer mit routiniert einmontierten Schockmomenten bloß aufgeschminkten „toten Geschichte“ trieb ihn an.

Da der Film das verborgene Nachleben in den Menschen zum Ausgangspunkt nimmt, ist auch diese Dokumentation stark und frisch und weckt in uns unweigerlich das Bild der Nachwirkungen der Verheerungen aktueller Verbrechen und Katastrophen.
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Die Entscheidung der Produzenten des Features, den Ich-Erzähler aus seiner Autobiografie zu destillieren und keine der in den neun Stunden Dauer von „Shoah“ für die Wahrnehmung bereits ‚verbrauchten‘ Szenen zu benutzen, war klug. So viele konventionell ‚unbrauchbare‘ Filmschnipsel habe ich noch nicht ‚funktionieren‘ gesehen! Lanzmann selbst spricht einmal von seiner „Tragödie“, einen Film machen zu müssen. Doch das Kämpfen gegen das Unmögliche hat sich gelohnt. Ich sagte Karin anschließend , ich hätte ihn „für mich“ angesehen und nicht wie gewohnt mit didaktischem Seitenblick.

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