Z.S.Strother: Die „Kipoko“-Maske der Kasai-Pende und die Frauen (deutsch))

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Fortsetzung von <Die Maske MUYOMBO der Pende – erklärt von Zoé S. Strother (deutsch)> |

Hochgeladen am 28. August 2025

Inventing Masks – Agency and History of the Central Pende Art“*, The University of Chicago Press 1998, pp.192-200

(192) Wie in Kapitel 1 von „Masken erfinden – Wirkungsmacht und Geschichte in der Kunst der Zentralen Pende“ *erläutert, betont die Maskerade der Zentral-Pende nach den verheerenden Rebellionen von 1931 und 1963–1965 ihre Unterhaltungsfunktion und minimiert ihre rituelle Funktion. Obwohl für die Persönlichkeit der Maske Muyombo alle früher genannten Merkmale als zentral anerkannt sind, spekulieren heute nur noch wenige dieser Pende darüber, wie sich diese Aspekte von Muyombos Auftritt in dem ursprünglichen rituellen Kontext, den sie nun für sich ablehnen, entwickelt haben könnten. Für eine solche Interpretation müssen wir uns den Östlichen Pende zuwenden, wo der rituelle Kontext lebendig und gesund ist und wo es eine Maske gibt, die alle charakteristischen Merkmale des Muyombo-Genres aufweist: Kipoko.

Sousberge-Pende-Karte Zentrale Pende oben am Loango, die Östlichen am Kasai unten rechts

Auf die Frage „Welches ist die schönste Maske?“ antworten fast alle Östlichen Pende mit „Kipoko“. Man hat das Gefühl, dass diese Maske alle anderen übertrifft, nicht nur in der Gestaltung ihres Kopfes (amerikanisch: headpiece), sondern auch in Kostüm, Gesang und Tanz. Kipoko ist wegen seines Stils und Flairs ebenso beliebt wie Muyombo. Auf die Form des Kopfes kann jedoch keine Gleichsetzung (am.:pairing) von Muyombo mit der langnasigen Helmmaske der östlichen Pende zurückgeführt werden. Der Tanz ist der Schlüssel zur Verbindung dieser beiden scheinbar unterschiedlichen Masken. Kipoko lässt, wie Muyombo, seine Fliegenwedel schnippen, bezieht auch die Frauen in seinen Tanz ein, und die Pantomime ihrer täglichen Aufgaben ist zentraler Bestandteil seiner Darbietung.  Muyombos charakteristischer Tanzschritt, der halbkreisförmige Tritt (pule), der mit Reifen und Schnüren geschmückt ist, ist nichts anderes als die Form des charakteristischen Tanzschritts der Maske Kipoko, des Tritts, mit dem er Medizin aktiviert und Kranke und Unfruchtbare heilt (Abb. 81).

81. Der Kick, um schützende Medizin , die unter dem kurzen Stock begraben sind, zu aktivieren. Die Frau links folgt ihm mit einem Tuch, das sie über den Boden schleift

Im Verständnis der östlichen Pende ist der Tanz für Kipoko, genannt Lukongo, die Summe allen Wissens im Tanz (Abb. 82).

82. Kipokos klassischer Tanz, Kingange, Zaire 1988

Häuptling Nzambi betonte den enzyklopädischen Charakter des Tanzes: „Der Lukongo-Tanz zeigt die Merkmale des Häuptlingstums: körperlichen Mut, Weisheit und Beredsamkeit, die Jagd und die Kühnheit, alles Notwendige zu tun. Der Lukongo zeigt auch, wie man sät, erntet, kocht, wie Frauen gehen und die Arbeit des Wahrsagers. Der Kipoko -Tanz ist jedoch [vor allem] der Tanz des Häuptlings.“

Er erklärte, dass Kipoko mit zwei Fliegenwedeln oder einem Beil(am.:adze) in der rechten Hand herauskommen könne. Mit diesen Requisiten imitiere er von Zeit zu Zeit einen Jäger, der mit seiner Waffe zielt mit zwei Fliegenwedeln oder einer Dechsel in der rechten Hand herauskommen könne. Mit diesen Requisiten imitiere er von Zeit zu Zeit einen Jäger, der mit seiner Waffe auf einen Vogel oder Affen zielt, einen Mann, der einen Baum fällt, einen, der Palmwein zapft; er stellt pantomimisch dar, wie Frauen ihre Felder hacken, um zu säen und später zu ernten; er imitiert, wie sie Maniokkarotten schälen und zu Mehl stampfen und wie sie das Mehl verwenden, um Maniokbrot zu backen (Abb. 80).

80.

Kurz gesagt, alles, was in den Bereich des täglichen Lebens fällt, ist dem Genie des Tänzers zugänglich. Häuptling Nzambi betonte, dass alle Männer während ihrer Initiation in die Männerbruderschaft den Lukongo erlernen. Dennoch, wenn jemand Kipoko meisterhaft ausführt, repräsentiert er den Häuptling, genauso wie es vom Häuptling kommt, wenn jemand mit Autorität spricht, obwohl jeder sprechen lernt.

Ironischerweise können die wichtigsten Teile des Tanzes für Außenstehende wie unbedeutende Improvisationen wirken. Wenn der Tänzer immer weiter „nach unten“ geht und leicht mit einem Fliegenwedel über den Boden fegt, wirkt dies wie eine beiläufige Geste. Tatsächlich ist dies eine bedeutsame Geste, mit der der Tänzer dem Trommler signalisieren kann, dass er den Rhythmus ändern möchte, und auch böse Geister „vertreiben“ kann, die im Dorf herumlungern und Krankheit oder Unwohlsein verursachen. Es ist der Wunsch nach einem „weißen Dorf“ (dimbo diabuka), also einem gesunden Dorf, frei von Krankheit, Unfruchtbarkeit und persönlichen Zwietracht.

Später, wenn er in seinem energischen Tanz innehält, um einen Fliegenwedel zu verwenden, um vorzutäuschen, eine Maniokkarotte zu schälen, kann es wie eine Ausrede wirken, um Luft zu holen. Das Genie der (194) Pende liegt darin, dass diese ruhigen Momente dem Tänzer eine Möglichkeit bieten, sich auszuruhen, während er auf der Tanzfläche bleibt, und dass sie zusätzlich mit Bedeutung erfüllt sind. In der Umgebung von Ndjindji wird Kipoko liebevoll Mbundju genannt, ein Wortspiel mit dem Wort für „Nebel“. Das Wortspiel betont, dass Kipoko eine Maske wie der Nebel ist, die stundenlang verweilen kann. Oft ist er der Erste auf der Tanzfläche, und der Wechsel von anstrengendem Tanzen mit ruhigen Momenten ermöglicht es den Tänzern, bis zum Sonnenuntergang und dem Ende der Maskerade weiterzumachen. Wenn der Kipoko-Tanz enzyklopädisch ist, hat der wichtigste (195) Teil seiner Mimikri mit Nahrungsproduktion zu tun. Ein berühmter Tänzer, Mbuka Makungu, unterstrich, dass Sähen, Mahlen, Schälen der Hirse und so weiter (fig. 80) das Publikum an die Aufgabe der Maskerade erinnert: „Wir tanzen den Kipoko, um die Nahrung, die Kinder und die Gesundheit des kifutshi [den für jedes Dorf lebensnotwendigen Mikrokosmos] zu vermehren.“ So ist der Lukongo-Tanz ein getanztes Gebet (196) um die anhaltende Wohltätigkeit der Vorfahren. Deshalb muss jeder Junge ihn bei seiner Aufnahme in die Männerbruderschaft beherrschen.

Die volle Bedeutung des Lukongo offenbarte sich am ersten Tag einer Maskerade für Häuptling Kingange im Jahr 1988. Den ganzen Tag über fehlte es dem Tanz an Begeisterung und er war von Pannen verfolgt. Zu meiner Überraschung stand Häuptling Nzambi, der zu Besuch war, wenige Minuten vor Ende der Veranstaltung auf und begann, den Lukongo aufzuführen. Als Nzambi mit seiner meisterhaften Darbietung begann, tobte die Menge. Sie gewann all die Lebendigkeit zurück, die ihr den ganzen Tag gefehlt hatte. Junge und Alte gingen zu ihm, um ihm voll des Lobes kleine Geldgeschenke zu überreichen. Besonders die Tanzfläche war voller Frauen, die ihm mit Stofffetzen hinterherliefen, Handvoll Hirse in seine Richtung warfen und Karotten oder Maniok auf die Tanzfläche prasseln ließen. Eine Frau tanzte hinter ihm her, indem sie abwechselnd ein Neugeborenes hochhob und es dann wieder auf den Boden legte.

Als ich ihn fragte, warum er zum Tanzen aufgestanden sei, erklärte Nzambi, ich hätte ihm leid getan: Ich sei von so weit her gekommen, um mir Maskeraden anzusehen, und der ganze Tag sei langweilig gewesen, weil der erfahrene Kipoko-Tänzer zu betrunken gewesen sei, um seine Pflichten gut zu erfüllen. Folglich sei der Tag nicht den Toten geweiht gewesen, und sie seien nicht gekommen, um unter den Lebenden zu tanzen. Es sei, als würde man einen Brief schreiben und ihn dann nicht abschicken. Mit der Aufführung des Lukongo habe Nzambi das Dorf vor allem an seine Aufgabe erinnert, für die Ernten und Kinder des vergangenen Jahres  zu danken (am.: thanksgiving).

Da Frauen den Großteil der landwirtschaftlichen Arbeit verrichten und die Kinder gebären, sind sie bei dieser Art des Dankgebets besonders engagiert. Bei den östlichen Pende tanzen Frauen ihre Dankbarkeit und Bitte, indem sie sich Kipoko auf der Tanzfläche anschließen. Sie werfen Hirse, Maniok oder Mais als Kostprobe der Grundnahrungsmittel, die sie zum Überleben brauchen. Sie tanzen auch mit Kleidung und Waren wie Handtaschen, die sie mit dem Ernteüberschuss des Vorjahres gekauft haben (Abb. 81, 83-84 – siehe unten). Die Frau, die das Baby tanzte, dankte für die ersehnte Fruchtbarkeit. Da Kipoko (im Gegensatz zu Muyumbo) eine Helmmaske ist, können die Frauen der Maske so nahe kommen, wie sie möchten, solange sie diese nicht berühren. Kipoko tanzt in diesem Fall mit ihnen, nicht als Geist der Toten, sondern als sichtbares Zeichen für die unsichtbaren Teilnehmer der Feierlichkeiten.

Die Pende glauben nicht, dass sich der Charakter eines Menschen mit dem Tod auf wundersame Weise verändert. Eine gemeine und geizige Persönlichkeit wird im Jenseits eher noch eifersüchtiger und neidischer. Es kann schwierig sein, die Toten um Schutz für das Dorf zu bitten, da die Geister der Gemeinheit und Eifersucht (tupolongongo tuabola mitshima) die Kommunikationswege sabotieren können. Daher sollen die schnellen Gesten der Fliegenwedel von Kipoko und der anderen Masken diese unwillkommenen Teilnehmer wegfegen.

  1. 83.Frauen tanzen mit der Maske Kikoko, werfen Hirse hin und jonglieren mit Kochgeschirren. Nzambi, Zaire,1988

Wenn Kipoko seinen kraftvollen halbkreisförmigen Tritt (197) über Haufen von Medikamenten auf der Tanzfläche ausführt (siehe oben Abb. 81), bittet er die Ahnen um die schützende Umarmung für das ganze Dorf. Am Ende der Maskerade kommen Menschen, die eine helfende Hand brauchen. Die Gebrechlichen, die Kranken und die Unfruchtbaren knien vor ihm nieder und bedecken sich mit einem Tuch. Kipoko führt für dieses spezielle Publikum den Lukongo auf, indem er jedes Bein in einem halbkreisförmigen Tritt über sie schleudert, um sie mit einer Schutzhülle zu umhüllen, die den bösen Geistern oder Zauberern, die für ihr Leiden verantwortlich sein könnten, den Zutritt verwehrt. (198)

74. KIPOKO aus Kingange 1988

Der geliebte Kipoko repräsentiert alles Warme und Nährende an der Rolle des Häuptlings als Vermittler zwischen den Lebenden und den Toten. Jeder Häuptling, egal welchen Ranges, hat das Recht auf Kipoko. Typischerweise übertreiben Holzschnitzer Augen, Nase und Ohren, während sie den Mund klein oder gar nicht darstellen (Abb. 74). Damit vermitteln sie, dass der Häuptling über eine Art sensorische Hyperaktivität verfügen sollte, um alles zu wissen, was in seinem Dorf geschieht, aber langsam sprechen sollte, damit voreilige Worte eine schlechte Situation nicht noch verschlimmern. Er sollte nicht nur alles sehen und hören (199), sondern durch seine Nase auch den „Geruch“ von Zauberei und den Geruch von gestohlenem Fleisch beim Kochen wahrnehmen können.

Die Betonung von Schönheit und Stil, die halbkreisförmigen Tritte, die Pantomimen dörflicher Aktivitäten und die Beteiligung der Frauen deuten stark darauf hin, dass Muyombo und Kipoko derselben Wurzel entstammen. Es ist wahrscheinlich, dass Muyombo einst, wie Kipoko, eine zentrale Rolle bei der Erfüllung des Zwecks der Maskerade spielte, eine Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten herzustellen.

Es ist unmöglich festzustellen, ob eine der beiden Formen eine ältere Form bewahrt hat oder ob sich beide aus einem verlorenen Prototypen entwickelt haben. Auf den ersten Blick ist es bemerkenswert, dass die weit voneinander entfernten Kwilu-Pende und die Ost-Pende beide Helm- (oder „Glocken-“)Masken in Form eines menschlichen Kopfes tragen, die Zentral-Pende hingegen nicht. Dies deutet darauf hin, dass Kipoko eine ältere Form darstellen könnte. Beide Gruppen haben jedoch Nachbarn mit glockenförmigen Helmmasken, die möglicherweise spätere unabhängige Erfindungen inspiriert haben. Das stichhaltigere Argument könnte sein, dass Muyombo die konservativere Form darstellt, da sein Kopfschmuck dem von Giwoyo so ähnlich ist, dessen Form vor der Trennung der Ost- und Zentral-Pende im 18. Jahrhundert entstand. Die Ableitung von einer Giwoyo-ähnlichen Maske könnte sogar den mysteriösen, regalartigen Vorsprung unter Kipokos Kinn erklären (Abb. 74-75)

Es gibt immer Frauen, die die Beschränkungen ausreizen, die ihnen gegenüber den Masken auferlegt werden. Bei den Zentral-Pende muss, da beliebte Masken wie Muyombo, Ginjinga und Pota die obere Gesichtshälfte des Tänzers freilegen, die Menge der Nichteingeweihten in einer gewissen Entfernung gehalten werden, wo der Vorsprung oder die Fransen die Augen des Tänzers in den Schatten werfen. Bei einer Aufführung in Makulukulu im Jahr 1989 wurde eine Frau, die mit der weiblichen Maske Gabugu tanzen wollte, gewarnt: „Wenn du das tust, wirst du dafür bezahlen.“ Die Frau blieb also am Rand der Tanzfläche, ahmte aber Gabugus Gesten so gut nach, dass der Häuptling ihr zum Lob einen Geldschein zuwarf.

Frauen im Kasai haben es geschafft, eine direktere Rolle bei der Maskerade zu übernehmen. Sie beteiligen sich sehr aktiv am Masken begleitenden Chor, und wie ich am zweiten Tag einer Maskerade feststellte, raubte der Ausschluss der meisten Frauen Beerdigung im Dorf Kingange den Festlichkeiten all ihre Freude und Lebendigkeit. Tänzer konkurrieren tatsächlich um die jubelnden Lobrufe der Frauen (miyeye) und können sich ohne sie nur schwer konzentrieren. Am wichtigsten ist, dass Frauen Zugang zur Tanzfläche erlangt haben, wie oben für Kipoko beschrieben, obwohl die ältesten Männer in den Kasai behaupten, dass dies nicht immer der Fall war. Die aktive ‚Kolonisierung‘ der Maskerade durch Frauen erweitert die rituelle Logik der Maskerade. Schließlich haben sie am unmittelbarsten mit der Produktion der Nahrung (200) und mit der Kindersterblichkeit zu tun, die von Kipoko thematisiert werden.

84. Kinganges Erste Frau folgt KIPOKO mit Stoff und Küchenschüssel, erworben vom letztjährigen Ernteüberschuss

Ihre Rolle in der Maskerade ist so selbstverständlich, so angemessen und so unterhaltsam geworden, dass die Erste Frau des Häuptlings und die Frauen seiner Minister verpflichtet sind, anwesend zu sein, die Tänzer mit miyeye anzufeuern, mit Kipoko zu tanzen, Hirse zu werfen usw. Als die oben erwähnte Beerdigung das Dorf Kingange von den Frauen leerte, wurde die Erste Frau des Häuptlings von ihrem Mann angewiesen, zu bleiben und ihre Pflichten gegenüber den Masken getreulich zu erfüllen (Abb. 84).

Was ist hier geschehen? Konnten die Frauen diesen Vorteil gewinnen, weil die Masken schon mehr getarnt sind als ihre Entsprechungen bei den Zentral Pende? Oder ist es logischer zu denken, dass es wünschenswerter erschien, die Masken stärker zu verhüllen, um die Distanz zwischen Masken und den Frauen zu verringern? In diesem Fall macht eine Entwicklung der Kipoko zur Helmmaske perfekt Sinn. Wir werden sehen, dass es eine entsprechende Bewegung zu stärkerer Verhüllung bei zwei verwandten Masken der Ost-Pende, Ginjinga und Pota, gegeben hat.

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