9.1.18 Josef Franz Thiel. Anekdoten beim Spaziergang an der Nidda erzählt
Wir wurden von der Wintersonne an die Nidda gelockt. Im Grund war ich in der Absicht zu Joseph Franz Thiel in die Heddernheimer Kirchstraße 30 gekommen. Wir machten eine Bachrunde in behäbigem Tempo von einer Fußgängerbrücke zur nächsten und kehrten über das Gartengrundstück ins Haus zurück. Was Thiel diesmal erzählte, habe ich später protokolliert.
Das Buch „ Jahre im Kongo – Missionar und Ethnologe bei den Bayansi“
2001 sandte er ein Buchexemplar (Lembeck Verlag, Frankfurt am Main 2001) an Anthropos für eine Besprechung, forderte von Chefredakteur und zugleich Studienfreund: Sie können es zerreißen wie Sie wollen, wenn mir eine Stellungnahme erlaubt wäre, ich habe noch einiges im Köcher. Man verzichtete.“ Macht hier eine kämpferische Miene. Fand viel Zustimmung von Missionaren zu seinem Buch, über das offiziell geschwiegen wurde. Ein entlaufener Priester, ein Grenzgänger.
Gegen die Aufforderung des Philosophisch-Theologischen Instituts St.Augustin, das Thema ‚Missiologie’ für ein Reihenwerk zu bearbeiten, machte er selber einen Einwand: er sei Ethnologe und Missionar, kein Missiologe. Der Vorschlag traf schon anderswo auf Ablehnung. Argument: er sei kein Theologe. Dabei hatte er sieben Jahre Theologie studiert.
Papst Franziskus
Papst Franziskus hätte man nur deshalb noch nicht abserviert, obwohl er gegen die übermächtige Kurie kämpfe, weil er Jesuit sei, die mit 2500 gebildeten Mitglieder sehr stark seien. Nur die Besten müssten den 4. Eid, den auf den Papst, schwören, Franziskus sei einer von ihnen, die in St. Georgen auch. Ratzinger hat Thiel enttäuscht, war früher ein liberaler Professor, habe vor Kurie kapituliert; ich füge zu: wenigstens als erster zurückgetreten.
Pater Hochegger,
Der Freund seit seiner Jugend, hatte die Schwarzen in Bandundu viel schreiben lassen, über hundert Werke veröffentlicht, aber vor allem philologisch gepfuscht, Schüler ‚übersetzen’, paraphrasieren lassen. Seine Sprachkenntnisse waren auch nicht so gut. Fritz Kramer findet Hochegger wichtig und interessant, trotz Thiels Einwands unwissenschaftlicher Methoden. Nach seinem Tod hat niemand Thiel informiert, Hochegger habe im Anthropos keinen Nachruf bekommen, obwohl er Vereinsmitglied gewesen war; jetzt will Thiel einen Artikel über schreiben, und droht bereits vorsorglich, ihn anderswo zu veröffentlichen. Hochegger starb über Nacht, erschien morgens nicht wie immer zur Frühmesse, ein wünschenwerter Tod, aber für Katholiken der Schlimmste, ohne Sakramente ins Fegefeuer zu gehen. Ich vergleiche katholischen Umgang mit dem Verstorbenen im Fegefeuer mit der afrikanischen Angst vor Rückkehr. (Er lacht, als ich in lutherischer Manier einen solchen Gott für hinterhältig bezeichne: dem Sterbenden erst die Sakramente verweigern und ihn dann in die Hölle schicken.) In Afrika ist es das Ideal, nach einem langen Leben im Kreis der Familie zu sterben. Ein plötzlicher Tod sei das Schlimmste. (Auch daher der Verdacht der Zauberei!)
Einwurzeln des Christentums
„Was war denn Brot und Wein zu Zeiten Jesu? In jedem Haus vorhanden“. Früher hätten Missionare Trommeln zerbrochen, Thiel ließ Trommeln zur Messe in die Kirche. Später sang man keine europäischen Kirchenlieder mehr. Er sieht durchaus eine große Zukunft für das Christentum in Afrika.
Das leitete ein, was er alles Skandalöse gemacht habe: Sollte einmal in einem Dorf, wohin er mit Nonnen kam, eine Messe halten, aber die Messjungen waren anderswo in der Schule. Sein Vorschlag an die italienische Oberin, eine ihrer jungen Nonnen, eine Soeur …, solle ihm assistieren. Sie protestierte, der Papst habe so etwas ausdrücklich verboten. Da stellte er rechts und links eine barbusige Dorfschönheit (untermalt gestisch) auf, die ihm die Handreichungen leistete. Zetern der Oberin nach der Messe.
Widerstand gegen Anpassung kam vor allem von afrikanischen Priestern: „Keine afrikanische Kirche zweiter Klasse, alles wie in Europa!“ So hätten auch die afrikanischen Kardinäle bei der letzten Synode gegen Erlaubnis der Heirat für Priester in Afrika gesprochen, obwohl jeder wusste, dass man Nebenfrauen hatte. Afrikaner und Afrikanerinnen glaubten Thiel erst nicht, dass er nicht irgendwo Kinder hatte und hatten dann kein Verständnis dafür. Als er später ‚zwei’ sagte, war alles gut.
Sein Bischof pflegte zu sagen: „Wir sind im Busch, kein Papst erfährt etwas, wir können machen was wir wollen“.
Perspektiven Afrikas
Er will sie offensichtlich nicht zu Ende denken oder ausformulieren, sie ergeben sich von selbst.
Immer mehr Kinder: Dank Nestlé keine zweijährige Pause mehr zwischen den Geburten, und dann die Tropenmedizin, früher sind 50 % der Menschen gestorben. Der alte Chief, der sich ständig zwanzig fruchtbare Frauen hielt, die alten zu ihren Familien schickte.
Wer reich sei, zahle mehr für eine Frau, damit er die Söhne auf jeden Fall behalten könne.
Brautgeld hätte auch sein Gutes gehabt. Wenn ein Mann seine Frau vernachlässigte, sei sie zu ihrer Familie gegangen und die Alten wären angerückt: Bussgeld eine Ziege.
In seinem Urteil über die Alten differenziert er, er hat auch erlebt, dass einer die Jungen wegen des Schulbesuchs für klüger hielt.
Dringende Wünsche aus Bandundu, der Provinzhauptstadt
Der schwarze Bischof von Bandundu, den er noch als Knaben gekannt hat. Hat früher gebettelt, er möge ein Buch über die Yansi schreiben, damit nicht alles verloren ginge, wollte aber auch das Material, die Tonbänder bei Frobenius (sollten digitalisiert werden), nun wolle er Thiels Yansi-Literatur, schließlich die ganze Bibliothek. Sei zuletzt etwas missgestimmt gewesen. Aber das Ansinnen mache keinen Sinn. In Afrika kommen die Sachen unweigerlich weg, einem Verwandten könne man nichts verweigern. Er habe damals seine ganze Bibliothek dagelassen. Alles weg.
Zeithorizont des Buches
Bis 1961-71. Die Informanten seien oft alt gewesen. Und das Gedächtnis der Alten! Dreißig Jahre zuvor hatte einer nachgewiesen die identische Liste von Chiefs aus dem Gedächtnis zitiert.
Hochegger beklagte sich, er habe keine geistige Dimension im Denken der Yansi gefunden. Er sei aber zu distanziert gewesen, habe sich also nicht so zu den Leuten gesetzt wie Thiel. Er selbst habe hunderte von Erzählungen aufgenommen. Darüber kommen wir wieder auf Antoinette Boukibi zu sprechen (Hochegger hat sie noch gesund erlebt), ein Glücksfall, den er in der Monografie noch einmal aufgreife und interpretiere. (LINK zum Zitat im Beitrag „Die Macht einer ‚Polio’-Puppe“ Abschnitt „18.August 2017“ und „2.Nov. – „Das Lied der Antoinette Bukibi“auf S.100/101)
Über die Jahre habe ich Thiel einige Male in seinem Haus besucht, mit einer Frage, um etwas zu zeigen, um mich eine Stunde gut zu unterhalten.
DAS DARF NOCH NICHT ALLES SEIN! 28.4.24