Hochgeladen: 21. Sept. 2022, zweite Erweiterung am 4. Aug, 2024
Mein Vater war ein kunstferner Mediziner der Nachkriegszeit. Manchmal kommen mir bei afrikanischen Figuren seine staubtrockenen Kunstbetrachtungen wieder in den Sinn, zum Beispiel bei den hochgerühmten Karyatidenhockern der Luba mit knienden Frauen. In diesem Fall scheint das medizinisch orientierte Buch „Heil- und Körperkunst in Afrika“ aus dem Linden-Museum ihm Recht zu geben. Der Feststellung einer „Geburtshaltung“ hat meines Wissens kein Kunsthistoriker widersprochen, man redet nur nicht darüber außer in metaphorischer Umschreibung (Neyt und „höfische Norm“ LINK).
Bei dem kleinen hölzernen Charmeur aus Kamerun sind grotesk übertriebene körperliche Eigenheiten nicht zu übersehen. Wieder konsultiere ich Hermann Forkls Buch. Die persönliche Kontaktaufnahme mit dem Gelehrten im Ruhestand versemmele ich leider durch Ungeschick. So bleiben meine Fragen unbeantwortet bis das Archiv der „Basler Mission“ mich zu dem mittlerweile hochbetagten Missionar im Ruhestand Dr. h.c. Hans Knöpfli vermittelt, der lange Jahre unter den Menschen im Kameruner Grasland gelebt und gearbeitet hat. 19.9.2022
Er erlaubt mir, unseren kurzen Briefwechsel zwischen dem 31. August und 5. September veröffentlichen. Alles weitere sagt der Briefwechsel. Wir werden sehen, was daraus Positives erwachsen mag.
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Lieber Herr Knöpfli,
Ich sehe eine Chance, meine Fragen einem erfahrenen Kenner des ‚Graslandes’ vorlegen zu können. Von ‚Geistlichen’ im weitesten Sinne wie de Rosny, Bureau, Johannes Ittmann – alle für die Duala – und von Josef Franz Thiel in Frankfurt habe ich viel gelernt.
Ich versuche mich kurz zu fassen.
Als ehemaliger Gymnasiallehrer mit weitem Themenspektrum und als Sammler (zum Beispiel bei Neuerwerbungen) stellten und stellen sich mir immer wieder Fragen, die die Grenzziehung der etablierten Disziplinen überschreiten, etwa afrikanische Kunstethnologie, Sozialforschung, Geschichte und sogar Medizin.
Vor Wochen konnte ich einer kleinen Figur (etwa 20cm groß) Figur der Bamileke nicht widerstehen, obwohl ich ‚Grasland’ nicht sammle, sondern Kongo-Völker. Nicht nur mich, auch meine Umgebung stimmt die Miniatur spontan heiter, ihre expressiven Glupschaugen, die ausladenden Wangen, ein ebenso ausladender Hals und ein extrem vorgewölbter Bauch.
Im Berliner Katalog “Afrika“ (Herausgeber Tom Phillips, Etienne Féau 1996, p.359, 5.19 finde ich eine „Statuette pu mo 15 cm (gewöhnlich 10 bis 40 cm). „Heiler und Weissager verwendeten Holzstatuetten als Abbilder ihrer Patienten… im allgemeinen zeigen sie eine schwangere Frau., deren Hände sich auf dem Bauch oder unter dem Kinn befinden. Mutterschaftssymbol…. “
Ich konsultiere aufgrund guter Erfahrungen die Medizinethnologen. Hermann Forkl bringt in seinem Buch „Heil- und KörperKunst in Afrika“ (Linden Museum Stuttgart 1997, S.18-20 die „Bauchwassersucht“ in Verbindung mit dem aufgeblähten männlichen Bauch und erwähnt wie Féau einen Männerbund „Ku’ngang“; dazu verweist er auf die Schrift „Geburt, Krankheit, Tod in der afrikanischen Kunst“ (Stuttgart 1975) seiner Freunde und Lehrer Ernst Haaf und Jürgen Zwernemann. Bisher hatte ich „Schwangerschaft“ als Standarderklärung akzeptiert, auch bei ‚männlichen‘ Figuren, verbunden mit „Zweigeschlechtlichkeit“ etwa von Ahnen .
Als ich beim nächsten Treffen am Stand den Kameruner Händler Yap Mama Idriss frage, lässt er sich weder auf Wasserbauch, noch Kropf, noch Hofzwerge oder irgendeine Krankheit ein, lächelt nur und beschränkt sich auf die fruchtbarkeitsfördernde Rolle.
Die positive Ausstrahlung der Figuren trügt also nicht? Glücksbringer? Therapeutische Figuren? Ist es ein Zufall, dass mir das harmonische, freundliche und entspannte Mondgesicht des Händlers mit dem der Figuren verwandt erscheint?
Forkl wie Zwernemann und Haaf bleiben in ihren Publikationen weithin die wissenschaftliche Argumentation und Zeugnisse für ihre Behauptungen schuldig, sie behaupten einfach. Als Museumsleute in Hamburg und Stuttgart haben sie meines Wissens aber auch nur in populären Formaten publiziert.
Ist das vielleicht der Grund, dass ich sie noch nirgends zitiert gefunden habe?
Ich bin gespannt, was Sie dazu sagen.
Mit herzlichen Gruß auch an Ihre Frau Zingg Knöpfli, die so freundlich vermittelt!
Detlev v. Graeve
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Sehr geehrter Herr v. Graeve
Vielen Dank für Ihr Mail vom 31. August 2022.
Sie erwarten von mir ein wissenschaftliches Gutachten über diese wundervolle Figur aus Kamerun, die ich Ihnen leider nicht geben kann. Ich müsste wissen, wer die Figur erstellt hat, aus welcher Ethnie der Künstler ist, für welchen Anlass, ev. für wen er sie erstellt hat oder welches seine Umgebung, sein Hintergrund ist. Auch ist es wichtig, bei solchen Figuren zu wissen, welche Gedanken sich ein Künstler gemacht hat.
Wir Europäer trachten immer danach, alles zu analysieren und zu beurteilen aus unserer Weltanschauung heraus bzw. unserem beruflichen Hintergrund. Deshalb auch deren Vermutungen Schwangerschaft, Bauchwassersucht etc.
Ich selber weiss lediglich, dass die Künstler im Grasland alles, was ihnen wichtig war, vergrössert darstellten, größer als es in Wirklichkeit ist. Z.B. habe ich von den Schnitzern im Grasland Folgendes erfahren:
Den Kopf stellt der Holzschnitzer oft vergrössert dar, weil er glaubt, dass ein Ahnengeist darin haust. Die aufgeblasenen Wangen bedeuten Lebensfülle, die auffälligen Genitalien und die Frauenbrüste symbolisieren die Schöpfung schlechthin, im Besonderen die Zeugung und das Hervorbringen und Erhalten von neuem Leben. Der Bauchnabel verkörpert die Lebensschnur, durch die das werdende Kind nicht nur mit der Mutter, sondern auch mit den Ahnen verbunden ist. Der vorstehende Bauchnabel ist bis heute ein Symbol für Lebenskraft.
P.S. Die ersten Gedanken, die mir bei der Ansicht Ihrer Figur spontan in den Sinn gekommen sind, sind die Begriffe: Bamileke (das schreiben Sie ja auch) und Fülle des Lebens.
Soweit meine Antwort auf Ihre Fragen. Vielleicht können Sie etwas damit anfangen.
Herzliche Grüsse Hans Knöpfli
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Sehr geehrter Herr Knöpfli,
Danke. Als ich Ihren Brief las, fiel mir der spontane Impuls von Angelika Weber ein, uns zu vermitteln. Das war ein voller Erfolg.
Mit einem „wissenschaftlichen Gutachten“ im engeren Sinn hätte ich weniger anfangen können. Sobald aktive Wissenschaftler die von Ihnen genannten wünschenswerten Voraussetzungen aufgezählt hätten, hätten sie sich auch schon mit freundlichen Grüßen verabschiedet. Ja, sie nehmen meist die Perspektive ein, die ihrer Spezialisierung und den für sie relevanten Autoritäten entspricht.
Sie aber teilen die ‚afrikanische’ Sichtweise des Kameruner Händlers Idriss.
Ich finde Ihren Text schön. Ich möchte mit Ihrem Einverständnis unseren kurzen Dialog in einen Blogbeitrag aufnehmen. Inzwischen habe ich die Partnerin der Figur – rechts, etwas größer – erworben und zeige hier das Paar.
Herzliche Grüße auch an Ihre Frau Detlev v. Graeve
29.9. Nicht zu fassen! EINE GEGENOFFENSIVE „ICONO-DIAGOSTIC“ IM ‚QUAI BRANLY“- NEHMEN SIE TEIL!
MAN FRAGT DIE BETROFFENEN MENSCHEN, KÜNSTLER UND AUFTRAGGEBER ERST GAR NICHT MEHR. WOZU HABEN WIR SUPERCOMPUTER UND K.I.. ! Die Form des problematisierten Objekts (was sonst?) wird unversehens zum unbeabsichtigten ‚Informationsträger‘ ernannt, wie in der Gesichtserkennung. Nur handelt es sich in diesen Fällen nicht um biologische Formen, sondern um künstlerische Gestaltungen. Und wenn man zusätzlich damit krankheitsstatistische Daten koppelt? Was soll dabei an mehr als trivialen ‚Erkenntnissen‘ herauskommen?
4.8.2024
Gedanken zu einer vergleichbaren Gesichtsdeformation einer Yoruba-Maske
Herremans und Drewal zufolge ist die Bedeutung der Maske mehrschichtig, das heißt für Außenstehende intransparent. Die Auffälligkeiten – dicke Backen, schielende Augen und die zwischen windschiefen Zähnen hervortretende schwächliche Zunge – sind nur hämische Zugaben an der Karikatur des gefährlichen Ausländers im Maskenrepertoire einer Egungun-Parade. Die stammestypischen Schmucknarben am Objekt sind bloß Stilmerkmal. Nach Erfahrungen nehme ich an: Die deftige Maske weckt beim Publikum die Erwartung auf einen vergnüglichen ebenso grotesken Auftritt.
WIEDER ANDERS SIEHT DAS AUS BEI HARTER: „CAMEROUN …DE L’OUEST fig. 40 cat.67: Königliche Maske der BAMUM , Region Njitapon,51 cm hoch mit zwei mächtigen das Gesicht beschwerenden Backen. Sammlung P.Harter