Zwei Generationen polnischer Karikaturisten 1976 – z.B. Eryk Lipinski und Andrzej Krauze

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VORWORT –  AUGUST 2024

Ich hatte 1973 mit einer geführten China-Gruppenreise eine dreiwöchige Erfahrung  gemacht; war also vertraut mit  Selbstdarstellung und Eitelkeiten (nicht nur) autoritärer Staaten.

Die Volksrepublik Polen erschien ohnehin als eine andere Welt, eben europäisch. Die DDR kannte ich noch überhaupt nicht. Das kommunistische Projekt gänzlich abzuschreiben, soweit war ich noch nicht, verhielt mich auch gegenüber China abwartend.  „Revisionismus“ war bei mir aber unten durch. Anstatt mich an den Spielräumen der Intelligenz zu freuen, nervten mich die Privilegien der Funktionäre, die uns begegneten.

So provozierte ich einmal eine distinguierte Dame mit der scheinheiligen Frage, ob man in der Partei schon einmal über Lenins Vorschlag: Dienst zum Arbeiterlohn diskutiert habe. Sie wies mich empört auf die italienischen Eurokommunisten hin – unter westdeutschen Linken gerade gut angesehen –  und deren Praxis, zu festlichen Gelegenheiten Fiat-Polski-Kleinwagen zu verlosen. Ich zielte naiv auf den bürgerlichen Habitus und den auffälligen Abstand zum ‚Volk’ der Bauern und Arbeiter, auch in den schönen Künsten; die durften in der Volksrepublik Polen hübsch ‚dekadent’ sein.

 

SATIRISCHE „NÄGEL“ IN DANZIG

Ein Straßenbekannter in Danzig, der mich in seine Siedlungswohnung einlud, schüttelte nur ungläubig den Kopf, als ich von China und seiner Kulturrevolution schwärmte. Der Gastgeber verkaufte mir zehn ältere Hefte einer satirischen Zeitschrift, „Szpilki“ („Nägel“) , die mich durch die ästhetische und politische Schärfe ihrer Titelseiten beeindruckte.

Szpilki no.1765, 41.Jg.12.6.1975

Szpilki no.1777, 41.Jg.7.9.1975

 

 

 

 

 

 

 

 

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Szpilki no.1804, 42.Jg. 4.4.1976

Szpilki no.1830, 42.Jg 12.9.1976

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Auf dem Heimweg ins Novotel meinte ich einen Mann zu sehen, der mich eine Weile verfolgte. , Ich fotografierte im Hotelzimmer vorsichtshalber die Titel; dabei war das gar nicht nötig. Die polnische Zensur bemühte den liberalen Anschein für das westliche Ausland, auch als Exportmarkt, und kontrollierte lieber unauffällig, am liebsten über die Papierzuteilung.

Ein scharfer Karikaturist, Andrzej Krauze, durfte sogar in einem Presseklub in Danzig ausstellen, wie sie sehr wichtig waren. Denn kritische Zeitschriften wie „Szpilki“ waren stets gleich nach Erscheinen an den Kiosken ausverkauft. Die beiden Zeichnungen waren im Klub zu sehen und erschienen 1977  in der Broschüre „Szczescie w aerozolu!“ („Glück aus der Spraydose“) bei  „cytelnik“ in Warschau  (dort S.22 und 25). Er belieferte auch „Szpilki“.

A. Krauze „Wir, die Wölfe..“.

A. Krauze: „Rotkäppchen besteht aus…“

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Szpilki no.1804, 42.Jg. 4.4.1976 Andrzej Mleczko „Auf die Knie!!“

Die gebildeten Städter und Intellektuellen wurden bis 1990 zwar bei manchen Gelegenheiten als Bedrohung des Regimes aufgefasst; doch bis auf Ausnahmen arrangierten sie sich erfolgreich. Mleczko konnte in „Szpilki“ über die Staatsgewalt noch Scherze machen, so wie mit dem cartoon: „Auf die Knie“.

Ob sie als Salonmarxisten von links oder als bürgerliche Nationalisten von rechts kamen, war wohl bis 1989 nicht entscheidend; erst nachher kamen die ideologischen Gegensätze in hässlichen Polemiken zum Ausbruch.   (Die Biografie des Journalisten und Literaten Kapuszynski wäre ein Beispiel. (LINK zur kritischen Biografie von Artur Domosławski, deutsch 2014)

Nur, dass das Regime die wirtschaftlichen Defizite bis zum Ende nicht in den Griff bekam, führte periodisch zu heftigen Arbeiterprotesten, auch 1976 wieder. Armut und Verschmutzung nahmen wir hauptsächlich durch die Fenster des Reisebusses wahr. Oder als gigantische Siedlungsfronten in Form von Baustellen und Konsumwüsten.

 

BESUCH BEI ERYK LIPINSKI, DEM GRÜNDER VON „SZPILKI“ (1935) UND  GRÜNDUNGSDIREKTOR DES KARIKATURENMUSEUMS IN WARSCHAU (1978)

Ich nahm gerade in Frankfurt an einem Seminarprojekt „Die politische Lithographie im Kampf um die Parister Kommune 1871“ (LINK) teil und hatte starkes Interesse an politischer Karikatur. Man vermittelte mir einen Besuch bei dem Journalisten Eryk Lipinski (1908-1991) in der Privatwohnung, wo er seine Sammlung polnischer Karikaturen aufbewahrte. Sie bildete ab 1978 den Grundstock des Muzeum Karykatury im. Eryka Lipińskiego (LINK wikipedia.org). Ich blieb drei Stunden. Das Gedächtnisprotokoll verfasste ich drei Tage später in Frankfurt. Es  existiert nur noch in einem blassen Typoskript. Das schreibe ich  mit geringen Kürzungen ab.

 

mein besuch bei erich lipinski in der natolinska-str.3 app.20, freitag 1.10.76 um 13 uhr bis kurz vor 16

die feine straße im zentrum, der fahrstuhl mit schlüssel, die eleganten kleinen zimmer in der 3 oder 4 zimmerwohnung ein wenig von Wiegmann (LINK), alte möbel, bildbände, puppenfiguren (1 tang-pferdchen), der foxel, der lange an den mitgebrachten blumen schnuppert, die bedrückend schöne frau, deren lächeln ich hätte im bilde mitnehmen sollen und wollen, cognac, kreppel mit zuckerguß, die selbstvorstellung eigentlich im anschluß an brudzínskis* neugierige fragen, peter schneiders „ansprachen“ zum geschenk, besonders „wir haben fehler gemacht“**;

ein wenig über politik   (das ist präzise formuliert), ob die führer der kp’s überhaupt kommunisten sind (wenn ichs recht verstanden habe), die chinesischen eingeschlossen; ich widerspreche für china, lipinski war auch dort: 1954 und irgendwann später 1964? dessenungeachtet zeigt mir die altchinesische steinabreibung an der wand; seinen besitz habe er bis auf eine figur im krieg verloren; deutsch könne er nur das, was er in buchenwald gelernt habe, zitiert ein kommando; die revolution müßte in deutschland (oder sonst in westeuropa) siegen, die russen hätten nie freiheit gekannt; man behandle polen im westen als das erste land asiens und im osten als anfang von europa;

nach angemessener zeit gehen wir nach oben in sein studio: zwei zimmer unter dem dach, eins elegant mit kleinem fernseher und schlafgelegenheit, karikaturen, bücher, kartotheken, korrespondenzen , eingetütete fotos, material für buch und fernsehsendungen, ein materialberg, der bei mir den eindruck hervorruft: den kann er doch nicht mehr verarbeiten, was wird damit werden; er zeigt mir bereitwillig alles mögliche, übersetzung oder erklärung ist kaum aus ihm herauszukriegen; kommt da die berüchtigte oberflächlichkeit hervor, mit der wir bei der arbeit an der commune-karikatur soviel frustration erlebten?!

ich kriege die adresse von krauze, fotografiere etwas, meine für mich wichtigen fragen kann ich erst unten im letzten moment stellen in offiziöser atmosphäre mit dolmetscher (ein gleich alter sehr zurückhaltender schwiegervater (?))

schluß damit; ich war deprimiert von diesem noblen ruhestand und wollte nur noch  krauze*** treffen, und das war dann zeitlich nicht mehr möglich.

der sprachwechsel: nach übereinkunft und offenherzig französisch, warm geworden sogar kurze zeit deutsch, offiziös polnisch mit dolmetscher , von mir am ende wieder ins französisch geleitet für einen persönlichen abschied.

Lipinski 1948 – 11.Olympiade Abfahrtsrennen der Währungen Englands und Frankreichs

die auskünfte: mir ist jetzt klar, daß er es am liebsten bei einem andeuten der politik belassen hätte, und – als er mir die auskünfte nicht verweigern konnte – „mauerte“, ein moment, der bei aller peinlichkeit ein gutes hatte: einen eindruck vermittelte, wie lipinski sich vierzig Jahre  in der Volksrepublik  als öffentliche Person halten konnte.

klar, daß er „die positive karikatur“ letztlich für eine mißgeburt hält, daß unterstützung und ermahnung ohne genauen adressaten und in der vermutung vorgebracht, es gehe alles immer besser, gegen ihre natur sei; zwei tagungen darüber hätten keine befriedigende antwort gefunden; daß die junge generation sich dieser aufgabenstellung versagt,  erklärt er damit, daß sie nicht den optimismus habe, den sie gehabt hätten;

warum wieder die fabel-form? – sie könnte den zensor passieren (so brutal sagte er es nicht, aber diese aussage stand unverbunden zur vorigen im raum : die politische karikatur sei gegenwärtig in polen inexistent.

übt unverbindlich kritik an der konkurrenzlosen situation von Szpilki am beispiel einer unangemessenen behandlung seiner chile-zeichnung, die nachher einen preis bekommen habe. rückzug auf den humor.

 

ANHANG

www.muzeumkarykatury.pl/index.php/en/about-the-museum/about-eryk-lipinski

+ Eryk-Lipiński-Karikaturmuseum Auszug aus de.wikipedia: „Am 15. September 1978 wurde das Museum als Filiale des Adam-Mickiewicz-Literaturmuseums gegründet. Gründungsvater und erster Direktor des Museums war Eryk Lipiński, ein in Polen bekannter Journalist, Grafiker und Szenograf. Anfangs wurden nur Exponate aus der privaten Kollektion von Eryk Lipiński ausgestellt. Später kamen Gaben und Geschenke zahlreicher anderer Autoren und Eigentümer hinzu. Das formelle Entstehen des Museums garantierte weder einen eigenen Ausstellungsort noch ein Büro oder eine Sammelstelle für die Werke. Deshalb fanden die Ausstellungen entweder im Adam-Mickiewicz-Literaturmuseum oder anderen privaten Räumen und Sälen statt. In diesen 5 Jahren bot Eryk Lipiński eine hohe Aufopferungsbereitschaft auf. In den Jahren vor der offiziellen Eröffnung sammelte er alles, was er finden konnte, mit dem Gedanken, ein solches Museum eröffnen zu können.[1] Bei der Organisation und Durchführung hat ihm sicherlich die Mitgliedschaft bei der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei geholfen.

* Wieslaw Brudzinski , dessen Aphorismen ich bereits am 5.10.1976 erwarb als Band 266 der bibliothek suhrkamp (1970) „Die rote Katz – auf Deutsch aus dem Sack gelassen von Karl Dedecius„, z.B. S.84 „Er hatte umsonst auf die Ankunft des Messias gewartet. Messias kam – mit einem eigenen Judas“ oder“ Als er sich zur Wahrheit durchgeschlagen hatte, war sie nicht mehr dort.

** Peter Schneider Zitat 1967 bei sit-in Audimax FU Berlin, „Ansprachen – Reden Notizen Gedichte„, nachwort klaus wagenbach  1970 (LINK). –  Aus dem zeitlichen Abstand fällt mir eine systemübergreifende ‚condition humaine‘ in Ost und West auf, die reichlich Anlässe zu Klage und Anklage liefert.  Während sich Satiriker in Polen als Plagegeister und lästige Clowns begriffen, bediente Peter Schneider erfolgreich die deutsche ‚1968er‘-Programmatik – durch  ‚Jammern auf hohem Niveau‘, moralisches Pathos und die inzwischen hässlich gewordene Pose des Aufbruchs. ‚

*** Andrzej Krauze (*1947) – Wikipedia – https://en.wikipedia.org/wiki/Andrzej_Krauze  – erzählt sein Leben. DeepL übersetzt mir etwas über die 1970er Jahre: „Viele seiner Karikaturen wurden zensiert, aber Krauze sah darin eine kreative Herausforderung und verbrachte die nächsten sechs Jahre damit, die Zensoren zu ärgern und seine Leser zu unterhalten. „Er war ein Kultkünstler“, erinnerte sich Wojciech Chmurzynski, Direktor des Warschauer Karikaturmuseums, im Jahr 2001: „In den 1970er Jahren war er für die Menschen in Polen sehr wichtig, und seine … Karikaturen waren allgemein bekannt.“ Zuzanna Lipinska, die Tochter des Gründers des Karikaturmuseums, stimmt dem zu: „Karikaturen waren wichtig, weil es viele Dinge gab, die nicht direkt gesagt werden konnten, so dass man metaphorische Wege finden musste, sie zu sagen. [Krauze] drückte die Unzufriedenheit der jungen Generation mit dem Regime aus… Er fing die tragikomische Realität Polens ein, die Absurdität des polnischen Lebens. Ende der 1970er Jahre beschloss Krauze, sein Glück im Ausland zu versuchen. Er schrieb weiterhin für Kultura, aber 1979 zog er nach Paris und nach nur einem Monat nach London…. Mit der Erklärung des Kriegsrechts in Polen im Dezember 1981 blieb er in London,erhielt politisches Asyl und wurde britischer Bürger.“

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