Der folgende Disput entbehrt nicht der Komik. Ein kurzer Leserkommentar zu meinem bereits 2014 erschienenen Beitrag bietet als Schmankerl ‚Volkes Stimme‘ in Reinkultur. Genial, dass dazu keine Sachkenntnis mobilisiert werden muss. Ich behandle den Autor wie einen vorlauten Schüler und darf bereits vierzig Minuten später meinerseits eine Zurechtweisung lesen. Ich bin über die Schärfe des Tons überrascht, weniger über das demonstrative Übergehen von Argumenten. Das ist auf ’sozialen‘ Plattformen heute normal. Schon deshalb meide ich sie. Ihre Unruhe stört konzentriertes Arbeiten. Hinter dem folgenden Wortgeplänkel versteckt sich aber wahrscheinlich echter Richtungsstreit. Also lohnt es die Lektüre. Gv. am 24. September
Word Press 18.09.23, 16:26
Ein neuer Kommentar zum Beitrag „Yanda-Figur der Azande, die erste“ (LINK zu „Yanda-Figur der Azande, die erste) wartet auf Ihre Freigabe.
Guten Tag,
sehr ambitioniert beschrieben, interessant.
Sie wissen natürlich, dass 99 Prozent dieser angebotenen Artefakte Nachbildungen, bzw. für den Verkauf angefertigt worden sind, und somit nicht authentisch im Sinne von im Kult verwendet worden sind.
mfg. Klaus Scheuringer
21.09.23, 16:42
Ihr Blogkommentar, meine Antwort per Email: 21.09.23, 15:56
Sehr geehrter Herr Scheuringer,
Man kann sich fremden Kulturobjekten auf ganz verschiedene Weise nähern. Doch Ihr Kommentar scheint mir im doppelten Sinne aus der Zeit gefallen und Ihr Lob ironisch gemeint. Mich würde interessieren, was Sie konkret zur Wortmeldung veranlasst hat. Sind Sie häufiger auf den üblichen Plattformen unterwegs?
Ich antworte Ihnen nur, weil Sie mir Gelegenheit bieten, das Konzept des Afrika-Blog noch einmal zu erklären, vor allem Sammlern.
Wenn Sie Sammler wären – was ich nicht glaube – dann wohl einer der Art, die sich von Experten – um nicht zu sagen ‚Päpsten’ – wie Schädler und Himmelheber haben einschüchtern lassen. Die dominierten in Deutschland und Österreich mindestens ein halbes Jahrhundert, ungeachtet zur persönlichen Nähe zum Kunsthandel. Schädler firmierte mit sichtbarem Stolz als durch eine Handelskammer geadelter Gutachter.
Ich empfehle Ihnen dazu meinen Post von 2019: „Deutsche Sammler : Ängste – Autoritäten – Allergien , 26. August 2019 | dvg“ (LINK)
Darin erwähne ich ein „Künstlern“ unterstelltes „magisches Auge“. Sie nehmen so etwas offensichtlich nicht in Anspruch.
Dann gab und gibt es noch Paris und Brüssel mit berühmten Namen wie Raoul Lehuard oder Francois Neyt. Sie konnten wenigstens als kunsthistorische ‚Schule’ argumentieren.
Sie nennen meinen Artikel von 2014 höflicherweise „ambitioniert“ und „interessant“
Was dann folgt, zeigt, dass Sie meinem Blog nicht weiter gefolgt sind, nicht einmal dem kaum später erschienenen Beitrag „EX Die zweite Yanda-Figur der Azande Informationen! 29. November 2014 “ (LINK) . Darin bereiteten weitere Informationen und Überlegungen schließlich meine Rückgabe („EX“) dieser Figur vor.
Die Objektbeschreibungen sollen die Stücke oder den Verfasser nicht ungebührlich „interessant“ machen, sondern haben sich über die Jahre als Basis für die persönliche Beziehung zu den fremden Dingen und ihre Untersuchung bewährt. Wer als Sammler dafür sich nicht die Zeit nehmen kann oder will, bleibt im Stadium des Zusammenraffens gefangen. Manche berühmten Sammler haben diese Aufgabe an Händler oder akademische Fachleute delegiert.
Als Beispiel mag der Abschnitt „Die Afrika-Sammlung von Han Coray in Schweizer Museen – Ein Überblick” in „Chéri Samba trifft Werke “schöpferischer Ahnen” bei Han Coray , 10. Mai 2020″ dienen. (LINK)
Ein Aspekt, den Sie vielleicht nicht aussprechen wollten, ist der ‚Flohmarkt’ mit seinen überwiegend afrikanischen ‚fliegenden Händlern‘. Ich bin mit diesem Ort immer wieder bewusst an die Öffentlichkeit gegangen, weil für Museen und Galerien die Aufrechterhaltung der ’seriösen‘ gesellschaftlichen Fassade die längste Zeit über zentral gewesen ist. Erst die aktuelle „Dekolonisierung“ hat sozusagen den ersten Pflasterstein in die Schaufenster der Museumssammlungen geworfen und das Wort „Kunstraub“ gesellschaftsfähig gemacht, egal ob im Einzelfall berechtigt oder nicht.
Objektbezogen scheinen mir die Interessen an „Restitution“ sich auffällig auf relativ wenige Objekte von internationalem Prestige zu fokussieren, vielleicht auf die von Ihnen vorgeschlagenen „1 %“. Die allermeisten Objekte haben ihr erstes Leben in afrikanischen Gesellschaften endgültig hinter sich, und die wenigstens davon eine Karriere als „Kunst“ vor sich.
Was Sie vielleicht nicht wissen: Der internationale Markt für afrikanische Kuriosa oder Kunst ist gewiss zwei Jahrhunderte alt.
Das Verhältnis von afrikanischem Handwerk zu rituellen (oder repräsentativen) Funktionen war und ist nicht anders als bei uns etwa im ‚Schoß’ der Heiligen Katholischen Kirche:
Die zahlungskräftigen Auftraggeber stellen Anforderungen im Rahmen der lokal gültigen Beschränkungen, sie übernehmen, modifizieren und ‚weihen‘ erst die bestellte Ware. Kranke Individuen und gefährdete Familien lassen sich Heilfiguren vom traditionellen Heiler ‚verschreiben’, wie zum Beispiel diese Yanda-Puppen. Entsprechende Aufträge geben auch lokale Tänzer für ihre Auftritte, Dörfer, auswärtige Händler, lokale Kolonialbeamte u.s.w.. Nur die magischen Eigenbau-Objekte der ärmsten Randgruppen waren meist nicht verkäuflich.
Übrigens: Wer würde sich Gedanken machen über den ‚kommerziellen’ Aspekt alpenländischer Herrgottsschnitzerei.
Ich bin belgischen und amerikanischen Afrikanisten und Kunstethnologen überaus dankbar für ihre historischen Feldforschungen zu Geschichten, Kontexten und Formen. Als Pensionär kann ich mir manchmal noch Zeit nehmen für wissenschaftliche Literatur, die in Bibliotheksregalen vor sich hindämmert.
Mit freundlichem Gruß Detlev v. Graeve
21.09.23, 16:42
AW: Ihr Blogkommentar, meine Antwort:
25.09.23 0:10 Herr Sch. soll sich nicht mehr ärgern. Diese Antwort steht nur noch im Blog
Ich hatte das Milieu von Selbsthilfegruppen wie „Great oder Fake“ (dämlicher Titel!) nicht mehr im Blick, war selber ein Jahr lang (passiv) im von einem Galeristen im Elsass organisierten Kreis! „Deal or not Deal“ klingt pragmatisch, aber ich habe kein Interesse an Kapitalanlagen. In Mailand verspricht ein Institut, durch technische Analysen die quälende Sorge um „Authentizität“ im Einzelfall zu beenden oder wenigstens zu lindern, Ich bekam kürzlich die privilegierte Chance einer kleinen Materialanalyse durch ein Institut in Amerika. Die Herkunftsregion der ungewöhnlichen Pende-Figur wurde wie erwartet bestätigt, aber wozu? In Kinshasa konnten oder wollten die befragten Pende-Honoratioren nichts zu deren Identität sagen, obwohl sie der Forscherin ihre persönliche Wertschätzung äußerten. Grund mögen das übernommene Christentum sein („In these Christian days, it’s hard to find anyone willing to admit knowing a diviner.„) und vielleicht ein Erstaunen über immer neue Therapiepraktiken und ästhetische Formen.
Die Restauratorin Leslie Bone hat durch ihre Arbeit an richtig teurem Material Erfahrungen gewonnen, die sie in ‚A Conservator’s View of African Sculpture’ schildert (Tribal Art Magazine, unter: people_188, deutsch im Blog vom 8. Mai 2016 (LINK).
Die starke Kapitalisierung und Politisierung der Kunstsphäre sowie verschärfte akademische Konkurrenz zwingen zur Absicherung in alle Richtungen. An wen können neugierige Sammler sich also noch wenden, um nachvollziehbare, aber immer auch hypothetische Antworten auf ‚Sinnfragen‘ zu bekommen? Dem interessierten Laien wird individuelle Neugier schnell als störende Donquichotterie angekreidet. Bin ich schon ein Querdenker?
Eine spießige Selbstbezogenheit bei Sammlern ist immer noch verbreitet – ‚Euro-zentrismus‘ ist ein Euphemismus. Ihre Fremdheit zu „afrikanischen“ Normen ist immer noch sehr groß, schon weil der meist niedrige Status afrikanischer Zuwanderer nicht zur Auseinandersetzung zwingt und ‚Politik‘ wie Medien lieber auf bequeme, aber verlogene Sprachregelungen setzen.
Afrikanische Traditionen haben sich während fast zwei Jahrhunderten der Umwälzungen zur Unkenntlichkeit verändert oder sind verschwunden. Dem steht auch heute noch bei uns untergründig eine rudimentäre Völkerpsychologie aus der Kolonialzeit gegenüber. Oft scheint man bei der Phantasterei eines Carl Einstein (1915) stehen geblieben zu sein:
Dazu in: http://detlev.von.graeve.org/?p=4098 – Wieder zu ‘Negerplastik’ – nun in Z. S. Strother’s Begleitung
Kunstgeschichtlich war die Zeit unmittelbar vor den Kolonialeroberungen alles andere als eine ‚Goldene Epoche‘ der afrikanischen Kulturen, sondern der Beginn massenhafter Zerstörungen, materiell und mental, und des Kunstraubs, von dessen ‚Schnäppchenjagd‘ heute noch Teile des Kunsthandels profitieren. Die Antwort darauf darf nicht in „epochalen“ Jahreszahlen wie „1897“ (Benin“) oder einer chronologischen ‚Kellertreppe‘ handwerklicher Qualität bestehen, etwa:“erste Hälfte zwanzigstes Jahrhundert„.
Drei Beispiele:
‘Making History’ – Eine Fanfare! (Ogbechie & Benin) – aktuell! (2021, LINK:)
Charles Ratton – schlechte und gute Provenienz im Kunsthandel 2. September 2018 (LINK)
Die Erfahrungen von Owen D. Mort jr. zur vom Experten Patrick Claes befeuerten Obsession für „authentische“ Kunst im Kinshasa (nach 1970) (LINK) :
Andererseits sind Formen eines ästhetischen Widerstands auch im 20. Jahrhunderts aktiv gewesen, wie Zoé Strother (Columbia University) an einem Beispiel zeigt:
Das war das 20. Jahrhundert zwischen Kwilu und Kasai – Die PENDE , 20. Sept. 2017 (LINK)
Mir bleibt schleierhaft, warum Sch. für seine Wortmeldung ausgerechnet eine „Azande“-Puppe ausgesucht hat, ein kunstloses, unprätentiöses und kaum normiertes Gebrauchsobjekt, das schon äußerlich nichts hergibt. – Mich überzeugt es aber. Und das Beschreiben verlangt Übung.
Die Azande hatten die kleineren Völker nördlich und südlich des Ubangi-Flusses unterworfen, ihre Eliten beuteten sie aus, ein halbes Jahrhundert lang als arabisierte „Sultane“ im Dienst der „Sudanesen“. Die Azande selbst hatten keine nennenswerte Figurentradition. Jan-Lodewyk Grootaers spricht von der ganzen Gegend als „Kontaktzone“ (in „Ubangi“, LINK).
Und von dort aus – angeblich der Ortschaft Rafai (LINK) – breitete sich um 1900 der „Mani-Kult“ mit seinen „Yanda“ aus. Größere Figuren dienten dann als diplomatische Geschenke von Kultvertretern an Tochtergesellschaften in verbündeten Dörfern.
Momentan versuche ich mehr über die Geschichte von Stammes-Identitäten in Zentralafrika zu erfahren, am Beispiel der ‚Tetela’: Luc de Heusch erzählt uns die Geschichte der Tetela (Nacherzählung) 20. April 2023 | (LINK)
Meine Informationsquellen sind übrigens seit Jahren oder Jahrzehnten publiziert, manchmal auf Französisch, meist auf Englisch. Es gibt an den Figuren und Masken aus noch Vieles zu entdecken. Man muss sich nur dafür interessieren.
Was heute in Afrika als „authentisch“ gelten kann, ist außerhalb der Reichweite der Urteile westlicher Kunstautoritäten. Es ist Verhandlungssache vor Ort.