Dieser Beitrag findet eine Fortsetzung am 14. August, weil ich auf ein zweites und früheres (1995/96) Bild desselben Themas gestoßen bin. (LINK)
In ihrer Ausstellungsrezension von „Fiktion Kongo“ machte Maria Becker (NZZ,29.1.20) eigens auf das Bild aufmerksam, das im Katalog die Nr.1 trägt, aber dort unübersetzt allein für sich sprechen muss. In einem handgeschriebenen Text im Bild schildert der Volksmaler aus Kinshasa seine Begegnung mit traditionellen afrikanischen Holzskulpturen in den Räumen des Völkerkundemuseums der Universität Zürich.
„HOMMAGE AN DIE SCHÖPFERISCHEN AHNEN“
Als ich auf offiziellen Wunsch das Völkerkundemuseum der Universität Zurick besuchte, das sich im Keller eines Gartens voller Bambus befindet, fiel mir die große Anzahl antiker Gegenstände (Masken, Textilien, Statuen usw.) auf, alle von sehr hohem Standard, die in diesem Raum eingeschlossen sind. Ich hatte das Gefühl, als würden einige dieser Gegenstände meinen Körper ‚reiben’. Ich war damals davon überzeugt, dass diese Objekte immer noch ihre übernatürlichen Kräfte hatten und dass sie echt waren, da der Markt zu dieser Zeit noch keine Konkurrenz war und es daher keine falsche Münze geben sollte. Ich war trotzdem überrascht zu erfahren, dass Herr Coray, der die beeindruckende Sammlung zusammengestellt hatte, Afrika nicht (persönlich) kannte, von wo die Werke seiner Sammlung stammten, um die Schöpfer zu treffen, denen ich meinen Tribut zolle.
Gibt es andere Sammler wie Herrn Coray ? CHERI SAMBA 1999?“ (Übersetzung Gv., Original am Schluss)
CHÉRI SAMBA : HOMMAGE AUX ANCIENS CRÉATEURS
En visitant par demande officielle la salle d’exposition de Völkerkundemuseum der Universität Zurick se trouvant dans le sous-sol d’un jardin plein de bamboux, l’étais frappé par le grand nombre d’objets antiques (masques, textiles, statues…) tous de très haut niveau que renferme cette salle. Je sentais comme si quelques uns de ces objets me faisaient des frictions au corps. J’étais alors persuadé que ces objets avaient toujours leurs pouvoirs surnaturels et c’étaient de vrais // puisqu’ à cette époque le marché n’était pas concurrence et il ne devait donc pas y avoir de fausse pièce. J’étais tout de même étonné d’apprendre que Mr Coray qui avait monté cette impressionante collection n’avait pas connu l’Afrique d’où provenaient les oeuvres de sa collection pour rencontrer les créateurs à qui je rends hommage. Y a t-il d’autres collectionneurs semblables à monsieur Coray? CHERI SAMBA 1999
Zu sehen sind fünf ‚klassische‘ Figuren – erkennbar ‚königliche’ Kuba und Luba – und eine mit farbigen Perlen besetzte Königsmaske der Kuba. Sie stehen auf einem kleinen Tisch, wie sie in Depots herumstehen, die Tischplatte offenbar Furnier. Dahinter hat Cheri Samba im Zentrum Platz genommen, die Arme verschränkt, mit streng gezirkelter Frisur (nicht die bekannten Afrolocken), großer Brille und Schnauz, in weißem Hemd und elegantem rotem Blazer, mit zwei Siegelringen. Alles passt gut zu einem offiziellen Besucher.
Das Kunstlicht wirkt kalt. Ein blauer Hintergrund deutet den Durchgang zu einem weiteren im Keller gelegenen Ausstellungsraum an. Rhomben-Dekoration und die gepflegten Schriftkolonnen rahmen den Durchgang ein. Die Objekte sind ihren Vitrinen entnommen und zufällig aufgestellt. Der Gast posiert für ein Erinnerungsfoto. Die Vorgaben waren: Leicht erhöhter Blickwinkel, symmetrischer Bildaufbau und keine verzerrten Linien. Ob er den Betrachter anschaut, lässt sich wegen der spiegelnden Augengläser jedenfalls auf der Reproduktion nicht klären. Die kleinen Skulpturen sind dem Betrachter zugewandt.
Die hochemotionale Begegnung mit den Gegenständen ist bereits vorbei, vielleicht auch die Frage nach dem Sammler Coray. Das konventionelle Bild gibt dem Text eine Bühne, um mehr scheint es nicht zu gehen. Wieder eine der vielen europäischen Auftragsarbeiten Chéri Sambas? Abwarten!
Ich lese mich in das quadratische schwarze Paperback „Cheri Samba“ (W. Bender Hrsg., Trickster München 1991) ein und blicke jetzt hinter die spiegelnden Augengläser.
„Bürger Samba wa Nbimba N’zinga genannt Chéri Samba (Ex-David)“ – So der Titel seines sympathisch uneitel geschriebenen Lebenslaufs (S.9-13)
Der 1956 in Madimba/Bas Kongo geborene Sohn eines Schmieds und einer Bäuerin muss aus finanziellen Gründen den Schulbesuch mit der neunten Klasse beenden und beginnt 1972 in Kinshasa als Gehilfe eines schlichten Schildermalers. Mit seinen kritischen und drastischen Bildkommentaren zum Alltag der Stadtbewohner (Kinois) wird der Maler Samba schon mit zwanzig Jahren populär und mit vierundzwanzig auch international begehrt.“Nach und nach wählt er seine Themen aus dem täglichen Leben und aus den Mythen. Oft kann man ihn auch selbst auf seinen Bildern sehen, denn seine zahlreichen Bewunderer sollen ihn kennenlernen. Wohlgemerkt, dieser Maler verwendet im wesentlichen die Technik der Comics. Er hat eine Vorliebe für Liebesszenen. Seine Bilder sind voller Erotik, manchmal grenzen sie an Pornografie.“ (10)
Leider werden seine Arbeiten irgendwann in Kinshasa unsichtbar, oft werden sie von der Staffelei weg ins Ausland verkauft, aber bei der grassierenden Verarmung können sich seine Kunden den Zimmerschmuck ohnehin nicht mehr leisten. Dafür steigt der Druck auf den Künstler, mehr davon für den internationalen Markt zu liefern. Dabei gehören seine deftigen Comix in diese chaotischen Megapolis und nicht ins großbürgerliche Ambiente, wo sie als exotische Erotica absterben. Es stimmt mich etwas traurig, unter jeder Reproduktion einen anderen europäischen Sammlernamen zu lesen. Werden seine Arbeiten nicht ebenso entwurzelt und in alle Winde verstreut wie die bewunderte Kunst der Ahnen?
Freilich hat Chéri Samba seinen nüchternen Blick auf die Welt nicht verloren. Er kann für sich behaupten: Der Künstler ist überall zuhause, ob in Paris oder in Kinshasa… aber er sagt auch: Bei meinen Reisen habe ich festgestellt, dass alle Länder mehrere Gemeinsamkeiten haben. Ob in den Industrieländern oder in der Dritten Welt, überall gibt es Elend, viele Menschen haben nicht genug zu essen. (1990, 13)
Wo wir den Autor nun besser kennen, schauen wir die Bildtexte noch einmal an und befragen die Aussagen im Einzelnen.
1 …. antike Gegenstände (Masken, Textilien, Statuen usw.), alle von sehr hohem Standard. Ich war damals davon überzeugt, dass diese Objekte …… echt waren, da der Markt zu dieser Zeit noch keine Konkurrenz war und es daher keine falsche Münze geben sollte.
Chéri Samba scheint die ästhetischen Urteile und Vorurteile der Pariser Galerieszene zu übernehmen, sogar deren Verkaufsrhetorik. Man setzt vorkoloniale Entstehung oder höfischen Kontext mit Echtheit gleich und verteufelt den Markt des 20. Jahrhunderts, das eigene Geschäft natürlich ausgenommen. Wir werden sehen, dass die Sammlung Corday in diesem Milieu erworben wurde.
Der Rietberg-Katalog widmet Hans Himmelhebers Begegnung mit den äußerst produktiven Werkstätten der „Kuba“ ein eigenes Kapitel. Das Kuba-Reich nutzte im Widerstand gegen die belgische Kolonisierung einen „Kuba-Mythos“, der durch „Holzfiguren“ und „Holzartfakte“ wie „atemberaubende Tänze und Maskenperformances“ Besucher, Sammler und die Kunstschaffenden der Klassischen Moderne inspirierte, von Klimt zu Klee und Matisse. („Fiktion Kongo“ 116)
Der Weg der Objekte zu Han Corday darf Chéri Samba in diesem Moment nicht interessieren. Denn die ausgesparten Ränder neben der Malerei sind schmal. Nur das Wichtigste! Chéri ist gewohnt, sich kurz zu fassen.
2 …. Ich hatte das Gefühl, als würden einige dieser Gegenstände meinen Körper ‚reiben’. Ich war damals überzeugt, dass diese Objekte immer noch ihre übernatürlichen Kräfte hatten….
Frage: Warum hat er statt der konventionellen Repräsentationsstücke vor sich auf dem Tischchen nicht die in seiner Heimat dominierende Kunst der Kongo, Yombe, Vili, Woyo oder deren Nachbarn versammelt? Waren solche Objekte, – etwa die „Nkisi“-Fetische (LINK) – zu stark für sein Bild?
Bezog er sich mit der Erwähnung von meinen Körper ‚reiben‘ vielleicht auf Dinge, die wir nicht zu sehen bekommen? Die direkte Berührung und Reibung war nach Raoul Lehuard („Art Bakongo“) typisch für den therapeutischen Umgang mit magischen Objekten, namentlich in dieser Region. Chéri könnte das in seiner Kindheit selbst erfahren haben.
Spielte die verbreitete Überzeugung eine Rolle, dass die Afrikaner im katastrophalen zwanzigsten Jahrhundert den Kontakt zu den unsichtbaren Mächten immer mehr verloren haben, ebenso wie den zur tradionellen materiellen Kultur? (Siehe ‚“Die Weissen halten unsere Geister gefangen “ – Unterwerfung, Magie und Entfremdung‘; LINK)
Oder hat sich die Zusammenstellung auf dem Tischchen zufällig ergeben? Und kam es Chéri Samba auf die Einzelheiten gar nicht an? HOMMAGE AN DIE SCHÖPFERISCHEN AHNEN bedeutet eine allgemeine Würdigung.
3 Ich war trotzdem überrascht zu erfahren, dass Herr Coray, der die beeindruckende Sammlung zusammengestellt hatte, Afrika nicht (persönlich) kannte, von wo die Werke seiner Sammlung stammten, um die Schöpfer zu treffen, denen ich meinen Tribut zolle.
Was wusste der Künstler in diesem Moment wirklich? Er besaß schließlich zwanzig Jahre Erfahrung mit dem internationalen Kunstmarkt. Was hatte man ihm im Museum zu Han Coray und dessen Sammeltätigkeit erklärt? (LINK wikip.)
Etwa, dass Han Coray (1880-1974) ein unruhiger und leicht entflammbarer Geist war, Reformpädagoge, Kunstliebhaber, Mäzen, Galerist und besessener Kunstsammler? Dass er 1926 bis 1928 schätzungsweise 1 Mio Schweizer Franken in Paris in ein paar tausend afrikanische Objekte investierte? 1925/26 verkaufte er dafür einen Raffael und einen Botticelli. Sein Projekt war: „Ein Ehrenmal altafrikanischer Kultur würde es nie geben, wenn ich es nicht baute.“ Ihm sollte das nicht gelingen. 1933 übernahm die Bank.
„Die Afrika-Sammlung von Han Coray in Schweizer Museen – Ein Überblick“
Andreas Schlothauer erörtert den aktuellen Informationsstand in seinem Beitrag für eine Tagung in St.Gallen in der Halbjahresschrift „Kunst & kontext“ 1/2016 ( kk11_coray_sammlung, LINK)
Die Geschichte der Objekte war danach immer auch eine des Kunsthandels, der sie verwertenden Bank, und eine Erwerbsgeschichte mehrerer schweizer Museen, die jeweils Partien hin- und herschoben, Pakete übernahmen, wieder ausschieden und auch wieder in den Kunsthandel gaben. Sammlung Coray ist ein griffiges Etikett. Es ist umstritten, ob Herr Coray jemals selber auch nur Verzeichnisse angefertigt hat. Han Coray war eine Durchgangsstation in der Wanderschaft zusammengewürfelter traditioneller afrikanischer Objekte, oder solcher in traditionellem Stil, denn sie bestand klar unterschiedenen Qualitätsstufen, bis hinunter zu „5 sfr“, wie es im Gutachten Charles Ratton (LINK) feststellte.
Die Sammlung, zu einem guten Teil von den Pariser Kunsthändler Guillaume zusammengestellt, entsprach „der franco-belgischen Geschmacksrichtung, die besonderen Wert auf hoch verfeinerte, oft komplizierte handwerkliche Ausführung, glatt polierte oder patinierte Oberflächen sowie einen zurückhaltenden stilisierten Realismus legte.“ (William Rubin in „Primitivismus“ 1985, 25, Einleitung).
Bewunderung – Höflichkeit – Überraschung – Kritik ?
Wenn Chéri Samba in diesem Museum die großartige Sammlung lobte, war dies sicher ein Zeichen seiner Höflichkeit. Seine Verwunderung über Corays Erwerb ohne Kontakt mit Afrika und den schöpferischen Ahnen aber lässt sich auch als diskrete Kritik lesen, erst recht in Verbindung mit dem Bildeindruck der gruftigen Umgebung des Kunsttempels, worin die Werke der Meister eingeschlossen sind wie Schneewittchen im gläsernen Sarg, wunderschön, aber im Wachkoma. Das Bild könnte Cheri Samba im Besuchsraum einer speziellen Haftanstalt zeigen.
Die Redakteurin Maria Becker überträgt die Bildszene auf die Kunstausstellung, und nicht nur auf diese:
„Der Maler sitzt an einem Tisch, vor ihm stehen historische Kultfiguren und Objekte: genau solche, wie wir sie hier greifbar vor uns haben. Wohlkonserviert sind diese Dinge, und noch immer haben sie die Aura ihrer Kraft. Doch sie befinden sich im leeren Raum. Der Tisch steht für ihre Präsentation im Museum, für ihre Ortlosigkeit. Einst waren sie vielleicht Kraftfiguren, die kultische Strahlung hatten. Ohne Kontext sind sie tatsächlich ihrer Seele beraubt – und so auch ein wenig vergleichbar den Menschen mit dem geraubten Schatten.“ (NZZ 29.1.2020)
In Afrika wäre der Lagerungsort der Dinge vielleicht ein Hain, ein abgegrenzter, von Verboten und Sanktionen geschützter Naturraum, der in dieser Form Teil der Gemeinschaft ist und zum Zweck der Initiation oder Konsultation bespielt wird. Oder gar wird das Dorf beim Fest bespielt, oder das Haus oder sogar der Körper mit Geräten, Schutzfiguren und Schmuck bereichert. Doch man muss hinzufügen: Es wäre gewesen, das gibt es so nicht mehr.
Die Ergebnisse von Provenienzforschungen irritieren und verunsichern allmählich das kunstbeflissene zahlende Publikum Westeuropas. Wollte Chéri Samba bereits vor zwanzig Jahren seine Gastgeber auf diese Fährte setzen? Oder gab er ’nur‘ einem Gefühl Ausdruck?
Er holt das Thema auf seine individuelle emotionale Ebene. Die Zusammenstellung auf dem Tischchen vor ihm lässt keinen inneren Zusammenhang erkennen. Er hat sozusagen zwei ‚Porsche‘ und zwei ‚BMW‘ vor sich stehen, und noch ein paar andere Statussymbole, eben die Prestige verleihenden und Geld einbringenden „Kuba“ und „Luba“. Er selber ist ein moderner Kongolese, dem Lebensgenuss zugewandt und international vernetzt. Man kann nicht Alles haben im Leben.
Ich stelle mir eine Ausstellung seiner Arbeiten in Kinshasa oder Lumumbashi vor, die Filip de Boeck unter dem Motto „Dancing the Apocalypse“ (2001,LINK) kuratieren würde, für ein Publikum, das sein heutiges Leben dort mit dem von vor zwanzig oder dreißig Jahren vergleichen kann. Ein Leben, das die Menschen vor die Herausforderung stellt, „die Ordnung“ und damit sich selbst jeden Tag neu „zu erfinden“ („Reinventing Order n the Congo – How people respond to State Failure in Kinshasa„, Th.Trefon* 2004; LINK). Vielleicht erinnern meine Leser sich auch noch an den Film „Kinshasa Symphony“ (2010; LINK).
NACHBILD
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