Ein starker Fetisch in Tervuren – Objekt-Recherche von Maarten Couttenier

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Der Weg des Objekts EO.0.0.0.7943 aus Boma ins belgische Exil

Wer die ganze Story kennen will, fĂŒr den hat sie BMGN – Low Countries Historical Review,vol.133-2 (2018) pp. 79-90 – in ihrer Juni-Nummer hochgeladen, aber den  Link inzwischen  wohl gelöscht. Zum pdf: EO.0.0.7943.  Gut zu lesen, anschaulich, nicht zu lang.

 

Wir mĂŒssen uns bemĂŒhen, anonymen Objekten ihre Geschichte zurĂŒckzugeben, um den musealen Raum zu humanisieren, indem man ihm Geschichten und Gesichter gibt (83), schreibt Maarten Couttenier.

Tervuren Foto Plusj. nach: Couttenier fig.3

Im Fall der Depotnummer EO.0.0.0.7943 sind die Bedingungen gĂŒnstig: Das Objekt war bereits 1878  am Kongo prominent. Der Erwerber Delcommune schrieb 1925 in seinen Memoiren Vingt AnnĂ©es africaines Klartext. Die diversen Verlagerungen und Ausstellungen des Objekts in Europa und den USA ließen sich aus Aktennotizen ermitteln. Maarten Couttenier reiste schließlich 2016 nach Boma in der DRC und wurde dort sofort mit RĂŒckgabeforderungen von Honoratioren konfrontiert, sobald er ihnen nur das Foto zeigte.

Der Fetisch wurde in den kritischen Jahren unmittelbar vor der kolonialen ÜberwĂ€ltigung Zentralafrikas durch den Vertreter eines europĂ€isches Wirtschaftsunternehmens  erbeutet. Goma an der KongomĂŒndung, vorher ein fĂŒr seine neun ‚Könige’ und deren europĂ€ische Partner der verschiedenen Faktoreien profitabler Handelsplatz, wurde 1878 von DĂŒrre und Hungersnot heimgesucht. Der Handel kam fast zum Erliegen. Die ‚Könige‘ erhöhten die GebĂŒhren betrĂ€chtlich, um Einnahmen zu erhalten. Delcommune war Leiter einer solchen Faktorei und verfĂŒgte ĂŒber ein gutes Dutzend Söldner, die er mit Schneider- und Winchester-Gewehren ausrĂŒstete. Es waren vor Ort eingekaufte Sklaven und an der liberianischen KĂŒste angeheuerte Seeleute der Kru. Eine Kolonie existierte noch nicht, der Wind wehte aber schon aus dieser Richtung. Delcommune entschied sich nach Wildwest-Manier fĂŒr ĂŒberraschende FeuerĂŒberfĂ€lle auf die Dörfer der ‚Könige‘ und hatte Erfolg.

Das Objekt EO.0.0.7943 war ein großer Fetisch (Abbildung!), dem ĂŒbermenschliche KrĂ€fte zugeschrieben wurden und der seinem Besitzer ein Vermögen einbrachte. Da die große und schwere Figur auf der ĂŒberstĂŒrzten Flucht von ihren TrĂ€gern in den Busch geworfen wurde, konnte der Fetisch vor dem Verlust nicht entschĂ€rft werden, war also vollstĂ€ndig und funktionstĂŒchtig. Delcommune nutzte ihn anschließend zum Schutz seiner LagerhĂ€user vor einheimischen Dieben, mit dem Unterschied, keine GebĂŒhr zahlen zu mĂŒssen. (85) Der frĂŒhere Besitzer verhandelte nach dem ‚Friedensschluss‘ erfolglos um die RĂŒckgabe.

Der Aufsatz von Couttenier illustriert ĂŒbrigens auf afrikanischer Seite VerhĂ€ltnisse, die McGaffey (Link) und Kejsa Engholm Friedman (Link) prĂ€gnant charakterisiert haben.

Noch 2016 ging einer der Honoratioren in Boma davon aus, die Figur könne rituell reaktiviert werden und in Boma wieder ihren Dienst tun (81). Es war aber auch davon die Rede, ihn nach einer ‚Restitution‘ in einem Museum vor Ort aufzustellen.

Reaktivierung oder Musealisierung im Kongo – was fĂŒr eine Alternative!

Doch was  soll die Figur hier in Europa? Etwa herumgezeigt werden?

Die ĂŒber und ĂŒber mit Seilen und NĂ€geln ‚bekleidete’ Figur wirkt zwar imposant und furchterregend. Doch die ĂŒbrigen Fetische in Museumsdepots können diese kongolesische Ästhetik des Schreckens (Link) ebensogut reprĂ€sentieren. In einem Streit um kongolesische Objekte zwischen belgischen Akteuren fiel 1910 das böse Wort dirty Congolese things (87). Das passt auf einen Fetisch, dessen KrĂ€fte man ‚mieten‘ konnte und der durch heimtĂŒckisch eingefangene Seelen und Geister ‚beseelt’ wurde. Wer glaubt schon, dass dem Besitzer die moralische Berechtigung des Kunden fĂŒr seine Aktion wichtiger war als die Bezahlung? Ein Machtinstrument ist immer ambivalent.

Einen Eigennamen hatte und unverwechselbar war der Fetisch in seiner Heimat, wo wohl spĂ€ter eine Replik spĂ€ter den gleichen Schauder erzeugte. Man ‚erkannte’ zum Beispiel die Rinne auf der Stirn, die angeblich unzĂ€hlige hilfesuchende HĂ€nde verursacht hatten.

Und der Bildungswert? Lohnt die Verkörperung des universellen menschlichen Charakterzugs, immer zu den stÀrksten Waffen zu greifen, die Aufstellung in Europa?

WĂ€re das nicht zum Beispiel bereits jenen Milieus in Europa lĂ€stig, welche die ‚dunklen Seite’ afrikanischer Gesellschaft lieber verschwinden lassen oder klein reden, schon aus der BefĂŒrchtung, ‚Populisten’ wĂŒrden sie fĂŒr ‚rassistische‘ Propaganda missbrauchen?  Oder umgibt man das Objekt mit einem ideologischen Schutzwall in der Hoffnung, ein Redeverbot von Unautorisierten – etwa in den sozialen Medien – durchzusetzen?

Wenn der Fetisch im Ausland nicht gut aufgehoben ist, gehört er in den Kongo, auch wenn dort seine Überlebensprognose ungĂŒnstig ist. Es wĂ€re schon unwahrscheinlich, dass die Figur im Kongo bis heute  ĂŒberlebt hĂ€tte.  Dazu hĂ€tten nicht einmal Behörden und Missionare intervenieren mĂŒssen. Sie zog unweigerlich Neid und Hass auf sich. Bereits 1879 fĂŒhrte der Streit um den Besitz des Fetisch zu einer blutigen Fehde zwischen vorher verbĂŒndeten ‚Königen‘ in Boma. RegelmĂ€ĂŸig wiederkehrende Zerstörung von ‚Fetischen‘ (Ikonoklasmus) sei kongolesischer Alltag, wiederhole sich im Abstand von zehn bis zwanzig Jahren, schrieb ein Autor. Und jeden Tag entstehen dort neue.

Wenn er wirklich dort die kommenden Jahrzehnte ĂŒberlebte, könnte der Fetisch außer Dienst vielleicht irgendwann vom Beginn der dunkelsten Epoche des Kongo Zeugnis ablegen. Erst dann kĂ€me er fĂŒr den Rang eines „Weltkulturerbes“ infrage! Und wenn Deutschland auch in der Zukunft noch Experten fĂŒr die „Aufarbeitung“ barbarischer Zeitgeschichte ausleihen kann, könnten die den Nachgeborenen vielleicht Hilfestellung leisten. Das alles ist eher unwahrscheinlich.

Maarten Couttenier spricht von drei Restitutionsforderungen zu drei unterschiedlichen Zeiten. Damit verwischt er grundlegende Unterschiede der drei Restitutionsforderungen:

– Die persönliche RĂŒckforderung des nach afrikanischem Faustrecht Enteigneten, denn der Fetisch wurde von FlĂŒchtenden weggeworfen, wurde als Geisel des Siegers betrachtet und behielt zunĂ€chst seine afrikanische Nutzung

– die offizielle RĂŒckforderung durch Staatschef Mobutu aber dies pauschal im Paket

– und schließlich die RĂŒckforderung in einem Palaver und begrĂŒndet auf Medien und Hörensagen.

Der Fall hat sich in ĂŒber einem Jahrhundert kompliziert. Obwohl rein zufĂ€llig und bereits vor dem Kolonialregime in den Besitz des Belgiers gelangt, wurde das Objekt durch seine weitere Geschichte – die Übergabe an den belgischen Staat und ein Gezerre verschiedener Institutionen um seinen Besitz – zu einer ‚TrophĂ€e‘.

‚TrophĂ€e‘ verbindet gewaltsame BemĂ€chtigung und EntfĂŒhrung der dinglichen ‚Geisel‘ an einen Exilort, wo sie ihrer BezĂŒge und Bedeutungen entkleidet wird, vor allem ihren sozialen Rang verliert, mit der Zuschaustellung vor einem poorly informed Publikum.  Mit jeder Ausstellung ihrer Kraftfigur wurden die besiegten und bestohlenen Kongolesen erneut gedemĂŒtigt, wĂ€hrend  im Triumph der Raub erneut gegenwĂ€rtig war. Ich wĂŒsste gern, warum die zustĂ€ndigen Museumsexperten dieser Figur in Europa und den USA  eine so herausragende Ausstellungskarriere eröffnet haben, wohlgemerkt ohne dass deren spezielle und bedeutsame Geschichte eine Rolle gespielt hĂ€tte. Ist das nicht typisch fĂŒr ein ‚Kolonialmuseum‘, wie es in Tervuren 2013 geschlossen  wurde?

„DĂ©fendons des musĂ©es ouverts au changement“, zitiert Couttenier C.Fromont, und H.Vanhee (89) „Verteidigen wir Museen, welche fĂŒr Änderungen offen sind“. Hoffentlich ist das Tervuren so etwas, wenn es ende 2018 nach fĂŒnf Jahren seine TĂŒren dem Publikum wieder öffnet.

 

EIN ARTE-FEATURE VERSUCHT SICH AN DER DEKONTAMINIERUNG   ‚DEKOLONIALISIERUNG‘ DES EINST BERÜCHTIGTEN TERVUREN MUSEUMS. Beitrag  wurde am 14. Mai 2020 separiert und erweitert! (LINK)

 

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