Luc de Heusch erzählt uns die Geschichte der Tetela (Nacherzählung)

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  27. APRIL 2023 18.00.                                                                    DRUCK 11 SEITEN/94% 

Das Katalogbuch

Objects – Signs of Africa“ anlässlich der Ausstellung „Hidden Treasures“ im Royal Museum ….Tervuren. Edited by Luc des Heusch,Snoek-Ducaju & Zoon 1995 , S. 175-205

de Heuschs Aufsatz trägt den sperrigen Titel: Beauty is elsewhere: Returning a verdict on Tetela masks – Historical and ethnological notes on the Nkutshu (Schönheit ist anderswo: Ein Urteil über Tetela-Masken widersprechen – Historische und ethnologische Anmerkungen zu den Nkutshu).

 

Die ausgewählten Themen

  • Die Provenienz „Tetela“ gewinnt überhaupt etwas Profil und Schärfe
  • Streiflichter fallen auf einen regionalen Ausschnitt der kongolesischen Kolonialgeschichte, vor allem auf den Zusammenhang von Eroberung, Unterdrückung, Ausbeutung und missglückten Verwaltungsexperimenten. Auf Seiten der Kolonisierten werden zwei klassische Typen, der Profiteur und der ehrliche Repräsentant vorgestellt, als Verhaltensweisen Kollaboration und (weniger deutlich) Widerstandsformen.
  • Wanderungsgeschichte und Genealogien: Licht fällt auf die Vorgeschichte, besonders auf die politische Ordnung auf der Basis von Abstammung und komplexer Wanderungsgeschichte, wobei der zwischen Regenwald und Savanne gespaltene Lebensraum des östlichen Kasai eine Rolle spielt
  • Die Korrektur der 1910-11 entstandenen irrtümlichen Zuordnung bestimmter Masken verschiebe ich in einen dritten Blog  (LINK). Informationen zur befreundeten Ethnie der Jonga, fokussiert auf einen Figurentyp, ist im Mai in einem dritten Blog erschienen (LINK).
  • Die daraus resultierenden Identitäten und Ressentiments bis 1965 hat Isabelle de Rezende in ihrer Dissertation „Colonial Visuality: The Visual Production of the ‚Tetela‘  in the Belgian Congo from Ngongo Leteta to Patrice Lumumba“ dargestellt (pdf in drei Teilen illustriert.) – Das wird dann noch ein Extra-Beitrag .

 

Luc de Heusch und die Tetela (1995)

„Tetela“ ist keine prominente Handelsmarke im Geschäft mit afrikanischer Kunst.

Die Ethnologie hat im letzten Jahrhundert nur wenige Schneisen  geschlagen, schlagen können. Vor allem, wenn man bedenkt, was in Zentralafrika an zerstörerischen Umwälzungen und Deportationen, Auflösung und Umgruppierungen seit dem 19.Jahrhundert ununterbrochen stattgefunden hat.

Afrika-Sammler, die ihre Erwerbungen genau betrachten und ihnen Fragen stellen, geraten schnell auf unwegsames Gelände. Mein langjähriger Händler,  im Kongo aufgewachsen, versucht mir regelmäßig ein wenig vom Charakter der Leute vor Ort vermitteln, mit begrenztem Erfolg. Bei ihm habe ich kürzlich zwei stark ‚tätowierte’ „Tetela“-Masken mit voluminösen Gesichtern erworben, deren Bild mir aus Büchern irgendwie bereits vertraut war. Veröffentlichte wissenschaftliche Literatur und Kataloge sind erreichbar, aber ihr ‚Licht‘  könnte man mit dem entfernter Leuchtfeuer am Meer vergleichen.

Ich habe Glück und treffe auf Luc de Heusch (1927 – 2012), einen  Intellektuellen, Filmkünstler und  Anthropologen mit weitem Horizont. Laut dem Eintrag in fr.wikipedia begann er mit zwanzig Jahren als Assistent des Dokumentarfilmers Henri Storck („Misère au Borinage“ 1933; wikipedia), studierte ab 1949 mit einem Stipendium der ULB (Freie Universität Brüssel), wo er dann 1955 bis 1992 „soziokulturelle Anthropologie“ lehrte. Feldforschungen bei den Mongo des Kasai und den Hamba-Tetela folgten. De Heusch wurde zum kritischen Experten der Geschichte Ruandas, und 1996 veröffentlichte er eine zweite filmische Anklage „Une république devenue folle (Rwanda 1894-1994)“ .

Der wohl wirklich nur „anlässlich“ der Ausstellung „Verborgene Schätze“ im Tervuren-Museum erschienene Sammelband von 1995 richtete sich offensichtlich an Fachkollegen, und er enthält Beiträge von Burkina Faso bis ‚Zaire‘. Im Aufsatz von de Heusch ging es vordergründig darum, einen alten und unbeachteten Irrtum über die Provenienz  von „Tetela“-Masken zwingend zu widerlegen, doch er vermittelt eine umfassende Orientierung über Geschichte und Kultur einer  ganzen Region. Schließlich verspricht der Untertitel „Objekte – Zeichen Afrikas“ Deutung und Aufklärung. Auch de Heuschs Beitrag trägt einen sperrigen und verrätselten Titel (auf Deutsch): „Schönheit ist anderswo: Einem Urteil über Tetela-Masken widersprechen – Historische und ethnologische Anmerkungen zu den Nkutshu“. Er ist nur auf Englisch erschienen, in keiner der drei Landessprachen Belgiens, die mein Händler mehr oder weniger beherrscht. Ich übersetze auch für ihn und seine Familie.

Der weite Zeithorizont und eine cineastische Erzähltechnik auf kleinem Raum zwingen mich zur Konzentration auf das für den Laien Nützliche, abzüglich des ehrlicherweise nicht wirklich Verstandenen. Zum Beispiel kommt die ethnische Zuordnung der „Tetela“ zu den  „Mongo“ zu kurz, als Erwähnung des mythischen ‚Großvaters’ des anerkannten Stammvaters Ankutshu a Membele.

Beginnen wir mit der Eroberungs- und Kolonialgeschichte. de Heusch betitelt sie ironisch , denn das Thema ist alles andere als eine Folge von Anekdoten.  –  Für eine ganz knappe Übersicht verweise ich auf Jan Vansina in einem älteren Blog „Die Weissen halten unsere Seelen gefangen“ (LINK).

EIN WENIG KOLONIALGESCHICHTE“

Émile Torday  (1910)

Emile Torday (1875-1931) war ein Pionier der kongolesischen Ethnologie. Anfang des 20. Jahrhunderts zeigte dieser Entdecker ungarischer Herkunft bemerkenswerte Neugier und Respekt für die schwarzen Kulturen, die zu dieser Zeit äußerst verachtet wurden.

Torday hielt sich 1900 zum ersten Mal im Kongo auf. Er kehrte als Agent 1904-06  für die Handelsfirma Compagnie du Kasai in den Kongo zurück und veröffentlichte bereits 1905 in der Zeitschrift Man („Mensch„) eine Notiz über die Völker am Kwilu. Nach zwei Jahren ertrug er das bedrückende Klima des von Weißen dominierten Handels nicht mehr und kündigte. Er galt als „englischer Spion“. So war er 1907 wieder in Europa, aber 1909-10 kehrte er mit einem Maler und einem Fotografen in den Kongo zurück, erkundete die Weiten südlich des großen Waldes und beschrieb zum ersten Mal die brillante Zivilisation der Bakuba. Bei einer dieser Expeditionen kam er mit den Tetela in Kontakt. Für den Artikel de Heuschs boten mehrere im Dorf Tempa (am Sankuru) erworbene Originalmasken, die Torday den Tetela-Sungu und nicht Songye-Tempa zuschrieb, die auch dort lebten. de Heuschs Auffassung ist wohl heute allgemein anerkannt.

Karte 1

Angepasster Ausschnitt aus: https://www.viamichelin.fr/web/Cartes-plans/Carte_plan-Republique_democratique _du_Congo  – Ich bitte um Nachsicht für das ästhetische Ergebnis!

Ngongo Lutete (1890 – 1893)

Die Sungu, bei denen Torday 1910 die meiste Zeit über wohnte, waren ganz sicher Tetela. Wir sprechen hier jedoch von den südlichsten Tetela. Die Sungu leben im ehemaligen Territorium Lubefu, in der Nähe des administrativen Außenpostens von Lusambo, der 1890 am Sankuru-Fluss von Truppen König Leopolds gegründet wurde.

Vansina Paths ch.8 p.241 map

Tippu-Tib war damals einer der größten arabischen Schmuggler, der den Elfenbein- und Sklavenhandel im Hinterland von Sansibar bis zum Lualaba im Herzen Afrikas kontrollierte. Der Händler spielte mit der Idee, auch die Region Lomami bis zu seinem Nebenfluss Lomami zu erobern. Er gab den Auftrag einem seiner schwarzen ‚Leutnants‘, Ngongo Lutete. Der errichtete sein Hauptquartier am linken Ufer des Lomami in Ngandu. Von dort stieß er in das Land der Tetela, wohin auch auf die Truppen Leopolds marschierten. Die Tetela kennen ihn unter dem Namen Ngongo Lutete.

Die Herkunft dieses Mannes ist nicht eindeutig. Einige sagen, er sei Songye, andere, er sei Tetela. Die Tetela-Informanten von Th. Turner (1992) behaupten, dass er unter den Songye geboren wurde. Die Überlieferung der Tetela ist eindeutig: „Die Arbeit von Ngongo war es, mit Schusswaffen zu töten.“ Natürlich lieferte Tippu-Tib die Waffen diesem Mann, den er als seinen Handlanger und Sklaven ansah.

Als Ngongo Lutete Gerüchte über die Ankunft der Weißen in Lusambo  hörte, entschied er , sich auf ihre Seite zu stellen, um von ihnen zu profitieren. Zunächst aber wurde er am 18. August 1890  mit einer Gewehrsalve empfangen. Er zog sich sofort zurück. Offizielles Bedauern über diesen Vorfall wurde ausgesprochen.

Tatsächlich waren die Anweisungen des amtierenden Generalgouverneurs Coquilhat eindeutig: friedliche Beziehungen zu den traditionellen Häuptlingen aufzubauen, um „den Weg für den europäischen Handel zu ebnen“. Als sei er ein solcher traditioneller Häuptling, hatten die Weißen keine Bedenken, sich mit dem skrupellosen Eroberer Ngongo zu verbünden, so . Vom 2. bis 18. Mai 1891 empfing Ngongo den Kommandanten Delcommune  in Ngandu. Als Zeichen der Loyalität flatterte bereits die ihm von Coquilhat geschenkte Flagge König Leopolds. Drei Wochen später ermutigte ihn Bezirkskommissar Francis Dhanis persönlich, sich von Tippu-Tibs Vormundschaft zu befreien und sich „für die Sache des Freistaates“ einzusetzen. Das rechte Ufer des Lomami stand noch unter arabischer und „arabisierter“ Herrschaft. An deren Rand hielt Ngongo in Ngandu eine strategische Position. Dhanis hatte den idealen Verbündeten für seinen eigenen Machtplan gefunden: „Gongo hat das Zeug zu einem Eroberer und Organisator und könnte uns von immensem Nutzen sein, wenn seine Unterwerfung wirklich aufrichtig ist.“

Ngandu wurde ein Vorposten des ‚Kongostaats’: Der belgische Vertreter war ein gewisser Duchesne. Seine Hauptaufgabe war die Organisation einer neuen Art von Sklaverei. Dem ‚Freistaat’ mangelte es an Arbeitskräften. Die durch den Vormarsch der Weißen „befreiten“ Sklaven reichten nicht mehr aus, wie Dhanis am 11. Oktober 1892 seinem Vorgesetzten schrieb. Er bat Ngongo, Männer zu ihm nach Lusambo zu schicken. Er sollte für seine Dienste bezahlt werden, und Dhanis legte sogar noch einen Bonus drauf: Für jeweils 250 Mann, die auf einmal geliefert wurden, bekam er ein Fass Schießpulver.

Mit der tatkräftigen Hilfe von Ngongo Lutete startete Dhanis kurze Zeit später den ersten Feldzug gegen die Suaheli-Hilfstruppen von Tippu-Tibs Sohn Muhala zwischen Lomami und Lualaba. Am 4. März 1893 eroberten sie die Stadt Nyangwe (heute Kindu, en.wikipedia), die sich laut Dhanis kilometerweit am rechten Ufer des Lualaba erstreckte.

Am 15. Juni 1893 dekorierte Dhanis seinen „treuen Verbündeten“ mit einer vergoldeten Silbermedaille, aber Ngongo wollte auf jeden Fall die Oberhand behalten. Er hielt alle Gefangenen in seinem Stützpunkt Ngandu zurück. Dhanis erinnerte Duchesne, seinen lokalen Repräsentanten schriftlich daran, dass sie „befreit“ und in den Dienst des ‚Freistaates’ gestellt werden sollten. „Er muss dazu gebracht werden, Vorteile darin zu sehen, ein friedlicheres Leben zu führen und sein Land nicht zu verwüsten“. Derselbe Dhanis war aber empört, zu erfahren, dass Duchesne den Ngongo  am 2.9.1893 hatte verhaften lassen. Dieser hatte einen seiner Kumpane, den er des Hochverrats verdächtigte, lebendig ins Feuer werfen lassen. Dhanis suspendierte Duchesne von seinem Posten mit der Begründung, er habe „den Verstand verloren“. Eine Befreiung scheiterte, denn Ngongo wurde bereits am 14. September 1893 hingerichtet. In seinem Untersuchungsbericht bestätigte Bezirkskommissar Gillain „Grausamkeiten“ des Hingerichteten, aber rechtfertigte sie  als „energische Taten, wie sie von allen afrikanischen Tyrannen begangen werden“.

Lupaka

Als Nachfolger von Ngongo Leteta wurde Lupaka eingesetzt, einer seiner ‚Leutnants’. Schamlos beauftragte ihn der ‚Freistaat’ mit der Eroberung des weiten unbekannten Norden des Tetela-Landes vom Tshuapa bis zum oberen Lukenye. Lupaka bekam die Vollmacht, das vom Freistaat verlangte Elfenbein und Kautschuk in Form von Steuern von der lokalen Bevölkerung einzutreiben. Bis 1904 wurde er als „der Häuptling des Weißen Mannes“ angesehen, dann zwangen seine offensichtlichen Gewaltexzesse seine Herren, ihn zu verhaften. Er wurde nach Lusambo am Sankuru verbannt, aber mit der größtmöglichen Rücksicht behandelt. Er war schließlich „Objekt ganz besonderer Achtung, die er in seiner so wichtigen Funktion als Häuptling, von der er gerade entlassen wurde, so reich verdient hat“ (Schreiben vom 23. Mai 1904, Territorialarchiv von Katako-Kombe,).

Zum belgischen Kolonialbeamten Francis Dhanis  steht aktuell noch ein Beitrag im Netz, der mir sehr schmeichelhaft erscheint. (AfricaMuseum Archives)

 

„Traditionelle Häuptlinge“

Das Dekret vom 6. Oktober 1891, das den Gebietsverwaltern auferlegte, direkt mit den traditionellen indigenen Behörden zu verhandeln, war in der Region ganz offensichtlich nie befolgt worden. Auf der Grundlage eines weiteren Dekrets (3. Juni 1906) sollte jedes „Chiefdom“ zur administrativen Unterabteilung des Freistaats werden, ohne Erfolg.

De Heuschs Nachforschungen zeigen, dass viele traditionelle Häuptlinge die Vorstellung, der Handlanger des Weißen Mannes zu sein, abstoßend fanden und an ihrer Stelle einen Strohmann mit dem Titel „Kapita“ ernannten, wenn der legitime Häuptling nicht überhaupt „in den Tiefen des Busches“ Zuflucht suchte. Dies ließ das Feld für zahlreiche Opportunisten offen, die den Einfluss zu nutzen konnten, den sie während der Ära Lupaka erlangten, wie Dimandja Luhaka betont. In der Liste der Häuptlinge, die 1907 im Katako-Kombe-Territorium eingesetzt wurden (zu der Zeit gehörte auch das von Lubefu), kamen sechs Sambala und ein pensionierter Soldat auf jeweils fünf Einheimische“.

Außerdem war die übermäßige Zersplitterung der traditionellen Tetela eine schlechte Basis, um politische Einheiten auf einer traditionellen Grundlage aufzubauen. 1935 bildeten sie ein echtes Mosaik.

Ein neuer Erlass (5. Dezember 1933) errichtete in der gesamten Kolonie – neben den homogenen „Häuptlingsherrschaften“ – ein System von „Sektoren“. Seit 1935 bereiteten ethnographische Untersuchungen im ehemaligen Katako-Kombe-Territorium die 1945 durchgeführte Neugliederung in „Sektoren“ vor, ohne viele langjährige Gegensätze zu beenden. Mit dem Posten eines (180) „autochthonen“ Sektorchefs wurden „für Dienste belohnt, die sie den katholischen Missionaren oder der Kolonialverwaltung als Gerichtsschreiber, Soldaten der Force Publique oder Bürodiener leisteten“ (ldem, S. 273).

De Heusch hat sich über ein spätes Beispiel besonders aufgeregt:

„Der große Häuptling Kokolomami, einer meiner wichtigsten Informanten und unbestreitbarer Ältester aller Yenge , sicherlich die stärkste moralische Autorität in der Region, wurde von der Kolonialverwaltung nicht zum Häuptling des Ukulungu-Sektors ernannt wurde, weil er dem Bischofs von Tshumbe Sainte Marie nicht gehorcht hatte, auf die erweiterte Polygamie zu verzichten, eines der Fundamente der Autorität eines traditionellen Häuptlings. Für ihn war Kokolomani damals „der höchstqualifizierte Bewahrer mündlicher Überlieferungen“.

Die Entscheidung war typisch und widersprach der von Belgien behaupteten ‚indirekten Herrschaft’ , vielmehr erinnert sie an eine prägnante Definition: „Der Kongo, diese beeindruckende wirtschaftliche, soziale und politische Festung, die von der Welt abgeschnitten war, wurde von einer inoffiziellen dreigliedrigen Organisation: „Staat, Kirche und Wirtschaft“ regiert“. (Merriam 1961)

Diese seit langem aus der offiziellen Erzählung von der ‚zivilisatorischen Mission‘ gelöschte Seite der Kolonialgeschichte wurde de Heusch gegenüber von einem belgischen Prälaten mit dem Sprichwort zusammengefasst: „Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerschlagen“. Dieses ‚Omelett‘ nannte Leopold II. am liebsten „ce magnifique gateau Africain“ /dieser wunderbare afrikanische Kuchen/ (Stengers, 1988).   (180)

Es waren übrigens Lupakas Plündererbanden, die den unglücklichen Tetela den Ruf einbrachten, brutale Krieger zu sein, dabei waren sie tatsächlich die Opfer. Denn überall wurden Tetela-Männer von Lupaka und seinen Stellvertretern in den Dienst dieser Banden gepresst.

 

Die Namen  TETELA, SAMBALA und HAMBA

 Alle Quellen de Heuschs „stimmen darin überein, dass der Name Tetela vor diesen brutalen Überfällen in der Region unbekannt war. Es wurden mehrere Etymologien (Entstehungsgeschichten) für den Namen vorgeschlagen, die alle gleichermaßen zweifelhaft sind.

Einer, den er gehört hat, basiert auf einem Wortspiel. Es spielt darauf an, dass die Autochtonen (Alteingesessenen) von Panik ergriffen wurden, als sie die Schützenkommandos von Ngongo und Lupaka sahen. Nach dieser Interpretation leitet sich Tetela von nteta ab, was „stockstill vor Schreck“ bedeutet (Hagendorens, 1975).

Torday behauptet, dass die Olemba (eine Gruppe von im Wald lebenden Tetela) den Namen auf das höchste Wesen beziehen unter dem Namen Matetela („Er, der nicht lacht“ oder „Er, der nicht lachen kann“) (Torday & Joyce, 1922, S.71). Es gebe, erwidert der Heusch, viele Bezeichnungen für den himmlischen Schöpfer, aber er den habe er noch nie gehört.

Sogar die Art und Weise, wie der Begriff Tetela verwendet wird, ist widersprüchlich. In der Umgebung der von Lupakas Helfern  gegründeten Außenposten Lodja*, Lomela* und Kole* (*Siehe Karte 1), werden die Abkömmlinge der Eindringlinge mit Tetela bezeichnet. In Katako-Kombe* und Lubefu*  hingegen sind es die Einheimischen, die den Namen Tetela tragen. Die Nachkommen der Eindringlinge sind unter dem Namen Sambala bekannt, der sich zwingend vom Suaheli-Verb Kusumbala – „ausbreiten, zerstreuen“ – ableitet und auf ihre brutale Angriffsart anspielt.

Der Tetela-Historiker Dimandja Luhaka  schrieb 1974, dass der Nachname Tetela zuerst den Sambala gegeben wurde, die Hilfskräfte von Leopolds ‚Freistaat‘ waren, und dann auf die von ihnen beherrschten Bewohner der Ebenen ausgedehnt wurde. Die Menschen des Waldes andererseits wurden als Hamba bezeichnet. Das erklärt, warum in den Waldregionen Lodja*, Lomela* und Kole* der Begriff Tetela den anderswo als Sambala bekannten Gruppen vorbehalten ist.

Jean-Luc Vellut kommt 1984 zu dem Schluss, dass Tetela „ein Allzweckbegriff ist, der im weitesten Sinne die Völker bezeichnet, die unter den Bannern der Kriegsherren sowohl östlich als auch westlich des Lomami sowie auf beiden Seiten der Grenze von Waldes und Savanne unterworfen wurden. “ ( Informationen zu ‚Wald‘ und ‚Savanne‘ im letzten Absatz).

 

Die vorkolonialen  Tetela oder Ankutshu und ihre Genealogie

Aber welche Geschichte hatten ‚die Tetela’ vor ihrer brutalen Unterwerfung durch Ngongo Leteta und Lupaka? Sie waren„Ankutshu“, verbunden durch eine gemeinsame patrilineare Genealogie (‚Stammbaum’). Ich wähle die Form einer gestrafften Nacherzählung.

Die große Mehrheit der Bevölkerung des alten Sankuru-Distrikts (damals etwa 300.000 Menschen), betrachtete sich als Ankutshu a Membele. Die verschiedenen Genealogien, die de Heusch 1953/54 in umfassenden Untersuchungen zusammengetragen hat, belegen das.

Gründer des gewaltigen System einer Erbfolge in väterlicher Linie wurde – nach mündlicher Überlieferung – vor etwa fünfzehn Generationen war Stammvater Ankutshu a Membele, der Enkel von Mongo. Die gemeinsame patrilineare Genealogie ist der einzigartige Faktor der ethnischen Integration für eine Vielzahl kleiner Gemeinschaften, die selbst wieder aus mehr oder weniger autonomen Segmenten der Abstammungslinien bestehen. Man mag von  ‚Stämmen‘, ‚Unterstämmen‘ oder ‚Häuptlingsherrschaften‘ sprechen, denn die Zahl der Mitglieder dieser traditionell unabhängigen Gemeinschaften variiert zwischen mehreren Hundert und Tausenden.

Das handelte sich natürlich um eine ‚ideologische Konstruktion‘, aber sie ermöglichte die Integration ganz unterschiedlicher Gruppen „in ein gemeinsames System politischen Denkens, das unserer Vorstellung von Staat oder Königreich total fremd ist“.

Der Aufsatz enthält ein übersichtliches Diagramm der Abstammungslinien. Die ethnische Verteilung war naturgemäß viel verwickelter. Teilweise sind die Wanderungen der Ndovu, Ngandu und Watambuli, erst recht aber die Zuordnung von Gruppen zu einem der drei großen Zweige unter Wissenschaftlern strittig.

Wanderung und geografische Verteilung seit Ankutshu a Membele

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Die Karte 2 (S.185) markiert die wichtigsten Gruppen in ihrem heutigen Siedlungsgebiet mit – nach ihrer genealogischen Zugehörigkeit – mit unterschiedlichen Farben :  Blau für die Abkömmlinge des NDJOVU, Rot für die des NGANDU und Violett für die des WATAMBULI.

Nun zu den Wanderungen, die in die Genealogie eingegangen sind, beginnend mit Ankutshu a Membele, der mit seinen Leuten auf Flößen den Lomami hoch im Norden vor seiner Mündung in den Lualaba  überquert haben soll. Die weitere Wanderung nach Süden ging wohl schnell vonstatten, denn zum Bruch zwischen zwei Söhnen kam es bereits in Katako-Kombe, wo heute einer der beiden Haine einen Fluch trägt: Hier versammeln sich alle Hexen der Region, um ihre finsteren Pläne zu schüren. Damals zerstritten sich Ndjovu und Ngandu wegen der Jagdrechte. Die Ndjovu kehrten nach Osten zum Lomami zurück, dessen Lauf sie nach Norden folgten, bis sie sich wieder nach Westen wandten und tief in die feuchte Waldzone eindrangen, die fast die gesamte Gegend um Lodja bedeckt. Zu beiden Seiten des Lukenye finden wir die Kondo, die Lukfungu und die Lutshimba. Anschließend zogen die Nachkommen von Luwidi, einem von Ndjovus Söhnen, nach Süden in Richtung der Savanne, die sie bei Enyamba erblickten. Unterwegs besiedelten zuerst die Nkoy a Mpungu und die Luwima, dann die Nkoy ihr Stammland im ehemaligen Territorium von Katako-Kombe und Lubefu. Nur die Sungu überquerten den Lubefu und ließen sich am Südufer nieder. Dort traf Torday auf sie. Weiter südlich in Tempa angrenzend an das Land der Songye, aus dem Ngongo Lutete stammte, erwarb er dann zwei Masken, die er für „Sungu“ hielt. Das wird Thema eines eigenen Blogs.

Mehr Zusammenhalt scheinen die Watambuli bewahrt zu haben: Zwischen den Yenge und den Kulumbi, deren namensgebende Vorfahren Zwillinge waren, sind die Bindungen besonders eng, wie auch zwischen den Yenge und den Ewango, die auf dem Land der Yenge sogar frei jagen dürfen. – Dabei möchte ich die Nacherzählung der Wanderungen belassen.

de Heuschs Bilanz (187-188) möchte ich Ihnen aber nicht vorenthalten:

„Man kann auch beobachten, dass eine gewisse Zahl kleiner über die ganze Nkutshu--Zone verstreuten Gemeinschaften nicht in die Genealogie der Onkutshu a Membele aufgenommen worden sind, obwohl sie sich selbst als Abkömmlinge des gemeinsamen Ahnen  Mongo betrachten, insbesondere die Losa (Katako-Kombe), die Okale (Lomela) und die Shienga (Lodja). All dies unterstreicht die bemerkenswerte historische Komplexität hinter der Besiedlung des Distrikts von Sankuru mit einer nicht weniger bemerkenswerten sprachlichen und kulturellen Einheit.“

de Heusch fährt dann fort: „Ebenso auffällig ist die extreme politische Zersplitterung dieser Tetela-Hamba-Gemeinschaften. Die Yenge unter den Watambulu und die Mondja unter den Ngandu haben sich beide in mehrere autonome Gruppen aufgespalten, nachdem es zu internen Streitigkeiten um das jeweilige ‚Dienstalter’ der Vorfahren der verschiedenen Linien gekommen war. Dennoch stellen wir fest, dass sich die am besten strukturierten Chefferies in der Savanne befinden. Dies ist bei den Yenge der Fall, wo mehrere Häuptlinge höchster Abstammung die nominelle Autorität des Ältesten unter ihnen, Häuptling Kokolomami, anerkennen. Konflikte zwischen älteren Linien und jüngeren Linien sind dennoch endemisch, weil der Häuptling jeder Linie in der Lage ist, mit den Ältesten durch ostentative Demonstrationen von Großzügigkeit zu konkurrieren (de Heusch, 1954 a). Es ist nicht schwer zu verstehen, warum unter den Hamba, deren Abstammungssystem das gleiche ist wie das der Tetela, eine geschlossene hierarchische Vereinigung entstanden ist, die ausschließlich auf Reichtum – und nicht auf Seniorität – gegründet ist. Im Rahmen dieser neuen politischen Struktur gehört das Leopardenfell nicht dem Stammesoberhaupt, sondern den Mitgliedern mit den höchsten Rängen innerhalb der Bruderschaft“. (188)

 

Solche politischen Verhältnisse werden fachsprachlich als „akephal“ beschrieben, schon weil man zum Beispiel im Deutschen „kopflos“ spontan mit „aufgrund von Verwirrung, Überraschung o. Ä. unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, sinnvoll zu handeln“ oder „headless“ mit „panickyunreasoning“  assoziiert („Google Translate“). Doch unter dem Aspekt der Stabilität oder Resilienz gegenüber Aggressoren hat sich dies „gemeinsame System politischen Denkens, das unserer Vorstellung von Staat oder Königreich total fremd ist“ ( de Heusch, oben neben  dem Diagramm des ‚Stammbaums‘) als katatrophale Schwäche erwiesen.

Im Aufsatz (wie auf der Karte) werden benachbarte Ethnien wie die Nkutshu, Songye, Kusu, DJonga und Mbole mehr oder weniger ausführlich mit Tetela und Hamba in Beziehung gesetzt. Sie stehen aber für unübersehbar viele Kontakte und Einflüsse während der langen Siedlungs- und Wanderungsgeschichte Zentralafrikas. Und die resultierten – das ist auch für  Kunstsammler relevant – nicht nur in politischen und sozialen sondern auch in kultischen und ästhetischen Kontakten.

„Menschen der Ebene“ und „Waldmenschen“  Tetela und Hamba

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(Für das folgende Kapitel sind  Karte 2 und die Farben ein weiteres Mal nützlich. )

Die Wanderungen finden in zwei gegensätzlichen Landschaften statt. Als die Ankutshu a Membele den Lomami nach Westen überqueren, entdecken sie eine bewaldete Savanne entlang einer wichtigen Wasserscheide. Der in der Nähe von Katako-Kombe entspringende Lukenye fließt nach Westen und nach einem sehr langen Lauf in den Unterlauf des Kongo, die Flüsse Lutembo und Lunya nach Osten in den Lomami, und der mündet in den Mittellauf des Kongo, den Lualaba. Die Hochebene bildet eine Art Tasche und ist der offene Lebensraum der Yenge, der Ewango, der Opombo, der Mondja und der Sungu. Hier setzt sich die sandige Südsavanne fort, die sich bis in den Süden des Kasai erstreckt. Diese „Menschen der Ebene“ (ase oswe), die nach der Ankunft der Sambala-Eroberer Tetela genannt werden, ziehen ihre oberen Schneidezähne. Darin unterscheiden sie sich von den „Waldmenschen“ (ase okundu), Hamba genannt, die sie bis spitz abfeilen.

Waldgrenze vom Atlantik zu den Großen Seen auf der Höhe von Sankuru am Lukenye-Fluss. Google maps

Ein Tetela-Informant de Heuschs brachte den Beinamen Hamba in Verbindung mit der üblichen Bezeichnung Dihamba (Plural Ahamba) für eine zeitweise Behausung von Jägern und Fischern weit entfernt vom Dorf. In der Tat könnte es sehr gut sein, dass der Name Hamba – der nichts Ethnisches an sich hat – etwas mit den verstreuten Lebensräumen der Waldmenschen zu tun hat, im Gegensatz zu verbreiteten Getreideanbau in der Savanne. Der Beiname Hamba wird vor allem den Bewohnern des nördlich des Lukenye gelegenen dichten Regenwaldes mit großer Artenvielfalt, üppiger Vegetation und tropischem Klima gegeben. Einige von ihnen lehnen die Bezeichnung jedoch ab. Südlich des Lukenye erhebt sich ein Waldmassiv, das entlang der Kammlinien von Savannen durchsetzt ist.

Die Ankutshu a Membele sind sich alle zwar der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe bewusst, die von einem angeblich gemeinsamen Vorfahren abstammt. Doch die Unterschiede in Sitten und Essgewohnheiten zwischen den Tetela und den Hamba sind groß genug, um den Yenge, den Tetela der Savanne, ein Gefühl der Überlegenheit zu vermitteln. Die Hamba des Waldes haben ihre Treue zu traditioneller Kleidung aus Bast bewahrt (der Ohako-Lendenschurz für die Männer, der Faserrock für die Frauen), während die Tetela europäische Kleidung angenommen haben. Daher die Abwertung der einen in den Augen der anderen, die sie als „schmutzig“ und „rachsüchtig“ ansehen. Die Hamba essen gedämpfte Kassava-Paste, Maniok, Lebensmittel, die die „zivilisierten“ Tetela als erniedrigend ansehen, während das Grundnahrungsmittel der Savannen traditionell Hirse, Hirse und neuerdings auch Reis ist. Natürlich kann Hirse in der extremen Feuchtigkeit des Waldes nicht wachsen.

Zwei Jahrzehnte später bestätigt mir mein Händler und Gewährsmann de Heuschs zurückhaltend formulierte  („Hier ist nicht der Ort….“) Feststellungen, aber er lässt auch die Gegenseite zu Wort kommen: ‚Die Kassava’ macht uns stark’. Er selber hat den Maniokbrei selten und nur ungern probiert.

Wer in den feuchten, dichten Wäldern der Region leben wollte, entdeckte für sich diese Nahrungsquelle. Wie dem auch sei, das Getreide motivierte die Bindung der Yenge an die Savanne, wenn wir ihren eigenen Berichten Glauben schenken dürfen, und veranlasste sie, den Wald strikt zu meiden, anders als verwandte Gruppen auch aus ihrer WatambuliLinie. Die sogenannten Hamba lockt hingegen die Liebe zur Jagd in den Wald. Tatsächlich ist Wild ist in der Savanne tatsächlich viel schwerer zu erjagen. Es waren anscheinend vor allem die Ndjovu, die als erste in die Wälder des Nordens und Westens zogen. Nur einige von ihnen – insbesondere die Sungu – fanden sich am Ende einer langen Wanderung mitten in der Savanne wieder. Die Ngandu und die Watambuli verteilen sich auf beide Vegetationszonen. So leben einige der Otitu der Watambuli in der Savanne als Tetela, während andere tief im Wald leben.

de Heusch – Objects Signs of Africa pp.182-83 – Hamba-Dorf, Katako-Kombe Territorium 1980er Jahre

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