Die „Inungu“-Statuen der „Djonga“ – nach L. deHeusch (deutsch)

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Kleine Ethnien wie die Jonga begegnen dem Sammler am ehesten in Form von außergewöhnlichen Masken oder Figuren. Kataloge können sie nur andeutungsweise verorten. Der Ethnologe Luc de Heusch benennt das Problem. Und er zeichnet auf der Basis seiner Feldforschung unter den Tetela in den 1954er Jahren mit ein paar Pinselstrichen ein Porträt der Jonga. Sie stehen jedoch nicht im Zentrum seines Aufsatzes „Beauty is elsewhere: Returning a verdict about Tetela masks. Historical and ethnological notes the Nkutshu“ (1995). Darin geht es um die Geschichte der Tetela –  kürzlich im Blog nacherzählt (LINK) – und um die von kultischen Vereinigungen verwendeten Masken und Figuren.

 

Figuren der Jonga – Abbildungen, Beschreibungen, Katalogtexte

Ich beginne mit dem  Katalog“Unrivalled Art – Spellbinding Artefacts at the Royal Museum for Central Africa“, Julien Volper (Ed.) , anlässlich der Eröffnungsausstellung 2018.

Der Text zur auf S.44 abgebildeten „Anthropomorph inungu statue“ von Viviane Baeke  fasst Luc de Heusch’s  Forschungsergebnisse zusammen, aber ich vermisse darin manches , was den Jonga erst ihre unverwechselbare Kontur verleiht. Deshalb lasse ich auf Baekes Vorstellung des  Figurentyps die sperrigen Bemerkungen de Heuschs über die Jonga folgen, um den Preis, dass zum „historischen Rätsel Jonga“ noch weitere „Rätsel“ auftauchen: die Ato, die Ludya, die Ohambi, und die Yimbo, und das zusätzlich zu den Tetela-Hamba, Akutshu a Membele, deren drei genealogische Zweige Warambulu, Ndjovu  und Ngandu, sowie die profilierte Untergruppe Yenge. Die exotischen Namen machten bereits im ersten Blog  Verwechslungsprobleme. Die dort abgedruckte Landkarte dient – angepasst – wieder der Orientierung.

Übersetzung des Katalogtexts von Viviane Baeke:

Diese rätselhafte Figur ist eine der wenigen bekannten Statuen aus der Provinz Sankuru, Heimat der Mehrheit der Nkutshu a Membele (besser bekannt als Tetela-Hamba); deren Nachbarn sind im Norden und Westen die Nkutshu und im Nordosten die kleine Djonga-Gruppe, der wir diese polychrome Skulptur verdanken. Alle sprechen Varianten derselben Sprachgruppe, der C70-Tetela-Gruppe.

Unrivalled Art p. 44: 67cm hoch, gesammelt 1920er Jahre von F. Benoit, im RMCA-Museum, Tervuren seit 1928

Figuren dieser Art wurden bei den Initiationsritualen einer Bruderschaft verwendet. Die Hamba nannten die Mitglieder der Bruderschaft Nkum’okunda (Herren des Waldes), die Djonga nannten ihre Mitglieder Nkumi und die südlichen Nkutshu nannten sie Nkfumi. Diese Gesellschaft schuf ein Netzwerk der Solidarität über Abstammungs- und Verwandtschaftsbeziehungen hinaus, das hilfreich war, um den Frieden zu bewahren. Es waren die Nkutshu, die die Gesellschaft unter den Hamba und Djonga einführten. Die Initiation fand geheim hinter einer im Wald errichteten Unzäunung statt. Bei den Hamba unterzog sich der Kandidat einer Reihe von Prüfungen und wurde dann mit einer oder zwei polychromen Statuetten konfrontiert, die durch einen unsichtbaren Mechanismus in Bewegung gesetzt wurden.

Bei den Djonga ermöglichten die Prüfungen und Torturen dem Bewerber  den Eintritt in einen der niedrigeren Ränge, doch einer Statuette begegnete er erst während einer zweiten Initiation in den Rang eines ikuku ankeci. Ein weiteres Ritual, begleitet von der Verteilung vieler Waren im Potlatch-Stil, öffnet schließlich die Türen zum Rang eines Lwembe. In der Ortschaft Bayaya wurde das dem nkumi gezeigte Bildnis Inungu genannt; Es war rot und weiß gefärbt und trug eine Adlerfeder auf dem Kopf. Man geht davon aus, dass diese Statuette sich von rotem Ngólá-Puder ernährte und – anders als bei den Hamba – eine Rolle als Spender von Gerechtigkeit spielte.

Die Figur sollte im Haus eines Mannes aufgestellt werden, der sich geweigert hatte, eine ihm vom Gericht der nkumi  auferlegte Busse zu zahlen. Von dieser übernatürlichen Erscheinung in Angst und Schrecken versetzt, gehorchte der Täter dem Befehl.

Diese Figuren waren je nach Region sehr unterschiedlich gestaltet, aber alle waren bemalt, viele mit Federn und manche mit Tierhäuten verziert, und sie alle symbolisierten die friedensstiftende Kraft der nkumi-Bruderschaft.„. (Original: Unrivalled 45 Jonga V.Baeke pdf)

 

Eine Figur von ähnlicher Statur aus der ethnographischen Sammlung des  Musée d’Aquitaine in Bordeaux (LINK) schließt sich an:

Aquitaine -Voir l’Invisible_Djonga

Ihr Begleittext :

„Das wenig dokumentierte Objekt (ein Dutzend gezählte Stücke)  habe zur Geheimgesellschaft Nkum Okunda der „Herren des Waldes“ gehört und sei unter anderem bei der Durchsetzung von gegen die Schuldigen verhängten Strafen verwendet worden sein.  P.M.“ (So verstehe ich den französischen Text und erkenne auch darin de Heuschs Mitteilungen wieder)

Die Größenangabe ist in der Fotografie nicht mehr lesbar, wohl 45 cm. Der Gesamteindruck ist eher zierlich und rund. Die Form der Arme bleibt unentschieden zwischen Biegung und Knick, die Hände wirken auffällig steif und kraftlos. Der Farbanstrich wirkt frisch oder aufgefrischt. Der Kopf erinnert übrigens an den an einem Würdenstab, der 2015 bei Zemanek-Münster auftrat (Abb. LINK). – Die Gesichtsform ist typisch für die Jonga und Nachbarvölker Tal des Lualaba. Als Provenienz ist „Privatsammlung“ angegeben.

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De Baeke’s  Formulierung „je nach Region sehr unterschiedlich gestaltet“ verspricht mehr, als sie halten kann, aber reizvoll sind schon die einzelnen Aspekte, ob nun die Ausstrahlung in Verbindung mit der Größe, die Geste der angelegten Arme, die Stempelform in Verbindung mit Geometrie, das unterschiedliche Maß an Abstraktion oder der Erhaltungszustand und der vermutlich verwandete Holztyp.

Rufen wir uns aber in Erinnerung, dass Rolle und Wirkung an der Figur nicht unbedingt direkt ablesbar sind ebensowenig  wie der vermutliche Entstehungsort. Der Aufsatz de Heuschs stellt vor allem eins vor Augen: dass Nachbarschaft in alle Richtungen besteht. Ich habe die Jonga anfangs vor allem nach Südosten orientiert…..Und ästhetisch unter wenigen Merkmalen ‚identifiziert‘ wie den schrägen Augen, die uns Ostasiaten vorgaukeln und ähnlichen Oberflächlichkeiten.

 

Meine erste, zunächst anonyme „Inugu“

2017 erwarb ich die erste inungu-Figur und beschrieb sie begeistert unter der der Überschrift „Mbuu/Metoko/Jonga Ituri 19. August 2017“ So falsch lag ich damit nicht, denn die Jonga sind in ihrer Wanderung weit herumgekommen. Der Händler Wardin hatte mich mit der Auskunft „Mbuu Ituri“ bedient.

Mbuu/Metoko/Jonga Ituri 19.8.2017 (ID 2.011).

 Beschreibung (2017)

„Die Figur macht mich sprachlos., die Säule ebenso wie der neuneckige Quader mit dem den Blick ansaugenden Gesicht und der starken Gestik. Ein solider Turm, Ausdruck der Autorität, die einmal und vielleicht immer noch kleine Gemeinschaften orientiert und kontrolliert. Die Verbindung von harter Geometrie und dramatischem Ausdruck. Ein Einpersonenstück auf schlichter Bühne. Ein einziger Scheinwerfer ist darauf gerichtet.

Ich finde Pfähle und Quader mit der Zeit immer attraktiver, da sie die innere formale Spannung erhöhen. Manches Detail an anderen ‚Ahnenfiguren’ erscheint mir nun für die Wirkung überflüssig, der Intensität der Ausstrahlung eher abträglich.

Faszination, entstanden aus der scheinbar zwanglosen Verbindung von Abstraktion und Realismus. Wieso zwanglos? Zum Beispiel sind die Kanten sicher gehauen. Bei der Glättung werden diverse Fehler im Holz schlicht ignoriert. Die kleinen Löcher und Risse stehen unangefochten in der Landschaft. Die Nase ist schief, was soll’s?

Position und Winkel der Arme und Hände sind innerhalb dieser abstrakten Körperlichkeit nicht weniger als realistisch auf einer zweiten Ebene. Wenn wir sie vielleicht am eigenen Körper nachahmen, werden wir die rechte Hand wohl auch etwas unterhalb des Herzens ablegen und die Linke auf dem Unterbauch.

Als Detail zu den Freiheiten nehme ich die pauschale Unterteilung der Finger. Daumen und ‚kleiner’ Finger sind gleichberechtigt, an der unteren Hand sind ihre Größen – ganz zufällig – komplementär. Das wäre an mittelalterlichen europäischen Figuren noch zu prüfen.

Auf dem Tisch 19.8.2017

Wodurch wird der geringe Abstand der Ohren zu den Augen bestimmt? Durch die Linie des Haaransatzes, der eine dominante Stirnpartie krönt, und durch den Platzbedarf des Hinterkopfs.

Die auffällige schräge Lage der Augen hat wohl nichts mit den Konventionen zu tun, die in Europa asiatische ‚Schlitzaugen’ schräg stellen, sie gibt ihnen Raum für eine beeindruckende Größe – breiter als der Mund und plastisch ausgeformt – und ist zudem zu einem stilistischen Alleinstellungsmerkmal geworden.

Auffällig ist auch insgesamt das – wenn auch von der Komposition keineswegs perfekte – Zusammenspiel dramatisch gewölbter Augenbrauen, vorgerückter Ohren, schräger Augen, Nase und in gehörigem Abstand der geraden Mundlinie, gewürzt mit beträchtlicher Asymmetrie. Man könnte die etwas hochgezogene linke Braue auch psychologisch als Mimik deuten. Die obere Hand ist größer als die untere, das betont noch einmal die Mitte der Figur, zumindest im Oberlicht der Schreibtischlampe.

Die Quaderkanten sind an der Vorderseite unauffällig, aber blick-logisch über die Unterbrechung durch die Unterarme weiter geführt. Der Sockel ist nicht banal gerundet, aber auch nicht kleinteilig dem Schema des Torso angepasst. Ein paar Ecken weniger sind in Ordnung.

Die Farbflächen, die sich in vollem Sonnenlicht noch immer zeigen, muss ich irgendwann digital rekonstruieren.

 

Weitere Scans und Downloads von „Inungu“

Bildschirmfoto 2022-12-10 um 19.19.39

 

Mit 50cm ähnlich massive Figur.  Pigmentreste lassen sich unter dem anpolierten Seidenglanz erahnen. Die Kopfform geht wie die Bohnenaugen und das ‚Kussmündchen‘ in Richtung Luba wenn überhaupt in eine einzige, wer auch immer diesen Kopf bestellt haben mag.

 

 

 

Embodyments – Masterworks… Prestel 2014 pl.114 55,5cm. JLGrootaers  zitiert 2014 die bruchstückhaften Vermutungen von Marc L. Felix 1987 in „100 Peoples of Zaire“ p.44

 

Christies 2020 Jonga Oertel

 

 

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Eine solche armlose Stempelfigur habe ich 2015 erworben und vorgestellt (Bild im LINK). Mir wurde öfter gesagt, ich hätte sie behalten sollen. Sie war mir damals  zu jung, zu leicht, zu ‚harmlos‘. Ich gab sie weg.

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Die Internetgalerie „Bwoom Gallery“ in Wolfenbüttel hat seit ein paar Jahren zwei bodenständig wirkende  Exemplare mit walzenförmigem Rumpf im Angebot, die eine mit 70cm Höhe sehr schlank ( LINK  rechts >) , die andere in ähnlichem Stil gedrungen und 26 cm kurz (LINK).

 

 

Meine zweite „inungu“ : „Der steinernde Komtur“ vom Januar 2023

Be­geg­nung mit der inungu im Nov. 2022

Bereits am 26. November letzten Jahres war mir die mächtige  und schwere Stempelfigur aufgefallen, ein massiver Block von fast quadratischem Grundriss, am Rücken gerundet., der sich nach oben hin weitet, mit kreisrundem Fuß und fünfeckigem Hals, der mittig auf den Schultern ruht. Ich kann kaum glauben, dass sie nur 53 cm hoch ist.

Ein stolz erhobener Kopf – wozu auch die leicht nach hinten geneigte Fußplatte beiträgt – kombiniert rund (Hinterkopf) und plan (Gesicht). Das lässt das Kinn breit erscheinen. Aber auch die mächtige Stirn beansprucht die Hälfte der Gesichtsfläche.

Die Gestaltung der Augenbrauen hat eine formale Entsprechung in der polierten oder abgegriffenen Vorderseite der berühmten diagonalen Unterarme. Sie enden radikal an den Seitenkanten. Auf Oberarme wird verzichtet.  Die Figur bündelt alle Energien auf der Frontseite.

Wenn ich die Blickrichtung tausche, setzt sich die Strenge des Rumpfs in Hals und Kopf fort. Die Streckung nach hinten verleiht ihr Spannung. Sie schüchtert auch den Händler W. L. ein.

Jonga Nov.2022. 53,5cm.pg

Mir fallen dazu Skulpturen der Neuen Hebriden oder der  Osterinseln ein.

Im Kontext der abendländischen Kultur erinnert mich der inugu an den „steinernen Gast“  in Mozarts Oper  „Don Giovanni“ Zweiter Akt. In der Wikipedia-Erzählung wird die furchterregende Szene, worin die Statue des ermordeten Ordensritters – Begriff „Komtur“ siehe LINK) wunderbar erzählt:

Saal mit einem gedeckten Tisch. –  Elvira tritt ein in der Hoffnung, Don Giovanni zur Reue zu bewegen. Kurz nachdem sie abgegangen ist, hört man sie schreien. Giovanni schickt Leporello nach draußen, um nachzusehen, was geschehen ist. Auch Leporello schreit und berichtet nach seiner Rückkehr, dass die Statue gekommen sei. Sie klopft an Giovannis Tür; er verlangt von Leporello, sie zu öffnen. Leporello kommt dem nicht nach, sondern versteckt sich unter dem Tisch, Giovanni öffnet selbst. Nun erscheint die Statue des Komturs und gibt an, Giovannis Einladung zum Essen gefolgt zu sein. Don Giovanni reagiert anfangs ungläubig, befiehlt jedoch schließlich Leporello, ein Gedeck aufzutragen. Die Statue dagegen meint, nicht wegen des Essens gekommen zu sein. Auf insistierende Nachfragen Giovannis will die Statue von ihm wissen, ob er mit ihr zum Essen komme. Trotz Leporellos Rat, die Einladung abzulehnen, sagt Don Giovanni zu und schlägt ein. Die Kälte der Hand, die ihm der Komtur reicht, lässt Giovanni aufschreien, und er wird aufgefordert, zu bereuen und sein Leben zu ändern. Giovanni lehnt dies wiederholt ab und die Statue verkündert, seine Zeit sei abgelaufen und geht ab. Flammen umschließen Don Giovanni, der meint, seine Seele zerreiße; unterirdische Chöre rufen, angesichts seiner Sünden sei dies wenig … Schließlich wird Don Giovanni von der Erde verschlungen …“ (LINK)

Meine zweite „inungu“ scheint ausnehmend gut zu der von de Heusch und anderen vermittelten Wirkungsweise  zu passen.

Max Slevogt: Don Giovannis Be­geg­nung mit dem steinernen Gast, 1906 (wikipedia)

Und warum habe ich so lange gezögert?  Das lag paradoxerweise an den Resten der für Jonga-Figuren typischen jeweils halbseitigen Einfärbung. Die findet vorn auf der hohen Stirn, auf dem Hals und dem langen Block keine klaren Kanten und sehen solange ’schmutzig‘ aus, als sie für das Auge noch nicht in die Gesamtwirkung integriert ist.

 

Wenn man mehr wissen will:   Luc de Heusch : „Beauty is elsewhere: Returning a verdict about Tetela masks. Historical and ethnological notes the Nkutshu“ (1995)

Die Textpassagen zu den Jonga:  pp. 184-186, 188 und 198 :

1. zu Wanderung und Nachbarschaften

„Die Stellung der Djonga gegenüber der Tetela-Hamba Kultur- und Sprachgruppe ist schwer zu definieren. Diese kleine ethnische Gruppe (insgesamt etwa 6.000 Seelen im Jahr 1950) bleibt ein historisches Rätsel. Am rechten Ufer des oberen Tshuapa wohnend, im äußersten Osten des ehemaligen Territoriums von Lomela, bilden sie eine kulturelle Einheit, die sich von den Ankutshu a Membele unterscheidet, zum Beispiel im Verwandtschaftssystem (L. de Heusch, 1955). Diese ausgezeichneten Eisenschmiede pflegen eine symbiotische Beziehung mit den Ato-Pygmäen, die sie reichlich mit Vorräten an Wildbret versorgen.“

Er fügt an anderer Stelle hinzu: “ Die Nkutshu und die Djonga waren für die Hamba die Hauptlieferanten von eisernen Geräten und Waffen, sowie von Kupfergeld für den Austausch gegen Frauen. Djonga und Pama, eine Nkutshu-Gruppe, gewinnen Eisenerz in großem Maßstab. Die kupfernen Armbänder, die beim Ehetausch und beim Erwerb eines Rangs der Leoparden-Bruderschaft eine Rolle spielen, kommen hauptsächlich von den Djonga, die behaupten, sie von den Balinga-Fischern des Lomami zu erhalten im Austausch für von ihnen hergestellten Eisenobjekten oder für das rote ngula-Pulver, das zur Herstellung eines sehr geschätzten Kosmetikums verwendet wird. Auch von den Mbole aus Katako-Kombe beziehen die Djonga Kupfer: Sie tauschen es gegen eiserne Gegenstände, Ziegen und Hühner.

Dieser Handel bezieht andere benachbarte Bevölkerungen ein, und da keine Märkte existieren, öffnet er den Distrikt Sankuru der Außenwelt. Kupfer scheint noch nie in der Region gewonnen worden zu sein. Aber die Ludja beherrschen die Gusstechnik; ich war einmal Zeuge dieses Vorgangs. Sie vergleichen die schöne orange Farbe des geschmolzenen Metalls mit dem Glanz der Sonne.“ (188)

 

Die im Text erwähnten Gruppen (violett) und Untergruppen (violett)  – Näheres im TETELA-Blog (LINK)  sowie die Namen von Orten, Bezirken und Flüssen (grün). – Der Versuch, in eine Übersichtskarte zu übersetzen, was der Text hergibt.

„Der Yenge-Häuptling Kokolomami, der führende Tetela-Traditionalist, hat mir bestätigt, dass die Watambulu den Djonga während ihrer Wanderungen folgten. Die Watambulu behaupten sogar, der Ahnherr der Djonga sei ein Watambulu gewesen. Die Djonga bestätigen das allerdings nicht. Wieder gemäß Kokolomami sind die Djonga mit den Ludya verwandt, einer kleinen Gemeinschaft im ehemaligen Territorium von Katako-Kombe. Die Ludya leben an den Quellen des Tschuapa; die Djonga siedeln etwas mehr im Norden, am rechten Ufer des Flusses. Es gibt also Grund zu der Annahme, dass die Djonga flussabwärts in ihr heutiges Siedlungsgebiet einwanderten.

Kokolomami erzählte mir weiter, dass die Ludya, wie die Djonga, frei nehmen konnten was immer sie auf Yenge-Territorium wollten, denn sie waren die ersten, die es besetzt hatten.

Also sind diese mysteriösen Djonga, deren Sprache von den Tetela verstanden wird – aber nur gerade so – waren wohl zusammen mit den Pygmäen, die ersten bekannten Einwohner des Distrikts Sankuru. Unter ihnen lebten westlich von Lomela und östlich von Kole verstreut die Nkutshu. So nennen sie sich selbst. Auch die Ohambi von Lomela , die ich 1954 kurz besuchte, beanspruchen, Nkutshu zu sein und Onkutshu-Vorfahren zu haben wie die Tetela-Hamba. Auch sie behaupten, den Lomami überquert und am linken Ufer gesiedelt zu haben. Sie begleiteten ihre Verwandten, die Djonga. Während diese den Tshuapa hinab zogen,  folgten die Ohambi dem Lauf des Lomela und siedelten verstreut an dessen linkem Ufer. So treffen die Ohambi auf den nördlichsten Zweig der Ndjovu, die Yimbo, die mit ihnen Krieg führen.

Diese Ohambi, angesiedelt an der Peripherie des kulturellen Raums, den wir diskutieren, sind von besonderem historischem Interesse. Wie die Hamba besitzen sie eine typische ‚Wald’institution, die sich allmählich von einem Ort zu anderen ausbreitet, ohne jemals von den Tetela der Savanne adoptiert zu werden. Es ist die geschlossene Männergesellschaft der „Herren des Waldes“ (nkum’okunda) welche die politische und rechtliche Macht mit den Ältesten der Abstammungsgruppe (nkumi, lineage) teilen. Diese Bruderschaft fungiert als eine Art ‚Freimauererloge‘ (LINK; masonry) zwischen den nkumi aller Regionen, ein Netzwerk der Solidarität schaffend, das den Frieden fördert. Es umfasst mehrere Würdegrade, die nach Namen und Anzahl von Gemeinde zu Gemeinde variieren. Der Eintritt in diese Assoziation erfordert eine geheime Initiation, welche in einem im Wald eingezäunten Grundstück durchgeführt wird; der Zugang ist Frauen und Nichteingeweihten streng verboten. Um unterschiedliche Ränge zu erklimmen, ist die Zahlung ist an ältere Mitglieder erforderlich. Die wesentliche Funktion dieser Bruderschaft ist die kollegiale Rechtsausübung. Allerdings dient sie auch als Freizeitklub für Männer. Während ihrer öffentlichen Versammlungen, singen und tanzen die Mitglieder und evozieren die Tiere der Waldes .

Alle Hamba behaupten, diese kulturelle Institution von einer Nachbargemeinde erhalten zu haben. Die Ohambi hingegen behaupten, sie erfunden und an ihre Yimbo-Nachbarn weiter- gegeben zu haben. Wir sprechen hier also von einer für die Mongo des Südostens typischen Institution, die radikal anders ist als die nkumu-basierte unter den Mongo des Südwestens (L. de Heusch, 1990). Der Nkumu ist ein Heiliger Häuptling, der exklusive politische und magisch-religiöse Macht innerhalb eines bestimmten Territoriums ausübt, während die nkumi des Sankuru-Gebiets immer in einer Gruppe agieren ohne territoriale Bindungen und rituelle Funktion.

Während der 1950er Jahre präsentierte sich diese typisch waldverbundene Institution der nkum’okunda, deren Mitglieder wichtige Jagdrechte genießen, scheu und ängstlich unter den

Tetela-Gong-19601-A. 54 cm hoch, Bwoom (LINK)

Tetela der Savanne, besonders unter den Mondja (Ngandu) und Yenge. Aber niemand konnte die Handvoll alter Männer sehr ernst nehmen, welche die Elundia-Glocke anschlugen, in der Hoffnung , bei Versammlungen gehört zu werden. Im Gegensatz dazu genießen die nkum’okunda große Autorität unter den Hamba. Unter den Yenge, wie generell unter den Tetela der Ebenen, sind Prestige und Autorität allein den Ältesten mit der besten Abstammung vorbehalten, inthronisiert mit dem Leopardenfell (L. de Heusch, 1954a)“. (184-186 Übersetzung)

 

2.  speziell über die „inungu“ Figuren (p.198) :

Zur Kritik de Heuschs an anderen Autoren habe ich mir kein Urteil machen können. Ich vermisse auch entsprechende Abbildungen. Doch in diesem Abschnitt stellt er auch die oben zitierte Rolle dieses Figurentyps vor.

*Bayaya – Lomela  Google maps 2023-05-10 um 18.16

“ Am Eingang  des Initiationshains (lodge)  bei den Djonga, die eng mit den Nkutshu verwandt sind, finden wir eine männliche Figur mit starken phallischen Zügen. ln Bayaya *(bei Lomela) wird sie lnungu genannt und  mit rotem Pulver und Kaolin bedeckt . Die beiden Statuetten, die 1928 vom Museumsverwalter Benoit aus dem Kongo ohne Erklärungen in das Musée de Tervuren gelangten, sind ihrer Art nach ganz unterschiedlich (Dossiers ethnographiques du Musée Royal de l’Afrique Centrale, Tervuren, Nr. 27.702 und 27 .703, 1928).

Die Arme sind auf dem Rumpf verschränkt (folded). Eine der Figuren ist (1996) in der „Tetela“-Vitrine im Museum mit der Erwähnung „Grabfigur“ ausgestellt (Foto 22). Kein ethnologisches Dokument (file)  rechtfertigt diese Bezeichnung. Diese sind zweifellos  (…) Statuetten vom Typ Inungu, da ich nie eine Erwähnung von Bestattungskunst (funereal arts) unter den Djonga gehört habe. Ebenso wenig wie die Tetela-Hamba üben sie einen Ahnenkult aus . lnungu erfüllt unter den Djonga eine Funktion in der Rechtssprechung, die  sich anderswo bei den Hamba nicht findet. Und zwar werde – meinen Informanten zufolge – die Statuette im Haus eines Mannes plaziert , der vom Gericht des nkumi zu einer Bußzahlung verurteilt wurde und sich sich weigert, seine Strafe zu zahlen. Von dieser übernatürlichen Erscheinung erschreckt, begleiche der Schuldige seine Schuld sofort. Die Inungu, die sich angeblich vom roten Puder ngula ernähren, sind von Rätseln umgeben.

Eine rot-weiße Statuette, die geheimnistuerisch von Marc Félix veröffentlicht wurde, gehört wohl zu diesem Typ. Tatsächlich gehörte sie wahrscheinlich, wie uns ausweichend gesagt wird, „einem Mongo-Volk, das zwischen Hamba und Mbole lebt“ (Baldi, 1990, S. 19), was genau den geografischen Ort der Djonga beschreibt. Marc Félix präsentiert sie seinen Besuchern mit einer des nkumi würdigen Theatralik. Er öffnet einen Schrank und „eine polychrome Statuette dreht sich langsam unter einem Scheinwerfer“. „Ich schaue sie mir an und studiere sie“, sagt er zu seinem Besucher. Aber er verwendet das Wort „Studie“ nicht im anthropologischen Sinne. Er gibt zu, dass er keinerlei Ahnung von der „Nützlichkeit“ des Objekts hat, sondern dass er sich von seiner fesselnden Schönheit hinreißen lässt. Darüber darf man offen gesagt anderer Meinung sein (…debatable) .

Die beiden von Torday & Joyce (1922) publizierten und von ihnen den Vungi (Lodja-Klan) zugeschriebenen „Puppen“ sind höchstwahrscheinlich wie die „Bahamba-Puppe“ (ebd.S.54-55) zum nkumi gehörige Figuren. Allen, die ich untersuchen konnte, fehlt ein erklärender (exegetic) Kommentar, aber sie alle spiegeln sicherlich die Macht der nkumi wider, die dazu dient, den Frieden über weite Regionen hinweg aufrechtzuerhalten, und zwar über die Grenzen hinweg (over and above), aufgezwungen durch die Aufteilungen der Abstammungslinien (divisions of lineage) innerhalb der Nkutshu-Gesellschaft .

Symbolisch drückt sich der Kontrast aus zwischen dem nkumi einerseits, dessen Worte, unterbrochen vom Läuten der rituellen Elundja-Glocke, der Zwietracht unter den Hamba ein Ende bereiten, und den Ahuka, erblichen Abkömmlingen von Kriegern, die einen Feind im Krieg getötet haben, auf der anderen Seite. Sie umgeben die großen Häuptlinge der lineages, um deren große Macht unter den Tetela der Savanne zu verherrlichen.

Und es ist zweifellos kein Zufall, dass eine weibliche Figur namens Okako neben der Figur erscheint, die die männliche Macht im Nkutshu-Land repräsentiert, wo die Nkumi ihren Ursprung haben.

Schauen wir uns die Ursprungslegende an, die mit der nkumi-Institution unter den Ohambi verbunden ist. Die Frauen, so heißt es, gehorchten ihren Männern nicht mehr und es herrschte große Unordnung in der Gesellschaft. Daher beschloss der Vorfahre Meme, alle verdienstvollen Männer in einer Vereinigung von Herren des Waldes zusammenzufassen, um die soziale Harmonie wiederherzustellen. Die Leopardenbruderschaft erhebt also die männliche Ordnung und bekämpft die weibliche Unordnung der Frauen. Aber eine unwiderstehliche genetische Kraft drückt sich in der mythischen Gestalt von Mama Okako aus“ (198)

 

Warum lasse ich das sperrige Kapitel nicht einfach weg?

De Heusch argumentiert gegenüber sachkundigen Fachkollegen, was das Verständnis nicht erleichtert. Doch in meinen Augen macht die verwirrende Überkomplexität politischer und kultureller Beziehungen die Pointe und den ‚Bildungswert’ des Textes aus. Er erschließt sich nicht beim Überlesen, gar in einer Fremdsprache. Ich könnte mir vorstellen, dass in den ganzen Jahren überhaupt ihn nur eine Handvoll Menschen zur Kenntnis genommen haben.

 

Die Themen „Identität“ und „Tradition“

Auch unter afrikanischen Verhältnissen existiert „Identität“ nur im Plural – Was das für die geläufigen Stammes-Etiketten bedeutet, kann man sich leicht ausmalen. Beiläufig deutet hier de Heusch auch die Arbeitsbedingungen für die „Quellenkritik“ als Fundament wissenschaftlicher ‚Feldforschung‘ an. Die herrschende Form der mündlicher Überlieferung in den Händen der rivalisierender traditioneller Würdenträger und Regenten birgt das ständige Risiko der Veränderung, ja Neuerfindung der „Traditionen“, selbst des geltenden Stammbaums einer Gruppe.

Doch Historiker sind auch bei uns im ‚globalen Norden‘ interessengeleitete, oft umstrittene und streitbare „Informanten“ der Gesellschaft, vertrauenswürdig nur, solange das soziale und politische Klima die freie Diskussion nicht erstickt. Mit Geschichtsklitterung bin ich aufgewachsen. Sie hat mich durch mein Berufsleben begleitet und erlebt wohl gerade wieder ihre hässliche Hochkonjunktur.

15. Mai 2023

 

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