Dies ist eine späte Reaktion auf einen Vortrag von Hans-Jürgen Rielau (2008, Link zu „About Africa“) und einen Kommentar von Ingo Barlovic „Unter Generalverdacht“ in der ZEIT (Nr. 1, 11.1.2019 S. 36) (LINK)
Bisher litt man vor allem am Problem der Fälschung – obwohl man selbst vermeintlich erkannte Fälschungen gern „bei einer Galerie in Zahlung“ (Rielau-Vortrag 2008) gab.
Dies beiläufige Eingeständnis unterspült im Grunde Rielaus ermüdende Litanei bürgerlich respektabler Provenienzen in seinem ansehnlichen coffee-table-book „Afrikanische Miniaturen – Erinnerungen eines Sammlers„ LINK, Es sind immer nur die üblichen ‚unverdächtigen‘ Galerien oder eben Künstler, denen er wohl ein magisches Auge unterstellt. Darüber hinaus scheint mir die übertriebene Wertschätzung für Hans Himmelheber und Karl-Ferdinand Schädler als Autoritäten für eine ganze Generation typisch.
Hans Himmelheber war – mit Verlaub – aus der Provinz nach Paris und in die französischen Kolonien gekommen. Ja, er interessierte sich für die afrikanischen Handwerker und ihre Werkstätten, er würdigte „die Neger“ sogar durch Namensnennung. Doch lässt sich das nicht auch als ‚normales Verhalten’ ansehen? ‚Rassismus‘ war auch in den dreißiger Jahren keine einem jeden totalitär aufgezwungene Perspektive! Jeder kannte in Europa Handwerker in der eigenen Nachbarschaft oder Verwandtschaft, selbstverständlich hne ‚höhere‘ Bildung. Das machte einen doch noch nicht zum unantastbaren Kenner afrikanischer Kunst! (LINK)
Karl-Ferdinand Schädler stilisierte sich 2013 („Kunst&Kontext 2/2013 S.78-81“; LINK) in Rede und Gegenrede mit Redakteur Schlothauer vor den Lesern der Mitgliederzeitschrift geradezu aggressiv. Als gereizter Platzhirsch der Gutachterszene, zugelassen bei der Industrie- und Handelskammer und fixiert auf „Fälschungserkennung“ durch detektivisches Gespür. In der „Echtheitsdefinition“ scheint er bei Carl Einsteins expressionistischen Phantasien (1914) stehen geblieben zu sein, und was „die stilistische Beurteilung durch einen Fachmann“ – hot oder Schrott – angeht, will er sich schon gar nicht mehr rechtfertigen müssen: „Die Erfahrung hierzu kann man leider nicht ’so nebenbei‘ erwerben.“ – Sachliche Einwände des Redakteurs prallen zu verschiedenen Gelegenheiten von ihm ab. Moderne internationale kunstethnologische Literatur, womöglich aus Amerika, hat er offensichtlich nie zur Kenntnis genommen. Sein bevorzugter Sammlertyp ist „unsicher“, er hat die „Kapitalanlage“ im Kopf (Rilau, K&K 2/2012), hat keine Zeit, möchte „erstklassige Werke“ erwerben und nicht durch „immer besser(e) Fälschungen sein Geld verlieren“. – Danke, Herr Schädler für die unerwartet ergiebige Selbstdarstellung!
Jetzt aber zittern Sammler vor den Risiken der Restitutionsdebatte. Ingo Barlovic muss sie – nicht anders als verängstigte Investoren – in der ZEIT beschwichtigen:
„Sammler sollten jetzt vor alle einen kühlen Kopf bewahren und mittel- bis langfristig denken.“ Barlovic meint damit „deutsche und französische Sammler, weniger belgische“, und hält ihnen als Trost vor Augen, dass „Werke im High-End-Bereich (…) in deutschen Sammlungen ohnehin kaum zu finden“ seien. Er empfiehlt, „noch stärker auf Qualität (zu) setzen, die derzeit günstig zu haben ist.“
Was für ein Elend auf welch’ hohem Niveau! Und wer denkt dabei an die Händler, an die afrikanischen und die wenigen für Qualität einstehenden Galerien?
Als Außenstehender mit historischer Ausbildung gewinne ich den Eindruck, dass in Deutschland eine ganze Generation von Afrika-Sammlern sich von eingeredetem bösen Zauber hat verängstigen lassen. Glücklich waren und sind bis heute Künstler im Gefolge eines nachgeholten französischen und belgischen „Primitivismus“ (Rubin, 1985). Sie konnten und können sich immer wieder inspirieren lassen.
Wir kriegen was wir wollen
Das Sammeln afrikanischer traditioneller Kunst im weitesten Sinne hat seine Tücken, aber die bestehen am wenigsten darin, wer nun der Auftraggeber eines Objekts war und was das für die Herstellung bedeutete, ob zum Beispiel der Handwerker die Fertigstellung übernahm – für den dörflichen Auftrag – oder ein Zwischenhändler, der das Stück für die europäische Kundschaft bearbeitete, im Normalfall also ‚alterte’.
Bekanntlich haben Europäer einen oberflächlichen „Zivilisationsprozess“ (Norbert Elias, Foucault) in Richtung Allergie-Bildung vorzuweisen! Zum Beispiel darf nur eine Minderheit der Sammler überhaupt ungereinigte Fremdheit nach Hause bringen in einen von der Hausfrau tolerierten toten Winkel der Immobilie. Übrigens verhält sich auch die neue ‚Bourgeoisie‘ in Afrika sich nicht nennenswert anders, aber mit eigenen Motiven.
Englische und holländische Wirtschafts-Unternehmen praktizierten über Jahrhunderte für den Atlantikhandel das „Customizing“, also die „Anfertigung nach Kundenwünschen“ . Heute ist Auftragsfertigung globaler Standard. Und afrikanischen Handwerkern wollen wir das verwehren?
Manche Sammler zieht es zu den berühmten ‚hochpreisigen‘ Galerien nach Paris oder Brüssel . ‚Provinzler‘ waren bereits im 19. Jahrhundert des Second Empire und der Weltausstellungen dafür bekannt, sich prächtig ausnehmen zu lassen. Die einschlägigen Galerien und die ihnen geschäftlich verbundenen Autoren – wie Francois Neyt oder Raoul Lehuard – halten seit über einem Jahrhundert am ererbten Geschäftmodell fest, das sich an einer kolonialen Strategie orientiert. Im Klartext: Man musste die Menschen etikettieren, also „Völkerstämmen“ zuweisen und kann darauf dann einen ethnischen „Stil“ projizieren.
Locker gefügte, aber ‚stilbildende’ Reiche wie die der Bakongo, Chokwe, Bakuba oder Baluba waren dafür ideal, aber ebenso kulturelle Reaktionsbildungen widerständiger kleiner Völker wie die Mbole, Lega oder Salampasu, und nicht zu vergessen die Hersteller anerkannter Fetische wie die Songye. In Wirklichkeit herrschte seit jeher im Afrika südlich der Sahara eine nicht nur geistige Promiskuität: „Man aß man aus einem Topf“ (W. Lufudu). Man wanderte zusammen oder zerstritt sich, man hatte eigentlich nie ein Territorium allein für sich, man bekriegte einander, obwohl man sich so ähnlich war und übernahm alles – auch magisch und ästhetisch – was einem nützlich erschien.
Hans-Jürgen Rielau will Sammler locken: Die Entlarvung der Fälscher könne „deutlich reizvoller sein als das Anschauen eines Tatort-Films im Fernsehen“. Soll etwa eine serielle Produktion wie „Tatort“ Vorbild für das Erwerben afrikanischer Objekte sein? Wäre ein anderes Sammelgebiet nicht viel preisgünstiger?
Kürzlich begegnete mir an einem Marktstand ein alter Herr, der unvermittelt nach der Echtheit der angebotenen Objekte fragte und hinausposaunte, das meiste werde ja „wohl in Hongkong gefertigt“. Von Hongkong hatte er ja wohl auch keine Ahnung, aber er beteuerte, „jahrelang in Afrika gelebt“ zu haben. Auf meinen Einwurf, dass ich bei solchen residents und expatriates noch keine guten Stücke gesehen hätte, brachte er seine „Experten“ ins Spiel, die ihn beraten hätten. Typisch deutsch?
Und die Zukunft unserer Sammlungen ? (Das Thema jedes Sammler-Treffens)
Nur eins: Ist für Sie „Vergessen durch Lagern“ im Museumsdepot eine Option? Die Sammler wie auch die kommerziellen Galerien brauchen sich gar nicht einschüchtern lassen. Denn bei ihnen zeigen sich noch Wertschätzung und Sorge um das einzelne Objekt. Selbst kommerzielle Investitionen sind noch besser als „Vergessen durch Lagern“ oder „Amnesie des Depots“ (Sharon Macdonald, zitiert von Jörg Häntzschel in der Süddeutschen vom 9. Juli 2019: „Ethnologische Museen in Deutschland: Verseucht, zerfressen, überflutet“.). In einem Beitrag „Lauter Fassaden in Deutschland …„zitiere ich Passagen aus dem Bericht. (LINK)
Neue Einsicht 24. Januar 2022 über den Aspekt quasi-religiöser Rhetorik
Anlass ist ein Filmfeature über Rembrandt, Frans Hals und Vermeer unter dem Titel „Rembrandts Zeitalter“ (ARTE 16.1.22). Der Milliardär und Sammler teilt mit dem Kunsthändler Jan Frits , dem in 11. Generation Erben der Freundschaft mit Rembrandt, die Rhetorik der Überwältigung durch die „Originale“, ihrer fast wundertätigen Ausstrahlung, und selbst bei einem bisher nur potentiellen Original.
Diese Rhetorik der spürbaren Einzigartigkeit ist mir auch früher bereits begegnet, auch da im Moment, wo die Zuschreibung „wissenschaftlich“ erwiesen scheint. Ich nehme an, exklusive Kunsthändler haben sich den Enthusiasmus antrainiert und er hat auf die Kunden abgefärbt. Was bleibt ihnen auch anderes übrig. Nie ist bei diesen Gelegenheiten von Enttäuschungen durch nachträglich entlarvten Fälschungen die Rede. Aber sie lauern natürlich im Hintergrund. Daher die ängstliche Suche nach Gewissheit. Auch das ist typisch für neuzeitliche europäische Religiosität. Erlösung? Nein, dafür eine Indizienkette, predigte Calvin.