Drei Sultane der Azande im direkten Vergleich 1911 (4/5)

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Hochgeladen am 11.Juni 2021 – Stand: 21. Juli
v.Wiese hat den Auftrag, drei bedeutende “Sultanate” den Mbomu aufwärts zu visitieren, ein jedes mit eigenem Profil. Ihre Schilderung dominiert die Reiseerzählung – im „Tagebuch“ ebenso wie im 1.Band von „Vom Kongo zum Niger und Nil“ 3. Kapitel. 
Die Völker-Karte von V.Wiese und Kaiserswaldau hat eine bemerkenswerte Besonderheit, die im Feld oben rechts ausdrücklich vermerkt ist: “Auf dem westlichen Teil der Karte sind die Völkergruppen durch farbige Flächen, aif dem östlichen Teile hingegen die politischen Gebiete der Sultanate durch Randkolorit bezeichnet.” – Eine geniale Idee, um die para-staatliche Rolle der drei Sultanate, ihren despotischen Charakter und die ‘Nivellierung’ der von ihnen Unterworfenen auszudrücken.
Da die östlichste der französischen Konzessionen mit den Grenzen dieser drei Azande-Herrschaften zusammenfällt, lässt sich auch die jeweilige Dienstleistung des Sultanats vergleichen. Doch im Zentrum stehen nun die Schilderungen von Wieses und ihre Wertungen. Da seine Darstellung im Laufe der Expedition allmählich an Trennschärfe und Schärfe zunimmt, erschwert den – sich zunächst anbietenden – systematischen  Vergleich.

v.Wiese Beilage zu Bd.1 “Völkerkarte” mit den 3 Sultanaten der Azande rechts

1

DAS SULTANAT BANGASSU (11.Kap. 261ff. )

Am verkehrsmäßig gut erreichbaren Sultanat Bangassu lassen sich die Themen “Pazifizierung” und “Konzessionsgesellschaften” gut exemplifizieren.

Der Ort am Nordufer des Mbomu ist dreifach besetzt:

  • „Hauptort des gesamten französischen Mbomu-Distrikts bis zur Bahr-el-Ghazal-Grenze“ (261),
  • Sitz der „Gesellschaft der Sultanate des Ober-Ubangi“, an deren Faktorei Wiese „einen Haupttransport unserer Expeditionslasten“ vorausgesandt hat, teuer aber dennoch manche Last verdorben oder verloren (262),
  • etwa 20 Minuten von der Faktorei entfernt die Residenz von Sultan Bangassu, (263) Die politischen Grenzen des Sultanats decken sich im wesentlichen mit dem Siedlungsgebiet der Nsakkara. Sie sollen ursprünglich aus dem Nordosten über den Uelle in den Süden und um 1800 aus wieder nach Norden an den Mbomu gewandert sein und ansässige Banda-Stämme verdrängt beziehungsweise versklavt haben – die bereits vorher Opfer der Sklavenjäger aus dem Norden waren. (264)
  • Eine vierte Gruppe gehört unsichtbar zu diesem Ort, die „Freihändler“, welche der Monopolgesellschaft den Profit mindern. Wie sehr, kann man sich nach Suret-Canales Angaben vorstellen .

Die französische Verwaltung übt nur eine Oberaufsicht über das Sultanat aus und überlässt dem Sultan die Regierung seines Reiches, die sich natürlich in gänzlich absolutistischen Formen vollzieht. Selbst das Recht, gegen Nachbargebiete und widerspenstige unterworfene Häuptling Krieg zu führen, ist dem Sultan vom französischen Gouvernement belassen worden. (264) Wie großzügig! Es sieht eher so aus, dass ihm die Verwaltung vorsichtshalber politische und militärische Aufsicht aus nächster Nähe angedeihen lässt.

Einem strategisch weniger zentral gelegenen Sultanat im Inneren beließ es die Kolonialverwaltung bei verringertem Aufwand , der Stationierung einer kleinen Einheit ‘senegalesischer’ Schützen.

Wiese I,249: „Da mich ein Maleriafieber mit nachfolgendem Schwarzwasserfieberanfall packte, machte ich einige Ruhetage in Kuango … Unweit meinem Lager befand sich eine Faktorei der Kuango-Konzessionsgesellschaft, einer der vielen Gesellschaften, die in ihrem Gebiet das alleinige Recht haben, Kautschuk und Elfenbein aufzukaufen. Der Hauptplatz dieser Gesellschaft ist Bambari am oberen Kuango, wo auch demnächst eine Tirailleur-Kompagnie in Garnison gelegt werden soll, da die Bewohner des Kuango, die Longuassi, in ständigem Aufruhr begriffen sind.“

 

Der Umgang von Sultan Bangassu mit der Gesellschaft der Sultanate des Ober-Ubangi rundet das Bild seiner Politik:

Eine Klausel des Konzessionsvertrags besagt, daß das Gebiet 25 Meter zu beiden Seiten fließender Gewässer nicht als Konzessionsgebiet zu betrachten sei. Die verschiedensten Freihändler machten sich dies zu Nutzen… Sie behaupteten einfach, aller Kautschuk , den sie von den Eingeborenen aufkauften, stamme von direkt am Fluss hängenden Lianen, alles Elfenbein von Elefanten, die direkt im Fluß oder in einer Zone bis 25 Metern getötet worden seien. Ein Prozess vor dem Gerichtshof in Brazzaville sei anhängig. (262)

Da die Freihändler teilweise viel besser als die Agenten der Gesellschaft bezahlten, war es den Eingeborenen nicht zu verdenken, daß sie die Produkte des Landes lieber zu den ersteren trugen. (263) Auch der Sultan schien mehr Interesse für die ihm sympathischeren Freihändler zu haben. Im allgemeinen verhielten er und seine Großen sich allerdings sehr ablehnend gegen die Europäer, mochten es nun Kaufleute oder Regierungsangestellte sein.(263)

 

Der Dolmetscher ist der Vermittler (Sitten und Gebräuche)

Der Sultan und seine Angehörigen hielten auch den „Ethnographen“ Wiese auf Abstand. Wertvolle Belehrungen erhält Wiese von dem „Unterhäuptling“ Sain, einem Halbaraber aus Witu von der ostafrikanischen Küste, der zur Zeit der großen Sklavenjagden in den Kongostaat gekommen war und sich schließlich im Lande Bangassus niedergelassen hatte, der ihn zu seinem Vertrauten machte. Daher wußte er recht gut über die Sitten und Gebräuche der Nsakkara und die Entstehung des Sultanats Bescheid. (263)

Halbaraber Sain“, den Wiese seinen Vertrauensmann nennt, fungiert übrigens als Statthalter Bangassus („Unterhäuptling“) „weit im Norden des Sultanats“, wo Said „lebhafte Beziehungen mit dem Stamm der Kredj und deren Sultan unterhält und daher viele Ansiedlungen dieses Volks in seinem Bezirk hat.“(272)

Wiese hat über Sitten und Gebräuche mehrere Buchseiten zu erzählen. Was den Missionar grausen würde, freut den „Ethnographen“ auf der Suche nach unverdorbener Primitivität! Witus Gerüchteküche garantiert Gänsehaut. „Labassu hat ungefähr 1200 Weiber geheiratet, und zwar aus den verschiedensten Volksstämmen“ (264), „besteht für die anderen Männer nicht besonders viel Gelegenheit zum Heiraten“, außerehelicher Verkehr wird streng bestraft“ oder „Stirbt ein freier Mann, so werden stets seine Lieblingsfrauen erdrosselt und mitbegraben u.v.m. (265). Solche Angaben finden sich aber auch im Bas-Congo des 19.Jahrhunderts, nach Wyatt Mac Gaffey’s Studie ‚Kongo Slavery Remembered by Themselves’ , The International Journal of African Historical Studies an der Boston University. (vol. 41, no.1 2008, pp.55-76) (LINK: http://detlev.von.graeve.org/?p=4251)

Traditionell findet jedes Jahr ein Kriegszug gegen das Volk der Bubu statt, die westlich des Kotto sitzen, aus Rache, weil einst die Bubu den Großvater Labassus namens Mbari gefangen und getötet haben. Dieser Zug dient dazu, sich mit neuen Sklaven und namentlich mit Menschenfleisch zu versorgen.“ (264)

Solche ‚Kriegszüge’ gegen Nachbarn fanden auch im ‚Königreich’ der Sklavenhändler Dahomé statt. Das regelmäßig im Text auftauchende Motiv eines unersättlichen Kannibalismus verdient, von mehreren Seiten abgeklopft zu werden. Das wird Thema erst in 5/5 – im Kontext von Fabian: “Im Tropenfieber” u.a.

 

2

v.Wiese im “Sultanat Rafai”  April 1911

LÄNGERER AUSZUG AUS DEM TEXT DES “TAGEBUCHS”

(S.34-36)Nach Passieren von vielen Stromschnellen kam ich endlich am 12. Mai an die Stelle, wo der Chinko in den Mbomu einmündet, fuhr noch sechs Stunden den Chinko aufwärts und erreichte gegen Abend die auf einer Anhöhe unweit des Flusses gelegene Verwaltungsstation Rafai, wo Leutnant Gillette den Befehl hat. In Rafai befindet sich ausserdem der Sitz der Direktion der Gesellschaft des Sultanats de Haut Ubangi und die Residenz des Sultan Hetman, dem zweiten von mir zu besuchenden grossen Sultani des Landes. Damit war ich in dem Gebiet der Azande oder Niam-Niam, den gefürchteten Menschenfressern Central Afrikas, und erhoffte natürlich eine sehr reiche ethnographische Ausbeute. Leider wurde ich aber arg enttäuscht. Diese Enttäuschung zeigte mir wiederum, dass es selbst im innersten Afrika die allerhöchste Zeit ist, ethnographisch zu sammeln und zu retten, was noch zu retten ist. Nur noch einige Jahre so weiter und der Ethnograph findet nur noch behoste Nigger, europäische Schundwaren statt der eingeborenen Erzeugnisse und ein seltsames Gemisch der früheren Stammessitten mit europäischen Unsitten. Dies alles heisst das europäische Kultur! Die grossen Konzessionsgesellschaften wollen ja nur gegen ihre Waren Kautschuck und Elfenbein einhandeln, tun aber nichts für die Erziehung des Negers. In kurzen Worten will ich beschreiben, was ich in Rafai vorfand und jeder wird daraus ersehen, dass man eher glauben könnte, sich in der lächerlichen Negerrepublik Liberia zu befinden, als bei einem Häuptlingder Menschen-/ Central-Afrikas. Zunächst will ich hervorheben, dass die meisten Bewohner des Sultanats Rafai gar keine Azande sind, sondern unterworfene Autochtonen, Stämme wie  die Biri, Gabon, Nsakkara und verschiedene Banda. Im Sultanat befinden sich ca. 23.000 Seelen, davon sind Azandés 4.500, Biri 4.500, Gaba 3.000, Baia 2.000, Nsakkara, verschiene Banda 5.500, davon 5000 Männer, 6000 Frauen, 5.500 männliche Kinder, 6.500 weibliche Kinder, cr. 3500 Leute sind mit Vorderladern verschiedenster Modell bewaffnet. Da die Azandé sehr viele Frauen der genannten unterworfenen Stämme geheiratet haben, so hat natürlich beim Nachwuchs die Reinheit der Zandi-Rasse sehr gelitten und das Sultanat Rafai ist damit nicht der Platz zu ethnographischen Studien, das muss ich mir auf später aufsparen.

Doku

v.Wiese I 204. Sultan Hetman

Der jetzige Sultan Hetman, der Sohn Rafai’s ist gänzlich europäisiert. Er spricht fertig Französisch, trägt eine ihm vom französischen Gouvernement speziell verliehene europäische Uniform und auf seiner stolzen Brust das Offizierskreuz des Ordens des schwarzen Sterns von Benin (LINK). Er hat bereits eine Reise nach der Küste unternommen und dort die grossen Europadampfer mit allen modernen Einrichtungen gesehen. Er lebt in einem nach Europäerart // erbauten Hause mit europäischer Einrichtung, führt europäische Küche und Keller und lädt die Europäer zum Diner ein. Für seine und der Unterchefs Kinder hat er eine Schule eingerichtet, in der französisch unterrichtet wird. Wohl wissend, dass die Sitten und Gebräuche der Azande barbarisch sind, leugnet Hetman ihr Bestehen ab. Während er für alles Europäische ein großes Interesse hat, ist sein Gedächtnismerkwürdig schwach, wenn er über die Geschichte seines Landes, über die Religion der Azandés, Anthropophagien (‘Kannibalismus’) befragt wird. Dies ist ja alles an und für sich sehr lobenswert, dass er so dem Fortschritt zuneigt und er ist bei seiner Europäerfreundlichkeit für die Franzosen ein sehr bequemer Regent des Landes; für den ethnographen aber ist es eine arge Enttäuschung, solche europäische Sultansfigur zu finden. Natürlich macht seine gesamte Umgebung diesen etwas plötzlichen Wandel mit und gerade bei diesen wirkt es lächerlich. Hetman selbst,- das will ich ausdrücklich hervorheben – will ja das Beste, stellt seine Macht ganz in die Dienste der Franzosen und ist gegen alle Europäer stets bescheden. Doch kann er trotz allem nicht verhindern, dass die europäische Tünche seiner Landeskinder nur einehöchst oberflächliche ist, und dass abseits seiner Residenz die ehemaligen Sitten und Gebräuche fortbestehen. Dadurch, dass der Neger einen europäischen Anzug trägt, wird sein Verlangen nach Menschenfleisch noch lange nicht unterdrückt. Die ehemaligen Kriegerscharen des Landes, früher bewaffnet mit Speeren, Lanzen, Wurfmessern, Schildern u.s.w. entweder nackt oder in Felle und Rindenstoffe gehüllt, sind nun in die bewaffnete Armee Hetmann’s umgewandelt. Ihre Uniformen// (37) sind natürlich Fantasieuniformen, jeder trägt, was ihm beliebt. So findet man französische Uniformen, weisse Röcke, Khakiuniformen, einfache Blosen, Beinkleider, verschiedenster Farben – ganz wie in Liberia. eine Radaumusikkapelle, eine alte Kanone, Fahnen verschiedenster Farbe (auch solche mit arabische Inschriften, die von Rabehs Armee herstammen) sind vorhanden. Es wird täglich exerziert und eine Leibwache vor der Hofumwallung des Sultanshauses erweist dem vorüberschreitenden Sultan Ehrenbezeugungen. Oft inspiziert Hetman hoch zu Ross seine Truppen – alles ein grosses Soldatenspielen. (Abb.206)

Ich hatte meinen Besuch bei dem Sultan angekündigt und machte mich daher am 14.Mai zu seiner cr. fünfzehn Minuten von der Station auf einer Anhöhe gelegenen Anhöhe auf. Meine Dienerschaft folgte mir, da ich hoch zu Ross war, und trug die für Hetman bestimmteb Geschenke. Diese waren natürlich seinem fortschrittlichen Wesen nach bemessen, nämlich 1 Zaumzeug mit schönen silberbeschlägen, eine blaurote silbergezierte Unterlegedecke für den Sattel, ein Marinedolch mit Koppel, eine Khakireithose und für seine Frauen seidene Tücher, Plüschstoffe und Talmibroschen. Vor der Front seiner aufgestellten Truppen empfing mich Hetman und ich übergab ihm die Geschenke, über die er hocherfreut war. Ich machte verschiedene Aufnahmen, ließ meine Ohren durch seine Musikkapelle martern und betrat dann sein Haus, wo mir französischer Champagner kredenzt wurde. Auch seine Frauen wurden mir vorgestellt und eine ganze Anzahl Mulattenkinder, von denen einige recht niedlich waren. Hetman liebt es, die Kinder von Europäern zu sich zu nehmen, da diese ja doch meist von ihren Vätern nicht anerkannt sind. Wenn auch (-38-)dabei eine gewisse Eitelkeit mitspricht, das solze Gefühl, für diese armen Würmer zu sorgen, so zeigt es doch, wie in vielen seiner Handlungsweisen, dass er recht gutherzig ist.

Zitat: “….Es ist alles ein großes Soldatenspielen (Abb. 206)”

Bei diesem ungewöhnlichen Bild schaute ich neugierig nach dem angegebenen Textbezug. Nichts!

“Strafgefangene”? Im Auftrag der Station oder der Société? Die vollständige europäische Tracht soll wohl  entsprechende ‘Standards’ suggerieren. Die Gabel-Balken erinnern an Sklaven-Kolonnen, sind aber  dafür nicht zu brauchen, höchstens für eine militärische Bestrafung. Die Männer posieren. ???????

Als Gegengeschenk erbat ich von ihm ethnographische Objekte für die Sammlung. doch machte es ihm sichtliche Schwierigkeiten, die den Azande eigentümlichen Waffen und Geräte beizuschaffen, und es dauerte einige Tage – es gab nicht viele am Hofe des Sultans, da dort mest alles aus der Faktorei der Compagnie de(s) Sultanats stammt. …. Dies alles ganz im Gegensatz zur Residenz des Sultanats Labassu der Nzakkara, bei denen alles noch wie früher geblieben ist. Doch ich will nicht grollen, denn schließlich ist es ja der Zweck von Kolonien, für die europäischen Waren neue Absatzgebiete zu schaffen.

– Die Geschichte des Landes habe ich, soweit es möglich war, niedergeschrieben und will hier nur das Wichtigste erwähnen. 

  Wie  das Sultanat Rafai entstand und zu Namen und Würden kam.

Jan Vansina erlaubt uns, diese ‘Reichsgründung’ als repräsentativ als Teil des ‘Wegs der Zerstörung’  der gesamten Region zu erkennen.

1865 tauchten räuberische Milizen aus dem Sudan auf und setzten sich bis 1885 fest. 1869 gründeten Zanzibari die Station Nyangwe am Lualaba River. Unter dem legendären Tibbu Tip erreichte ihre Eroberung 1887 die Täler Uele, Ituri, Upper Lopori und Upper Tshuapa. Sie zwangen die Bevölkerung, sich in großen Dörfern niederzulassen und verhalfen dort den “Sultani“, jungen ehrgeizigen Männern zu Macht, denen die traditionellen Eliten wenig entgegenzusetzen hatten, um ein kollektives Gegengewicht zu bewahren. (242)

Vansina hat in “Paths in the Rainforests – Toward a History of Political Tradition in Equatorial Africa”, London 1990) im 8. Kapitel  “Death of a Tradition” (pp. 239 – 247)  dann vor allem auch die Kontinuität zur europäischen Kolonialherrschaft unterstrichen, wie sie auch in Rafai augenfällig ist. (LINK  zu längeren Passagen deutsch)

Nach 1890 begannen bedeutende europäische Militäreinsätze und systematische Eroberungen im Regenwald. Vom unbarmherzigen Terror der Gummiunternehmen ging der stärkste Impuls zur Gewalt aus. Sie spannten auch die Armee des Staates ein, um den Widerstand der lokalen Bevölkerung zu unterdrücken. Manchmal wurden beträchtliche Truppenkontingente eingesetzt. Die Gummikriege dauerten im kongolesischen Teil der Regenwälder von 1893 bis etwa 1910.  (244)

v.Wiese referiert: “….Da drangen von Süden und Südost her vom Uelle aus der jetzigen Hauptgegende der Azandi einzelne Azanditrupps über den Mbomu vor, unterwarfen die autochtonen  Stämme und machten sie zu Sklaven. Von Norden kamen arabische Sklavenjäger ins Land, traten in Handelsbeziehungen zu dem Führer dieser Azandis Rafai, und machten diesem zu ihrem Vertrauensmann und damit zum Häuptling des Landes. Der mächtigste dieser arabischen Eindringlinge war der // (Tagebuch 38-39)bekannte Ziber Pascha und sein Feldhauptmann Rabeh. Rafai stellte an Ziber regelmäßig Sklaven und Elfenbein und sandte für Zibers Unternehmungen ein ständiges Truppenkontingent, welches arabische Fahnen führte.(…). Den Islam brachten die Arber so oberflächlich ins Land, dass er bald wieder ganz verschwand.

(ebd. S. 40) “Wenn auch die heutigen Zustände Rafais, wie ich schon sagte, nicht zu ethnographischen Studien geeignet sind, so konnte ich doch von alten Leuten erfahren, wie es früher war und darüber Material sammeln, sodass ich auch von Rafai scheiden konnte mit einer immerhin ansehnlichen ethnographischen Sammlung und reichlichem Studienmaterial. Leider erlebte ich aber die große Enttäuschung, dass der grösste Teil meiner photographischen Platten trotz doppelter Einlötung infolge der Nässe verdorben ist. Ein schwerer Schlag.

In der veröffentlichten Übersicht hob Prof. Thilenius 1912 eigens die wissenschaftlichen Ergebnisse der Teilexpedition Walter v. Wieses  als besonders ergebnisreich (Bd. I, S.383) hervor: “1700 Gegenstände, zumal von den Magwandi, Nsakkara, Mandja, Togbo, ausführliche Nachrichten über 16 Völkerschaften, 600 Photogramme und Abbildungen, 30 eingehend beantwortete Fragebogen und 40 Phonogramme bilden das mitgebrachte Material...”

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Im Lande Semios

vom 3. bis 14. Juni, im Buch das 12.Kapitel (S.xxx), im Tagebuch (-xx-) S.41-53

 

Sultan Semio – Tafel:  Ernst M. HeimsIn Semio eingetroffen, blieb ich zunächst in der ziemlich dicht am Fluss gelegenen Faktorei. Der französische Verwaltungsposten lag etwa 17 Kilometer flußaufwärts von dieser entfernt., der Sultanssitz selbst etwa 15 Kilometer nördlich des Flusses. Die Entfernungen scheinen mir auffällig groß zu sein !)Gegenüber der Faktorei, 3 Kilometer südlich des Mbomu, lag der belgische Kongoposten Gangara, wo ich Leutnant de Roy de Ricken traf. Ich fand bei ihm gastliche, sehr kameradschaftliche Aufnahme… Leider war es nicht möglich, größere Exkursionen in das belgische Gebiet zu machen, da die Asande dort sehr feindlich waren.Mehrere Kompagnien der belgischen Kolonialtruppe lagen im Krieg gegen die Asande Sultane Mokpoj*, Linsingino und Sassa. Die Besatzung von Gangara durfte den Posten nicht verlassen, um ihn nicht von Truppen zu entblößen. Am 3. Juni brach v. Wiese zu Sultan Semio auf. (284)

Demonstrierte Würde und Ablehnung prägen das Auftreten von Sultan Semio Ikpiro

Semio Ikpiro empfing mich nach längerem Zögern mit einem Untersultan und einem Dolmetscher und geleitete mich im ersten Hof seiner Residenz in ein geräumiges Fremdenhaus. Das Innere seiner Residenz hinter vier Vorhöfen blieb für v.Wiese verschlossen. Das weibliche Geschlecht wurde gänzlich meinen Blicken entzogen. Gänzlich ablehnend verhielt er sich , sobald ich irgendwelche Fragen an ihn richtete, die sein Familienleben, seine Religion, die Sitten und Gebräuche seiner Asande betrafen. Auch dafür, mir ethnographische Sammelgegenstände zu überlassen, zeigte er leider recht wenig Interesse. Ich hatte jedenfalls das Gefühl, daß Semio und seine Untertanen mit Schmerzen den Tag meines Abmarsches herbeisehnten.(292)Zunächst macht der Sultan, den er auf etwa etwa 65 Jahre schätzt, einen sympathischen Eindruck (s. bunte Tafel), er erinnert ihn allerdings auch an einen alten, schlauen, oft recht eigensinnigen, sehr selbstbewußten Bauern, mißtrauisch gegen jeden Fremden und alles Fremde.Er trägt stets ein langes arabisches Gewand, niemals europäische Kleider. Nur schützt den Kopf ein großer großer, grauer breitkrämpiger Filzhut. In seiner Hand trägt er meist eine lange übermannshohe Lanze, auf die er sich beim Gehen stützt. Als ich ihn so dahinschreiten sah, ruhig und gemessen in all seinen Bewegungen, kam mir unwillkürlich der Vergleich mit einem alten Patriarchen. Kam er in mein Haus, so wurde für ihn eine niedrige Bank mit einem Teppich belegt aufgestellt. Niemals setzte er sich auf einen Stuhl europäischer Art. Die ihn begleitenden Würdenträger nahmen in Hockstellung oder sitzend auf mitgebrachten Strohmatten vor dem Hause Platz.Wenn Semio einen arabischen Fakir bei sich hat, gehört das zu den als Vasall der arabischen Sklavenhändler und dann der ägyptischen Regierung übernommenen Sitten.(-46-)

Die dem Besucher gewährte Chronik der Region und der Dynastie

Unter Aufbietung größter Geduld und Ausdauergelingt es v. Wiese , von ihm einen Stammbaum fast sämtlicher Asande-Dynastien bis in des 9. Glied aufwärts, sowie recht ausführliche Auskunft über die Geschichte seines Landes zu erhalten. Eine ausklappbare Stammtafel wird stolz im Buch präsentiert. (nach S.286) v.Wiese ist beeindruckt:

Als einziges Hilfsmittel für sein Gedächtnis ergriff Semio eine Anzahl Holzstäbchen, an denen er die einzelnen Generationen abzählte und an denen er mir durch einen künstlich ausgedachten Aufbau auf dem Erdboden die Genealogie klar machte. Alle Tage, von früh bis abends, mit einer Mittagspause von zwei Stunden, saß er geduldig bei mir und beantwortete meine Fragen.“ (S.286)

War v.Wieses Geduld ausschlaggebend oder nicht eher das Kalkül des alten Fürsten, der sich persönlich an den deutschen Forschungsreisenden Junker erinnerte und nach dem deutschen Kaiser fragte? Wollte er, dass sein bisher nur mündlich überlieferte Stammbaum in einem europäischen wissenschaftlichen Archiv die unruhige Zukunft überlebte, nicht nur die Zentralafrikas, und die aktuelle Krise seiner Dynastie, die 1910 aufgebrochen war.

Als 1910 der erstgeborene und als Thronfolger in Aussicht genommene Sohn Semios, genannt Buddie, plötzlich starb, beschuldigte man Mokpoi Gatanga, den sehr beliebten und durch militärischen Erfolg mächtigen Bruder Semios, ihn vergiftet zu haben. (290) Bald darauf 1911 verübte man ein Attentat auf ihn. Durch einen Schuss schwer verwundet, flüchtete sich Gatanga auf einen französischen Posten und lebt nun in einem kleinen Dorf dicht dabei zum Aerger des Sultans unter dem Schutz des Gouvernements, der mir gute Auskunft über Land und Leute gab. Gatanga ist eine sehr sympathische Persönlichkeit. Der zweite Sohn Sammue Mbomu ist nun zum Nachfolger prädestiniert, doch ist dieser ein Trunkenbold und direktionsloser Geselle und das Gouvernement wird daher nicht später die Nachfolge anerkennen. Man will vielmehr das Land teilen unter den kleinen Sohn desverstorbenen Budie, genannt Bittima, und zwei andere Söhne Semios Ikpiro, den sehr sympathischen Gubere, der dicht an der Bakrel Ghazal Grenze sitzt und Badungu.

Da für das ganze Sultanat nur 1 Leutnant, 2 Unteroffiziere, 40 (afrikanische) Tirailleurs als französische Besatzung vorhanden sind, so wird das Gouvernement gut tun, die beabsichtigte neu zu errichtende Tirailleurkompagnie möglichst bald, vor dem Tode Ikpiros und damit vor dem Beginn etwaiger Thronfolgestreitigkeiten heraufzusenden. Bisher eine Kompagnie als Besatzung für sämtliche drei Sultanate des Haut Ubangi ist etwas sehr schwach bemessen. (-52-/-53-)

Die ‚guten Zeiten’ in der Region sind 1911 lange vorüber

Auch die mitgeteilte Chronik handelt von nichts als von Eroberungen und Rückzügen, Erbstreitigkeiten, Rivalitäten und Abspaltungen unter einer Besatzungsmacht, die seit mehreren Generationen von der Ausbeutung unterworfener Völker auskömmlich lebt.

Das heutige Gebiet des Sultanats Semio war ehemals im Besitz verschiedener autochtoner Stämme. Dies waren am Mbomu selbst die Biri, Akare, Bassiri oder Sere, nördlich von diesen die Vidri, Ngabu und andere Bandastämme, die Gollo und Pambia und noch weiter nördlich die Kredj, welche auch Baia genannt werden. Mit Ausnahme derKredj, die unter stärkeren Häuptlingen standen und schließlich nach Norden verzogen, existierten bei alldiesen Stämmen … nur kleinere Gemeinschaften, die untereinander stets in Fehde lebten. Es trat daher den eindringenden stärkeren Elementen keine widerstandesfähige größere Völkermasse entgegen, und so wurde es den Eroberern des Landes nicht allzu schwer, eine dieser kleinen Gemeinschaften nach der andern zu unterjochen. Die Eroberer waren die von Süden vom Uelle und Bilifluß kommenden Asande und von Norden her die arabischen und sudanesischen Sklavenjäger, sowie Elfenbeinhändler. (S.286/87)

Als diese auf der Bildfläche erschienen, leistete Semio Ikpiro’s Vater Tikima fünf Jahre Widerstand, bevor er notgedrungen mit ihnen freundschaftliche Beziehungen anknüpfte. Er wurde sogar sehr gut Freund mit dem mächtigsten Araberhändler Ziber, der ihn zu seinem Bevollmächtigten für das ganze Asandeland bis hinunter zum Uelle machte. Zur Bekräftigung dieser Freundschaft gab Tikima dem Ziber seine Tochter Nakungba zur Frau und setzte seinen Bruder Balisana als ständigen Mittelsmann in Dem-Ziber ein.

Sultan Mokpoi*, der sich südlich des Mbomu selbständig gemacht hatte, blieb stets den Arabern feindlich. (289) Ikpiro starb mit 65 Jahren, Ziber wurde in Kairo festgenommen, Semio wurde ein guter Vasall der ägyptischen Gouverneure des Bahr-el-Ghazal. Dem Sultan gelang es auch, die Derwischscharen des Madhi zurückzuwerfen. 1887 kamen die ersten Offiziere des Kongostaates und Hauptmann Milz zu Semio und nahmen das Land für den Freistaat in Beschlag. 1896 jedoch fiel alles Land nördlich des Mbomu durch internationale Abmachung an Frankreich. Den französischen Expeditionen unter Liotard und Kommandant Marchand („Faschoda“-Krise) musste Semio viele Leute als Führer und Träger stellen. Wegen der Grenzziehung verlegte Semio seine Residenz erneut nördlich das Mbomu auf französisches Gebiet.

Nach seiner Abreise lernt von Wiese das Reich des Sultan Semio erst kennen

Er wird mit beruhigenden Versicherungen seitens Semios entlassen : Nachdem er mir die Versicherung gegeben hatte, daß ich freien ungehinderten Durchmarsch durch sein Gebiet bis zur Bahr-el-Ghazal-Grenze erhalten solle und er Befehle heraussenden würde, mich mit Trägern , Booten, Ruderern und Verpflegung in seinem Lande zu unterstützen, schied ich frohen Mutes von ihm … (S. 292)

Schon der Abstecher mit leichtem Gepäck entwickelt sich zum Alptraum. Er beabsichtigt, das Volk der Kare durch Besuch in ihren Dörfern kennen zu lernen (-54-) .  Ihn interessieren die seit 130 Jahren von den Azande unterworfenen Ureinwohner des Mbomulandes zwischen dem heutigen Semio und Kadjena ethnographisch, aber deren Lebenswirklichkeit hat er sich nicht vorstellen können oder wollen:

Durch Vermittlung des französischen Postens erhielt ich vom Sultan Semio seinen Sohn Samuengi als Begleiter und Dolmetscher mit sowie 22 Kare als Träger. Beim Anblick dieserKare sank meine Begeisterung für den Landmarsch bedeutend, denn es präsentierten sich mir wahre Bilder des Jammers, total unterernährte, von Lepra und Schlafkrankheit befallene Leute, von denen ich keine besonderen Marsch- und Tragleistungen erwarten konnte: im wahrsten Sinne des Wortes Vertreters eines unterjochten Volkes.(54/293) ….. Von den 22 Kare brachen bereits wenige Kilometer hinter dem Posten 2 Mann ohnmächtig zusammen, 2 erkrankten im ersten Lager und 3 rissen unterwegs im Busch aus, einer davon unter Mitnahme eines Segeltuchsacks, enthaltend mein gesamtes Bettzeug, Moskitonetz, meinen einzigen warmen Mantel und verschiedene Stiefel. Da die Gegend östlich von Semio sehr dünn bevölkert ist und viele Dorfbewohner auf die meist mit Trommelsprache übermittelte Nachricht meines Anmarschs in den Busch flüchteten, hielt es sehr schwer, Trägerersatz zu finden.

Was für Zustände, denen der Gast ausgesetzt ist!  Nun ist es Wiese egal, ob Azande-Chef oder einer von den unterjochten Völkern!  Regenzeit! Beim Zusammenbruch einer provisorischen Brücke stürzen einige Kare-Träger von hoch oben in den reißenden Fluss. Sie erlitten erhebliche Verletzungen und wurden dadurch für den Weitermarsch untauglich. Einige Träger nutzten die Verwirrung zur Flucht ins hohe Gras. Erst nach energischem Einschreiten gegen einen Azande.Chef, welcher das nächstliegende Dorf kommandierte, gelang es mir nach langem Warten, Ersatzträger zu erhalten. Ich führte den widerspenstigen Herrn mit der leider bei den Franzosen viel zu wenig angewandten cravate nationale d.i. einfach einen Strick um den Hals, solange unter ständiger gelinder Aufmunterung durch Kolbenstöße mit mir, bis sein Sohn die verlangtenTräger mit meinen Lasten im Galopp nachbrachte.(-56-)

 

Negative Bilanz und die Frage nach der richtigen Strategie

Im weiteren Bericht sprach v.Wiese direkt seine Verachtung für die herrschenden Azande und die Misswirtschaft unter den Franzosen aus! – Den anglo-ägyptischen Grenzposten Tambura sozusagen vor Augen, gab v. Wiese auf S.302/03  sein Gesamturteil über die drei Sultanate ab und macht schwungvoll entsprechende reformerische Kolonisations-Vorschläge:

“Im Sultanat Bangassu, wo sich das Volk der Eroberer mit den Unterworfenen schon stark vermischt hat, muss die Macht des Sultans gebrochen und an dessen Stellen ein den Franzosen absolut ergebenes Organ gesetzt werden, wie dies bereits in Rafai der Fall ist. Schwieriger steht es im Sultanate Semio. Die Angehörigen der Familie des Azande Avungura, welche die Sitze des Sultans, der Häuptlinge, Unterhäuptlinge  und Dorfchefs innehaben, halten sich  streng von den Unterworfenen abgesondert. Vor ungefähr hundertdreißig Jahren als Fremdlinge in das Land eingedrungen, haben sie auf diese Gebiete gar kein Recht. Durch ihre fortwährenden Kriegszüge, durch ihr Zusammenarbeiten mit den arabischen Händlern und den schwunghaft betriebenen Sklavenhandel haben sie das Land und seine Urbewohner ruiniert.

Jetzt, da durch das energische Eingreifgen der anglo-ägyptischen Regierung die Wege, auf denen die Sklaven nach Norden weggeschafft wurden, gesperrt sind (….) , sitzen die selbstherrlichen Avungura müßig in ihren Dörfern und nützen die unterjochten Völker auf andere Weise für ihre Zwecke aufs schamloseste aus. Ihre einzige Beschäftigung ist die Jagd, sonst arbeiten sie nichts. Die unterdrückten Stämme müssen die Feldarbeiten verrichten, ihre besten Frauen hergeben  und Kautschuk und Elfenbein bringen, wofür die Avungura den hohen Gewinn einstecken. Als Bezahlung fordern sie von den europäischen Kaufleuten vielfach Gewehre, Pulver und vor allem Alkohol, und erhalten unglaublicherweise auch dies alles. Ich fand Asande, die durch den Absinth so verdorben waren, daß sie das Delirium hatten, z. B. Semio Mbomu, den eigentlichen Thronfolger des Landes. Als ausführende Organe der weit entfernt sitzenden Verwaltung sind sie fast gar nicht zu gebrauchen, z. B. wenn es heißt, Träger oder Verpflegung herbeizuschaffen. Zum Teil wollen sie es selbst nicht, andererseits sind sie gar nicht imstande, da sich in solchen Fällen die Eingeborenen vor ihnen in den Busch flüchten. Warum will man also dieses unproduktive degenerierte Herrenvolk länger im Lande dulden?  die Stationierung einiger Kompagnien Soldaten  und die Einführung geregelter Verwaltungwürden genügen, um die Asande Avungura ihrer Stellung zu entheben und den alteingesessenen Stämmen der Akara, vidri, Biri, Patri, Sere usw. ihre ehemaligen Landstriche unter eigenen Stammeshäuptlingen zurück(zu)geben. Mit Freuden würden diese Völkerschaften, die dadurch die Bedingung zur freien Entwicklung wqieder erhielten, den franzosen treue Gefolgschaft leisten. Weniger angenehm würde die allerdings den Aktionären und Agenten der französischen Handelsgesellschaften sein, die in den Avungura ihre besten Kunden verlieren würden. (303/304)

Sagte er sich vielleicht: Man wird ja noch träumen dürfen? Denn anschließend erinnerte er noch einmal an die vielen Krankheiten, die durch Raubbau verwüstete Naturressourcen und die ungünstige geografische Lage. Der Mbomu käme als große Verkehrsader niemals in Frage. Es wäre wohl für die wirtschaftliche Erschließung der Sultanate am sinnvollsten, eine Eisenbahn nach Süden durch den Uelle-Distrikt an den Kongostrom zu bauen und damit an diese ständig schiffbare Wasserader Anschluß zu gewinnen. (304/305)

In der benachbarten anglo-ägyptischen Provinz Bahr-el Ghazal gewann v. Wiese eine konkretere Vorstellung, wie eine Kolonialmacht das von ihr besetzte ebenso heruntergekommene Land kontrollieren und bewirtschaften konnte. Er war sichtlich angetan vom Konzept der Briten. Er genoss die funktionierende Organisation und ‘vernünftige’ Grundsätze bei der Verwaltung der abgelegenen Grenzregion:

Dank dem Wildschutz der ägyptischen Verwaltung wimmelte es in diesen Gebieten von Elefanten“. (314) und: “In den Bezirken Tambura, Yambio und Meridi gibt es recht anschauliche Kautschuklianenbestände, doch dürfen diese noch nicht ausgebeutet werden, da jene Gebiete für den Handel gesperrt sind. Das ist eine sehr gute Einrichtung, da dieses Land, welches jahrzehntelang durch die arabischen Sklaven- und Elfenbeinhändler so unendlich schwere Wunden erlitten hat, muß  erst wieder Zeit zur Erholung haben. (320) “Die Kosten für Militär und Verwaltung sind nicht gering. Das Land hat so gut wie gar keine Einnahmen und  wirtschaftliche Aussichten.  Die Gebiete sind so arm und dünn bevölkert, daß sie nicht einmal die genügende Verpflegungfür die Truppen aufbringen können. Große Transporte von Lebensmitteln müssen daher alljährlich von Chartum aus herangeschafft werden.” (319) Doch gelte es gerade in einer Gegend, die nicht das ganze Jahr über bequem zu erreichen ist, eine genügende Truppenmacht bereit zu haben, um etwaige Unruhen im südwestlichen Sudan ersticken unfd nötigenfalls gegen das bisher noch unbesetzte mächtige Sultanat Darfur  von Süden aus Operationen aus einleiten zu können. Wau ist daher Garnison eines stets verwendungsbereiten Sudanesenbataillons, das 900 Mann stark ist.”

 

      Der Azande-König Gbudue aus Yambio, der Herkunft der stylischen Figuren – LINK (1) – auf sudanesischer Seite heute

Ich begegne einer soziologischen Studien zur Bedeutung des historischen Azande-Königs Gbudue für die  Bevökerung der Region in der Gegenwart: “Academia Summary — Customary Authorities Displaced/ The Experience of Western Equatorians in Ugandan Refugee Settlements” by Bruno Braak and John Justin Kenyi vom Rift Valley Institue 2018 (pdf). Ich übersetze eine Passage :

Trotz geschmolzener Vermögen und ihrer nahezu völligen Abwesenheit in den ugandischen Flüchtlingslagern bleiben traditionelle Herrscherfamilien bei der Bevölkerung der Region beliebt. Dies zeigt sich in einer nahezu einmütigen Unterstützung unter den für diese Studie befragten Personen. Es finden jedoch Debatten darüber statt, ob sie in Ämter gewählt werden sollten, über ihr Verhältnis zur Regierung und ob die höchsten Führungsebenen für Frauen und Menschen aus nicht-zentralen Clans geöffnet werden sollten. Viel umstrittener ist die mögliche Wiedereinsetzung des Königreichs Zande, größtenteils entlang der ethnischen Grenze zwischen Zande und Nicht-Zande. Für viele ethnische Zande ist das Königreich mit der historischen Erinnerung an König Gbudwe verbunden, dem letzten Zande-König, der sich der Kolonialherrschaft widersetzte. Seine Person gilt heute als eine der Stabilität, des Zusammenhalts und der Hierarchie – im krassen Gegensatz zu Krieg, Vertreibung und Armut, die viele Zande heute erleben.

Unterstützer oder Gegner des Königreichs Zande aber für stärkere Autoritäten im Allgemeinen haben eine wichtige Gemeinsamkeit: In der unsicheren und entfremdenden Gegenwart haben Visionen einer Zukunft, die einer stabileren und begreiflicheren imaginierten Vergangenheit gleicht, für sie an Bedeutung gewonnen. Entscheidend ist, dass solche Visionen weder ein konservatives Festhalten an der Tradition sind, noch einen Widerstand gegen Veränderungen anzeigen.

 

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