Wieder zu ‚Negerplastik‘ – nun in Z. S. Strother’s Begleitung

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Z.S. Strother, ‚A la Recherche de l’Afrique dans Negerplastik de Carl Einstein’, Gradhiva 14-2011, 30-55, mis en ligne le 30 novembre 2014 URL: http://gradhiva.revues.org/2130 – eine elektronische Publikation des Museums Quai Branly, Paris. Auch die amerikanische Originalfassung steht im Netz unter dem Titel: Looking for Africa in Carl Einstein’s Negerplastik.

 

11.4.16

Lieber M., ich habe einen Fachaufsatz in der Zeitschrift des Quai Branly gefunden, der meine Frage bereits 2011 aufgegriffen hat. Eine spannende LektĂŒre, die mir meine abwehrende Haltung rechtfertigt und meinen Beobachtungen ein paar interessante Aspekte hinzufĂŒgt, auch BeurteilungsmaßstĂ€be fĂŒr die Bildinformation  formuliert (3-5). Ich zitiere nach den in der französischen Netzpublikation durchnumerierten AbsĂ€tzen. Von mir (meist) ĂŒbersetzte Passagen im folgenden Text sind kursiv gedruckt.

Mein  erster Beitrag steht HIER!

 

Strother zur – von mir selber ausgeblendeten – Bilddimension:

Der Informationswert der Fotos ist begrenzt: Die Ausleuchtung ist unbefriedigend. Meist wird bloß eine Ansicht gezeigt. Die fĂŒr die Wirkung wichtigen Farben und vor allem die Ausstattung fehlen. Die Zusammenstellung des Korpus – ungeachtet aller konkreten Bestimmungen wie Herkunft, GrĂ¶ĂŸe, Kontext, auch öffentliches Auftreten oder Wirken im Verborgenen – schuf beim unvorbereiteten Betrachter den zwingenden Eindruck stilistischer Einheit (8), indem es artifiziell BezĂŒge zwischen zwei ganz verschiedenen Werken (6) herstellte. Wendy Grossman wird dazu mit dem Ausdruck poetische TrĂ€umerei (RĂȘverie poĂ©tique) zitiert (7). Negerplastik schuf buchstĂ€blich ein Korpus, das vorher nicht existiert hatte (3) und definierte den kĂŒnstlerischen Kanon der afrikanischen Kunst ausgehend von Holzskulpturen, die in ihrer großen Mehrheit aus französischen und belgischen Kolonien stammten (10).

Beim Ausdruck‚Kanon’ werde ich hellhörig, weil mit derartigen Belegsammlungen (‚Korpus’) seit einem Jahrhundert das internationale Kunstkartell seine Macht vehement gegen Außenseiter ausspielt. So jedenfalls lautet der Hauptvorwurf des Ife-Nigerianers und Kunstethnologen Sylvester Ogbechie in ‚Making History’.

Was die unterschiedliche Herkunft anging, so ist die von Strother gewĂ€hlte Paarung von masque kuba ou lele mit masque d’origine inconnue, nord-est du Congo in fig. 8 (11) wohl kein glĂŒckliches Beispiel angesichts der unĂŒberschaubar vielen Querverbindungen im Kongo-Becken. Oder bin ich auch bereits ein Opfer der Bildmanipulation? Freilich sind in die Reihen der Negerkunst sogar zehn Polynesier und Philippiner geraten (Anm.5). In einer zweiten Auflage 1921 wurde alles geordnet, aber Strother ist damit auch nicht zufrieden: Die GegenĂŒberstellungen dort seien von einer banalitĂ© singuliĂšre (Anm.12). – Wenn das so ist, weiß ich nicht, welcher Lösung ich den Vorzug geben soll. Die erste Auflage jedenfalls hat als Pioniertat fasziniert und als GrĂŒndungsdokument der Afrika-Kunstgeschichte die Zeiten ĂŒberdauert, indem sie Bilder der Plastiken verbreitete, die anders nicht zu bekommen waren.

Kurz wird auch die parallele Unternehmung ‚Negerkunst’ des lettischen Malers VoldemĂ€rs Matvejs (Vladimir Markov) gestreift, die erst in der Sowjetunion 1919 erscheinen konnte und dort unter anderen Malevich, Tatlin und Rodchenko beeindruckte. (1)

Die Informationen zur Entstehung des Buches sind fĂŒr Carl-Einstein-Fans vielleicht delikat: Einstein war noch 1915 völliger Laie in afrikanischen Dingen und ĂŒberhaupt erst 1913 ĂŒber kubistische KĂŒnstler mit dem Thema in BerĂŒhrung gekommen. Wie er an die 119 Fotos aus Privatsammlungen kam, weiß man nicht sicher. Doch wird als graue Eminenz hinter dem ganzen Projekt der ungarische Bildhauer, KunsthĂ€ndler und Afrika-Sammler Josef Brummer vermutet, der Paudrat zufolge die Mehrheit der abgebildeten Objekte lieferte (Anm.11) und ohne Beteiligung des Autors die Bildtafeln von einem Meister der damals hoch entwickelten deutschen Buchkunst (12) montieren ließ. Der Kriegsfreiwillige Carl Einstein lag zu der Zeit mit einer Kopfverletzung in einem Lazarett (11). Seine Begeisterung fĂŒr afrikanische Plastiken nahm nicht Schaden und der ihm 1916 angetragene militĂ€risch-dienstliche Auftrag am BrĂŒsseler Kolonialmuseum Tervuren machte aus ihm einen (zumindest ‚gefĂŒhlten’) Afrikaner: Ici, je nĂ©grifie complĂštement. ExcĂšs africain.(14-27).

Von Strothers kunstethnologischer Analyse der Textaussagen möchte ich nur folgende Punkte ansprechen:

Carl Einstein bediente sich aus einer Mischung dessen, was damals unter mentalitĂ© primitive kursierte (51). Akademisch korrekt diskutiert Strother anhand von Indizien ein paar mögliche Inspirationsquellen Einsteins. So bringt sie dessen Satz ĂŒber die Verehrung im Dunkeln (XIV), welches das Grauen vor dem Gott auslöse, mit der Vorstellung in Verbindung, die damals im Zentrum der Diskussionen um die neu entdeckten Höhlenmalereien stand. (16)

Das letzte Kapitel zu Masken, Tattoos, TĂ€nzen und Trance scheint ZoĂ© Strother mehr zu sagen. Sie beleuchtet es im Horizont zeitgenössischer Ethnologie zwischen australischen Aboriginals und Amazonas-Indianern. Die anderen Autoren hĂ€tten sich mehr fĂŒr das Publikum der MaskentĂ€nze interessiert, Einstein aber fĂŒr die Psychologie des TĂ€nzers. Sie sieht ihn in der Frage einer Verwandlung des Körpers des maskierten TĂ€nzers die Position einer fusion einnehmen, welche extinction (Auslöschung) de la personnnalitĂ© humaine bedeute, nicht die einer Verwandlung durch participation mystique … qui rend ces individus participables … Ă  la fois du tigre et de l’homme. (16-19)

Das Kapitel ĂŒber Kunst und Religion fußt nach Strother auf keiner seriösen wissenschaftlichen Arbeit seiner Zeit. (31) Einstein hat vielmehr bewusst das Vorbild des afrikanischen KĂŒnstlers konstruiert, der einen Gott schaffe und dessen Werk unabhĂ€ngig, transzendent und frei jeder Bindung sei (31). Strother geht ganz am Ende auf die Schrift Einsteins von 1934 ĂŒber George Braque ein: FĂŒr Einstein ist Braque ein VisionĂ€r, weil er das Unbewusste durch den Rausch oder die Halluzination erforscht und den Mut hat, diese Arbeit allein zu leisten, ohne die StĂŒtze der Religion oder die kollektive SolidaritĂ€t der ‚Primitiven’. (53)

Da liegt der Hase im Pfeffer! Man konstruiert, man spekuliert ĂŒber fremde Menschen in ganz unbekannten Kulturen und man beweihrĂ€uchert am Ende den Heldenmut des Weißen Mannes.

– ‚Herr Staatsanwalt, weitere Fragen?’

– ‚Keine weiteren Fragen, ich bin doch À la recherche de l’Afrique.’