Fetisch / nkisi – Homöopathie – Placebo-Forschung (dt./engl.)

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15.12.22

In einem früheren Blog zitiere ich MacGaffey’s Schilderung des Arbeitsgebiets der Heiler unter den Bakongo und wie sie mit ihren Hilfsobjekten,  den “minkisi” arbeiten. (LINK zu “Wyatt MacGaffey über “Minkisi” von der Loango-Küste. Deutsch”)

„Wer heilt hat Recht“?  – Aber was heißt denn ‚Heilung’? –  Überall in der Welt konkurrieren Therapeuten um mögliche Klienten und um die Anerkennung seitens sozialer und politischer Instanzen, und  sie polemisieren gegeneinander.

 “HR 2  Kultur” in der Reihe “DER TAG” am 14.12.22 :

“Homöopathie – die Macht der Kügelchen”

Die Anmoderation sagt:

Die Homöopathie ist beliebt, obwohl ihre Wirksamkeit nicht belegt ist, jedenfalls nicht über den Placeboeffekt hinaus. Aber vielleicht reicht der ja auch schon: Heilt bei Homöopathie der Glaube? Homöopathie – Humbug oder Heilung? Darüber sprechen wir unter anderem mit Dr. Uwe Friedrich, Homöopath, Dr. Christian Lübbers, Homöopathie-Kritiker, und Prof. Dr. Stefan Schmidt, Placebo-Forscher.Die spannende Gegenüberstellung steht als Podcast zur Verfügung, den man herunterladen  kann (LINK zu hr-info 59′.  Der Download hat etwa 100MB.

Von der Sendung fällt überraschenderweise auch Licht auf die Wirksamkeit magischer Praktiken von Heilern im Kongo. Kulturübergreifende Wirkmechanismen werden sichtbar. So beschreibt etwa der Ethnologe MacGaffey nicht nur den Einfallsreichtum der Heiler bei der Komposition des geheimnisvollen nkisi,  er betont auch die Wichtigkeit der Inszenierung im Ritual. Zoé Strother behandelt in einem Aufsatz über die Pende die Anspruchshaltung und Erwartung der Klienten als Selbstverständlichkeit. („Skeptische Klienten, konkurrierende Wahrsager“)

All das fällt mir bei den Diskussionen in der einstündigen Sendung ein, etwa als der Homöopath und Mediziner Dr. Uwe Friedrich betont, er wähle jeweils die für den Patienten ‚bessere’, erfolgversprechendere Heilmethode. Auch die Homöopathie habe ihre Grenzen. Eine  Homöopathin betont ihre ausführliche Anamnese. Anschließend schlage sie im homöopathischen Rezeptbuch nach.

Der Kritiker, Dr. Christian Lübbers, stellt die wohl wichtigste Frage, warum sollen heute eigentlich nur die Klienten von Homöopathen das Recht auf genügend therapeutische Zuwendung haben? Er sieht die Homöopathie als  Alternative gerechtfertigt nur gegenüber der  brutalen Medizin der Zeit ihrer Entstehung um 1800. Wer heilt hat Recht? –  Aber die Homöopathen könnten schließlich nicht beweisen, dass die Zuckerkügelchen überhaupt „geheilt“ hätten. Der homöopathische Arzt Dr. Friedrichs entgegnet: Bei der unendlichen Verdünnung in den Kügelchen sei chemisch kein Molekül des Wirkstoffs mehr nachweisbar, aber das mache sie noch nicht zu „Plazebos“. Die Grundidee sei gewesen, dem Übel durch ein verwandtes Gift zu begegnen. Verdünnung sei schließlich als Erfahrungswert zur Verringerung unerwünschter Nebenwirkungen entwickelt worden.

Der Placebo-Forscher Prof. Dr. Stefan Schmidt berichtet von seinen Versuchen mit  – bereits offen angekündigten – Plazebos. Sie seien immer noch wirksamer als die Nichtgabe, und öffneten darüber hinaus den Blick für andere, begleitende Faktoren. In der Praxis bildeten  chemischer Wirkstoff und Placebo keinen Gegensatz, sondern wirkten zusammen: durch die Begleitumstände der Verschreibung, durch werbende Worte des Arztes oder Apothekers (oder der Freundin), den Ort der Hilfeleistung, die Spritze oder andere Rituale oder Maßnahmen wie OPs und die Darreichungsform und schließlich die eigenen Erwartungen. Das eigene Gehirn wirke mit, indem es alles verarbeite. Das gelte übrigens auch für Nocebos. Der ausführliche Beipackzettel lasse Störungen als ‘Nebenwirkungen’ deuten.

Ich muss da an Berichte von Long Covid oder von Impfnebenwirkungen denken. Und an das unaufhebbare Dilemma: Sollen Patienten die Zettel lesen oder ignorieren? Ich bin in den Fünfziger Jahren in einer kleinen Hausarztpraxis aufgewachsen und habe schon als Kind am häuslichen Esstisch das Geheimnis therapeutischen Erfolgs oder Misserfolgs im Einzelfall aufgeschnappt. Die Lehre vergaß ich nie.

Und wenn generell die Geschichte der ‚exakten’ Naturwissenschaften eine notwendiger Irrtümer ist, die durch andere ersetzt werden, so gilt das auch für die der ‘faktenbasierten’ Medizin. Selbst der ständige Hinweis auf „Leitlinien“ und „Zulassungen“ sowie auf „Fortschritte“ scheint das zu belegen. Die Abgrenzung ist scharf und emotional aufgeladen, wie das deutsche Wikipedia illustriert (LINK). Doch auch die Homöopathen haben  rhetorisch trügerische Fronten aufgebaut. Auch sie, nicht nur die Operateure, die vom Patienten quasi Blankounterschriften verlangen, laden das ganze Risiko ihren Klienten auf. Besser ist vielleicht eine „Zweitmeinung“, obwohl  eine solche aus den erwähnten therapeutisch guten Gründen Überwindung kostet, wie auch Mehraufwand und womöglich Geld .

Auch die aufgeklärten Klienten afrikanischer Heiler kennen die Situation. Sie können heutzutage schließlich unter mehreren Therapieformen wählen, selbst auf dem flachen Land. Mit neuen Bedrohungen und Herausforderungen sind auch neue Anbieter unterschiedlich ‚moderner’ Therapien gegen den traditionellen nganga angetreten, der mit ‘Fetischen’ (minkisi), mit Zeremonien und Heilkräutern arbeitet.

Meine große nkisi-Figur (Abb. Januar 2017 LINK) und das Paar (2022) könnten aus einem solchen Konflikt heraus außer Dienst gestellt und außer Landes gebracht worden sein! Sie haben nicht nur ihren Glanz, sondern auch ihr Ritual verloren. (Demnächst hier ein LINK zu MacGaffey “ Kimbanguism & the Question of Synchretism in Zaire“ (1994) in geraffter Übersetzung )

“Pambi” Mayombe Region erworben 2016

Paar aus dem Mayombe, erworben Nov. 2022

 

TRANSLATION

Fetish (nkisi) – Homeopathy – Placebo Research.

 

In an earlier blog, I quote MacGaffey’s account of the work of the Bakongo healers and how they work with their auxiliary objects, the “minkisi”. (LINK to “Wyatt MacGaffey on “Minkisi” from the Loango Coast. German”)

“Who heals is right”? – But what does ‘healing’ mean? – All over the world, therapists compete for clients and for recognition from social and political authorities, and they polemicize against each other.

 

HR 3 in the series “DER TAG” on 12/14/22. PODCAST:

“Homeopathy – the power of globules”

The introduction says:

Homeopathy is popular, although its effectiveness has not been proven, at least not beyond the placebo effect. But maybe that’s enough: Does faith heal with homeopathy? Homeopathy – Humbug or Cure? We talk about this with Dr. Uwe Friedrich, homeopath, Dr. Christian Lübbers, homeopathy critic, and Prof. Dr. Stefan Schmidt, placebo researcher.

The exciting confrontation is available as podcast to be downloaded (LINK to hr-info 59′ The download is around 100MB.

Surprisingly, the program also sheds light on the effectiveness of magical practices of healers in the Congo. Cross-cultural mechanisms of action become visible. For example, the ethnologist MacGaffey not only describes the ingenuity of the healers in composing the mysterious nkisi, he also emphasizes the importance of staging in the ritual. In her essay on the Pende, “Smells and Bells – the Role of Skepticism in Pende Divination” (2000), Zoé Strother treats the demands and expectations of clients as a matter of course.

This comes to mind during the discussions in the hour-long program, for example when the homeopath and physician Dr. Uwe Friedrich emphasizes that he always chooses the ‘better’, more promising healing method for the patient. Even homeopathy would have its limits. A second homeopath emphasizes her detailed medical history (Anamnese). Then  she will look for the right procedure in the homeopathic recipe book.

The critic, Dr. Christian Lübbers, asks the probably most important question: Why should only the clients of homeopaths have the right to sufficient therapeutic attention today? He sees homeopathy, created around 1800,  justified only as an alternative to the brutal medicine of the time.

Who heals is right ? – But can the homeopaths prove that the sugar globules “cure” at all? The homeopathic doctor Dr. Friedrichs replies: With the infinite dilution in the beads, no molecule of the active ingredient can be chemically detected, but that doesn’t make them “placebos”. The basic idea was to counteract the harm with a related poison. After all, dilution was developed based on experience to reduce undesirable side effects.

The placebo researcher Prof. Dr. Stefan Schmidt reports on his experiments with placebos, which are even been openly declared. They are still more effective than not giving, and also open the view for other, accompanying factors. In practice, the chemical agent and the placebo do not form a contradiction, but rather work together: by the circumstances surrounding the prescription, by advertising words from the doctor or pharmacist (or girlfriend), the location of the help, the injection or other rituals or measures such as operating theaters and the dosage form and finally by your own expectations. Your own brain helps by processing everything. Incidentally, this also applies to nocebos. The detailed package leaflet allows physical disorders to be interpreted as ‘side effects’.

I have to think of reports of ‚Long Covid’ or ‚vaccination side effects’. And of the irresolvable dilemma: Should patients read the notes or ignore them? – I grew up in a small family doctor’s practice in the 1950s and as a child at the dining table at home I heard of the secret of therapeutic success or failure in individual cases. I never forgot the lesson.

And if, in general, the history of ‘exact’ science is one of necessary errors to be replaced by others, so is that of ‘fact-based’ medicine. Even the constant reference to “guidelines” and “approvals” as well as “progress” seems to prove this. The demarcation is sharp and emotionally charged, as e.g.  German Wikipedia illustrates. But the homeopaths have put up similar rhetorically deceptive fronts. They, too, and not only the surgeons, who demand blank signatures from the patient, burden their clients with the entire risk. A “second opinion” is perhaps better, although for the good therapeutic reasons mentioned such an opinion requires decision, additional effort and possibly more money.

Disillusioned clients of African healers are also familiar with the situation. You can nowadays choose among several forms of therapy, even in the back country. With new threats and challenges, new providers of more or less ‘modern’ therapies compete against the traditional nganga, who works with ‘fetishes’ (minkisi), with ceremonies and medicinal herbs. My large nkisi figure (Fig. above, January 2017 LINK in French) and the couple of minkisi (2022) may have been decommissioned and taken out of the country out of such a conflict! Not only have they lost their luster, but also their ritual.

In his contribution to the anthology: Religion in Africa – Experience and Expression, 1994, Wyatt MacGaffey highlighted in his paper Kimbanguism & the Question of Synchretism in Zairethe tactics and developments of the competing revivalist churches in the succession of the Prophet Kimbangu EJCSK and DMN (ngunzist).

 

 

 

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