Skeptische Klienten, konkurrierende Wahrsager (Pende)

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 Zoe S. Strother : Smells and Bells – the Role of Skepticism in Pende Divination

(GerĂŒche und Glockenklang – Die Rolle des Skeptizismus in der Wahrsagepraxis der Pende)

in: Insight and Artistry in African Divination, ed. John Pemberton III, Smithonian Institution Press Washington 2000, p.99 – 115 – erweitert um Aspekte aus Strother : „Inventing Masks“, 1998 (LINK)

Die VerĂ€nderung der Orakel und der Einstellung sind Spiegel der tiefen sozialen Krise im Zwanzigsten Jahrhundert und des Verlusts alter Überzeugungen. (Link s.oben) Das allein macht schon diesen Aufsatz lesenswert.

EinschrĂ€nkend ist zu sagen, dass der Fokus der Studie auf der Beziehung von ‚Einblick und Kunstfertigkeit’ liegt und die Anwendungsgebiete – zwischen ‚Gerichtsmedizin’ und ‚medizinischer Anamnese’ – unscharf bleiben. Die moderne Medizin wird nur einmal erwĂ€hnt, geschweige denn in ihrer Rolle analysiert. Sie ist seit einem Jahrhundert (Schlafkrankheit, Malaria) auf dem Schauplatz prĂ€sent, oft mit dem Wirken christlicher Mission ‚vermischt’. (Beispiele bei Thiel: „Jahre im Kongo“, 2001)

Ich frage immer noch nach dem ursprĂŒnglichen Kontext meiner Figur eines (oder einer) VerkrĂŒppelten. (LINK) Der Aufsatz von Z.S. Strother könnte der Suche eine Richtung geben.  

 

 

Lesenotizen

99 (= Seitenangabe)

Eine schwindelerregende Vielfalt von Techniken und verbreitete Übernahme und ebenso Austausch zwischen Gemeinschaften. Konkurrenz der Heiler um Klienten und medizinischer Pluralismus. Generell bedeutender geistiger Austausch in der zentralafrikanischen Savanne. (Anm.1,112)

100

These: Ein tiefsitzender Zweifel daran, dass Individuen in der Lage sind, von der Verwendung von Macht zu eigenem Vorteil Abstand zu nehmen: An inherent scepticism about the ability of individuals to refrain from turning power to personal ends, mit der Konsequenz argwöhnischen Misstrauens gegenĂŒber vielen Wahrsagern : a wary distrust of many diviners.

 

 

Zoé S. Strother unterscheidet zwei Typen von Wahrsagern:

Erstens:

Die ohne Vorwarnung von Ahnen erwĂ€hlte Ă€ltere Frau, deren Berufung man entdeckt. FrĂŒher wurden Individuen mit Anzeichen von Besessenheit isoliert und Tests, Quiz unterworfen (102). Typisch fĂŒr sie ist eine kurze intensive Karriere, denn sie ist ebenso durch eigene Verfehlungen gefĂ€hrdet wie durch den Neid der ’professionellen’ Konkurrenz.

 

101

Zweitens:

Den gelernte ‚Hexer’, den Ritualspezialisten, von dessen  persönlichen Erfolg  die Gemeinschaft und die Klienten zu profitieren hoffen, aber unter der Bedingung, dass er selber davon materiell  profitiert. Selbst seine Klienten fĂŒrchten seinen Schadenszauber. (Erinnerung an Sprichwörter bei Thiel: Meide die HĂ€uptlinge; vgl. Good-Governance-Studie ĂŒber das Mayumbe-Gebiet). Ihnen fehlt eine allgemein anerkannte Verbindung mit der Unterwelt. So manipulieren sie zur Erlangung ihrer Information eine Reihe von magischen Instrumenten, deren glamour und mystery* sie ausnutzen. (8, 112: ebenso bei den Yaka nach Dewisch)

* etwa auf ein magisches Horn gezeichnete weiße Kreuze wie in Abb. 7.1

 

Wirken Ahnen als Vermittler zwischen Gott (Nzumbi) und den Menschen?

Thiel sah diese Sichtweise bei den Yansi, einer den Pende benachbarten Ethnie nur als ÜbergangsphĂ€nomen seit der Missionierung an: „Die Alten sind eine Welt fĂŒr sich, aber keine Mittler!“ schrieb er in „Jahre im Kongo“, 119

Tatsache ist das Verblassen des Glaubens an die Kommunikation mit den Ahnen (vgl. Strother 1998, Anekdote von der verlorenen Scheu der Kinder vor dem Friedhof: Link oben)

Die Ursachenforschung verengt sich heute auf „kriminelle Hexerei“ (Achille Bembe), außer bei Problemen auf der Ebene der HĂ€uptlinge, wie zum Beispiel deren Unfruchtbarkeit.

 

 

Eine Maske passt sich der Zeit an:

102-105

Die Maske Nganga Ngombo bewahrt anachronistisch den alten Initiationstanz des ngombo (1. Typ),. FrĂŒher benutzte die Maske aber keine Instrumente.

Doch 1989 beobachtete Zoe Strother einen Tanz von einer Theatralik, die dem ‚gelernten Hexer’ entlehnt war, mit seinem Schulterrollen (das Trance signalisiert) und der Gesten der sniff divination, denn der „Spezialist“ hat „a nose for crime“ mit Hilfe seines mit Wirkstoffen vollgepackten Horns.

Im Vergleich mit dem Bild eines HĂ€uptlings der Ost-Pende, der auch eine ‚gute Nase’ hat, aber langsam und diskret in seiner Rede ist, mehr weiß als er sagt und permanent wachsam ist, so wie der Geruchssinn bei jedem Atemzug arbeitet. Leben ĂŒberhaupt ist fĂŒr die Pende durch das Atmen definiert.Inventing-Masks-ill.74.Kipoko

Das HĂ€uptlingsIdeal ist verkörpert in der Kipoko-Maske mit langer Nase und kleinem oder fehlendem Mund (1998, ill.74 rechts). Dazu gehört auch der ‚nĂ€hrende’ Aspekt des guten HĂ€uptlings in der Pantomime ‚wie Frauen das Hirse-Maniok-Brot herstellen‘ (unten ill.80).Inventing-Masks-ill.80.Kipoko

.

Im ursprĂŒnglichen rituellen Kontext des Tanzes dankten die Menschen den Ahnen und wĂ€hlten zur Darstellung des wahrsagenden Mediums (mediumistic diviner) den freudigen Moment, wo es nach langer Initiationszeit in die Gemeinschaft zurĂŒckkehrt.

Hilton-Simpson 1911, 1909 in Mulassa , r. Nganga Ngombo (diviner), eine der ältesten Typen? Strother 1998: pp. 184, 296 u.a.

denn Hilton-Simpson 1911, 1909 in Mulassa , r. Nganga Ngombo (diviner) rechts in ausdrucksvoller Haltung,

Diviner und Chief tragen idealerweise ein ‚weibliches’ Gesicht. (Strother 1998, ill. 7,17,76) weil sie fully socialized sein sollen. Bei der berĂŒhmten – links rechte Maske – 1909 fotografierten diviner-Maske steht der exzessiv große Mund fĂŒr seine rednerische LeistungsfĂ€higkeit, sein sorgsam ausgearbeitetes Gebiss fĂŒr Respekt der sozialen Normen; Körperpflege gilt auch als gift to others, als Geschenk an die Umgebung!

Moralische  Ambivalenz selbst dieser Maske signalisiert aber der verlÀngerte hyper-male frame des Gesichts. Auch der traditionelle diviner hatte das Potential zum Hexer.

Ich frage mich: Worin besteht heute der thrill bei dem Auftritt? In der wohl gespielten Entlarvung eines TÀters? In der scheinbaren Gegenwart der Ahnen? Wie im Theater? Soll es wie im MÀrchen gruseln? Oder vor allem in der VirtuositÀt des TÀnzers?

106/107

Das labile Gleichgewicht zwischen Verehrung und Misstrauen gegenĂŒber dem Hexer drĂŒckt sich in proverbs and songs aus. Der Wahrsager kann Komplize der Hexers sein. Selbst der gutwillige diviner kann auf eine Manipulation des Hexers hereinfallen. FĂŒhlt man sich zu Unrecht verdĂ€chtigt, suche man also einen zweiten und dritten Heiler auf. Hexer lieben es, guten Menschen Probleme zu bereiten.

 

107/108

Der fremde Helfer

Wichtige Fragen wurden schon in den fĂŒnfziger Jahren fast immer Wahrsagern von außerhalb des Pendelandes vorgelegt, Wongo, Chokwe, Mbuun oder sogar Kuba. Ganze Teams unter Leitung des Onkels mĂŒtterlicherseits wurden losgeschickt, wobei man vorab unter sich einen Höchstpreis verabredete. Oft wurden mehrere Diagnosen eingeholt.

Das erinnert stark an europĂ€ische aufgeklĂ€rte Patienten in schwierigen Situationen, an ihre mehr oder weniger rationalen Überlegungen, BefĂŒrchtungen und Vorahnungen. Das Destruktive an der Praxis der Pende liegt in deren Fixierung auf Verhexung und damit verbunden den Gedanken der Rache. Der vergiftet dauerhaft das Zusammenleben. Auf Grund der prekĂ€ren LebensverhĂ€ltnisse lauern hinter jedem persönlichen und familiĂ€ren UnglĂŒck Argwohn und Verdacht.

Dieser Onkel hatte mit seiner ererbten AutoritÀt die letzte Entscheidung zwischen den divergierenden Antworten.

Andererseits tauchten auch schon Wanderexorzisten der Chokwe oder Dzing in den Dörfern auf. Und die immer auf Neuheiten erpichten Maskeraden nahmen die exotischen Dzing– und Chokwe-HexenjĂ€ger in ihr Maskenrepertoire auf.

1998, 40-41-ill.7. ZoĂ© Strother zitiert den Gelegenheitsvers fĂŒr den Tanz ĂŒber den ortsfremden Wahrsager Tata Kambinga:  „Der teure Tata Kambinga nennt den TĂ€ter nicht!“ – Von einheimischen Wahrsagern hĂ€tte man ja nichts Besseres erwartet; die bringen stattdessen lĂ€ngst verjĂ€hrte frĂŒhere VersĂ€umnisse gegenĂŒber irgendwelchen Ahnen vor. Das sind die Familien leid und nehmen stattdessen viel Geld in die Hand. Zudem tragen sie das hohe Risiko, dass der vom fremden Nganga in ihrem Auftrag durch Magie Getötete sich unmittelbar an ihnen rĂ€cht. Der Nganga rĂ€t ihnen bloß zu bestimmten Schutzmaßnahmen.

„Zu Risisiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker“.

 

 

108-111

Die Rolle des Objekts

c metmuseum-no.1976.410.1

c metmuseum-no.1976.410.1 – links oben  ist der vorspringende Kopf zu sehen.

Im gnadenlosen Wettbewerb der einheimischen und fremden Zauberer experimentierte man mit allen möglichen Techniken und Instrumenten: Chokwe-Körbe, geladene Spiegel und Wasserbassins, einer Art Springteufel (Galukoji), dessen Anwendung wegen seiner Dramatik in einer emotional aufgeheizten Situation riskant war. Moden kamen und gingen: Die Galukoji waren von den 1920er bis in 1950er Jahre verbreitet. Diese und andere Power-Marionetten spielten nicht nur bei den Hexern eine Rolle, sondern auch bei den mindestens fĂŒnfzehn Hexenverfolgungen in den bewegten Jahren zwischen ca. 1875 und 1931 (Link), damals 1931 im Njinda-Messianismus wĂ€hrend des Aufstands. Er sei beim Volk der Lele entstanden und den Pende durch die Wongo vermittelt worden. (110)

Eine andere Figur, ngomo, wird als Nkishi-artig (Songye; Link zu einem Beispiel) beschrieben:

Sie war von imposanter LĂ€nge (116 cm) und trug ein mit magisch geladener Erde gefĂŒlltes Horn auf der SchĂ€deldecke. Die dicke Muschelkette am Hals ließ die Menschen an „Fesseln“ denken und signalisierte „Kontrolle“. Typisch war der Schildkrötenpanzer in der NĂ€he des Nabels, Armlöcher und dicke Seile zur Bewegung, kurze krĂ€ftige Beine, kurzer Rock. Dessen loose raffia signalisiert den Bereich des bush, der naganga und der großen JĂ€ger. (111)

 

 

111-112

Epilog

Es entwickelte sich ein komplexer Dialog‘  zwischen lokalen Pende-Institutionen und Kirchen. Die letzte große und umwĂ€lzende Hexenjagd 1980-1985 hatte eine Zentralfigur im ehemaligen Katechisten Manesa. Der wollte seine AutoritĂ€t allein vom Christengott verliehen bekommen haben und hob sein katholisches Training hervor.

Auch traditionelle Wahrsager vor Ort hantierten nun mit ungewöhnlichen magischen Objekten, handcrafted objects, welche die Kunden beeindrucken sollten. Da aber auf der Gegenseite auch die ‚Hexer‘ angeblich mit Objekten arbeiteten, war jede Hexenjagd, jedes antisorceral movement, stets bilderstĂŒrmerisch (iconoclastic, Elisabeth Cameron 1991). Nun wurde kein GestĂ€ndnis eines ‚Hexers’ mehr akzeptiert ohne Vorlage und Auslieferung von Objekten. Auf sie hatten es regelrechte Hausdurchsuchungen abgesehen. Die einander verstĂ€rkenden Ideologien der Christen und der Pende sorgten dafĂŒr, dass FigĂŒrliches extrem gefĂ€hrlich wurde, zumindest – so Strother – bei den Ost-Pende. Sogar auswĂ€rtige Wahrsager wagten nur noch, mit Wasser und Spiegeln zu arbeiten.

DafĂŒr traten im Zusammenhang charismatischer Bewegungen innerhalb der lokalen christlichen Kirchen neue mediumistic diviners traditionellen Typs auf, selbstverstĂ€ndlich nur vom Heiligen Geist beseelt.

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