Yombé Stab ‘Maternité 44 cm – Herzklopfen

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14.5.2016

IMG_3508_2Faszination und die Angst, einem getürkten Exportprodukt aufzusitzen. Gut, dass ich jetzt niederschreibe, was mir durch den Kopf geht: Auch bei den Kongo wurden Skulpturen beim Handwerker bestellt oder gar auf dem Markt gekauft. Und die Verwendung in der Repräsentation war auch nicht gerade ‚heilig’. Ich denke an den Bedarf der vielen Mutteronkel und –brüder oder der Häuptlinge in der Gegend. Auch im 20.Jahrhundert.

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Beim Drehen und Anschauen, beim Anfassen und Halten ist das Ding unwiderstehlich. Wie es in der Hand liegt, das substanzielle Gewicht von 400g, die Dicke des Stabs, die Größe und Qualität der Figur, und die respektable, aber auch nicht übertriebene Länge – alles passt zusammen. Es hat den Schmelz schöner Yoruba Ibedji, ist von Kopf bis Fuß beseelt. Der Ausdruck ist individuell. Oberflächen und rotbraune Pflegepatina, Gewicht und Klang versprechen Authentizität und Alter. Der durchgehende warme Glanz der Figur und ihres Schlegels irritiert mich nicht wirklich, greife ich doch selber bei jeder Gelegenheit überall hin.

Bücher mit ihren normierenden Abbildungen sind natürlich ein Beunruhigungsfaktor. Natürlich fehlen auf der Figur die notorischen Tätowierungen. Und das angenehm entspannte geometrische Kongo-Dekor ist vereinfacht. Bei keiner anderen Maternité stehen die Spitzbrüste so keck in die Höhe. (Doch, mindestens einer! 14.6.)

Überall setzen sich Kurven durch, auch seitlich an den Brüsten. Die Kurve von Rücken und Po der Frauenfigur mit untergeschlagenen Beinen ist so anmutig, als ob sie Matisse gezeichnet oder Maillol gestaltet hätte, nicht mit flachem brettartigem  Rücken, wie Lebkuchenmodel über und über mit geometrischen Mustern überzogen. So zu sehen bei den berühmten Exemplaren des von Bittremieux (und Lehuard) entdeckten Meisters von Kasadi. (Weitere Abbildungen hier)

Lehuard Art Bakongo, 459: Yombe_1.1.1- Kasadi--26,6cm

Lehuard Art Bakongo, 459: Yombe J 1.1.1- Kasadi–26,6cm

 

 

Yombe_Lehuard_Karte-Kasadi

 

 

 

 

Maternité-Baby

Maternité-Baby

Konnte man Besseres von abendländischer Tradition ‚lernen’? Sogar die kleinen Fußsohlen sind dezent plastisch gegliedert und das Kindergesicht ist ein Meisterwerk auf weniger als einem Quadratzentimeter.

Meine Haltung war aus anderen Gründen ambivalent, nachdem ich in der Lektüre ein so unvorteilhaftes Bild der Kongo-Eliten gewonnen hatte: Die schöne Larve vor dem ‘Gesicht der herrschenden Klasse’. Ist mir der  seelenlose oder gewalttätige Ausdruck an dem Schund lieber, den jüngere Generationen von Schnitzern für zeitgenössische Vertreter ‚traditioneller’ Macht an repräsentativer Kunst produzieren?

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Der durchgängige, aber alte Termitenfraß – die dünnen Ränder sind abgerundet und glänzen – alarmiert zunächst mein Preis/Wertbewusstsein, aber ist zugleich ein Indiz ‚langer’ Verwendung. Also ist der Beruhigungsfaktor größer. Doch egal: Welche verdorrte ungeliebte Respektssperson würde eine solche Schönheit nicht gern vor sich halten oder wenigstens besitzen?

Beruhigung kommt vor allem aus Vergleichen:

Der über allen Verdacht erhabene Kwese-Prestige-Stock vom Mittleren Kongo hat einen ebensolchen Fraßkanal, teils mit Werg und Harz gestopft. Er glänzt zwar weniger, greift sich aber ebenso angenehm.

Vergleichbar ist auch die kleine alte Yaka-Schlitztrommel, die mit dem Mäusefraß. Auch die Griffigkeit. Dazu gehört auch der komfortable Durchmesser. Jeder Braunton an den polierten Stücken ist anders, aber sie liegen auf einer Ebene. Übrigens sehe ich das glänzende ‘Ngulu’ jetzt differenzierter, ‘jünger’. Ich bin fast sicher, dass nur der Insektenschaden überhaupt das Szepter auf den Flohmarkt und damit in meine Reichweite gebracht hat. Den Stil, auch das hohe Profil meine ich zu kennen, ohne dem jetzt besonders nachgehen zu wollen.

Vergleiche wirken auch in anderer Richtung. Etwa verdeutlicht die kleine Maternité von W. sowohl einen gewaltigen Qualitätsunterschied zum Szepter, in der Harmonie der Umrisslinien, in den Details (die Glasaugen sind der Hit!) und in der Lebendigkeit des miniaturisierten Körpers steht sie ihm bei weitem nach. Ihre Details sind vielleicht ethnographisch interessant (Leibwickel, Halskette, Rinne am Rücken), aber ästhetisch nicht integriert, die Brüste sind geradezu ärmlich. Der Kurzstab lässt aber auch deren Patina arm aussehen (und anfühlen), genauso, wie Klaus sie abwertete. Zurück!

Die Frage des Alters:  Wohl diesseits der Lehuard-‘Klassiker’, also im 2o. Jh., aber sicher vor dem Aussterben guter Handwerker. Das Szepter wurde offensichtlich gemäß den Qualitätsanforderungen an die (bis zu 30 cm) kleinen repräsentativen Maternités gemacht. Das Stück ist rundum gekonnt (leider unterhalb der Schultern wegen der Termiten nicht nachzuprüfen). Ich schätze also: in den dreißiger oder vierziger Jahren. Die Patina meiner Chokwe Ngulu um oder nach 1967 kann nicht mithalten.

Tervuren-Masterpieces zeigt unter Nr.17 eine vergleichbare Körper-Modellierung  auf einem Mvwala-Stab von Lower Congo in Elfenbein. 1950 registriert, zeigt sie sich vor allem im Gesicht ‚naturalistischer’ in europäischem Sinne. Die Erläuterung p.147 konzentriert sich aber ganz auf die Rauten-Tätowierung, die recht schematisch eingraviert ist. Die Figur dieses abgebrochenen Stabes (Fragment: 34 cm) kann nicht größer sein als die an meinem Szepter: 24 cm

Die Frage der Verwendung bleibt offen: Es soll laut dem Händler kein ‘Szepter’ sein, sondern ein ‘Stock’ zur Begrüßung. Unterschied? Missverständnis? Für einige Verwendungen des Mvala-Herrschaftsstabs (Masterpieces S.147ff.) ist es wirklich zu kurz. Abgeschnitten? Wenn – nach einem unglücklichen Bruch etwa, dann sehr früh. Eigentlich ist die jetzige Form zu schlüssig für eine solche Annahme.

17.5.16  Fegefeuer

Zu allem Überfluss trocknet die Luft die alte breite Spalte auch noch aus und öffnet noch einen Minispalt. Das ist eigentlich ein gutes Zeichen: Das Stück hat erst kürzlich den Kongo verlassen.

Ist vielleicht mit den Zähnen auf der rechten Seite etwas passiert? Na und? Sind die Augen zu frisch? Und wenn ersetzt? Die Feinarbeiten sind doch dermaßen perfekt gelungen!

Hat man etwa bereits angefressenes Holz benutzt? Absurd. Das wäre doch bereits hart und kaum so präzise zu bearbeiten gewesen. Und vor allem: Der Fraßschaden ist auf der selbstverständlichen Ablagefläche passiert und war in der Folge bei der Repräsentation vom Körper des Trägers verdeckt. Den kurzen Stab hat man regelmäßig geölt und poliert. Die befallene Gegend war glatt und ungeschützt. Auf den zurückgezogenen Partien liegen ja Pigmentschichten (wenn es wirklich welche sind).  Mein Blick fällt auf eine alte Ibedji – die mit dem ausgebrochenen Schneidezahn: Eine polierte und regelmäßig gepflegte Figur mit dicker Rotholzpulverkruste und Fraß. Das beruhigt. Trotzdem bekam ich heute mittag die Panik und wollte es Paul und Christina nicht vorführen. Und wenn es eine exquite Ruine, un cadavre exquis ist: Warum schrecke ich zurück?

IMG_4053 Santu Toni liegt

Ich vergesse nicht den letzten Blick auf die Gruppe gegen halb drei mit den fast schon weder gefüllten großen Plastiktaschen! Einer gegen Drei. Ich habe das Fahrrad losgebunden und Heinz verabschiedet: Der alte Fuchs steht bei ihnen.  Alle von den drei Parisern erworbenen Objekte sind mir  unheimlich. Den kleinen bunten ‘Fetisch’ habe ich heute beschrieben, vergeblich. Ich würde ihn gern wieder loswerden, aber auch wieder nicht. Die drei Stücke tragen alle eine Spannung in sich, die die von W. nicht haben. Die irritieren nie.

Kwese lks.: Breite Griff 10cm

Kwese lks.: Breite Griff 10cm

Der Fraßkanal beunruhigt mich wieder – Der Fraßkanal des Kwese-Stockes ist übrigens älter, aber die Verkrustung ist ähnlich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Yombe Stab 44cm-IMG_3505

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie auf entgegensetzte Weise die Perfektion der Gestaltung irritiert. Im Grunde kann ich nicht glauben, dass ein Juwel aus den Bildbänden in mein Regal gesprungen sein soll. Ich komme gerade vom Kopieren des Büchleins über die Nkisi der Yombe aus der Sammlung Laman und spüre, dass die Welt der Repräsentation, der (durchaus wirkmächtigen) Regalien und der Abzeichen eine andere war als die der unmittelbaren Nöte und der figürlichen oder nichtfigürlichen materiellen Abhilfen. Erstere gehörten in eine Schatulle, eine Schutzhülle. Oder in die Hand eines Würdenträgers.

IMG_4051_2 -Yombe Liegende

 

 

 

 

 

 

 

 

Zähne und Gesichtsschnitt
Felix, Arts & Kongos1995. Yombe-Maske. Foto Dick Beaulieu

Felix, Arts & Kongos1995. Yombe-Maske. Foto Dick Beaulieu

YombeStab Kopf 8 cm H

YombeStab Kopf 8 cm H

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wieso kann mir fremd sein, dass die Arrivierten wenigstens durch besonders kunstfertige Objekte dem Dreck der sie umgebenden und untergebenen Hütten entkommen woll(t)en?

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12.1.2017

Was sollen denn die Skrupel? Als solche Szepter entstanden, waren die Charaktermasken der ‘Europäer’, welche die vorkoloniale Bühne bevölkerten, auch nicht andere als heute: der Missionar, Forscher, Militär, Arzt, Ingenieur, Bürokrat, Journalist, Tourist und vor allem der Geschäftsmann. Die Geschäftsleute folgten damals ebenso unschuldig dem Profit, und deshalb war die moralische Rhetorik Europas bereits damals verlogen. Der Umfang des transatlantischen Handels  traf auf die Dreistigkeit einer emanzipatorischen Rhetorik  nach 1789. Damals war, was wir heute an zentralafrikanischer Kunst besonders schätzen, ästhetischer Ausdruck der Verhärtung der Sozialbeziehungen, verursacht durch einen krassen Materialismus, den der Atlantikhandel als ökonomischer Motor antrieb. Reichtum  ließ sich akkumulieren und vorzeigen, in Begräbnisstätten, durch Beherrschung der Mitmenschen, ob als Sklaven oder als verarmende Freie, deren Status man immer in Frage stellen konnte, die man in Hexenprozesse u.s.w. verwickelte. Die Klanführer und Zauberer beteiligten sich nach Kräften, wurden despotisch. So schreibt z.B. MacGaffey nach Zeugenaussagen von Leuten, die es wissen mussten und Kejsa Ekholm Friedman.

Macht und Autorität zahlten sich aus und suchten Repräsentation. Kam daher die große Zahl handwerklich perfekter Figuren im Mayumbe und Vili, die man bei prominenten Werkstätten bestellte? Eine kleine ‚Maternité’ war wohl ‘ein Muss’ für jede Häuptlingsfrau, die einen ‚höfischen’ Stil nachahmte. Die perfekten Figuren erscheinen mir nicht nur ‘idealisiert’ – ein anerkannter Charakterzug afrikanischer Bildnisse – sondern kalt.  ‘Maternité’, ‘Weiblichkeit’, ‘Mutterschaft’ nur als Pose?

Abgrenzung nach unten veredelt doch niemandes Charakter!  Aber das ist alles kein Grund, so ein Stück nicht zu erwerben und mit ihm nicht Umgang zu pflegen. Schließlich gibt es mir zu denken. Will ich nicht mit meiner Sammlung eine Welt entdecken?

 

 

 

 

 

 

 

 

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