Zweiter Blick auf „Kongo – Power and Majesty“

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ALISA LAGAMMA  vs. WYATT MACGAFFEY & KAJSA EKHOLM FRIEDMANN

Der erste Blick liest sich in einer Email vom 15.12.2015 so:

… “Kongo – Power and Majesty” ist eine großartig ausgestattete Neuerscheinung des Metropolitan Musum in NY von 2015, herausgegeben von Alisa Lagamma, über die Kulturgeschichte der Königreiche von Loango und Kongo und ihre Fortwirkung bis heute.

Darin gibt es ein ausführliches Kapitel über “Kongo Female Power“, welches die zahllosen Mutterschafts-Darstellungen in einem historischen und sozialen Kontext erörtert. – Ich kopiere meine Lesenotiz:

Alle drei Ebenen sind relevant:

  1. die Verluste des Bas Kongo an jungen Männern und Frauen (2 : 1) durch den transatlantischen Sklavenhandel, der das Leben aus dem Gleichgewicht brachte. – Als Reaktion Fruchtbarkeitskulte: a) minkisi als Mittel gegen social ills und b) Lemba als Initiationsritual und Vorbereitungspraxis in der Vorbereitungshütte, nicht anders als das Ukule der Ovimbundo und deren Nachbarn, das Marie-Luise Bastin beschrieben hat. Diese Völker gehören auch in den im Buch „Kongo“ beschriebenen Kreis! (165)
  1. die Figuren waren Abbild der körperlichen Verbindung zu den Ahnen – spielten deshalb auch eine Rolle in den Schreinen der Häuptlinge, die mit dem Ableben in die Welt der Ahnen eintraten und helfen konnten. Frauen gewannen damit aber keine politische und soziale Macht. Wie bei den Ovimbundu herrschte Matrilinearität mit der politischen Rolle des Mutterbruders. Frauen waren die Durchgangsstation für das Leben (165 l.) – Die ‚toten’ Kinder von Maternités können als ‚Geistkinder’ interpretiert werden.
  1. Lagammas Ablehnung der Muttergottes-Interpretation unter Hinweis auf ältere Belege am Niger und in Kamerun. Doch der europäische Einfluss seit dem 15.Jh. bleibt für mich eine Selbstverständlichkeit, wenn überhaupt fremde Vorbilder bei dem Motiv relevant sind.

 

Der zweite Blick nach eigenem Literaturstudium

Meine Formulierung zu Beginn kann ich so nicht mehr akzeptieren: die Verluste des Bas Kongo an jungen Männern und Frauen ( 2:1 ) durch den transatlantischen Sklavenhandel, der das Leben aus dem Gleichgewicht brachte.

Alisa Lagamma schreibt: (in dt. Übersetzung):

Der transatlantische Sklavenhandel zielte auf Mitglieder der Bevölkerung zwischen Achtzehn und Fünfunddreißig, auf der Höhe ihrer Produktivität. Entlang der Küste wurden Männer für die Arbeit in den Pflanzungen der Neuen Welt nachgefragt, während Frauen als eine Quelle des wichtigen Überlebens und der Erneuerung verlangt wurden. Das Verhältnis der verschleppten Männer und Frauen war zwei zu eins. In der Folge dieses Verlustes und dieser Verwüstung ohnegleichen begannen Frauen eine zunehmend lebenswichtige Rolle bei der Behebung der folgenden chronischen sozialen Instabilität zu spielen. Dann zitiert sie die vermehrte Verwendung von Minkisi, den Kult Lemba und die Vermehrung der Mutter-und-Kind-Figuren als integralen Teil einer konzertierten Beschwörung zur Infusion neuen kostbaren Lebens in die Gesellschaften der Bakongo. Lagamma bringt eine erdrückende Arbeitsbelastung erwachsener Frauen mit dem allgemeinen Verlust an Männern in einen Kontext und folgert: Die übrig gebliebenen Männer zeugten Kinder mit vielen Frauen. (163)

Die Story fand und finde ich herzzerreißend schön. Darin sind Gut und Böse in klassischer Schlichtheit auf zwei Seiten verteilt: auf die ‚transatlantische’ und die Seite der Opfer im ‚Innern’, das Ganze überhöht durch eine idealisierte ‚Mutterschaft’.

Zwar nennt Lagamma in den Anmerkungen die einschlägigen Publikationen – z.B. MacGaffeys Congo Political Culture oder Ekholm Catastrophy and Creation sogar mit Seitenzahlen – aber ich finde bei ihr nicht wieder, was ich bei denen gelernt habe. Der erste Satz zitiert MacGaffeys nur in seinen höchst allgemein gehaltenen Extensions and Reflections. Ekholm-Friedmans Analysen erkenne ich nicht wieder.

Schon die vagen geographischen Bezeichnungen führen in die Irre. An der Küste wurden zwar junge Menschen verschifft, aber sie kamen meist von weit her aus dem Kongobecken. Die Küstenregion verdiente gut am Transithandel, welchen lokale Chefs der Kongo und Vili bis 1878, also kurz vor der ‚catastrophe’ (Ekholm-Friedman) total kontrollierten. Die bekannten dramatischen Bevölkerungsverluste ereigneten sich erst in Leopolds ‘Kongostaat’ nach 1885. Ist das nicht Konsens?

MacGaffey hat die grausame innergesellschaftliche Dynamik in den durch den internationalen Handel reich gewordenen Gesellschaften veranschaulicht. Junge Frauen waren als Durchgangsstationen des Lebens nichts anderes ‚Gebärmaschinen’ und sie waren mit ihren Kindern und ihrer Arbeitskraft ‚Humankapital’, so wie übrigens die meisten der ‚übrig gebliebenen Männer’, Kapital, das die Chefs in Statuskämpfen riskierten und bei Bedarf opferten. Die weibliche Fruchtbarkeit wurde mit Hilfe des Zauberers natürlich auch gegen weibliche Individuen gerichtet. Für die weibliche Arbeitsbelastung hatte (bis heute?) sowieso niemand Verständnis.

Lagamma räumt immerhin ein: Frauen gewannen damit aber keine politische und soziale Macht. Begnügt sich also die moderne feministische Kunsthistorikerin bereits mit der symbolischen Macht? Vielleicht, weil das ihr Fachgebiet ist?

Da fällt dann auch gar nicht mehr auf, dass die gezeigten und besprochenen Figuren hoher handwerklicher Qualität von den herrschenden Kreisen zur Demonstration und Exekution ihrer Macht verwendet wurden und hier – unter merkantilem Aspekt – perfekt ausgeleuchtet im gemeinsamen Schaufenster von Weltkunsthandel und institutionellen Leihgebern liegen.

Ich habe jetzt nur meinen Eindruck von der Exposition eines einzelnen Kapitels revidiert, auf das ich aber sehr gewartet hatte. Es wäre schade, wenn dies Kunstbuch zu Afrika, eines der neuen Generation mit weitem geschichtlichem Horizont, seine kunsthistorischen Analysen auch sonst auf Geschichtsklitterung aufbauen würde. Halten sich doch Klischees mit einer Portion Sentimentalität beim Publikum am zähesten.

Für eine systematische Rezension bin ich nicht kompetent. Ich rate nur: Aufpassen!

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