Leopolds ‚Kongo-Freistaat‘ – Chronik

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VORREDE  Juli 2016 – ErgĂ€nzungen Nov. 2017, Sept. 2018

Ich lese nicht zum ersten Mal von König Leopolds Kongo. Warum tu ich mir das also wieder an? Bereits die LektĂŒre der knapp gefassten, strukturierten und zurĂŒckhaltenden ErzĂ€hlung der schwedischen Ethnologin Kejsar Engholm Friedman ist auf den entprechenden Seiten kaum zu ertragen, die wenigen kunstlosen Fotos mag man nicht ansehen. Vor dem inneren Auge tauchen die gespeicherten Bilder und ErzĂ€hlungen aus deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern auf. Die TĂ€ter waren ĂŒbrigens in beiden FĂ€llen Vertreter des ‚Herrenvolks’ und verschiedener Kolonialvölker, importiert oder lokal rekrutiert. Der naheliegende Verweis auf Kolonialverbrechen der anderen KolonialmĂ€chte zieht nicht, soweit er sich auf solche der Eroberung und ‚Befriedung’, also Kriegsverbrechen bezieht. Was ĂŒber den ‚Kongo Freistaat’ berichtet wird, reicht in eine andere Dimension: systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit. – „systematisch“ wĂŒrde ich heute nicht mehr sagen: die Menschenopfern wurden in fĂŒr uns unfassbarem Ausmaß ‚billigend in Kauf genommen‘. Man war  vor Ort desorganisiert, hemmungslos und auf allen Ebenen gierig.

Da aber eine große gegenseitige Fremdheit dazu kommt, drĂ€ngen sich auch Szenen aus Tarkowskis großem Film „Andrej Rubeljow“ (1966) auf, worin die Niederwerfung Altrusslands und die Knechtschaft unter den Tartaren (Mongolensturm) Sinnbild werden. Vom Grad der VerwĂŒstung und vom gewaltigen Aderlass an der Bevölkerung her wĂ€re in Mitteleuropa vielleicht der DreißigjĂ€hrige Krieg vergleichbar, etwa: „Nach den wirtschaftlichen und sozialen Verheerungen benötigten einige vom Krieg betroffene Territorien mehr als ein Jahrhundert, um sich von deren Folgen zu erholen“ – Gilt das nicht in weit höherem Maße fĂŒr Zentralafrika? Es sieht nicht so aus, als ob eine ‚Erholung‘ in Sicht wĂ€re.

Alles an einer solchen Hölle, an einem solchen Mahlstrom widerstrebt einer logischen ErzĂ€hlung, welchen Ansatz wir auch wĂ€hlen. Im Fall der Studie „Catastrophe and Creation“ ĂŒberrollt uns die Woge mehrfach, mit jeder neuen thematischen Wendung, jedem neuen ‚Teufelskreis’. – Darum muss ein stures chronologisches Gitter das auffangen, was unbedingt erwĂ€hnt werden muss, um Überblick zu gewinnen, ohne die Emotion zu eliminieren. Der angemessenen ‚Gewichtung‘ kann ich nicht so  sehr Beachtung schenken.

AnfĂ€nglich (2015) wollte ich ja nur den Hintergrund der Yombe und Kongo kennenlernen, von denen ich ein paar ’Kunst’-Objekte erwarb. Das war in diesem Fall naiv, konnte nicht gut ausgehen. Ein Fetzen Information fĂŒhrte zum nĂ€chsten, diverse Andeutungen machten neugierig, der Schritt von Kunstkritikern und Kunstwissenschaftlern zu Sozialhistorikern wie MacGaffey war groß. Dann kamen bereits Zeitzeugen im Spiel, Beobachter, TĂ€ter oder gleich beides. Bei der vielgestaltigen Rechtfertigungsliteratur der Belgier blieb ich nicht stehen, so amĂŒsant sie auch zunĂ€chst war. Und jetzt bin ich hundert Jahre spĂ€ter hier im Herz der Finsternis angekommen und wundere mich, wie man als Teil des Kolonialsystems ĂŒberhaupt vor sich und anderen ‚bestehen’ konnte. Als Nachkriegsdeutscher weiß ich natĂŒrlich wie: durch Selbstbetrug. An den Opfern dieser Kolonie, an den Menschen war nach 1909 nichts mehr gutzumachen, oder in Nachkriegsdeutsch: wiedergutzumachen. Es war wohl so: FĂŒnfzig Jahre wahrten die belgischen Kolonialherren noch den Schein ĂŒblicher ‚Entwicklungsbeziehungen’, bevor sie sich 1961 Hals ĂŒber Kopf davonmachten und das Land seinem Schicksal ĂŒberließen.

Habe ich etwa mit Mac Gaffey, Friedman u.a. an den traditionellen Gesellschaften der Kongo-KĂŒste die degenerativen VerĂ€nderungen seit dem 18. Jahrhundert zu sehr dramatisiert, ja aufgebauscht? Musste sich ein Kongolese in seiner Verzweiflung spĂ€ter solche VerhĂ€ltnisse nicht dringend zurĂŒckwĂŒnschen?

 

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Immer wieder tritt in der ErzĂ€hlung das ungleiche Paar ‚Kautschuk’ und ‚Elfenbein’ auf. Dem wurden Millionen Menschen geopfert. Der Rohstoff der Industrialisierung Latex (seit 1839, Verfahren der Vulkanisierung) hinterlĂ€sst bei mir ein GefĂŒhl von Ratlosigkeit, denn der durch Nachfrage befeuerte ‚Kautschukboom’ wurde erst 1920 durch Plantagenproduktion in Asien beendet.

Doch ‚Elfenbein’, wie Gold ein dekorativer und spekulativer Werkstoff, an dem Blut klebt, ist bloß zum Kotzen.

Wir leben ja heute in den Metropolen in der trĂŒgerischen AtmosphĂ€re eines von den grĂ¶ĂŸten Katastrophen und Verwerfungen ungetrĂŒbten Kunstgenusses. Und blicken mit derselben AbgebrĂŒhtheit auf die Vergangenheit. Da wird leicht das allgemeine Völkerschlachten des ‚Weltkriegs’ 1914 – 18 zur Folie fĂŒr Dada, Expressionismus oder fĂŒr blasse KĂŒnstlerbiografien.

Man sollte die gepflegte Chronologie ‚kongolesischer Kunst’ schlichtweg destruieren, demontieren, vergiften mit dem Gift ‚unseres’ jugendlichen Imperialismus, der am Kongo zum ersten Mal in großem Maßstab zuschlug, um dann im Zwanzigsten Jahrhundert seine breite Brandspur quer durch ganz Europa und den Rest der Welt zu ziehen.

 

 

 

CHRONIK

 ErgÀnzungen 11.2017, 9. 2018

 

1870er Jahre

Seit anfang der 1870er Jahre bemĂŒhten sich protestantische Missionare, die Bibel in eine Kikongo zu ĂŒbersetzen und ihre Zöglinge zu alphabetisieren, in einem standardisierten und teilweise europĂ€isierten zentralen Dialekt, der großen Einfluss auf deren Sprache und Denken hatte. (P&A 46)

 

1874

Im November Abreise von Morton Stanley’s Expedition mit 300 Sansibari in Bagamoyo an der ostafrikanischen GegenkĂŒste zu Sansibar

 

1876  

Leopold berief eine internationale Konferenz nach BrĂŒssel ein. Man grĂŒndete die International African Association zur Erforschung Zentralafrikas und Auslöschung des arabischen Sklavenhandels von Ostafrika aus (F 60-61).

ErgÀnzung

Es  gĂ€be darĂŒber noch einiges zu sagen. Zum Beispiel wurde der Westzugang zum Kongobecken so interessant, weil der Zugang vom  Indischen Ozean aus durch Zanzibar erschlossen und kontrolliert war. Doch das ĂŒberschreitet den von Kejsa-Engholm gewĂ€hlten Fokus auf die Bakongo an der Kongo-MĂŒndung.

Der ganze Ostkongo bis westlich des Kongobogens stand damals unter unbestrittener Oberherrschaft des Sultans von Zanzibar. Ohne das Einvernehmen mit und die logistische UnterstĂŒtzung auf den Handelswegen der arabischen Beamten und Kaufleute hĂ€tten Stanleys Expeditionen gar nicht durchgefĂŒhrt werden können. Zahl und KrĂ€fte der Araber waren dort nĂ€chsten zehn Jahre auch noch so ĂŒberlegen, dass Leopold und Stanley ihre zanzibarischen Partner mit gespielter Freundschaft ĂŒber ihre Absicht tĂ€uschen mussten. Die  Sklavenbefreier-Rhetorik Leopolds gegenĂŒber den konkurrierenden EuropĂ€ern war von vorneherein verlogener Vorwand, und der betrĂŒgerisch erworbene internationale  Anspruch, das 1885 zugestandene Territorium zu kontrollieren,  erst durch den Angriffskrieg 1892-94 zu realisieren, als Zanzibar als britisches Protektorat selber geschwĂ€cht war. – 

Quelle: Mwene-Batende: Mouvements messianiques et protestation sociale – Le cas du Kitawale chez les Kumu du Zaire, FacultĂ© de ThĂ©ologie Catholique Kinshasa 1982, pp.86-89 nach Studien von Ceulemans, Hinde, Burdo, Verhaegen, Bibo.

1877 Eine ‚bahnbrechende Leistung’

Morton Stanley durchquerte als erster EuropĂ€er den Kataraktdistrikt des Kongo und erreichte im April 1877 Boma an der KongomĂŒndung. Von nun an erschien eine Erschließung Zentralafrikas auch von der MĂŒndung aus praktikabel, was die KĂŒstenvölker seit Jahrhunderten im Interesse ihres Handelsmonopols (‚Faktoreiensystem’; F 13-56 = Ch. One) einhellig und konsequent verhindert hatten. Leopold kontaktierte ihn bereits bei der Ankunft in Marseille im Januar 1878.

 

1878 Niedergang des Handels ĂŒber ‚Faktoreien’

Die bekannteste Faktorei war die hollĂ€ndische AHV, seit kurzem NAHV (F 19), sie hatte fast 80 Faktoreien an der KĂŒste und im Bereich der KongomĂŒndung (F 24), sie verlegte 1892 ihren Hauptsitz in den französischen Kongo nach Brazzaville. (F 70)

Die Könige von Boma erhöhten  ‚vertragswidrig‘ die Zölle auf Exporte 1878, als DĂŒrre und eine verheerende Hungersnot schĂ€tzungsweise ein Viertel der Bevölkerung dahinrafften und die Wohlhabenden verarmen ließen. In ihrer Verzweiflung besteuerten die Könige von Boma den Handel so hoch, dass er völlig verschwand, schreibt MacGaffey (Link). Eine militĂ€rische Konfrontation gewannen die Faktoreien Ende des Jahres. (F 18) Was es damit auf sich hatte, beschreibt Maarten Couttenier in „EO.0.0.7943″, auf den Spuren des so etikettierten ‚War Fetish“ eines der neun Boma-Könige, der dabei vom Faktoristen A. Delcommune und seinen fĂŒnfzehn afrikanischen Söldnern im Wildweststil erbeutet wurde. Der im Low Countries Historical Review 2018-2,pp. 79-9 publizierte Artikel ist als pdf herunter zu laden (Link). (5.9.2018)

 

1879

Nach vergeblicher Werbung um die Regierung in London trat Stanley in den Dienst Leopolds und seinem ComitĂ© d’Études du Haut-Congo, rekrutierte erneut Zanzibaris fĂŒr eine Großexpedition. Am 14. August landete Stanley in Banana (F 18) und begann Ende September von Vivi aus den Landmarsch durch die cataract zone (alles: F 61). Er schloss von der KĂŒste bis ins Innere VertrĂ€ge zwischen Congo Association und lokalen chiefs, die Grundlage fĂŒr die Grenzziehungen auf der Berliner Konferenz 1884-1885. Bis dahin wurden im Hinterland hunderte weitere VertrĂ€ge geschlossen. (F 63)

 

1881

Stanley erreicht den Pool erst im Juli (F 62), da waren beide Ufer bereits vom französischen Konkurrenten S. de Brazza besetzt (F 62, spÀter Landtausch).

1885

Im April ĂŒberließ das belgische Parlament Leopold den ‚Kongo Freistaat’ (Congo Independent State) den 13 europĂ€ische Staaten und die USA bereits diplomatisch anerkannt hatten (F 63)

Da Freihandel, gleiche Rechte fĂŒr alle EuropĂ€er, freie ReligionsausĂŒbung (und –verbreitung) und Schutz der Eingeborenen auf der Konferenz zugesichert wurden, schien kein Grund zur Sorge zu bestehen. (F 63)

Der Freistaat erklĂ€rte sich zum EigentĂŒmer allen herrenlosen (vacant) Landes (F 68)

„Beide Staaten wollten gewiss dauerhaft wirtschaftlichen Nutzen aus ihrer Kolonie ziehen, aber die notwendigen Kosten waren offensichtlich viel zu hoch. Sie investierten sehr wenig in die Infrastruktur und Produktionsentwicklung, konzentrierten ihre Anstrengungen vielmehr auf das Zusammenraffen von Kautschuk, Elfenbein und Agrarprodukten. Zu diesem Zweck ĂŒbergaben sie große LandflĂ€chen an konzessionierte Gesellschaften, dabei war der Kongostaat bis 1908 selbst eine Privatgesellschaft.“ (F 58)

Von Beginn an warnten am Kongo wise men ihre Leute vor den Folgen; die Angst unter den Eingeborenen war allgemein. (F 57) Die chiefs vor allem im Innern erwarteten aber Vorteile durch direkte VertrĂ€ge mit den Weißen. Widerstand entwickelte sich  allmĂ€hlich (F 63). wegen sich hĂ€ufender militĂ€rischer GewaltausĂŒbung, die sich vor allem zu anfang auf Söldner, zum Beispiel Zanzibari und Haussa (F 73) stĂŒtzte. Dörfer wurden entvölkert oder ausradiert, die Nahrungsmittelproduktion unterbrochen . Die  terrorisierte Bevölkerung flĂŒchtete aus den hochgelegenen grĂ¶ĂŸeren Dörfen in die bewaldeten ungesunden TĂ€ler.  Die AutoritĂ€t der chiefs wurde unterminiert (F 73).

1888 – 1894

Ernsthafter Beginn der Besetzung des Mayombe. GrĂ¶ĂŸere militĂ€rische ‚Probleme’ mit den Yombe bis 1894 . Auf französischer Seite waren es die Nsundi. HĂ€tte man eine Chance gehabt, wenn der Widerstand hartnĂ€ckiger gewesen wĂ€re? (F 74)

 

1889

Die Dekrete 7/25 und 10/17 verboten Anwohnern und Kaufleuten Elefantenjagd und Sammlung von Kautschuk, belasten den Handel mit prohibitiven Steuern. (F 68)

Dekret ĂŒber die Zwangsverpflichtung von TrĂ€gern im BC (Bulletin Officiel 1889; F 77)

Arbeitsdekrete, zeitlich ‚passend‘ zu einem Dekret gegen den Sklavenhandel.1889 beherbergte BrĂŒssel eine internationale Konferenz ĂŒber die UnterdrĂŒckung des Sklavenhandels. // Kennen wir das nicht aktuell von opportunen EinsĂ€tzen der Parole ‚Antiterrorkampf’ seit 2000 ? Gv//

 

 1891

‚Leopoldville‘ wurde 1881 von Stanley als Handelsposten gegrĂŒndet, seit 1891-92 als Stadt; die monatlichen Traglasten stiegen damals von 75-100 – (ĂŒber Vivi) auf 80.000 1893 (Wauters 1899; F 79); 1898 wurde die Eisenbahn zur KĂŒstenstadt Matadi fertiggestellt. 1923 Verlegung der Hauptstadt des Belgisch-Kongo von Boma nach LĂ©opoldville (Wiki)

Bis 1890 profitierten auch auslĂ€ndische HandelshĂ€user vom Durchbruch, etablierten sich sogar am Pool. Die Exporte aus dem Kongo stiegen fast um das Zehnfache (Tabelle F 64), selbst dann weiter, Doch „die ‚liberal period’ endete 1891 und das ‚Leopold system’ etablierte sich, und bald war offensichtlich, dass der Kongostaat fĂŒr Elfenbein und Gummi drauf und dran war, seine eingeborene Bevölkerung auszulöschen.“ (F 65) „Es scheint, dass internationaler Protest seinen Niedergang nicht beendete, bloß die Erschöpfung der GummivorrĂ€te.“ (F 65,Harms 1975) Friedman spricht davon, beide KolonialmĂ€chte hĂ€tten bei den Greueltaten voneinander gelernt“. (F 65) Furchtbare Gewaltverbrechen wurden allgemein, Teil des Systems. (F 68)

Durch Geheimdekret wurden Kautschuk und Elfenbein 1891 innerhalb einer ‚domaine privĂ©e’, die etwa die HĂ€lfte des Territoriums der Kolonie umfasste, staatliches Monopol. 1896 kam die ‚domaine de la couronne’ um den Lake Leopold II hinzu.

In diesen zwei Zonen lag der Hauptteil des Reichtums. HĂ€ndler wurden beim Versuch der Zuwiderhandlung mit dem Straftatbestand ‚Diebstahl’ bedroht. Den Eingeborenen wurden ihre Eigentumsrechte außerhalb ihrer Dörfer und der bewirtschafteten Felder verweigert. Sie hatten nichts mehr, was sie verkaufen konnten. (F 68) Sie wurden als Menschen auf ihre reine Arbeitskraft reduziert, und die nahm man mit Gewalt in Anspruch. (F 69)

Allgemeines Dekret ĂŒber ein more general labor tax system (Bulletin Officiel 1891; F 77) : Im Prinzip sollte jede Person/Eingeborener mindestens vierzig Stunden im Monat fĂŒr Straßen- und Hausbau, Beschaffung von Kautschuk und Feuerholz (!) fĂŒr die Dampfschiffe arbeiten. Die chiefs waren die Adressaten und waren fĂŒr die Lieferung verantwortlich. (F 77)

– Friedman diskutiert im Anschluss an A. J. Wauters (1899) die Frage, wie viele TrĂ€ger und Arbeiter aus eigenem Antrieb kamen, weil sie gegenĂŒber ihren Dorfgenossen ‚reich’ werden konnten, und interpretiert das als Ausdruck und treibende Kraft des Zusammenbruchs der alten Gesellschaft. (F 79)

1881 bis 1911 : Entvölkerung weiter Landstriche, Ursachen

Stanleys ĂŒbertriebene SchĂ€tzung von 40 Millionen Menschen wurde mit wachsender Erforschung des Landes auf 20 bis 30 Millionen korrigiert. Morel berichtet von einem Zensus im Jahr 1911, dessen allzu peinliches Ergebnis von der belgischen Regierung verheimlicht worden sei: 8,5 Millionen, grob zwei Drittel Bevölkerungsverlust. Morel hat die Zahl aus einem britischen Konsularbericht. (Morel 1920, F 81) FĂŒr 1960/61 gibt Sautter (1965; F 81) eine durchschnittliche Bevölkerungsdichte von 2,4 pro Quadratkilometer an, was bei aller statistischen Unsicherheit fĂŒr ein Land unter Ă€hnlichen Bedingungen und Klima sehr niedrig ist. (F 81).

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Als Ursachen kommen Seuchen in Betracht, gefördert durch die stÀndigen Kontakte mit TrÀgern und Soldaten, aber auch die ungesunde Lage der Dörfer, Erschöpfung und stÀndigen Hunger und biologische Unfruchtbarkeit.
Schließlich ist fĂŒr Friedman auch – im Anschluss an LĂ©vi-Strauss in Tristes Tropiques und in den Worten von Morel (1904: 242) – eine psychische Komponente relevant: ‚The crushing weight of perpetual, remorseless oppression; the gradual elimination of everything in the daily life of the natives which makes that life worth living.’ „Das erdrĂŒckende Gewicht stĂ€ndiger unbarmherziger UnterdrĂŒckung; die allmĂ€hliche Beseitigung aller Dinge im tĂ€glichen Leben der Eingeborenen, welche dem Leben einen Wert geben.“

 

Ab 1895  –  Eine verlogene Kampagne gegen König Leopold?

Punch_congo_rubber_cartoon.1906

Punch_congo_rubber_cartoon.1906

Alarmierende Berichte in auslĂ€ndischen Publikationen hĂ€ufen sich. BerĂŒhmt wurde Edmund Dene Morel ‚King Leopolds Rule in Africa’, Heinemann, London 1904.

Das liest sich in wikipedia.fr – noch im Juni 2016 – so: „Sehr bald, seit den Jahren 1895-1900, musste der Kongo-Freistaat Leopolds II die SchlĂ€ge einer  antikongolesischen Kampagne ertragen, die sich in verschiedenen Stimmen ausdrĂŒckte. Zweifellos war die von Edmund Dene Morel die lauteste. Morel war ein ehemaliger Angestellter einer Transportgesellschaft aus  Liverpool, der Investigationsjournalist geworden war. Er publizierte seine Artikel, BroschĂŒren, Pamphlete und sehr zahlreichen BĂŒcher  gegen den Kongo-Freistaat mit der UnterstĂŒtzung von GeschĂ€ftsleuten, die das Ende von Leopolds Monopol wĂŒnschten, unter ihnen der SchokoladenmillionĂ€r William Cadbury.“ usw.  Der Artikel zeigt mit vielen Details, Zitaten und  Belegen professionelle Wikipedia-QualitĂ€t, er baut sein PlĂ€doyer gar nicht erst auf Leugnung der unbestreitbaren Tatsachen auf, sondern nimmt forsch die Seite der Anklage aufs Korn.  Was sie seither vorgebracht hat, soll in einer Masse von ‚Fakten‘ neutralisiert werden. Joseph Conrad ist 1890 auf Kosten des ‚Freistaats‘ auf dem Kongo gereist? (Fotounterschrift) – HĂ€tte er die Kosten nachtrĂ€glich erstatten sollen? Die  Überschriften La campagne contre l’État indĂ©pendant du Congo und Une Ă©motion internationale sind ebenso typisch wie die WĂŒrdigung einer amerikanischen Schriftstellerin, Mae French Sheldon, die 1905 eine Konferenz „zur Verteidigung der Ehre Leopolds“ organisiert hatte. Die offiziellen Namen dieses verbrecherischen Gebildes trĂ€gt der Artikel vor sich her wie eine Monstranz. Auch der angesehene ‚Kongo-Historiker  Jules Marchal wird rhetorisch eingebunden, mit seiner „EinschĂ€tzung,  dass die Amputation der HĂ€nde als Beweis der Bestrafung (vor Vorgesetzten)  von den Belgiern im Westen des Kongo eingefĂŒhrt worden zu sein scheine,, et plus prĂ©cisĂ©ment par Victor Leviez dans le district de l’Ă©quateur en novembre 1894. Dazu Fotos von Amputierten und das Foto. einer Auspeitschung. – Der Beitrag – perfides Machwerk oder eine Kollektivarbeit gebildeter Tölpel – sucht den intellektuellen Nahkampf. Wer ist bereit zur Schlammschlacht?

 

1910 bis 1921

Periode imperialistischer Konsolidierung, die 1921 mit den Turbulenzen endet, die das Auftreten des (baptistischen Zöglings und dann) ‚Propheten’ Simon Kimbangu auslöste. (A&P 46)

 

1912

Karl Laman veröffentlichte die erste Grammatik der Kikongo-Sprachen. Vor allem verbreitete er im Bas Congo unter „intelligenten sowie des Lesens und Schreibens kundigen Leuten“ einen Fragebogen auf Kikongo, der alle Aspekte der Kultur der Kongo, Yobe, Vili, Sunda usw. ansprach. (A&P 46) Die zahlreichen Antworten sind heute eine der wenigen PrimĂ€rquellen fĂŒr die Erforschung der seit 1880 zerstörten Gesellschaften.

Literatur

 Friedman , Kajsar Ekholm: Catastrophe and Creation – The Transformation of an African culture, harwood academic publishers chur (etc.) 1991 , ISBN 3-7186-5186-6      = (F …)

(als Kindle-Edition seit 2014 27,20€ zu erwerben, als Taschenbuch antiquarisch etwa ab 70€)

 

MacGaffey, Wyatt: The Eyes of Understanding – Kongo Minkisi, in Astonishment & Power, National Museum of African Art, Washington D.C. 1993 pp.21-103   = (A&P …)

 

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