„Minkisi“ Doppelgänger von Pambi und Ndona (Yombe)

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Arbeitsfassung 8. Juni 2023

 

Überraschung am regnerischen Marktstand : PAMBI und NDONA! (LINK)

PAMBI

Die abgehackten Hände fallen zuerst auf, der fast geschlossene Mund, der lange Bart mit senkrechten Strähnen, aber auch die glatten Ohrmuscheln und die Mütze kommen mir bekannt vor, ebenso die Kopfhaltung und die wahrscheinlich ‚blinden’ Augen. Dazu der textile Kragen. Die Figur kenne ich doch!

Ikonografie und Ausstrahlung sind ebenso unaggressiv. Diesmal ist die Kappe weiß, der Rest aber grau.Eine Bereicherung sind die drei umgegürteten Kraftpakete und ein gewaltiger vorgestreckter Schwanz, den man sorgfältig wieder zusammengeklopft hat. Dazu kommen umwickelte Unterschenkel (durch den Regen dunkel angefeuchtet).

Dieser Doppelgänger soll zum materiellen Zeugen werden!

An der Schreinfigur sind die magischen Ladungen und  das unübersehbare Zeichen seiner Potenz  vielleicht entfernt worden, schon wegen des Status der Großfigur, möglicherweise bloß angesetzt gewesen.

 

NDONA

NDONA („Mama“) habe ich nicht gleich identifizieren können, aber sie mochte ich weit mehr als die männliche Figur. Mit der entsprechenden Schreinfigur NDONA teilt sie die Vitalität und den charakteristischen Kopf: farbig, in den Nacken zurückgeworfen, mit großen eisernen Ohringen Das Glas der Augen ist typisch schlampig umrandet. Dazu kommt eine kecke spitze Frisur mitten auf dem Schädel. W. erwähnt die anerkannte Schönheit der Yombe-Frauen und macht auf den ruhigen Bogen im Wangen- und Kopfbereich aufmerksam. Dort fasse ich die Figur vorsichtig an.

Ndona trägt eine breite textile Schärpe [der Rest des Körpers ist dunkel bemalt) aufrecht in entspannter Haltung, mit dem Stolz eines Würdenträgers. Sie trägt einen Gürtel mit Fruchthülsen, welche Glocken vertreten sollen und die vertreten ikonografisch Kinder.

Erstens erinnert das an den Brauch bei den Tetela seiner Heimat, bei einem Fest der Mutter viele Geschenke zu machen. Sie tanzt dann in einem Glockenrock und singt fröhlich. Er singt mir gleich eine Zeile vor. Eine wahre Ndona und Mama!

 

Wer sind denn Pambi und Ndona? – „Grosse Figuren aus Mayombe (Bas Congo)“, im Januar 2017 hochgeladen (LINK). Eine ergänzende Sicht auf die Gruppe in einem erweiterten Panorama ist nun möglich, vor allem dank der Informationen in den Beiträgen von Wyatt MacGaffey (weiter unten „Empfehlung“.

Einordnung

Seit vier Wochen stehen mehr solcher Minkisi-Figuren aus derselben Gegend auf seinem Markttisch: ein Reiter, ein Trommler, ein ‚Bruder der NDONA, sowie ein ‚voll ausgestatteter’ Nkisi mit Spiegel, Schlüssel und umfangreicher Rückenladung, der auf einem doppelköpfigen Tier reitet, eine Frau, die zwei Schlangen hält und eine Figur, die nach flüchtigem Eindruck das augenscheinliche Grundmodell entstellt wiedergibt.

 

 

 

Zum besseren Verständnis : Empfehlung

In dieser Zeit arbeite ich bereits an der Übersetzung von Wyatt MacGaffey: Minkisi on the Loango Coast. Den einzigen fremdsprachlichen Beitrag im berühmten Katalog MINKISI –Skulpturen vom unteren Kongo des Grassi-Museums, Leipzig (2012 S.27 – 33) hatte ich bisher nur überflogen. – Die Übersetzung ist im Oktober als Blog im Netz. (LINK)

MacGaffey fasst darin die Ergebnisse seiner langjährigen Forschungen zusammen. Entstanden ist eine wahre Fundgrube, die meinen Blick auf Minkisi verwandelt und die Bereitschaft zur erneuten Auseinandersetzung weckt.

Ich hatte nicht wirklich realisiert, dass auf dem Markt eintreffende Minkisi – ebenso wie die vor einem Jahrhundert in die Museen gespülten Exemplare – materielle Reste eines großen sozialen Phänomens darstellen, gefleddert, deaktiviert, ihrem Kontext entrissen, anonymisiert, verstümmelt, nicht einmal kommerziell werthaltig, da gewöhnlich in Depots stehend und unbearbeitet außerhalb des Lichtkegels des Kunsthandels. Von unübersichtlicher Vielfalt ist also auszugehen, Vielfalt der Kontexte, der Strategien, Techniken und Sichtweisen und schließlich der Erwartungen und Wünsche der afrikanischen Klientel. MacGaffey und Visser zitieren im Leipziger Katalog  -zig geheimnisvolle Eigennamen, die Typen und sogar Handelsmarken bezeichnen können.

Wie überall auf der Welt beobachten wir auch im Kongo die Langlebigkeit angeblich ,überholter‘ Denkmuster und Methoden der Konfliktbewältigung, oder sogar ihre Renaissance, so auch im traditionell widerständigen Hinterland (MacGaffey) der Loango-Küste.

Und so kann ,heute‘ auf dem Markt in Frankfurt noch eine geordnete und kommentierte Übergabe außer Dienst gestellter ,Fetische‘ stattfinden, mehr als ein Jahrhundert nach Robert Visser (1860-1937), dem 1882 bis 1904 an der Loango-Küste tätigen Geschäftsmann und engagierten Händler dortiger Ethnografica.

Diese Kongolesen, die heute über ein loses Netzwerk von Verwandten und reisenden Aufkäufern ihre abgelegten Fetische verkaufen, sind unsere Zeitgenossen. Sie stehen mehr denn je im unvermeidbaren Kontakt mit mächtigen äußeren Mächten, mit Politikern in Kinshasa und Akteuren des Weltmarkts. Der verzweifelte Kampf um Gesundheit und Erfolg und ihre alltäglichen Krisen lassen sie nach Helfern suchen. Sie finden solche in den heftig konkurrierenden, afrikanisierten Kirchen und Sekten, bei wandernden Scharlatanen und selbst beim traditionellen herbalist und Fetischeur, der aber inzwischen das geringste Ansehen genießt. (Siehe: „“ (LINK), Vergleich mit Strothers Bericht von den Pende (LINK)

Ich frage mich manchmal: Werden diese ,rückständigen‘ Zeitgenossen von Ethnologie und Museum überhaupt noch gesehen? Streben die dort privilegierten Gesprächspartner – zum Beispiel urbanisierte Künstler und Akademiker – nicht genau in die ‚emanzipatorische’ Richtung des ,globalen Nordens‘, so wie die Migranten übers Mittelmeer streben, wobei man bei denen nicht sagen kann, wie viel traditionelles ,Gepäck‘ sie im Kopf mit sich tragen.?

 

Noch offene Fragen an W.

Wann und von wem sind die neuen Minkisi aus Kinshasa gekommen?

Wie stehen er und seine Frau zu solchen Minkisi ? – Für Muslime wäre das alles bloß ,,Holz“- Hat ihr Katholizismus afrikanische Elemente?

Was halten sie zum Beispiel von der Freikirche Jamaa?

Verbinden sie mit dem Handel über Unterstützung Ihres Netzwerkes hinaus irgendwelche Ziele?

 

 

Einzelvorstellungen von Minkisi

Die Errungenschaft des vergangenen Samstag besteht in der Tatsache, dass meine Schrein-Exemplare von 2016 nicht mehr mit dem Kommentar ihres Dorfes allein im Raum stehen. Meine damalige Interpretation legte den Akzent auf ihre Besonderheit, ja ihre Einzigartigkeit. Darauf konnten die recht zahlreichen Leser und angefragten Experten keine Antwort geben, was ich ihnen übel nahm. Auch die (vielleicht) von der Herkunftsgesellschaft benutzten Eigennamen halfen nicht weiter, waren zu unspezifisch; sie funktionierten wohl lokal oder waren Tarnung nach außen.

Mit den nun neu auftretenden Doppelgängern und Verwandten aus derselben Region kehren die Figuren in den weiteren Kontext zurück. Aus der größeren Distanz lässt sich auch wieder darüber reden.

Wenn der von mir zum Opfer des Kolonialismus stilisierte PAMBI Kraftpakete und Fruchtbarkeitszeichen trägt, ist seine ,Persönlichkeit‘ (Mac Gaffey) doch wohl komplexer als vermutet. Eine unerwartete Befreiung! Drohte doch in der Stilisierung der serielle Aspekt (Stichwort „Franchise“) so wie der Aspekt der Funktion und Wirkung vergessen zu gehen.

NDONA erhält – wie bei den hinduistischen Göttern Indiens normal – eine zweite Repräsentation. Die Schärpe und der Glockengürtel repräsentieren in einer symbolischen Form die Kinder – W.’s Übertragung seiner persönlichen Erfahrungswelt überzeugt mich im Bereich der ,Bantu’Völker, zumal ‚das Kind‘ nach MacGaffey den Status der Ehefrau eines männlichen Nkisi bezeichnet.

Was mir an der Figur gefällt und auch im europäischen Kontext einen ,künstlerischen‘ Rang begründet, ist die stolze Ausstrahlung. Sie beeindruckt sogar noch im abgeriebenen jetzigen Zustand.

Beide Figuren haben durch ihre,Doppelgänger’ an Substanz und Dimension gewonnen. Ihr figürliches Konzept und ihr Erhaltungszustand wiederholen sich in den zweiten Exemplaren. Größe und Gewicht ( ca. 3 kg) sind auch noch bemerkenswert.

Ein zweites männliches  Pendant, das wie ein Bruder NDONAs wirkt und ganz gewiss derselben Werkstatt entstammt, muss noch näher untersucht werden.

 

Der mit den Minkisi zusammen erworbene Pferdereiter ist ein Zeichen der Häuptlingswürde, so wie der kleine Mbala-Reiter (LINK) und der sitzende Vili Häuptling mit Strohhut (Colon) und Hund. Er wird extra betrachtet.

 

 

 

 

 

Der,Hundereiter‘ soll den aggressiven, wehrhaften Schutz in der Gruppe meiner Minkisi vervollständigen. Ich habe ihn bereits am 17.9.22 gesondert beschrieben (jpg des Ausdrucks, da Datei verloren).

NACHTRAG

8. Juni 2023

NDONAS PARTNER? 3.9.22

 

 

 

In der direkten Gegenüberstellung scheinen mir NDONA und der unbekannte Nkisi eher ein Paar zu bilden, jedenfalls sind sie formal miteinander verwandt; sie könnten aus derselben Werkstatt stammen.

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