Ungewöhnliche Bootsmodelle vom Field Museum und Peabody Essex : „Agira“ und „Arche“ (2.4)

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Unsere „Virtuelle Reise ins Niger-Delta“ (Blog 1.4 LINK zu 1.4) hat uns bereits über Rosalinde G. Wilcox und dem Sammelband „Ways of the Rivers“ (UCLA 2002)   mit „Menschen im Niger-Delta“, besonders Ijo und Ijebu, und deren festlichen Wassergeist-Kulten bekannt gemacht. Nicht mit den verbreiteten Kulten der „Mami Wata“ verwechseln! (Blog LINK).

Zwei ausgefallene Bootsmodelle führen erneut zu den kulturellen Verbindungen zwischen den zwei Flussdeltas.  Als Provenienz bietet sich „Duala“ an, weil sie über einen hölzernen Bootsschnabel (tange) verfügen, aber Duncans Modell in (Blog 1.4)  hat uns gezeigt, dass die gesamte Küste – von den Ijo und den Ijebu-Yoruba im Niger-Delta über die Stadt Calabar bis zum Wuri-Delta in Kamerun – in Frage kommt . Dort  hießen die entsprechenden Wassergeister „jengu“ (Blog 1.2 LINK)

Wassergeist „Antilope“, auf der „World’s Columban Exposition“ in Chicago 1893  gezeigt (Field Museum, Chicago)

In dem zitierten Essay erwähnt Rosalinde Wilcox ein Bootsmodell im Field Museum: „1893 erwarb das Field Museum in Chicago ein Holzmodell eines Kanus der Duala, bei dem die zentrale Figur einen horizontalen Kopfschmuck trägt. Während meines Aufenthalts in Kamerun identifizierten Duala-Informanten die Nachbildung als zeremonielles Wassergeist-Kanu, bolo ba jengu “ (49, übersetzt)

Dokument

Field Museum: CL0000_28504_OnShelfProw  Detail

Über die magere Provenienz schrieb Kurator Philipp mir am 1.3.21:

Das Museum verfügt über umfangreiche Bestände sowohl an Hagenbeck-Material, das von der Weltausstellung 1893 stammt – wie das Kanumodell – als auch an eine umfangreiche Geschäftsbeziehung mit J.F.G. Umlauff unabhängig von Kleykamp (LINK Blog 2.1). Ob Schroeder der Sammler dieses Bootsmodells war, ist Spekulation, da er als „Schroeder et. Al.“ In den Aufzeichnungen (records) steht   – Leider haben wir für fast alle unsere von Umlauff bezogenen Materialien für die einzelnen Objekte oder Gruppen keine speziellen  Sammler aufgelistet.“ (übersetzt)

Damit endet die Suche nach Entstehungszeit und -ort des Objekts – wie so oft bei der übergroßen Masse der Objekte – in einem Warenlager des  internationalen Ethnologica-Handels um 1893. Auch im repräsentativen Katalogband dieser Weltausstellung fand ich keine Duala-Boote und Miniaturen.

Im Kapitel 4 in „Ways of the Rivers“ publiziert Martha G. Anderson ihr Feldfoto eines zum Festplatz geruderten Tänzers mit aufgesetzter Sägefisch-Maske (Oki) (p.140, fig.4.13, Akedei 1992):

Beim Vergleich fällt allerdings auf, dass der Künstler der maskierten Figur im Modellboot nicht nur den typischen Kopf einer Antilope gegeben hat, sondern auch einen entsprechenden Tierkörper. Eigentlich logisch, denn die Figur repräsentiert den Wassergeist ohne die Vermittlung eines kostümierten Tänzers.

Der von  Wilcox zitierte Essay von Henry Drewal Flaming Crowns, Cooling Waters: Masquerades of the Ijebu Yoruba(African Arts. 1986-1, 32-40) erweist sich als sehr nützlich.

Vielfalt der lokalen Maskeraden der Ijebu in Ablauf und Stil der Masken

Drewal erzählt vom Wasserkult der Ijebo entlang dem Ablauf der Festlichkeiten: „Während  Wochen und sogar Monaten organisieren die Ijebo-Gemeinschaften Maskenaufführungen, die immer andere Wassergeister hofieren, in unverwechselbaren Ensembles, Choreographien, Liedern und Ikonen. Die Typen, ihre Namen und die Reihenfolge ihres Erscheinens variieren stark von Stadt zu Stadt. Auch die lokalen Stile können von fast vollständiger Abstraktion über Ijo-ähnlichen Kubismus bis hin zum organischeren Yoruba-Naturalismus reichen.

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Er illustriert den „Ijo-skulpturalen Stil“ an einer interessanten Brettmaske mit ihren „eckigen Formen, den röhrenförmigen Augen und der vorspringende brettartige Form vorn. Dieser vordere Teil spielt mit der Form eines Paddels sowie dem Bug eines Bootes und erinnert an die Nähe dieser zum Wasser hin orientierten Menschen zu den Geistern der Tiefe.“

Waagrecht – warum?

Drewal erklärt, warum die Masken waagrecht auf dem Kopf getragen werden und im Tanz der Oberkörper parallel zum Boden gebeugt und Kopf nach hinten gebeugt werden: um die Kopfbedeckung horizontal zu halten, in Anlehnung an das erste Mal, als die Menschen die Wassergeister sahen, als sie „auf der Wasseroberfläche schwebten.“ (S .38)

Tiere als symbolische Vertreter diverser Geister

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Ways of… p.206 6.22 Ijebu 1982 Drewal

Die Tiersymbolik

Auf einer Maske (oben: Ways.. 6.22) windet sich eine Python über der Stirn und senkt sich zwischen die zylindrischen Augen . Vor der Schlange ist ein Krokodil und ganz vorn an der Spitze auf manchen Masken ein Vogel. Sie alle sind Anspielungen auf das Reich des Wassers“. (Beispiel Fig. 17 ) Die Python gilt als Stammvater der anderen Wassergeister. Das Krokodil ist der Wächter oder „Polizist“ der Geister, und der Vogel ist ein verallgemeinerter Hinweis auf den Fischadler oder Ogolo, einen Vogel, der laut Ijo Botschaften von den Wassermenschen an die Menschen übermittelt.

‚Alles‘ kann für die Beteiligten symbolische Bedeutung annehmen:  Tänzer der Agbo-Maskerade treten oft zu dritt auf. Während dies auf die Ijo-Zahlensymbolik zurück zu führen sein mag, die Drei der Männlichkeit und den Wassergeistern zuordnet, ist die Zahl Drei auch von ritueller Bedeutung für die Ijebu, die sagen, dass sie im Umgang mit spirituellen Kräften verwendet werden sollte . (S.37)

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Drewal Flaming AA p.38 fig.12

Einige Tage später kann der aggressive Geist Krokodil erscheinen (Fig..12). Oni, wie er genannt wird, führt einen aktiven Tanz durch den Raum auf und bewegt sich im Takt der Trommeln und der Lieder zu seinen Ehren. Erneut dominieren Vögel und Pythons die Darstellung, aber auch Motive aus der Menschenwelt tauchen auf, denn die klingenartige Form erinnert an ein Paddel.

Hier sind andere durch Masken repräsentierte  ‚Wassertiere‘ noch gar nicht erwähnt: Fische wie z.B Hai und Sägefisch, dazu Delfine und Flusspferde.

Das Beispiel des in der Zwergantilope verkörperten Wassergeistes

bushbuck in zoo wikipedia

Feldfoto vonDrewal „Flaming Crowns…“ AA p.41fig.19

 

 

 

 

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ArtsNigeria cat.178 p.118 Agira

In einem Beitrag zum Ausstellungskatalog  „Arts du Nigeria“ (ISBN 2-7118-3522-7, 1997, S.118)  schreibt Drewal :

Die afrikanischen Wasserböcke (bouquetins d’eau), einst im Delta  zahlreich, sind berühmt für ihre Fähigkeit, unter Wasser lange Strecken zurückzulegen und gehören deshalb zu den Geschöpfen des Wassers. Er zitiert A. Adeogun(1967 „African Art in Epe“), der schreibt:  Agira werde als aggressiver Geist angesehen, den man mit den katastrophalen Stürmen der Lagune in Verbindung bringe, und deren Hörner in der Lage seien, „Segelboote umzuwerfen“ (que l’agira est consideré tel un esprit aggressif, associé aux tempetes catastrophiques du lagon“, dont les sont capables sont capables „de reverser les bateau à voiles“.)

Diese  „agira“-Maske aus der Sammlung Barbier-Mueller – „vermutlich Ijo“ – ist in ‚klassischem‘ Stil realistisch und einen Meter lang. Ein Vergleich der Abbildungen lässt den Raum künstlerischer Freiheit‘ spürbar werden. Den Verwandlungskünsten der Wassergeister (siehe Blog 1.2), ihrer Kreativität  eifert der Erfindungsreichtum der Menschen nach.Antilope (Agira oder Ajobo) ist ein weiterer autretender Geist (Abb. 19).

Tragulus_javanicus

Beim Recherchieren von„(water)-chevrotain“, „bushbuck“, „hyemoschus aquaticus“ oder „mouse-deer“ kam zoologisch manches durcheinander – die ganze Gattung hat eine bewegte Forschungsgeschichte hinter sich (wikipedia) . Auch das winzige „mouse-deer“ (Hirschferkel,Tragulus) überzeugt durch Nachtaktivität und bemerkenswerte Schwimm- und Tauchkünste, ist aber in allen Variationen hornlos – nur die Männchen haben scharfe Eckzähne. (LINK)

 

Die „Arche Noah“ von 1805 im Peabody Essex Museum, Salem (MA) und der Bostoner Sammler Charles G. Weld

Das Tropenmuseum Amsterdam gibt im file zu seinem ansehnlichen Bootsmodell (TMnr 6153-1a-1.jpg) dankenswerterweise die Links zu weiteren Museen an, so auch zum Peabody Essex Museum bei Boston. Aufgrund von Corona-Restriktionen war auch der elektronische Zugang sehr schwierig. Die Angabe „circa 1805“ konnte über das digitale Datenblatt hinaus bis heute nicht überprüft werden. Die Schenkung erfolgte erst hundert Jahre nach diesem Datum, 1908.

Inweit hilft das Porträt des Sammler Charles Goddard Weld in en.wikipedia (LINK)? (Übersetzt)

„Charles Goddard Weld (1857–1911) war ein Arzt, Segler und Philanthrop aus der Gegend von Boston. Weld, Einwohner von Brookline, Massachusetts und ein Spross der dort ansässigen Welds, er praktizierte viele Jahre lang als Chirurg, gab sie aber schließlich auf, um das Vermögen seiner Familie zu verwalten.
1886 versuchte Weld, mit seiner Privatyacht um die Welt zu segeln. Als die Yacht in Yokohama vor Anker lag, fing sie Feuer und wurde zerstört. Infolgedessen verbrachte Weld viel Zeit mit seinen Bostoner Freunden William Sturgis Bigelow und Ernest Fenollosa. Das Paar war selbst schon einige Zeit in Japan, erkundete das Land und sammelte Kunst.
Während Fenollosa und Bigelow während ihrer Zeit in Japan sehr weit gespannte und integrative Kunstgeschmäcker entwickelten, blieben Welds Interessen eher eng fokussiert. Seine Hauptinteressen im Leben waren Sport, Bootfahren und Kampfsport wie Bogenschießen. Infolgedessen wurde er einer der ersten Amerikaner, der japanische Schwerter, Speere und andere Kampfgeräte als Kunst sammelte. Zusätzlich zu vollständigen Schwertern kaufte Weld viele Schwertverzierungen, Handschützer (Tsuba) und andere Schwertbeschläge wie Kozuka, winzige Klingen, die an einen Schwertgriff gebunden sind und von den Samurai für grundlegende nützliche Aufgaben verwendet werden.

Er leistete wichtige Beiträge zu zwei Museen im Großraum Boston, auch zum Peabody Essex Museum. Darunter sind 110 Fotografien, die der führende amerikanische Fotograf Edward S. Curtis für seine Ausstellung von 1905-1906 gemacht hat. Clark Worswick, Kurator für Fotografie des Museums, beschreibt sie wie folgt: „…Curtis‘ am sorgfältigsten ausgewählte Abzüge seines damaligen Lebenswerks … dies sind sicherlich einige der glorreichsten Abzüge, die jemals in der Geschichte des fotografischen Mediums gemacht wurden. Die Tatsache, dass wir die gesamte Ausstellung dieses Mannes von 1906 haben ist eines der kleinen Wunder der Fotografie und Museologie.

Weld war ein sportbegeisterter und an Exotica interessierter Kunstsammler. Dazu würden Modelle von Rennbooten gut passen, nur ist das von ihm erworbene Modell nicht gerade ein typisches Exemplar. Davon gab es damals in Duala und Umgebung sicher genug in guter Ausführung, aber sie waren in der Regel bunt angestrichen. Er hat es also vielleicht als Antiquität erworben oder im Blick auf eine Museumsschenkung. Er hat sicher vom Händler das spektakuläre Datum erfahren. Das Objekt hat Stil, ist in bestem Zustand und offensichtlich vollständig. Bei einer Länge von fast zwei Metern (1.83cm) ist die ausgewogene Komposition zweifellos noch heute raumbeherrschend.

PEM e10388_boat_model_02232021 – Genehmigung angefragt

Der Händler hat vielleicht noch hinzugefügt, es sei „alt, noch vor der Einführung der Ölfarben in Duala  hergestellt“.

Es existieren noch andere Modelle in hellen, vielleicht geöltem  Holz. Das könnte jeweils unterschiedliche Gründe haben: Erwerbung eines unfertigen Werkstücks in der Werkstatt oder eine Auftragsarbeit,  Ergebnis späterer Restaurierung, Reinigung, rituelle Funktion in einem älteren Klubhaus (Ittmann 1957 „jengu“).

Der Millionär kann das attraktive Objekt  irgendwo an der westafrikanischen Küste erworben haben, auch im Hafen von Victoria (Limbe). Man müsste Zeit und Ort seiner Afria-Kontakte kennen.

Unseren Erwartungen an ein repräsentatives Duala-Kanu entsprechen der vorn angekoppelte tange, die 19 Ruderer, der Trommler, zwei Fahnen (aber beide) am Heck und der eher gedrungene breitere und höhere (seetüchtige?) Bootskörper und ein im Zentrum stehende Chief. Auf den  „Big Man“ werde ich noch zurückkommen.

Bisher kenne ich kein solches Boot mit einer geschlossenen Blockhütte (cabin) statt Sonnendach oder Sonnenschirm. Der Eingang liegt wie die Fenster seitlich direkt über dem Wasser. Der Chief nützt das schützende Dach überhaupt nicht. Der Musiker – er könnte auch eine afrikanische Harfe im Arm halten – steht mit verwegen gespreizten Bein und mit dem Rücken gegen die Fahrtrichtung auf dem Giebel und blickt auf die hintere Hälfte der Ruderer.

 

Ein Zufallsfund liefert eine triviale Erklärung für den seltsamen Bootsaufbau und erlaubt Zweifel an der frühen Datierung.

Das Objekt könnte ebensogut von der Cross-River-Mündung, vom Rio-del-Rey stammen. Noch um 1885 war dieser Bootstyp ein standesgemäßes Verkehrsmittel.

Portrait_of_Harry_Johnston. en.wikimedia

Harry Hamilton Johnston,  damals noch ein Abenteurer im Dienst seiner Queen auf „treaty-making tour“, befuhr das Hinterland von Calabar auf einer gemieteten „verlängerten Arche Noah“  seiner Zeit als  an  und  englischer Diplomat der 1880er Jahre. Ein Redakteur des „Manchester Guardian Weekly“  erwähnt das Boot in seiner Besprechung von  Johnstons Memoiren „The Story of My Life“.

Er war den Cross River hinaufgefahren, um Verträge zu schließen, auf einem langen Kanu mit einem Häuschen in der Mitte, „wie eine verlängerte Arche Noah.“  (He had started up the Cross River on a treaty-making quest, on a long canoe with a little house in the middle,“like an elongated Noah’s arch.“  Johnston erwähnt außerdem seine „Kruboys“ als Ruderer und seine „Efik-Diener“ aus Calabar.

In der Reihe der archivierten Zeitungsartikel zu Johnston (LINK : DFGVIEWER) beschreibt der Rezensent die Goldgräberstimmung der 1880er Jahre:

ZBF-Pressearchiv „Harry Johnstons Memoirs“ im Manchester Guardian Auszug

„Er  /Johnston/ schreibt bescheiden über die wichtige Rolle, die er bei der Öffnung Afrikas in den achtziger Jahren gespielt hat, aber macht das  erstaunliche weltgeschichtliche Kapitel so lebendig wie kein anderer. Die großen Figurne darin, Stanley, Leopold II , Rhodes, Joseph Chamberlain und der Rest flitzen lebensgroß über sein Seiten. Man erhält auf großer Leinwand das Bild von Konsuln und Vizekonsuln, Naturforschern und Abenteurern, akreditiert und nicht anerkannt, Briten, Belgier, Deutsche, Franzosen und Portugiesen, welche unerforschte Flüsse hinauf über namenlose Bergketten hasten, die Taschen voller bunter Glasperlen und leerer Vertragformulare, während ihre Regierungen ungewohnt wenig über sie verlauten ließen, aber hofften, sie seien die Ersten. Und mitten uter ihnen befindet sich der keineswegs robuste, aber erstaunlich aktive Autor dieses Buchs, der unbekannte Tiere, Sprachen, Völker und Berggipfel sammelte, so wie jemand mit einem Netz Schmetterlinge fangen und mit der Präzision eines Wissenschaftlers aufspießen würde. Man könnte endlos aus seinen Abenteuern zitieren……“  Empfehlung: de.wikipedia , en.wikipedia

Müssen wir uns für eine bestimmte Provenienz entscheiden?

Das Peabody Essex Museum gibt  als Provenienz vorsichtig  „African Artist“ bzw. „Africa“ an.  Betrachten wir ein paar Details des Objekts näher an:

„Big Man“ ( „Colon“?) und „Harmonie auf dem Hausboot“ – Kalabari und Ogoni

Grenell Congo

Der „Big Man“ im Zentrum stellt das  gerade Gegenteil zur athletischen Schönheitsnorm der Duala Aristokratie dar, die über Porträtfotos der Duala Kings bekannt geworden ist (LINK zu Blog 1.1.) Der deutsche Forscher und Kolonialist Max Buchner beschrieb 1887 voller Anerkennung  die  physischen Vorzüge des „Dualla-Manns“: „…. die Haare kurzgeschoren und wohlausgekämmt, vielleicht durch einen Scheitel sorgsam von vorn nach hinten geteilt; im Gesicht eines oder mehrere blau tätowirte Ornamente: So steht er selbstbewusst, kraftvoll und wohlgenährt am Strande, mit Waden und Muskeln, die schwächliche Blaßgesichter zum Neide reizen, und hält über seinem Haupte einen dunklen, soliden und gut aussehenden europäischen Regenschirm ausgespannt, denn es regnet ja fast beständig.“ („Kamerun“ 1887, S.18).

Wo die Bootsbesatzungen auf Modellbooten realistisch ausgearbeitet sind, entsprechen sie meist – trainiert und schlank – dieser Norm der Duala-Aristokratie

Wir begegnen dominanten „Big Men“ auch auf Booten mit unterstellter Duala-Provenienz, zweimal  mit typischen Rudern in der Hand. zweimal sogar mit erhobenem Stab („Sammlung Veyret“ (Blog 2.2) und „Sammlung Gile“ (Blog: DIE FÜNF). Die Herren tragen in solchen Fällen europäische Herrenhüte. Ihre Stiernacken, lange Nase, ihr massiges Körperschema entspricht der Karikatur eines ‚hässlichen Weißen’ . Der Big Man könnte buchstäblich einen ‚weißen’ Kolonialisten darstellen. Julius Lips würde ihn wohl so interpretiert haben. Die schillernde Ambivalenz des Motivs „Colon“ wird hier ganz konkret. (LINK) War sie direkt Vorbild, weil sie physische Macht verkörpern?

R.Horton Kalabari Sculpture,Apapa Nigeria 1965-56. Lineage founder

Direktes Vorbild könnte aber ein – thronender – Kalabari lineage founder der Ijo am Cross-River mit Würdenstab und Hut sein, wie ihn Wilcox („Commercial transactions…“ AA spring 2002, Abb. 12) abbildet. Der repräsentiert übrigens die zweite konkurrierende Sphäre der Ordnung : Die Familie! Die Figur könnte nach Douala gewandert und dort aber auch zum Jengu-Oberhaupt umgedeutet worden sein.

Ein am Boden sitzendes Paar

Ich bemerke erst jetzt ein Menschenpaar direkt vor der Hüttenwand, das mit ausgestreckten Beinen einander gegenüber sitzt und sich die Hände reicht.  Das ruft mir eine Aufsatzmaske in Bootsform der Ogoni in (Blog 1.4, dort „Beispiele…“Nr.7) ins Gedächtnis, wo Mann und fraueinander gegenüber sitzen und die die häusliche Harmonie propagieren soll.

Ways of the Rivers 4.6 Canoe headdress. Ogoni p.136 69,5 cm Indiana University Art Museum : „Das „Haus“, das das Gefühl der häuslichen Harmonie fördert, wurde möglicherweise eingebaut, um die Insassen oder die Ladung des Kanus auf einer langen Reise vor Sonne oder Regen zu schützen.“ (Martha G.Anderson)

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Damit wäre zwei Lebensversicherungen in diesem Boot vereinigt: In der Sphäre der  Gewässer  gutes Einvernehmen mit den Wassergeistern und Schutz vor ihren Launen, also erfolgreiche Unternehmungen –  und in der anderen Sphäre  erdgebundene Ahnengeister wie der Klangründer, die wohlwollend über das Haus und die Beziehungen wachen. Was könnte der Ort der Aufstellung sein?  Klans wie ‚Geheimbünde‘ haben ihre Treffpunkte, ihre speziellen Kulthäuser (Ittmann 1957 z.B. „Der kultische Geheimbund djêngú an der Kameruner Küste“)

Der geschnitzte tange (Bootsschnabel) – Alleinstellungsmerkmal der Duala?

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Da die kulturellen Verbindungen zwischen den kameruner und nigerianischen Delta-Kulturen sich wieder bestätigt haben, stelle ich die ketzerische Frage.

Schauen wir uns den hölzernen schlichten und funktionalen, ja durchschnittlichen Bootsschnabel in seiner extrem abstrahierten Komposition (Ijo?) von hinten nach vorn näher an:

Ich isoliere über einer liegenden oder schwimmenden menschlichen Figur (Wassergeist ?) einen hackenden Vogel (fishing eagle) und vorn über der Schlange (python) und dem Stab vorn einen weiteren Vogel.  Als verbindenes Element könnte  eine horizontale Maske nach dem Vorbild der Ijo dienen. –  Vergleiche die Aufsatzmaske mit Janusgesicht des Ekpe-Leoparden-Bundes am Akpa Yafé, Grenzfluss 1890er Jahre (database  Carlotta no.1900.32.0597 Die Befestigung ohne das hochgestellte Querbrett am tange findet sich in ähnlicher Ausführung am Bootsmodells no. 1919.05.0082 Carlotta, erworben von dem Schweden Waldau, der im nächsten Beitrag Thema ist  (Blog 2.5)

Vor einem Jahr (Blog 1.4) haben Duncan Caldwell und ich über zwei kompakte Kanumodelle diskutiert, wahrscheinlich aus dem Niger-Delta oder sonst woher aus der breiten Übergangszone (Blog 1.5). Mein Exemplar hat keinen Bootsschnabel, jedoch seines hat einen mächtigen und ausgefallenen: Zwei Pythonschlangen – the progenitor of water spirits“ (Drewal) – umrahmen eine Art ‚Panzerkette’, die aussieht, als würde sie von drei an der Mittelstange befestigten Rädern bewegt. –

Seit Duncan an einem Nagelfetisch von der Kongo-Mündung eine originale Patronentasche aus dem Ersten Weltkrieg identifiziert hat, frage ich mich, ob der Hersteller des Kanu-Modells vielleicht die ersten Panzer – ab 1917 – an der Westfront des Ersten Weltkriegs selber erlebt haben könnte oder in einer ins Delta ‚verirrten’ englischen Illustrierten aus Europa abgebildet fand.

Warum sollten nicht auch die dekorativen tange  ihren Weg vom Nigerdelta zu den Duala gemacht haben, vielleicht in der Vorform einer dekorierten Stange von zwei Meter Länge, wie sie Kapitän Peter Möller (1858-1951) vor 1886 gesammelt hat?

(„Galjonsfigur. Dualla.12.9.57. W.B.Fagg*) smvk.se/carlottavkm/web/object/31285/REFERENCES/2341“William_Buller_Fagg</a> (1914-1992, British Museum 1969-74,  Experte (Pionier für Benin Art)

Ästhetische Importe könnten das traditionell verwendete Raffia in den Hintergrund gedrängt haben. Immerhin galt – nur? – bei den Duala Regatten das Raffiabündel  als unentbehrliche Basis-Ausstattung eines Rennbootes. (Quelle?) Ebenso  unentbehrlich war Raffia als bei den alljährlichen Riten für die Wassergeister im Wuri-Fluss. Es scheint eine starke Verbindung zu dieser Sphäre zu sein.

doku

AA spr.2002-Wilcox-p.50.13.Prunet

„Grenfell and the Congo“1908 t.2 ,p.958

Der Anlass für meine Spekulation ist wieder ein Zitat von Harry Hamilton Johnston. Er schrieb als Herausgeber von „Grenfell and the Congo“(London 1908, t. 2, p. 608) er habe „in the estuary of the Cameroons river“ selbst gesehen, dass „…the canoes are more or less propelled by a huge Raphia frond, being fastend like mast and sail in one, and  serving the purposes of a sail“.

Er musste es wissen, denn er war vier Jahre lang, von 1885 bis 1889, Vizekonsul Großbritannens in der deutschen Kolonie Kamerun, die den Briten im Jahr zuvor knapp entgangen war, sowie für das Grenzgebiet des östlichen Nigerdeltas („Oil River District“), bevor er britische Kolonien in Ostafrika  verwaltete und erweiterte.

 

Johnston diskutierte an dieser Stelle die Verwendung bei der Ethnie Bobe auf der vorgelagerten Insel Fernando Poo und  lieferte eine überraschende Illustration dazu.

Grenfell war übrigens der tatkräftige Missionar der Baptisten-Missionsgesellschaft, der1874 die erfolgreiche Station Victoria (Limbe) gegründet hatte, die den deutschen zunächst Widerstand leistete. (LINK)

 

 

 

 

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