Die ‘Demokratische Republik Kongo’ (RDC) ist ein krasser Fall. Nach ihren katastrophalen Anfängen (1960/61) ging es über die dreißigjährige Diktatur Mobutus nur in eine Richtung, Richtung Zerfall. Und die Metropole Kinshasa wuchs in der Zeit auf schon zehn Millionen Menschen.
In der Ausstellung zitierte ich auf der Tafel zu ‚Mamiwata’ den amerikanischen Ethnologen B. Jewsiewicki (Mamiwata, 129). Der Text erscheint mir heute ganz wirklichkeitsfremd, so als erzähle er ein etwas gruseliges Kindermärchen:
An der Kongomündung griffen Wassergeister lange schon in Heilungsprozesse ein. In der modernen Stadt betrachtet man auch Geldmangel, geschäftliche Misserfolge und Arbeitslosigkeit als Krankheiten, gegen welche die Sirene eine moderne Heilkraft in Stellung bringen kann. Doch wie Eva ist sie von einer Schlange begleitet und wird am Ende einen Mann zu Fall bringen. Wie eine Femme fatale isoliert die Sirene ihren Partner von der Welt seiner Frau und Kinder. Im Tausch gegen Reichtümer wird er ihr das Leben enger Verwandter anbieten oder auf weitere Kinder verzichten. Eifersüchtig und besitzergreifend, duldet sie keinen Verstoß gegen die auferlegten Bedingungen. Verführt von dem Glanz moderner Macht, wird der Mann ruiniert durch Vergnügen und Konsum. Der frühere Präsident Mobutu genoss die Protektion der mächtigsten Sirene. Seine schrankenlose Macht, der Tod vieler seiner Freunde, seine Flucht aus dem Kongo und sein einsamer Tod in Marokko passt zu diesem Narrativ.
Die Wirkung von Interpretationsmustern wie Sirenen oder Satan im kongolesischen Alltag können wir uns gar nicht lebhaft genug vorstellen. Die Nachricht löst weniger als in Zeiten florierender ‚Heidenmission’ ideologische Impulse in Richtung Bekehrung und ‚Aufklärung’ aus, als sie die Grenzen der Vorstellungskraft deutlich macht. So wenden wir uns vielleicht zu schnell von Menschen ab, die ihre Probleme anders bewältigen als wir es für normal und richtig halten würden. Uns geht es in Deutschland gut. Nicht nur die Menschen der Mittelschicht sind in Watte gepackt. Katastrophen aus der übrigen Welt dringen vor allem als schreckliche Bilder ein. Die Realitäten am Kongo und anderswo sowie die diversen Reaktionen der Menschen darauf werden jedoch kontinuierlich von Helfern begleitet und Wissenschaftlern beobachtet. Warum wohl?
Im Kongo hat sich seit über einem Jahrzehnt das Lebensgefühl biblischer Apokalypse und Endzeit verbreitet. Man ist sich nur nicht einig, ob damit die Endzeit begonnen hat oder sich erst ankündigt. Bei uns beschleichen solche Vermutungen vergleichsweise wenige Menschen, schon weil die christliche Bibel nicht mehr besonders präsent ist. Den Deutschen hängt man immerhin kollektiv ein entsprechendes Syndrom an: German angst.
Mai 2016