“Duala Kanu” (1.5) : “Afrikanische Ausländer” an Kameruns Küste

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„Afrikanische Ausländer“ – der Ausdruck mag, auf ‘Afrikaner’ in ‘Afrika’ gemünzt, im ersten Moment irritieren, aber er bezeichnet die Situation unendlich vieler Menschen, ja ganzer Völker im postkolonialen Afrika, und nicht nur die von Flüchtlingen. Schauen wir uns an, wie koloniale und postkoloniale Grenzziehungen, aber auch importierte ‘Rechtsordnungen’ in der Region der kommunizierenden Flussdeltas  neues Unrecht geschaffen haben.

Doch zunächst zurück in die Epoche europäischer Landnahme:

Rosalinde G. Wilcox streut am Ende ihres Aufsatzes Transactions and Cultural Interactions from the Delta to Douala and Beyond („African Arts“ t.35,1; 2002) einzelne historische Fakten über die Kontakte der Menschen zwischen den beiden Regionen in vorkolonialen und kolonialen Zeiten.

Wilcox nennt an erster Stelle die Duala : Ihre fishing expeditions gaben ihnen die managerial and organizational skills für eine starke Stellung in der Küstenschiffahrt. (51 links). So dokumentierten Wortlisten holländischer Händler bereits im 17. Jahrhundert in Calabar und Cross River die Duala Sprache. (51 Mitte).

Michelin plan 2021 – Der Littoral Cameroon’ ist voller Wasserwege, links Halbinsel Bakassi und ‘Nigeria’ (durch Anklicken eindrucksvoll vergrößern!)

Während die Europäer die durchgehende Zone der Mangrovensümpfe an der Küste undurchdringlich fanden, war der Austausch zwischen den Völkern dieser Region nicht behindert. Efik und Duala Händler nutzten auch nach dem Ersten Weltkrieg bereits lange etablierte Alternativrouten, die die Kontrollposten der Europäer umgingen. (51Mitte )

Seit dem 19. Jahrhundert veränderte sich die Zusammensetzung der Bevölkerung an der Kamerunküste.

Während die Zahl der Duala an der Kamerunküste stagnierte, wuchsen die anderen Gruppen. Von der Basler Mission ausgebildetete Handwerker – zum Beispiel Schreiner – aus dem heutigen Ghana waren seit dem 19. Jahrhundert für europäische Händler an der Cameroon Coast unverzichtbar. Die meisten afrikanischen Ausländer standen im Dienst von Händlern, Missionaren und Regierungsbeamten. (53 Mitte) Der deutsche Zensus erwähnte „Lagosleute“ in Duala. (53 rechts)

Seit dem Ende des 19.Jh. versorgten Ijo Fischerdörfer die Regierungsplantagen mit Nahrungsmitteln. Diese engagierten „Lagos“-Arbeiter in großer Zahl. (53 links)

Ein Beispiel: Unter autochthonen Kamerunern in Limbe und Bimbia lebten Fischer aus Nigeria (51 rechts). Im Ort Victoria (Limbe) lebten im frühen 20. Jh. rund 7500 Fischer der Duala, Ibibio und Ijo, aber dreimal so viele Nigerianer in den Unterkünften der Cameroons Development Corp. (53 links). Europäische Pflanzer ermutigten ausdrücklich das Einströmen fremder Arbeitskräfte.

Wilcox stellte die “heutige” Situation im Jahr 2002 so dar:„‚Ausländer’ schließen in Duala und Umgebung Yoruba, Hausa, Igbo, Ijo, Efik sowie Gruppen aus Ghana, Benin und Togo ein.

“Die Kru Connection”

“Die Kroo oder Kroo-Boys”  stellten nicht nur die größe Zahl an fremden Arbeitskräften an der Kamerunküste, sie waren vor allem berühmt als tüchtige und furchtlose Seeleute – unverzichtbar für de europäischen Erfolg in Westafrika – als Hafen- und Plantagenarbeiter, ja sogar gelegentlich als Rennruderer. Alle Beobachter kamen bei ihnen ins Schwärmen, ob Kolonialisten – etwa Buchner – und Kapitäne des vorletzten Jahrhunderts oder ob moderne Ethnologen von der kalifornischen Westküste.

Rosanne Wilcox macht dabei auf einen – im Nachinein fast selbstverständlichen – Umstand aufmerksam:  Als “Krooboys” oder “Kroo” wurden Männer verschiedener Völker aus Ostliberia, Sierra Leone und der heutigen Elfenbeinküste, etwa der Grebo, rekrutiert, später aus Westliberia und sogar aus dem Landesinneren. “Jede Rekonstruktion der ethnischen Zugehörigkeit und Geschichte der Kru ist bestenfalls schwierig.” (53)

Und sie weist am Ende auf zwei ganz unterschiedliche Wege der Beeinflussung hin:

Anfang des 19. Jahrhunderts trugen britische Anti-Sklaverei-Patrouillenschiffe zur Verbreitung von Kunstkonventionen der Ijo und anderer Delta-Völker bei, wenn sie von angehaltenen Sklavenschiffen befreite Männer und Frauen in Sierra Leone und Liberia an Land setzten. (54) Kunsthistorikern fällt auch die formale Verwandtschaft der Masken der Kru und Grebo mit vielen Masken der Ijo und des östlichen Niger-Deltas auf. Sie teilen mit ihnen lang gestreckte Gesichter und oft verdoppelte Röhrenaugen.  Andererseits unterscheiden sie sich stark von den naturalistischen und glatten Masken der Mende, Dan und Guro-Baule. (54)

In der Gegenrichtung kamen Kru als Wanderarbeiter auf die spanischen Zuckerrohr-Insel Fernando Po (heute Bioko) zwanzig Meilen vor der Cameroon-Coast und kehrten nicht nach Jahren heim, sondern blieben und beeinflussten die Kultur ihrer Umgebung. Das mit Kanus vom Delta aus leicht erreichbare Fernando Po wurde so zu einer wichtigen Station für den Handel und Schmuggel, aber auch für Formen und Ideen. Und es war nicht die einzige vorgelagerte Insel. (55) Für diese Informationen zitiert Roxanne Wilcox jede Menge Referenzen. Ihre allgemeine These wird bei aufmerksamer Lektüre unerwartet anschaulich.

 

Post-koloniale Grenzkonflikte

German Cameroons unimaps.com

Man neigt dazu, das schon lächerliche territoriale Gezerre der europäischen Konkurrenten vor und nach 1914 um Gebiete, die man noch gar nicht kannte, in seinen Spätfolgen nicht  ernstzunehmen. So steckte das Deutsche Reich seine Gebietsansprüche in Kamerun über dreißig Jahren lang ab, von 1884 bis 1913  (Bakassi-Halbinsel) und erwarb so auf dem Papier ein disparates und ‘unerschlossenes’ Gebiet vom Nigerdelta bis – in zwei schmalen Streifen – ans Kongobecken, sowie an den Tschadsee im Norden. Schon 1916 war der blutige Spaß vorbei. Ob es nun ohne die dreißigjährige deutsche Kolonialepisode in der Region heute weniger Probleme gäbe?

Der Süden Kameruns stand im 19. Jahrhundert bis hinunter nach Gabun unter englischem Einfluss, die Mitte und der islamische Norden waren französisches Revier. Irgendwo im Innern wären die Kolonialgrenzen vielleicht unspektakulär verlaufen.

Über ein Jahrhundert von 1884 bis 2006 (Bakassi-Konflikt) erfolgten aber vor allem im Westen immer neue Grenzverschiebungen. Bis heute ist der nigerianisch-kamerunische Grenzverlauf nicht vollständig markiert.
Muss eine kunstgeschichtliche, stilgeschichtliche Perspektive die katastrophalen Folgen des gesamteuropäischen Kolonialprojekts ausblenden? Zur Zeit von Wilcox’ Forschungsaufenthalt 1988/89 und erst recht zur Zeit der Publikation 2002 waren die Konflikte vor allem in der uns interessierenden ‘Übergangszone’ beider postkolonialer Staaten vor Ort nicht zu übersehen.
Nehmen wir als Beispiel den erbitterten Grenzstreit seit den 1980er Jahren um die angeblich erdöl- und erdgasreiche Halbinsel Bakassi am Golf, die vom “Internationalen Gerichtshof ” in Den Haag 2002 Kamerun als dem „rechtmäßigen Eigentümer“ zugesprochen wurde, und zwar aufgrund des 1913 zwischen dem Deutschem Reich und Großbritannien geschlossenen Vertrags. Von der UNO wurde Nigeria schließlich 2006 zu einem Abkommen mit Kamerun gedrängt, worin es den Rückzug mit einer Übergangsfrist bis 2013 versprach, alles ungeachtet der Tatsache, dass mit 300.000 Efik neunzig Prozent der Bewohner ‚Nigerianer’ waren. Unter dem Titel „Bakassi conflict“ erzählt en.wikipedia (LINK) die Geschichte chronologisch. Hier nur ein paar bezeichnende Details:

„Nach dem Abkommen hatten viele Einwohner Probleme, die Anerkennung ihrer Nationalität festzustellen. Aufgrund fehlender Ausweisdokumente bestand für viele Nigerianer die Gefahr, nach der Abtretung von Bakassi staatenlos zu werden.” Zunächst betraten nigerianische Rebellen die Bühne, die Bakassi Freedom Fighters (BFF). Seit September 2008 sind mehr als ein Drittel der nigerianischen Bevölkerung nach Nigeria geflohen.”Der damals schon zeitweise ‚heiße’ Konflikt ging damals in eine „low-level insurgery“ über.

Doku

unhcr_nigeria_-_cameroon_refugees_situation_-_overall_refugee_population_coverage_-_july2020-   LINK zur Webseite von ACAPS mai 2021 

         

              

“2018 brach in den anglophonen Gebieten Kameruns, einschließlich Bakassi, ein großer Aufstand aus.” Bereits  seit 1999 ergänzte eine bewaffnete Miliz im Untergrund den zivilen Protest in „Southern Cameroon“ gegen Diskriminierung in der „République Cameroun”. Und die Dauerkrise verschärft sich. Mittlerweile befinden sich über sechshunderttausend Binnenflüchtlinge und rund sechzigtausend Flüchtlinge jenseits der nigerianischen Grenze. (LINK zu (6))

 

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