Zugegebenermaßen tat ich mich schwer mit den politischen Kapiteln (1.5) und (1.6) der ERSTEN STAFFEL. Es erschien ein weiteres, von außen kaum zu durchschauendes Themenfeld, das zornig machen oder deprimieren kann, je nach Standpunkt. Was ich als Zeitgenosse im 20. Jahrhundert vom Kolonialismus Europas – gerade auch Frankreichs – mitbekommen hatte, zeigt in den immer deutlicher sichtbaren Langzeitfolgen erneut sein hässliches Gesicht. Deswegen die sarkastische Überschrift!
Veröffentlicht am 16. Mai. Stand 24. Juni 2021 nach zwei Übersetzungen (LINK)
AKTUELL 22. Juni 2021 – Der erst kürzlich bemerkte biografische Eintrag in fr.wikipedia zu Jacques Foccart, dem unheimlichen Diener der französischen Afrika-Politik – dem unsichtbaren Mann fürs Grobe von de Gaulle bis Pompidou – öffnet einen Spalt breit die Aussicht auf politische und menschliche Abgründe. Link und einschlägige Sätze in deutscher Übersetzung unten. Ich revidiere meinen ersten Eindruck von fr.wikipedia zur Thematik.
ZEITGESCHICHTE
Der Eindruck, der sich bei den Lektüren verfestigte, wird am Ende von El-Hussein Aw und Prosper Akouegnon als Konzept der französischen Regierungen seit den fünfziger Jahren bestätigt. Das soll übrigens nicht heißen, dass unser befreundeter Nachbar die Verantwortung für Kameruns und Afrikas Misere allein tragen soll. Doch das Thema zu tabuieren oder durch Politikersprech unkenntlich zu machen, halte ich für grundfalsch.
Beginnen wir mit der „Unabhängkeitsbewegung“ in Kamerun und ihrer Niederlage
Ich würde sie nicht mit dem Duala Manga Bell beginnen lassen, auch wenn ihm das Museum „MARKK“ am Rothenbaum in Hamburg aktuell eine emotional warme, auf Jugendliche zielende Ausstellung widmet (LINK). Mit dem Konflikt um ihr Grundeigentum im Zentrum von Douala und schließlich dem Justizmord am Beginn eines mörderischen „Weltkrieges“ in Europa erlebte die städtische Duala-Elite hautnah die Gewalt der kolonialen Eroberung, unter der andere Völker Kameruns seit Jahren litten. Die Tatsache, dass die deutschen Kolonialherren bald ausgetauscht wurden, verwirrte die Loyalitäten (Siehe APuZ 40-42/2019) und verhinderte einen gemeinsamen Widerstand nach 1919. Europa, das durch Kriege und Revolutionen geschwächt war, hielt die eroberten Kolonien noch vierzig Jahre lang fest – und darüber hinaus.
Die moderne Unabhängigkeitsbewegung Kameruns begann mit der Forderung nach sofortiger und vollständiger Unabhängigkeit unmittelbar nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und in der nun globalen Krise europäischer Kolonialherrschaft „Die Unabhängigkeitsbewegung wurde von einer an der Universität von Dakar (Senegal) ausgebildeten Elite geführt und von einer nationalen Bourgeoisie sowie der städtischen Arbeiterschaft mit Protesterfahrung unterstützt“ (P. Morazán, 14). Ihre politische Partei war die 1947 gegründete UPC (Union de la Population camerounaise), die auf die von der UNO erneuerte Zusicherung einer zeitlich begrenzten ‚Treuhänderschaft‘ berief. Doch Frankreich gelang es, die UPC auszuschalten, was sich trotz der beschränkten sozialen Basis der ‚kommunistisch‘ beinflussten Kaderpartei bis 1972 hinzog. Man zwang sie bereits 1955 in die Illegalität und führte einen lokal begrenzten Kolonialkrieg gegen ihre Guerilla, trieb die Funktionäre ins Exil oder ermordete sie, wie 1960 Dr. Félix-Roland Moumie (*1926 Fumban) durch Gift (!) in Genf. Die UPC forderte den Zusammenschluss mit dem von den Briten verwalteten Südwesten und warnte vor einer drohenden „neokolonialen Zukunft Kameruns“. Von de Gaulle ist der Spruch überliefert, in dieser Welt könne niemand völlige Unabhängigkeit erreichen (L.H.Aw), aber das kann heute nicht als Ausrede für den politischen und ökonomischen ‚Missbrauch von Abhängigen‘ gelten. Nur für die wenigen ausgestoßenen Kolonien kann Europa deren Eigenverantwortung behaupten.
Die Regierung des 1960 nun formal unabhängigen Kamerun setzte nicht nur den 1958 erklärten Ausnahmezustand fort und beschäftigte weiter französische Verwaltungsbeamte, Lehrer, Militärs – und Folterer. Sie übernahm auch das Feindbild der UPC und löschte die Organisation für Jahrzehnte bis 1991 völlig aus dem öffentlichen Gedächtnis (Ketzmerick S.208-9).
Doch man sollte an den internationalen Kontext für die damaligen Akteure erinnern.
Frankreich hatte nach seiner Befreiung von deutscher Besatzung zehn Jahre lang die Rückgewinnung Indochinas militärisch versucht und war 1954 in offener Feldschlacht gescheitert. Gleichzeitig begann ein brutaler Kolonialkrieg in Algerien, in den auch Frankreichs wehrpflichtige Jugend hineingezogen wurde und der noch nicht beendet war, als der französische Staat Kamerun und die übrigen afrikanischen Kolonien (außer Guinea) nach einem umfassenden Plan in die Scheinselbständigkeit entließ (P. Akouegnon). Innenpolitisch war Frankreich schwach, die Inflation des Franc galoppierte, die Regierungen wechselten ‚wöchentlich’ und 1958 putschte das Militär zugunsten von General de Gaulle, der die Fünfte Republik begründete und Frankreichs Rolle global wieder als ‚Mittelmacht‘ etablierte; dazu brauchte sie dringend ihre ehemaligen Kolonien in Afrika. (Saw)
Damals steigerte sich der Kalte Krieg mit der Sowjetunion zur Kubakrise 1961 und zur Errichtung der „Mauer“ in Deutschland und zu Stellvertreterkriegen . Die UNO war gespalten und handlungsunfähig, wie der schreckliche Bürgerkrieg im früheren Belgischen Kongo bewies. Der über die Treuhandgebiete Aufsicht führende Ausschuss nickte Frankreichs Kamerun-Pläne ab und ‚verriet ‚ damit selbstverständlich Kameruns Völker, denen die UNO in Nachfolge des Völkerbunds die volle Dekolonisation zugesichert hatte.
Oktober 1961 : „Southern Cameroons“ tritt der „République Cameroun“ ( Januar 1960) bei.
„Southern Cameroons“, der Süden eines Grenzstreifens Kameruns, der vierzig Jahre lang als Teil der britischen Kolonie Nigeria verwaltet worden war, schloss sich nach einem Referendum und einem Treffen der jeweiligen Regierungschefs der seit Januar 1960 unabhängigen République Cameroun an. Die Bevölkerung, so habe ich wenigstens gelesen, fühlte sich von der britischen Kolonialverwaltung vernachlässigt und wählte die vermeintlich fortschrittliche ehemals französische Kolonie, nachdem die staatliche Selbständigkeit unerreichbar schien. Vor allem erhielt die ‚anglophone‘ Elite das Versprechen eines autonomen Teilstaats, unter Beibehaltung der Amtsprache Englisch, des britischen Bildungs- und Rechtssystems, alles das unter der föderalen Verfassungskonstruktion einer République fédérale du Cameroun („un Etat autonome de langue anglaise au sein d’une fédération binationale“).
Gab es keine Zweifel an der Verfassungskonstruktion?
Wer in Yaoundé oder Paris hatte sich eigentlich den bilinguisme institutionel, die „institutionalisierte Zweisprachigkeit“ ausgedacht, dieses für einen frisch gegründeten Vielvölkerstaat ohne Staatstradition waghalsige Konstrukt? Ein extrem zentralistisches Frankreich hatte doch vorher Alles getan, um ’seine‘ Kolonien durch französische Sprache, Rechts- und Bildungssystem für ewig an sich zu binden! Wer hat eigentlich damals den schlechten Witz geglaubt oder so getan als ob? Und warum?
Zwei Diktatoren, zwei Epochen
Mit Ahmadou Ahidjo, einem sympathischen jungen muslimischen Politiker aus dem Norden, einem Fulani, den Frankreich bereits 1958 als Ministerpräsident der Übergangsregierung eingesetzt hatte, übernahm der erste Präsident Kameruns alle bereits geltenden Sondervollmachten des Ausnahmezustands mit dem Argument der „inneren Sicherheit“ (siehe Ketzmerick), er führte schleichend eine Präsidialdiktatur ein, fusionierte diverse ohnehin frankreichfreundliche Parteien zur Einheitspartei „UC“ . Er organisierte im Mai 1972 ein Referendum (Ergebnis 99,9% Zustimmung), um aus der République Fédérale eine République Unie du Cameroun zu machen. Mit sieben statt vier Verwaltungsprovinzen war der anglophone Südwesten bereits deklassiert. Ohnehin trat aber eine machtlose Assemblée Nationale an die Stelle ‚föderaler’ Scheinparlamente. Der erste wie der auch nachfolgende zweite Präsident Paul Biya regierten seither den Staat per Dekret.
Paul Biya setzte nach seinem Wechsel vom Ministerpräsidenamt auf den Präsidentenstuhl 1982 die Politik schleichender Marginalisierung der ‚Anglophonen‘ durch systematische Benachteiligung fort. Auch symbolische Akte gehörten dazu. So tilgte er 1984 den Begriff „unie“ aus dem Staatsnamen als letzte Spur der Verfassung von 1961. Seitdem forderten Vertreter der anglophonen Bewegungen vehement die Rückkehr zum „Föderalismus“ der ersten Verfassung, weil er „der kulturellen Dualität Kameruns“ Rechnung trug („qui prenne en compte la dualité culturelle du Cameroun“). Präsident Biya weigerte sich noch 1990, eine anglophone politische Partei zu legalisieren. Erst seit 1992 ließ er Wahlen unter mehreren Parteien abhalten, wegen einer harten Wirtschaftskrise, unter dem Druck massenhafter Proteste ( z.B. Duala) und nicht zuletzt im Klima der „Paristroika“, der Demokratiebewegung im frankophonen Afrika. Das hinderte aber Biya nicht daran, 1992 und 1997, aber auch 2004, 2011 und 2018 – mittlerweile als 85jähriger – als erklärter ‚Wahlsieger‘ in seiner Scheindemoratie weiter zu regieren. Er wurde in den dreißig Jahren vor allem durch politische Untätigkeit berühmt und verbringt bis heute einen großen Teil des Jahres mit großem Tross in Genf (und in Frankreich).
Ein „binationaler“ Sprachenstreit?
Die Etikettierung des Dauerkonflikts zwischen dem Südwesten und dem Rest des Landes als Sprachenkonflikt zwischen „Frankophonie“ und „Anglophonie“ kann in die Irre führen. Denn die unter den Bevölkerungen gesprochenen Sprachen stehen nicht im Konflikt, wie die detailreiche und nüchterne Studie „Cameroun – République du Cameroun – Republic of Cameroon“ der Laval Universität verdeutlicht.
Die ‚anglophonen Minderheiten‘ waren ja schon Teil der Region zu einer Zeit, als der Name „Cameroon“ noch gar nicht existierte oder sich nur auf den von Duala dominierten Küstenstreifen bezog. Damals – bis 1884 – war der englische Einfluß dominierend, der anderer europäischer Nationen ephemer. Als die Deutschen kamen, herrschte für ein paar Jahrzehnte erbitterte Konkurrenz, aber die neuen Herren mussten sich im Umgang mit ihren Untertanen oft des verbreiteten Pidgin-Englisch bedienen. Das war – auf ‚afrikanischen‘ Grammatiken fußend und mit vielstimmigem Vokabular – bereits seit dem 19. Jahrhundert Verkehrsprache im gesamten Süden Kameruns und hat sich inzwischen sogar in regionale und soziale Ableger ausdifferenziert.
Weitere Stichworte zum Verhältnis der Sprachen in Kamerun:
Zweihundert in Kamerun registrierte tribale Sprachen (langues nationales ou camerounaises) werden von Generation zu Generaton immer weniger gesprochen und verschwinden. Freilich wurden sie mit Ausnahmen nie in Schulen gelehrt, seit 1990 auch nicht mehr erforscht (L. Jean). Im Radio werden sie noch für die rund 40% Analphabeten auf dem flachen Land verwendet. Denn in der Beherrschung einer der beiden Staatssprachen unterscheiden sich Stadt- und Landbevölkerung stark, was mit dem Schulbesuch zusammenhängt. Selbst die haben sich übrigens unter den lokalen Einflüssen afrikanisiert. Die Beherrschung der ‚zweiten Amtssprache‘ Englisch hilft den Individuen außerhalb ihrer Region überhaupt nicht weiter, in der Karriere ebensowenig wie gegenüber den Behörden. Dass Englisch aus Kamerun nicht ganz verschwunden ist, liegt nach Ansicht des Linguisten Lionel Jean (Laval) allein an der seiner international „strategischen“ Position. (L. Jean, 39)
„Im Allgemeinen sieht sich ein Kameruner vor allem als französisch- oder englischsprachig. Wenn der Staat zweisprachig ist, müssen es seine Bürger nicht sein, denn ein zweisprachiger Staat impliziert nicht unbedingt zweisprachige Personen. Zum Beispiel ist die überwiegende Mehrheit der Kanadier und Belgier einsprachig geblieben, während ihr Zentralstaat zweisprachig ist.(…) Frankophone sind grundsätzlich zweisprachiger (ca. 25%) als Anglophone (ca. 20%). Infolgedessen bleiben die Bemühungen, die andere Amtssprache zu sprechen, schüchtern, während Pidgin-Englisch Vorrang vor den Amtssprachen hat.“ (Lionel Jean, übersetzt)
„Die Verwendung von Pidgin-Englisch ist populärer als Französisch und Englisch zusammen, insbesondere im gesamten Südwesten sowie in der Hauptstadt Yaundé. Es ist die kamerunische Sprache, die man auf dem Markt, in der Kirche, beim Arzt, auf der Polizeistation und in den Verwaltungsräten der Hauptstadt verwendet. Einige Politiker zögern nicht einmal, mit ihren potenziellen Wählern auf Pidgin-Englisch zu sprechen, und das staatliche Radio nutzt es in Notsituationen. Obwohl dieses „Busch-Englisch“ («anglais de brousse») von vielen offiziell verboten und gehasst wird, scheint es in diesem Land, in dem Mehrsprachigkeit allgegenwärtig ist, ein ’notwendiges Übel‘ zu sein„. (Lionel Jean 39, übersetzt)
Die gesetzlich geforderte Koexistenz zweier europäischer Rechtsordnungen und Bildungssysteme versagt vor allem bei der Aufgabe, den in ihnen lebenden Menschen gleiche Erfolgschancen zu bieten. ‚Anglophone‘ Bewerber aus dem Südwesten sehen sich systematisch diskriminiert und am Fortkommen im öffentlichen Dienst gehindert. Die militärische Karriere ist ihnen ohne Französisch ganz verschlossen.
Das Regime Biya verspricht dem anglophonen Kamerun erst seit zwei Jahren „den Dialog“, aber da dort bewaffnete extreme Milizen bereits die Forderung der Sezession erheben und sie die Landbevölkerung zum ‚Bildungsstreik‘ „gegen die Lehrpläne aus Yaoundé“ erpressen, sind die Voraussetzungen dafür denkbar schlecht. (Siehe David Signer und den Bildungsbericht von ACAPS )
Frankreichs Afrikapolitik
„Frankreichs postkoloniale Subsaharapolitik präsentiert sich als komplexe, widersprüchliche und hinsichtlich ihrer Motive und Folgen umstrittene Mischung aus kolonial gewachsenen Bindungen, geopolitischen Kalkülen, ökonomischen Interessen und kulturellem Sendungsbewusstsein.“ (El-Hussein Aw p. 83)
Das Thema der Afrikapolitik Frankreichs der deutschen Öffentlichkeit wenig präsent, Auch der Auftritt der Bundeswehr in Mali bringt es nur gelegentlich punktuell in die Printmedien, noch weniger ins regierungsnahe öffentlich-rechtliche Fernsehen. In Kamerun sind die vielfältigen Verbindungen zu Frankreich freilich allgegenwärtig.
El-Houssein Aw – Auszüge seiner Studie (2005) und in „Mémoire Online“
Die Studie Aw’s gibt uns einen roten Faden an die Hand, um diese unübersichtliche und sich vor allem in den ersten Jahren rasch ändernde Gemengelage in eine gewisse Ordnung für sich zu bringen. An dieser Stelle müssen die nützlichen Hinweise – u.a. die Zusammenfassung der Grundlagenvereinbarung von 1960 mit den Kolonien – genügen.
Zwei miteinander verknüpfte Abkommen
Michel Débré, General de Gaulles Premierminister schrieb am 15. Juli 1960 an den designierten gabonesischen Präsidenten Léon M’ba: „Die Unabhängigkeit wird unter der Bedingung gewährt, dass sich der Staat, sobald er unabhängig ist, verpflichtet, die zuvor unterzeichneten Kooperationsvereinbarungen einzuhalten. Es gibt zwei Systeme, die gleichzeitig in Kraft treten: die Vereinbarung über die Unabhängigkeit und die Kooperationsvereinbarungen. Das eine geht nicht ohne das andere. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir durch Bestätigung des Eingangs dieser Mitteilung bestätigen würden, dass die Regierung der gabunischen Republik nach Proklamation der Unabhängigkeit mit der Unterzeichnung von Kooperationsabkommen … fortfahren wird. Der Text wurde an diesem Tag paraphiert und es werden unverzüglich die Maßnahmen ergriffen, um das Inkrafttreten sicherzustellen. Es versteht sich von selbst, dass es seitens der Regierung der Französischen Republik dasselbe sein wird.“ (übersetzt nach : Aw Online)
„Als Grundlage für die Gesamtheit der Kooperationsabkommen können die außenpolitischen Vereinbarungen gelten, die als einzige in Form von ratifikationsbedürftigen Staatsverträgen abgeschlossen wurden. Bei den Abkommen über militärische Zusammenarbeit wurde grundsätzlich zwischen Verteidigungs- und Technischen Militärhilfeabkommen unterschieden. Die mit elf Staaten geschlossenen Verteidigungsabkommen sahen Absprachen über alle die äußere Sicherheit betreffenden Fragen vor und räumten Frankreich das Recht ein, Militärstutzpunkte zu unterhalten bzw. die militärische Infrastruktur zu nutzen. Im Gegenzug sicherte Paris den afrikanischen Regierungen pour leur défense contre toute menace (sic!)- also auch gegen Bedrohungen von innen – Unterstützung zu. In den geheimen Konventionen über die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und Sicherheit sollen ein formelles Ersuchen der französischen Regierung als Vorbedingung für den Einsatz französischer Truppen festgelegt worden sein. – In der Regierungszeit de Gaulle fanden in sieben ehemaligen afrikanischen Kolonien Frankreichs Machtwechsel oder Staatsstreichs statt . – (….) Die Technischen Militärabkommen verpflichteten Frankreich, dreizehn seiner vierzehn Nachfolgestaaten beim Aufbau eigener Streitkräfte zu unterstützen. Die afrikanischen Vertragsstaaten sagten zu, sich bei der Beschaffung, Wartung und Erneuerung der Waffen und anderen Kriegsmaterials ausschließlich oder in erster Linie an Frankreich zu wenden. Zu den Abkommen über Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Verteidigung zählten außerdem Vereinbarungen über strategisch wichtige Rohstoffe und Produkte. Sie sahen eine gemeinsame Rohstoffpolitik vor und verpflichteten die afrikanischen Länder, Erdöl, Erdgas, Uran, Thorium, Lithium, Beryllium, Helium sowie Erze und ihre Verbindungen en priorité nach Frankreich zu exportieren und den französischen Streitkräften bei ihrer Lagerung behilflich zu sein“. (ebd.)
„Die wirtschaftspolitisch wohl bedeutendsten, mit offensichtlichen Souveränitätseinbußen verbundenen Vereinbarungen betrafen die Währungsbeziehungen. Im funktionalen Gegensatz zur politisch-territorialen Balkanisierung der Region sahen sie die supranationale Regelung der monetären Beziehungen im Rahmen der Franczone vor, eines bis heute weltweit einzigartigen Gebildes, das vierzehn souveränen Staaten eine gemeinsame Währung -den Franc CFA- garantiert, dessen Konvertibilität das französische Schatzamt sicherstellt.“ (ebd.)
„Eine nachhaltige und einflusspolitisch wichtige Bedeutung kam auch den eliteprägenden Kulturabkommen zu. In ihnen verpflichteten sich die Staaten des frankophonen« Afrikas, das Französische als offizielle Sprache und Instrument ihrer Entwicklung« beizubehalten und sich zur Deckung ihres Lehrkräftebedarfs bevorzugt an Frankreich zu wenden. Niederlassungskonventionen, Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in Justizangeleinheiten und personelle Hilfe beim Aufbau staatlicher Strukturen vervollständigten das Vertragswerk.“ (ebd)
„Als Ergebnis eines friedlichen, überwiegend im vertraglichen Einvernehmen geregelten Dekolonisationsprozesses garantierte das bilaterale Vertragssystem der Kooperation die Kontinuität der franko-afrikanischen Beziehungen, indem es die politischen und wirtschaftlichen Strukturen des frankophonen Afrikas auf die ehemalige Kolonialmacht ausrichtete. Die Mehrzahl der Abkommen hat, Mitte der sechziger und Anfang der siebziger Jahre neu verhandelt, bis heute Bestand und bildet den vertragsrechtlichen Rahmen erstaunlich einvernehmlicher Beziehungen.“ (Aw Online)
Das System Jacques Foccart
El-Hussein Aw :
Eine zentrale Persönlichkeit in der französischen Afrikapolitik war im Grunde bis zu seinem Tod im März 1997 Jacques Foccart. 1960 wurde er Generalsekretär der Communauté Française und nach der Unabhängigkeit Secrétaire général à la présidence de la République. Diese mit weitreichender Machtfülle und exklusiven Privilegien (direkter Zugang zu de Gaulle, tägliche Treffen am Abend) ausgestattete Position behielt er, obgleich in seiner Machtfülle beschnitten, auch unter Pompidou bei. Foccart hatte direkten Einfluss auf die Ernennung von Botschaftern, sichtete Kopien der Diplomatenpost, kontrollierte die Chefs de mission d’aide et coopération und gab- mittels chiffrierter Codes und unter Umgebung des Außenministeriums – Direktiven und Anweisungen. Jacques Foccart schaffte alles, was er in der afrikanischen Einflusssphäre Frankreichs erreicht hat, mit der Hilfe von zahlreichen Netzwerke (….) (Aw Online, gestrafft, zu ergänzen u.a. durch S.18 der Studie: )
„Zu den wichtigsten Aufgaben Foccarts gehörten die direkte Kontaktaufnahme mit afrikanischen Eliten und die Wahrnehmung der französischen Einflussinteressen. Dabei kam ihm neben seinen privaten Geschäftsverbindungen, an denen er trotz seines politischen Amtes festhielt, vor allem sein Wissen als Koordinator der französischen Geheim- und Nachrichtendienste zugute. In vertrauensvoller Absprache mit de Gaulle setzte er dessen Weisungen loyal um, beriet afrikanische Staatschefs, empfing täglich Agenten des Geheimdienstes SDECE-und koordinierte in wöchentlichen Geheimsitzungen die Afrikapolitik der französischen Bürokratie. Darüber hinaus empfing er die in afrikanischen Staaten akkreditierten französischen Botschafter und bewältigte jährlich über 2500 Besuche afrikanischer Minister(Alfred Grosser 1990 zufolge).“
Empfehlung eines Buchkapitels
Anschaulich und knapp, aber differenzierend in gut lesbarem Französisch geschrieben, bietet es ein Porträt des UPC-Gründers, UPC und ihre massive Unterdrückung, System Foccard, … in „Les dessous de Franc,afrique“ (amazon LINK, LINK zu radio france LINK) von Monsieur X und Patrick Pesnot (Nouveau Monde éditions, Paris 2008). 9.2.2022
„LITERATUR“ d.h. 17 lohnende Links im Netz
ZEITGESCHICHTE, POLITIK
- Caroline Authaler : „UNABHÄNGIGKEIT FÜR WEN? DIE WENIG GLANZVOLLE UNABHÄNGIGKEIT IN KAMERUN“ 20. Oktober 2010 · 2 S. in SCHWARZWEISS (Post-)Koloniales, Geschichten (LINK)
- Victor Julius Ngoh : „The political evolution of Cameroon, 1884-1961“ Portland State University, Diss. 1979 136 pp. (LINK zum pdf)
- Pedro Morazán : „Kamerun: Die Kehrseite der Globalisierung – Koloniales Erbe, Armut und Diktatur“ SÜDWIND Edition Strukturelle Gewalt in den Nord-Süd-Beziehungen – Band 4, Siegburg März 2005, 72 S. – ein Institut, das für kirchliche Hilfswerke tätig ist. (Link zum pdf) – Wirtschaftshistorische Analyse eines Modellfalls post-kolonialer Fehlentwicklungen.
- Maria Ketzmerick „Staat, Sicherheit und Gewalt in Kamerun“ – Die politologische Studie (2019) liefert zur Chronik von Kameruns „postkolonialem Statebuilding“ zugleich die damals verwendeten Sprachregelungen in der Außendarstellung gleich mit, ob gegenüber der heimischen und der westlichen Öffentlichkeit. Im zugehörigen situativen Kontext werden sogar sterbenslangweilige Zitate aus regierungsnahen Zeitungen und Politikerreden interessant. Dem sensibilisierten Leser klingen die Ohren, denn „bedrohte Sicherheit“ ist ein verbreitetes politisches Motiv. Die entsprechenden Phrasen gehören untrennbar zu Diktaturen, wo sie inflationär verwendet werden. Unter Druck gesetzt oder bloß aus Bequemlichkeit, greifen auch demokratische Regierungen zum Mittel der Propaganda. (LINK) de-Gruyter-Verlag/transcript-Verlag stellt das Kap. 6.4 als open source ins Netz. Die fachwissenschaftliche Schlagseite in einem Soziolekt mit Neologismen ( z.B. 6.4 – „Transgression: Die Langlebigkeit von Versicherheitlichungen im französischen Treuhandgebiet“) behindert nicht nur die Lektüre, abgesehen von anekdotischen Details und übersetzten längeren Zitaten sondern weckt auch leise Zweifel am besonderen Wert der so gewonnenen theoretischen Erkenntnisse. Dabei sind eine Reihe kritischer und gut lesbarer Artikel erschienen, oft von Journalisten verfasst, zum Beispiel:
- Deutsche Welle – „Mitarbeit: Moki Kindzeka, Henri Fotso“ : „60 Jahre unabhängiges Kamerun – und keine Feierlaune Für viele Kameruner ist Frankreich immer noch allgegenwärtig – obwohl sie nun seit sechs Jahrzehnten unabhängig sind. Sie glauben, dass die Fehler der Vergangenheit zu den heutigen Krisen geführt haben.“ (LINK)
- David Signer : „Die Lage in Kamerun ist katastrophal – Die Uno berät über die Krise in den anglofonen Provinzen„; NZZ am 18. Mai 2019 (LINK )
- BBC 5.10.2018 : „Paul Biya: Cameroon’s ‚absentee president'“ (LINK)
- Jefcoate O’Donnell, Robbie Gramer : „Cameroon’s Paul Biya Gives a Master Class in Fake Democracy“, foreign policy October 22, 2018 (LINK)
- de.wikipedia: interessante Beiträge zu Kamerun, unter den Stichworten „Kamerun“, „Ahmadou Ahidjo“, „Paul Biya“. Einer: „Geschichte Kameruns“ nennt kritische Stichworte zur französischen Unterstützung von Ahidjos Gewaltherrschaft, aber lässt es an Belegen fehlen. (LINK) (Überprüft 16.5.2021)
FRANKREICHS AFRIKAPOLITIK
- El-Houssein Aw : „Perspektiven einer neuen französischen Afrikapolitik im frankophonen Afrika südlich der Sahara“ , Freie Universität Berlin – Diplomarbeit in Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut 2005. Der Link zur Langfassung (143 S.) ist für 4 € (Paypal) bequem zu haben und lohnt sich : Télécharger le fichier original ) Ein Auszug aus dem 3. Kapitel wird unter dieser Adresse gratis angebeoten.
- Prosper Akouegnon : „Les 11 composants des Accords post coloniaux avec la France“, 7.10.2016 erschienen in seinem journalistischen Blog „AfricTelegraph – L’info africaine indépendante“, den er von Gabun aus betreibt : LINK
Über diese Verträge habe ich für einen Unterricht zu Senegal gelegentlich vor dreißig oder mehr Jahren in einer politologischen Studie gelesen, aber das vergisst sich mit der Zeit..
SPRACHEN, BILDUNGSSYSTEM
- Cameroun – République du Cameroun – Republic of Cameroon – eine Monografie der Université Laval in Kanada über die Landesgeschichte, die Entwicklung und Verbreitung der Sprachen, viele Spezialkarten und Links, 2019 aktualisiert; als Mitautor ist allein der Linguiste- grammairien Lionel Jean genannt. Lleider sind die 42 S. auf Französisch verfasst (LINK zum Download des pdf)
- ACAPS Nicht zuletzt der ausführliche Thematic Report vom 19, Februar 2021 „Anglophone Crisis in Cameroon – Impact on education in the Northwest and Southwest regions“ des Informationsdienstes für NGOs mit Sitz in Genf (LINK)
DIE BEIDEN RECHTSSYSTEME
- zur Veranschaulichung des gespaltenen „Cameroon Legal System“ siehe den gleichnamigen Artikel von Henry, Samuelson & Co. in HG.org Legal Ressources (LINK)
(Alle Adressen am 16.5.2021 kontrolliert)
Lieber Herr v.Graeve, in den letzten Monaten haben sich auch in Guinea Stimmen gemeldet, die die Rolle der alten Kolonialmacht im Zusammenhang mit der Befreiung kritisch beleuchten. Guinea, der einzige Staat, der sich damals nicht den „Kooperationsverträgen“ (siehe Ihr Zitat von Michel Debré) unterworfen hat. Auf meiner Website hatte ich im November ’21 einen Artikel von Oumar Kateb Yacine ins Deutsche übersetzt (https://www.chirurgie-ffhenrich.de/guinea-quo-vadis-ii/), der die Befreiungsgeschichte im Lichte der momentanen Umwälzungen in Guinea darstellt und auch die Rolle des bei Ihnen vielzitierten Jaques Foccart darstellt. Den Originalartikel lasse ich Ihnen gerne zukommen. Gruß FFHenrich