Duala (1.2) : Erwerb und Kontext des Bootsmodells

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ERSTER EINDRUCK

Das Bootsmodell von einem Meter Länge, das Sie vor einer weißen Wand auf großer Fahrt mit unbekanntem Ziel sehen, hat es in sich. Es ist eine zweigeteilte Komposition aus vielen zusammengesteckten und genagelten hölzernen Teilen und etwa hundert Jahre alt. Die hintere Hälfte stellt eine Piroge (pirogue, canoe, Einbaum) dar, das im Mündungsdelta des Wuri seit jeher unverzichtbare Transportmittel –- die vordere Hälfte erinnert an den bei Krieg, Handel, festlichen Bootsrennen aufgesteckten Schiffsschnabel der Duala, ist aber extrem vergrößert und ‚barock’ in der Symbolik.

Ich suche überall nach einem zweiten Exemplar, bisher vergeblich.

TASTENDER BEGINN

„Duala im Delta des Wuri“, erklärte der Händler, ein hartnäckiger, aber geduldiger und effektiver junger Mann aus Brüssel , nennen wir ihn Maurice.

Zu Hause erhalte ich eine erste Orientierung von  Maria Kecskési: „ Kunst aus Afrika“, Prestel 1999, S.90:

Zu festlichen Anlässen fanden – und finden auch heute – Bootsparaden und Regatten statt. Zu solchen Festen wurden (und werden) die Schiffe an den Vordersteven – nach dem Vorbild der Galionsfiguren europäischer Handelsschiffe – mit langen, kunstvoll geschnitzten ^Schnäbeln^ (tange) geschmückt. Die bunt bemalten, in Durchbruchtechnik hergestellten, figuren- und kurvenreichen Schiffsschnäbel stehen stilistisch und z. T. auch im Motivschatz der untergegangenen traditionellen Duala-Kunst nahe, gleichzeitig zeugen viele Einzelheiten von der Intensität des fremden Einflusses.“

Das Museum hat zwei kunstvoll gearbeitete “Schnäbel” (Tange), aus dem Besitz zweier übrigens zerstrittener Adelssippen; der eine wurde bei einer Kriegshandlung in Duala 1884 (Hickorytown/King Lock Priso) erbeutet, den anderen Schnabel 1889 käuflich erworben (King Bell).

Den nächsten Halt bietet das Stichwort “Duala people” in en.wikipedia.com mit historischen und kulturellen Informationen, mit Abbildungen und weiteren Links. Da treffe ich auf ein sehr  gelungenes “Modell eines Kanus mit Ruderern aus der Kolonialzeit zwischen 1885 und 1914” aus Amsterdam, das auf Englisch vorgestellt wird. Ich werde noch mehr zu sehen bekommen, solche aus München und aus Hannover (“heikles Erbe).

1884-1914_TROPENMUSEUM_Model_van_een_kano_met_roeiers_koloniaal_werk_TMnr_6153-1a-1

Doch das hilft mir  nicht weiter. Ein realistisches auf ein Meter fünfzig reduziertes Bootsmodell, das zwischen den Ruderern herrisch auftretende Kolonialoffiziere und die Reichsflagge zeigt, kann nur als Sonderanfertigung  nach Europa gelangt sein. Der Katalog “Heikles Erbe” aus Hannover bestätigt das für seine Exemplare.

 

Eine schöne Legende erreicht mich aus Kamerun

Meiner Bitte, seine auf dem Markt nur halb verstandenen Erklärungen auf Französisch noch einmal per Emai zu wiederholen, kommt Maurice rasch nach.

Email vom 14.11.19 : La population de la région du wouri vivent de la pêche à travers cette découverte des allemands,  les villageois ont vécu l’arrivée des allemands dans une grande pirogue, ils ont fabriqué cette pirogue en mémoire de cette découverte puisque ils n’ont jamais vu une telle pirogue habillé tel que celui donc sur la photo…….la pirogue porte des personnages en train de piloter, le premier profil sur la pirogue symbolise la premiere église construite par les allemands jusqu’à présent le peuple sawa est à 90% chrétiens….    Voilà comment la pirogue entre en scène chez les sawa douala…Cameroun

Deutsch:

Die Menschen am Wouri-Fluss leben vom Fischfang vor und nach der Entdeckung durch die Deutschen. Die Dorfbewohner erlebten die Ankunft der Deutschen in einer großen Piroge (Einbaum, Kanu), sie machten diesen Einbaum in Erinnerung an diese Entdeckung, da sie noch nie ein solches Boot gesehen hatten, das so ‚gekleidet’ war wie das, was auf dem Foto zu sehen ist ……. die Piroge trägt Pilotenfiguren, das erste Profil auf der Piroge symbolisiert die erste Kirche, welche die Deutschen gebaut haben. Das Volk der Sawa (Duala) ist bis heute zu 90% Christen. So betritt die Piroge die Bühne der Sawa Douala … Kamerun.   (freie Übersetzung)

Die Ankunft der Deutschen und ihre erste Kirche mit  durchschlagendem Erfolg ihrer Mission – was für eine wunderbare Legende!

Jedenfalls motiviert sie mich zum näheren Studium der Geschichte Kameruns, von der ich bisher keinen blassen Schimmer habe. Vielleicht soll die Legende dem Kaufinteressenten schmeicheln? Maurice kennt doch seine deutsche Kunden. Als er ein paar Wochen zuvor seine Abreise nach Kamerun angekündigt hatte, nahm ich an, er versuche die Entscheidung zu beschleunigen. Doch wie ich seinen Mails entnehme, hält er sich jetzt wirklich dort auf. Meine Chance! Ich frage per Email und erhalte Antwort:

02-  LA PIROGUE PROVIENT DE LA CHEFFERIE Djébalè ( ….. )  09- C’EST UNE INFORMATION VENANT DU CHEF DU VILLAGE ACTUEL NB; LA PIROGUE RESTE JUSQU’A NOS JOUR LE SEUL MOYEN DE TRANSPORT EN COMMUN ENTRE LE VILLAGE DJébalè ET LA VILLE DE DOUALA A TRAVERS LE FLEUVE DU WOURI

L’ILE DE DJEBALE A ÉTÉ DECOUVERT PAR LES ALLEMANDS EN 1800. JE NE PAS MANQUERAI PAS  A TRANSMETTRE VOTRE SALUTATION AU CHEF IL ME DEMANDE DE VOUS SALUER AUSSI ET VOUS  SOUHAITE BEAUCOUP DE COURAGE DANS L’AVENIR.

Douala – Bonassama – Jébalè.Google Map   Bezirk: Douala 4  – 80 Hektar – 800 Seelen – Sprache: Duala

Djebalé? (Jebalé)

Bald darauf finde ich unter dem Namen der Insel “Djebalé”  im Netz eine Reportage von Josiane Kouagheu. Sie schreibt 2014 inihrem Blog  (LINK, gestraffte Übersetzung)

” (…) Tatsache ist, dass sich die Insel seit der Kolonialzeit nicht mehr entwickelt hat. Es ist ein Dorf, das von den Sawa bewohnt ist, den Douala, wie sie hier genannt werden. (…) Wenn der einfache Reisende auf die Insel will, stößt er auf Transportschwierigkeiten. Außer am Samstagmorgen und -abend fährt kein Kanu nach Djébalè, außer in seltenen Fällen. Besucher suchen daher zunächst nach ihrem „Piroguier“. Wir finden einen, der die Hin- und Rückfahrt übernimmt. Man muss seinen Preis akzeptieren! Die Motor-Piroge ist teurer. Die Abfahrt erfolgt am Ufer von Bonassama, einem Stadtteil, der Djébalè gegenüber liegt.Eine Feenlandschaft. Kokospalmen, deren Wedel das Wasser berühren, Mangroven, Gesänge bunter Vögel. Wenn man sich begegnet, rufe von Boot zu Boot.

15 Minuten später (wenn man das motorisierte Kanu nimmt) sieht man in der Ferne die ersten Häuser der Insel. Reiner Kolonialstil. Näherkommend bemerkt man an ihnen Alterungsspuren. Und wenn das Kanu anlegt, werden Bretterbuden sichtbar. In der chefferie begrüßt Sie der  Dorfvorsteher Isaac Dibobe. Sie müssen ‘Majestät’ hinzufügen. Er erzählt Ihnen wie ein Geschichtenerzähler am Feuer von seiner Insel, die der seit mehr als einem halben Jahrhundert kentn, und führt Sie herum. “Im Jahr 1800 entdeckten die Deutschen Djébalè während ihrer Präsenz in Kamerun.” Der Name der Insel kommt von einer Meerjungfrau namens Djobalè, mit dem der Legende nach der erste schwarze Mann, der die Insel betrat, zusammengelebt und mehrere Kinder aufgezogen hat.

Trotz dieser wunderbaren Geschichte ist das Dorf unglücklich. “Wir haben kein sauberes Wasser, geschweige denn Strom”, sagt Issac Dibobé mit Tränen in den Augen. Die einzige Stromquelle auf der Insel ist Sonnenenergie, ungenügend angesichts des Abstands der Häuser voneinander. Die einzige Schule auf der Insel ist die öffentliche Schule in Djébalè. Nach Erhalt des Certificate of Primary Studies (CEP) werden junge Menschen ihr Studium an einem anderen Ort fortsetzen. Manche kehren nie zurück mit der Begründung, dass es “keine Unterhaltung auf der Insel” gibt. Nur ältere Menschen und Fischer bleiben in Djébalè. Ihre Frauen bauen Maniok, Kochbananen und Kürbiskerne an. Jeden Samstag fahren sie zum Bonassama-Markt (bei 200 CFA Transportkosten), um ihre Waren zu verkaufen. Der ölreiche Boden ist noch nicht ausgebeutet. Ein paar Meter von der Insel entfernt haben andere Bezirke von Douala Wasser, Strom und Schulen. Djébalè scheint die Waise einer Mutter zu sein, die nur “einige ihrer Kinder” liebt.”

 

Überall ist Jebalé

Ob Maurice das alles wie ich im Netz gelesen oder von einem  chef de village direkt gehört hat, ist nicht so wichtig. Es sprechen auch andere Gründe für die Herkunft des Schiffmodells von der Insel.

“Tatsache ist, dass sich die Insel seit der Kolonialzeit nicht mehr entwickelt hat.” Sie ist bitterarm und abgehängt. Die urbanistische Netzpublikation “Douala ô Mulema” berichtet 2016 über ein Bauprojekt wegen des starken Verkehrsaufkommens in Ost-West-Richtung . Zwei neue Brücken über den Wuri sollen gebaut werden. Die zweite, seit 1994 in Planung, würde über Jebalé verlaufen, was für die Insel wirtschaftlichen Aufschwung bedeuten würde. Aber wie Google’s Satellitenbild zeigt, ist bisher nichts geschehen.

De Rosny berichtet in “Das Auge meiner Ziege (LINK zu “Totengleich…”) von seiner Lehrzeit bei einem traditionellen Heiler in Deido in den 1980er Jahren. Mit ihm fährt er eines Abends zu einer therapeutischen Sitzung in ein Dorf auf der anderen Seite des Flusses.

Wir kommen durch die Viertel Bepanda und Deido, wo die Lichter schon verlöscht sind. Wir fahren über die achtzehnhundert Meter lange Brücke, die den Wuri überspannt. Zu unserer Linken an den Kais, erstrahlen die Schiffe, in märchenhaftes Licht getaucht, zu unserer Rechten die dunke Silhouette der Ufer und der Inseln. Nachdem wir das Viertel Bonaberi durchquerst haben, fahren wir in den Busch hinein und sind dann fast sofort im Dorf. (…) Wir sind sieben Kilometer von unseren Häusern entfernt, befinden uns aber <in der Fremde>“. (68)

Als de Rosny an einem der folgenden Tage ein zweites Mal und allein hinfährt,  um den Dorfchef zu besuchen, der ihm am Abend imponiert hat, wird er an einer improvisierten Straßensperre von einer uniformierten  Gruppe von Halbwüchsigen gestoppt. “Unierte Pfadfinder”, wie sie bei Aufmärschen zu sehen  sind. “Sie sind stolz auf ihre Beziehung zu dieser großen internationalen Bewegung und entschlossen, sich als die Hüter einer neuen Ordnung gegen das Dorfoberhaupt durchzusetzen“.  Die Situation wird erst nach einer Stunde unter Vermittlung des jungen Vize-Dorfchefs bereinigt (79). De Rosny spricht mit einem Pfadfinderführer und resümiert dessen Ausführungen. “Es gibt hier viele Jugendliche. Einige leben in Duala, aber am Sonntag kommen sie nach Hause. Die Chefferie (der Dorfchef) tut nichts für die Entwickung.  Wir, wir wollen den Aufstand. Wir werden die Eltern zur Einsicht bringen.” (90)

Er fragt sich: “Kann es einen Dialog geben zwischen einem energischen Dorfoberhaupt und diesen Jugendlichen , die ihren Eintritt in die moderne Welt nicht geschafft haben, die aber dennoch nicht bereit sind, zu Fischfang und Piroge zurückzukehren? Dieses kleine Dorf am Stadtrand gehört schon zur Stadt und trotzdem bleibt alles so, als lebte man auf dem Land. Überscharf treten dort die Konflikte der Anpassung der Kulturen zutage.” (90)

Übrigens  sind sofort Erwachsene zur Unterstützung der Pfadfinder herbeigeeilt. Denn es geht das Gerücht um, “der Priester und Weiße” de Rosny  sei Schadenszauberer und ‘kaufe‘ in den besuchten Dörfern Menschen. (Näheres darüber im dritten Teil.)

 

Jebale – bevorzugter Aufenthaltsort der Wassergeister (Mengu, Singular: Jengu)

Als die Duala und ihre Verwandten vor Jahrhunderten an die fremde unheimliche Küste gerieten, mussten sie ihre Angst vor dem menschenfressenden Meer bannen und die ungewissen Gaben des Wassers auf irgendeine Weise kontrollieren. Hier hatten die mengu ihre Aufgabe. Sie regierten die Wasserwelt, waren die Herren der Fische, Seekühe und Krabben, auch von in der Strömung wachsenden Raffia-Palmen.” ( de Rosny, 55)

Sie finden sich in gefährlichen Strömungen, an verborgenen Felsen,Wasserfällen, dichtem Gebüsch und Untiefen. Auch Djebalé im Wuri-Fluss oder die Felsen von Victoria gelten – weil besonders gefährlich – als ihre bevorzugten Aufenthaltsorte. Auf Djebalé findet man wahre Experten des jengu –Kults. Wie unter den Menschen gelten die mengu des Landesinneren als schwächsten, und die des Meeres sind stärker als die der Flüsse. (55) Sie regieren über die Unwetter, lösen Tornados aus, und wenn das Meer still daliegt, sind sie mit den Menschen beschäftigt. (56) Das Erscheinen eines Handelsschiffes wird ihnen zugerechnet (78). Das galt besonders für die vorkoloniale Zeit.

Da diese Wesen eine außergewöhnliche Anpassungsfähigkeit zeigen, muss der Mensch sich komplex und klug verhalten. Wenn gekenterte Boote und deren Waren im Wasser treiben, heißt das, dass Mengu sie an ihren Aufenthaltsorten lagern. Persönliche Mengu als ‚Schutzengel’ rächen Ungehorsam mit Ertrinken oder Stunden andauernde Besessenheit. (56)

Besessenheit konnte einen Menschen zur Initiation in den Jengu-Bund veranlassen (63), aber nur, wenn hinreichend Vermögen vorhanden war. (65,73) Denn der Kult diente der Abgrenzung zwischen Duala-Aristokratie und Sklaven  (segrégation entre l’aristocratie et les esclaves, 72 ). Die Duala geben an, von den Mengu abzustammen, mit denen sogar sexuelle Beziehungen möglich sind. (64)

Unter den Mengu- Riten der Fischer wird ausdrücklich das Ngondo-Fest erwähnt – seit 1949  in neuer Form – bei dem im Fluss vor Deido gegenüber Jebale Ruderregatten stattfinden.    Heute verbindet der Kult die verwandten Küstenstämme. (64)

 

Gerüchte über Jebalé (Djebalé)

In den achtzig Jahren kolonialer Dominanz des Christentums, als die traditionellen Mittel, < force> zu erwerben in Vergessenheit und die <medecine-men>, die darüber verfügen, ins gesellschaftliche Abseits  geraten und unsichtbar werden  (René Bureau, 33), hält man  auf Jebalé daran fest. Das ist wohl so eine Art  <Gallisches Dorf> ( die Heimat von Asterix und Obelix).

Jebalé wird  noch mehrfach erwähnt. Zwei Beispiele:

Unter dem Titel “Der Nyungu, die Schlange des Unheils” schreibt de Rosny:

Auf der kleinen Insel Jebale, die gegenüber dem Viertel , in dem wir leben, beginnt, gräbt man aus Furcht vor dem Nyungu keine Brunnen. Das haben mir mehrere Leute berichtet, darunter Jacques Mudiki, Lehrer auf Jebale, und Simon Musinga, ebendort Fiischer. Man ordnet dem Nyungu Eigenschaften der Boa zu, die auch heute noch bis in die Städte vordringt.  Er ist aber eine unsichtbare Boa. Und wiederum auf Jebale ist der Glaube einiger Menschen so stark,  dass sie nicht einmal Latrinen ausheben. Denn dorthin würde der Feind (Hexer) den Nyungu schicken, damit er das But der Frauen trinke und das Kind daran hindere, zur Welt zu kommen. Dieses Beispiel zeigt, in welchem Umfang die Erwähnung dieser Schlange die Einbildungskraft beflügeln kann. Jeder nganga (Heiler) hat seine eigene Methode, den nyungu zu jagen.” (50)

ile de Djebalé Duala 2019-11-24

 

 

Den Cholera-Ausbruch von 1971 diskutiert de Rosny mit Loe, einem befreundeten Heiler in Duala:  (72f.)

 

“Ich: Es gibt aber doch Krankheiten, da liegt es auf der Hand, dass niemand im Dorf daran schuld ist! Nehmen wir zum Beispiel die Cholera-Epidemie, die in Jebale ausgebrochen ist. Da hat man doch zu Unrecht einen alten Mann beschuldigt, den Tod der siebzehn zuerst daran Erkrankten  verursacht zu haben!

Loe weiß, so wie ich, dass die Cholera eine neue Krankheit aus dem Mittleren Osten ist, die durch Reisende und, genauer noch, durch nigerianische Fischer aus dem Wurimündungsgebiet eingeschleppt wurde, also aus dem Süden.

Loe (unerschütterlich): Und warum ist es nun ausgerechnet in Jebale so schlimm gewesen? Die Jebale leben im Norden und die Duala mehr im Süden. Warum erfolgte der Ausbruch dann auf Jebale? Unsere Schadenzauberer suchen ständig Gelegenheiten, tätig zu werden. Dann haben die Ältesten der Cholera Einhalt geboten. Zuerst ist der Inselälteste auf Jebale gegen die Schadenzauberer eingeschritten, dann war Deido an der Reihe. Genauso geschah es in Bonaberi. Der Esa (ein kollektiver Ritus zur Vertreibung des Bösen) wurde praktiziert, es wurde deutlich gemacht, dass man diese Krankheit nicht wollte, und man hat ihr den Garaus gemacht. Das ist Brauch bei uns. Selbst wenn die Europäer keinen Impfstoff gebracht hätten, wäre es zu Ende gewesen, denn die Bevölkerung machte Front dagegen. Übrigens, die Bevölkerung hat sich gefragt, warum man mit dem Impfstoff erst am ersten Tag der Cholera und nicht früher begonnen hat; warum? Ist das nicht auch Schadenzauberei?

de Rosny: Etwas verwirrt höre ich auf, Loe zu befragen. (…)” (72)

 

Das Thema ‘Seuche’ und Herangehensweise von Loe scheinen mir Deutschland im April 2020 aktuell zu sein. Ansatzpunkt: Eine Mischung aus Angst, Gehorsam und Unzufriedenheit, garniert mit ‘Verschwörungstheorien’.

 

 

ÜBERRASCHENDES AUFTAUCHEN  EINER “SMS OLGA” ALS HISTORISCHER BEZUGSPUNKT

SMS Olga bei der Beschießung von Hickorytown Dez.1884

Erst jetzt begegnet mir das Bild der ‘SMS Olga’ auf zwei Wikipedia-Seiten. Zuerst (LINK) unter ihrem Namen, dann unter “Kanonenbootpolitik”. Ein ‘modernes Kanonenboot’ weckt eigentlich andere Vorstellungen als dieses Segelschiff mit drei Masten und zwei niedrigen Schornsteinen: Zwar wurde die ‘Flachdeck-Korvette’ erst 1881 in Dienst gestellt, aber der Artikel verweist auf schnellen Modellwechsel, der das Schiff bald ‘alt aussehen’ ließ.

Die deutsche Zeitungsillustration zeigt neben dem in dieser Umgebung imposanten Dreimaster der Reichsmarine vier modernen Landungsboote  (> hier rechts das Modell der Ausstellung „heikles erbe“ no. 146 in Hannover: “Gouvernementsboot”).

Wie formulierte Maurice (Siehe oben “Schöne Legende”)?

Die Menschen am Wouri-Fluss leben vom Fischfang vor und nach der Entdeckung durch die Deutschen. Die Dorfbewohner erlebten die Ankunft der Deutschen in einer großen Piroge (Einbaum, Kanu), sie machten diesen Einbaum in Erinnerung an diese Entdeckung, da sie noch nie ein solches Boot gesehen hatten, das so ‚gekleidet’ war wie das, was auf dem Foto zu sehen ist.

In einer Umgebung, in die vorher ein Kriegsschiff vielleicht einmal zur Proviantierung oder Reparatur  (“Dido”) eingelaufen war, war der Auftakt deutscher “Kanonenbootpolitik” mit Beschuss durch die Bordartillerie eindrücklich. Von Jebale aus, das gegenüber liegt, konnte man Explosionen und Brände in der Ferne sehen. Übrigens gehörte die Insel zu Hickorytown.

Den Vordergrund des Stichs beherrscht ein traditionelles Kriegskanu. Wessen Leute saßen im Kanu?  Krieger der  Verwandten des Rebellen, die den Schutzvertrag guthießen, und deshalb von ihm ein paar tage zuvor von ihm angegriffen worden waren.

Traditionelle Waffen waren doch auch für Duala längst anachronistisch (Heßler 1896, 80). Eine andere Zeitungsillustration zeigt auch beim Sturm der Marinesoldaten auf  das Joss-Plateau Mündungsfeuer auf beiden Seiten. Die Darstellung auf dem Stahlstich könnte aber zutreffend sein. Schließlich ging es auf Seiten der Duala um einen Streit unter Verwandten. Zur Plünderung eines verlassenen Dorfs braucht man keine Schusswaffen. Dem deutschen Publikum sollte sie wohl auch die Duala als ‘unterentwickeltes’ Volk präsentieren, das die Kolonisierung unbedingt brauchte. Kommt Ihnen beim Betrachten nicht auch der Gedanke, das Kanonenboot könnte im nächsten Moment die Piroge  ins Schlepptau nehmen, an den Haken, so wie es bei meinem Modell der Fall ist?

Der Ausdruck ‘Ankunft der Deutschen’ entspricht dieser Erfahrung. Für die Zeitangabe “1800” bieten sich einleuchtende Erklärungen an. Erstens die Überblendung verschiedener Ereignisse und zweitens die Erfahrung, wie ungenau historische Datierungen selbst in Deutschland und bei gebildeten Leuten ausfallen. Da fehlen häufiger eins, zwei oder mehr Jahrhunderte in der vom Gesprächspartner angebotenen Datierung.

Resümieren wir den gewalttätigen Auftakt der deutschen Kolonialzeit im Ersten Teil: (LINK)

Da unter den Ausländern vor allem britische Kaufleute dominierten, verdankte sich der “Schutzvertrag” 1884 mit dem Vertreter der Hamburger Reederei Woermann nur einer vorübergehenden Stimmung bei drei führenden Klanchefs. Ihr Streit mit King Lock Priso, einem vehementen Gegner der vertraglichen Bindung an das Deutsche Reich, veranlasste ihn im Dezember 1884 zum Angriff  gegen König Bell, den Freund der Deutschen. (…) Die SMS Olga beschoss mit ihren zehn Kanonen King Lock Priso‘s (K’uma Mbape) Siedlung Hickorytown (Bonaberi) am anderen Ufer des Wuri. Man legte Feuer in Residenz und Siedlung. Es gab über 25 Tote und viele Verwundete. Die Mehrheit der Bevölkerung floh in den Busch. (Soweit mein jetziger Kenntnisstand!)

 

Ich möchte hier bei dem Gesamteindruck haltmachen. Die detaillierte Beschreibung des Bootskörpers meines bequem demontierbaren Schiffsmodells und seine Interpretation folgen in einem dritten Blog.

27. April 2020 : FORTSETZUNG FOLGT : Beschreibung und Interpretation des Schiffsmodells (LINK)

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            FORTSETZUNG DES LESERBRIEFS VOM 8.5.20 (LINK)

(…..)  Mir geht es um zwei Punkte:

Warum gefällt mir der 2. Teil besser?

Warum muss ich jeweils so ab der Hälfte der Texte mich ein Stück weit durchkämpfen?

1.) Der zweite Teil ist besser, weil er von einer Geschichte der Entdeckung ausgeht. Da ist man mit dem Erzähler auf einer Forschungsreise–aha, er hat diese seltsame Piroge gekauft, die von einem cleveren Händler mit einer Geschichte kredenzt wird, dann forscht er nach und siehe da: die Geschichte hat reale Bezüge und plötzlich befindet man sich auf der Insel, lernt den Chef kennen, die Probleme mit den Jugendlichen, den Widerhall einer Kanonenbootpolitik der Deutschen undsoweiter. De Rosny ist interessant, die Heiler-Geschichte, die ganze Duala-Saga wird vorbereitet. Ich würde also anempfehlen, die Teile in ihrer Reihenfolge umzustellen.

2.) Kameruns Geschichte. (……)  HEINRICH LÜBKE  (der Redaktion bekannt)

 

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