Stand: 7.8.2020 Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Vorbemerkung:
Die Textzusammenstellung erhebt keinen streng wissenschaftlichen Anspruch. Ich habe mich vom erworbenen Objekt aus in verschiedene Themen eingelesen. Je mehr ich las, desto deutlicher traten LĂŒcken und Unstimmigkeiten zwischen den Darstellungen hervor. AuĂerdem waren Ăbersetzungen nötig. Inhaltliche Ăberschneidungen konnte und wollte ich nicht vermeiden. Ich denke: FĂŒr das VerstĂ€ndnis eines so interessanten historischen Objekts wie des Modells einer Piroge der Duala, ist ein fehlerhaft gezeichneter Hintergrund besser als gar keiner.
In einem zweiten Beitrag schildere ich den Erwerb und diskutiere Herkunft und Kontext des Bootsmodells (LINK). In einem dritten folgen Objektbeschreibung und Deutungsversuche (LINK). Ein Freund hat vorgeschlagen, mit dem zweiten Beitrag zu beginnen. Warum nicht?
Historische Bildquellen haben meiner Vorstellungskraft sehr geholfen, deshalb will ich die eindrĂŒcklichsten auch Ihnen nicht vorenthalten. Durch Anklicken lassen sie sich vergröĂern.
Quellenangaben finden Sie (bis auf Ausnahmen) am Ende des 1.und 3. Beitrags.
„Karte_von_Camerun, um 1888“ – Damals selbstverstĂ€ndlich nur der SĂŒdwesten !
INHALT
 Eine tropischer Mangrovensumpf wird zum attraktiven Handelsplatz
 Sklaverei und Handel mit Sklaven im sĂŒdwestlichen Kamerun
„Christianisierung“ der Duala (im Text aufgeteilt nach Epochen!)
Die typische Siedlungsstruktur von Cameroon-Stadt im 19. Jh.
Die Duala in der deutschen Kolonie Kamerun und danach
Literatur
Der erste historische Faktor : Das Mangroven-Delta von Duala
Der traditionelle Handelsplatz der Duala in der Bucht von Kamerun liegt verkehrstechnisch gĂŒnstig, aber in der âfeuchten Armhöhle Afrikasâ, vier Grad ĂŒber dem Ăquator und rund zwanzig Kilometer vom Atlantik entfernt inmitten eines Mangrovendeltas, umgeben von undurchdringlichen UrwĂ€ldern. Der Blick erreicht kaum das gegenĂŒberliegende Ufer des Wuri, denn die Gegend liegt fast ununterbrochen in einem grauen, dicken, heiĂen Dunst. Die Luftfeuchtigkeit ist enorm , ein Paradies der FiebermĂŒcken. Hier kam vor rund vierhundert Jahren die Wanderung der Duala aus dem Kongo-Gebiet zum Stehen. Sie verdrĂ€ngten die bereits ansĂ€ssigen Bassa ins Landesinnere und verteilten sich entlang der FlusslĂ€ufe. Sie lebten fortan vom ‚Wasser‘. Die zentral gelegenen Duala-Dörfer entwickelten sich bis zum 18. Jahrhundert zu einer prosperierenden Gemeinde namens Duala. Die KĂŒsten-Duala kauften Waren und Sklaven von Innengruppen wie Bakweri, Mungo, Bassa und Bakoko und verkauften sie an die EuropĂ€er weiter, zunĂ€chst auf deren Schiffen, und spĂ€ter an Festlandfabriken oder GeschĂ€fte. Im Gegenzug lieferten die EuropĂ€er Alkohol, SchieĂpulver, Waffen, Spiegel, Schuhe, Textilien und Werkzeuge. (wikipedia.en). Den Ackerbau ĂŒberlieĂen die Duala versklavten Nachbarn. Sie bauten unendlich viele Pirogen, dazu war sich niemand unter den Duala zu schade, und sie mussten versuchen, sich die unberechenbaren fremden Fluss- und Meeresgeister „Jengu“ (Plural „mengu“) gĂŒnstig zu stimmen. „Sie regierten die Wasserwelt, waren die Herren der Fische, SeekĂŒhe und Krabben, auch von in der Strömung wachsenden Raffia-Palmen. Sie fanden sich in gefĂ€hrlichen Strömungen, an verborgenen Felsen, an WasserfĂ€llen, in dichtem GebĂŒsch und ĂŒber Untiefen.“ (RenĂ© Bureau p.56) Auch mehrtĂ€giges Ausfahren zum Fischfang auf hoher See gehörte dazu. (Hinweis von Harter 1960, nach Heuermann „Der schizophrene Schiffsschnabel“ 3.3.3)
Roland Daus schildert eingÀngig die ökonomischen ZusammenhÀnge :
Dass es an einer solchen Stelle ĂŒberhaupt zu einer Bevölkerungsansammlung gekommen war –
erklĂ€rt Ronald Daus, Chronist der Siedlungsgeschichte von Duala – lag an den Besonderheiten des Handels zwischen den MĂŒndungen des Niger und des Kongo. Da ununterbrochen Schiffe aus Europa an dieser KĂŒste vorbeisegeln mussten, legten viele hier spontan und fĂŒr kurze Zeit an, um Verpflegung, Holz oder andere Notwendigkeiten zu bunkern. Die Völker, die in der NĂ€he des Meeres lebten, konzentrierten sich immer mehr auf relativ leicht zugĂ€ngliche LandeplĂ€tze. Aus Bauern, Fischern und JĂ€gern wurden Proviantlieferanten. Sie spezialisierten sich auf diese Art Zufallshandel. Aus der Ausnahme war im 18.Jh. die Regel geworden. Und es etablierte sich der âSperrhandelâ. BegĂŒnstigt durch den âunwegsamenâ und oft weitflĂ€chig âunbewohntenâ Urwald, der sie umgab, gestatteten die KĂŒstenvölker niemandem, von der KĂŒste ins Innere vorzudringen. Sie wurden zu geschickten Zwischenagenten („middle-men“) . Mussten zum Beispiel Rohgummiballen die Herrschaftsgebiete mehrerer Völker durchqueren, vereinbarte man Zug um Zug mit den jeweiligen Machthabern ein besonderes âKreditsystemâ. Jeder gab die Erlaubnis zum Transit, um am Ende mit einem Anteil am Gewinn belohnt zu werden. Da jede Seite immer auch Schulden bei der anderen hatte, gestalteten sich solche Kontakte sehr stabil. Unter der Oberaufsicht der Duala differenzierte sich der Handel. Nicht mehr nur Ăberlebenswichtiges wie Palmöl und Wachs wurden getauscht, sondern auch Sklaven und Elfenbein fĂŒr die EuropĂ€er. („Banlieue“ 166-167)
Im 18. Jh. â zwischen 1750 und 1807 – vervielfachte sich der transatlantische Sklavenhandel. Die Nachfrage verwies die mit Elfenbein zeitweise auf den zweiten Rang. Immerhin 42.000 Individuen wurden exportiert. (Ralph A. Austen p.152)
Was sollte man ĂŒber „Sklaverei“und „Handel mit Sklaven“ im sĂŒdwestlichen Kamerun wissen?
Dem Thema wurden im 41. Band von Paideuma 1995 zehn Einzelstudien gewidmet. Man fragte nach den Voraussetzungen und den Zwecken des Erwerbs von Sklaven, dem VerstĂ€ndnis von Sklaven und Sklaverei, sowie deren Behandlung. (95) Ob nun in den Königreichen der „Grassfields“ (Kom, Bamum u.a) oder den Duala am Atlantik: Im Wesentlichen herrschten ĂŒberall die gleichen VerhĂ€ltnisse.
‚Sklaven‘ waren ‚frei verfĂŒgbare‘ Personen, die sie als unfreie und marktfĂ€hige (‚marketable‘) Menschen angesehen waren. Sie wurden hauptsĂ€chlich durch Kauf oder Gefangennahme im Krieg erworben. Man verkaufte aber auch Kriminelle und AusgestoĂene nach auĂen. Sie wurden als Menschen betrachtet, die ihre Freiheit verloren hatten und die man daher als Ware tauschen konnte, da sie nicht auf den RĂŒckhalt ihrer Herkunftsgesellschaft zĂ€hlen konnten. Bei den Bamum werden auch ‚aufsĂ€ssige Ehefrauen‘ und zahlungsunfĂ€hige Schuldner erwĂ€hnt. Widerspenstige Sklaven wurden mit Erlaubnis des Königs getötet oder im Ausland verkauft.
Die herrschende Sitte gewĂ€hrte Sklaven und Sklavinnen begrenzten Schutz. BlutvergieĂen im Dorf war verpönt, zwei Ruhetage pro Arbeitswoche waren die Regel, und man erwĂ€hnte in Gegenwart des Betroffenen nicht seinen Sklavenstand. Frauen wurden milder behandelt als MĂ€nner. Sie arbeiteten fĂŒr die Familie des EigentĂŒmers auf den Feldern, gebaren ihm und seiner Lineage Kinder, standen als BrĂ€ute fĂŒr die Familienpolitik des Oberhaupts zur VerfĂŒgung oder als Geschenke an den Königshof oder als Eintrittsgabe in exklusive Kultgesellschaften.
Wer sich also in die Gemeinschaft integrieren durfte, wurde als Teil der unteren Gesellschaftsschicht betrachtet, durfte heiraten â die Kinder konnten sich bereits als ‚Freie‘ selber wirtschaftlich betĂ€tigen. Sozialer Aufstieg Einzelner kam vor â manche ‚Sklaven‘ beschĂ€ftigten selber Sklaven. Die meisten aber waren Hauspersonal, Handwerker, Farmer, HĂ€ndler, FuĂsoldaten. Von Ritualen und politischen Institutionen waren sie ausgeschlossen, in den Familien, die sie als Sklaven erworben hatten, blieben sie immer unmĂŒndig. Manchmal mussten sie ihren Herren unangenehme Arbeiten abnehmen. Wer Pech hatte, diente als wertvolles Geschenk im diplomatischen Verkehr der Eliten oder wurde beim Tod eines WĂŒrdentrĂ€gers zur Selbsttötung ‚aus Verzweiflung‘ aufgefordert. (97)
Die schwerer zu assimilierenden erwachsenen mĂ€nnlichen Kriegsgefangenen und erst recht – als StrafmaĂnahme – mĂ€nnliche Störenfriede wurden auf MĂ€rkten verkauft, die weit von der Heimat entfernt lagen. Das konnte auf einem europĂ€ischen Handelsschiff enden.
Mit der zeitweise boomenden Nachfrage nach Sklaven in der Bucht von Duala Ă€nderten sich das VerhĂ€ltnis von Binnen- und Exporthandel mit Sklaven, aber die Beibehaltung der Institution rechtloser Bevölkerungsschichten schien den Bamum oder Duala-Eliten unverzichtbar fĂŒr die Gesellschaftsordnung. Im Lande selbst ging es den ‚Sklaven‘ also um ihre Emanzipation, nach 1845 wurden sie von baptistischen Missionaren darin unterstĂŒtzt.
Da das Deutsche Reich in Kamerun ab 1885 auf das BĂŒndnis mit den traditionellen Eliten angewiesen war, zögerte es lange Zeit, in den Sklavenbesitz und Binnenhandel mit Sklaven einzugreifen. Noch 1902 ĂŒberzeugte Duala Manga Bell die Verwaltung, zwei rechtskrĂ€ftig verurteilte SklavenhĂ€ndler zu begnadigen, weil kein Eingeborener wirklich verstehen wĂŒrde, dass derartige Transaktionen im Lande selbst illegal wĂ€ren. (143) Damals wechselte der Bell Klan gerade zum kommerziellen Kakao-Anbau fĂŒr den Export und hatte erhöhten Bedarf an Pflanzern, die traditionell Sklaven-Status hatten (143/144). Erst ab 1902 erschwerte die deutsche Kolonialverwaltung die Beibehaltung der Diskriminierung. Unter den Franzosen wurde der Kakao in der Region ab den zwanziger Jahren allmĂ€hlich in kleinen Familienbetrieben angebaut.
Die politische Entwicklung im 19. Jh. (en.wikipedia.org)
Der Handel verĂ€nderte die Duala-Gesellschaft dramatisch. EuropĂ€ische Waren wurden zu Statussymbolen und einige Herrscher ernannten westliche HĂ€ndler und Missionare zu Beratern. Man sprach Pidgin-Englisch. Ein hoher Anteil der Duala wurde reich. Durch den neuen Handel entstanden Spannungen mit den Habenichtsen. Der Wettbewerb eskalierte zwischen den KĂŒstengruppen und sogar zwischen verwandten Siedlungen.
Ndumb’a Lobe von der Bell-Linie erklĂ€rte sich im 19. Jahrhundert zum King Bell. Chefs rivalisierender Unterlinien konkurrierten bald mit ihm, darunter der selbsternannte König Akwa (Ngando Mpondo) von 1814, King Deido (Jim Ekwalla) von Deido (eine Akwa-Splittergruppe) und Prince Lock Priso (Kum’a Mbape) von Bonaberi. Die Konkurrenzen wurden auch symbolisch – ’sportlich‘ – ausagiert, und zwar in Ruderregatten, die auf dem Wuri-Fluss vor Deido immer hĂ€ufiger und mit „speziellen Rennkanus, den bolo pa pen, die Tange trugen, abgehalten wurden. (Harter 1960,p.71, nach Heuermann 3.3.3)
Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Briten die FĂŒhrung im Handel mit der Handelsaristokratie ĂŒbernommen. Zur selben Zeit verpflichtete die Britische Krone die HĂ€ndler, die Sklaverei im Golf von Guinea zu beenden, und nach ein paar Jahrzehnten lieĂ sich wenigstens der Export unterdrĂŒcken. Bereits 10. Juni 1840 und am 7. Mai 1841 unterzeichneten als erste die Duala ‚Kings‘ Akwa und Bell VertrĂ€ge gegen die Sklaverei. Im Austausch versorgten die EuropĂ€er sie jĂ€hrlich mit Alkohol, Waffen, Textilien und anderen Waren. DarĂŒber hinaus verboten die ‚Kings‘ Praktiken, die die Briten als barbarisch betrachteten, wie beispielsweise das Opfer von Frauen eines HĂ€uptlings nach seinem Tod. Die Briten wollten die Duala auch nach ihren eigenen Zivilisationskonzepten formen. Das bedeutete Erziehung zum westlichen Lernen und Konvertierung zum Christentum. Alfred Saker eröffnete eine Mission in Douala im Jahr 1845.
Wikipedia vergisst zu erwĂ€hnen: die erste Schule und einen Verkaufsladen Sakers , dazu Ziegelfabrik, HolzsĂ€gerei und kleine Werft (Daus 168). Bis 1875 entstanden zahlreiche Missionen und Schulen in Douala und anderen Siedlungen. Die Unterschichten, die sich inzwischen gegen die Bevormundung durch die Duala-Elite auflehnten, interessierten sich fĂŒr die gepredigte Gleichheit der Menschen. Alle gesellschaftlichen Gruppen aber erhofften materielle Vorteile durch ‚Bildung‘. Am erfolgreichsten war darin die Elite der Duala. Ein hoher Grad an Alphabetisierung erlaubte es der gebildeten Oberschicht von HĂ€ndlern, Klerikern und Farmern, sich weiter zu entwickeln. Diese Gruppe wurde mit dem europĂ€ischen Recht und den Konventionen vertraut, was es ihr spĂ€ter möglichte, fĂŒr ihre Interessen mit Petitionen, Gerichtsverfahren und durch InteressenverbĂ€nde einzutreten. (Wiki. „Duala“)
Mit dem schleichenden Verlust des Handelsmonopols kehrten die meisten Duala freilich zur Subsistenz-Landwirtschaft oder zum Fischfang zurĂŒck, um zu ĂŒberleben. Das ist auch heute noch sogar in direkter Nachbarschaft der Millionenstadt der Fall, etwa auf der Insel JebalĂ©.
 ‚Soziologie der christlichen Mission unter den Duala‘
Die Duala sind zu etwa neunzig Prozent Mitglieder christlicher Kirchen, aber damit ist nur die OberflĂ€che ihres spirituellen Lebens charakterisiert, wie Eric de Rosny und RenĂ© Bureau zeigen. Ich stieĂ auf ihre BĂŒcher, als ich an meinem kĂŒrzlich erworbenen Schiffsmodell unter einem demonstrativen Christentum die Zeichen der Wassergeister-Verehrung entdeckte. RenĂ© Bureau, Afrikanist und Religionssoziologe, seit 1957 Kenner und Freund der Douala, veröffentlichte sein Buch erst 1996. Es dokumentiert einen Wechsel vorherrschender Stimmungen. Die MentalitĂ€t der Leute hat sich dabei sicher kaum verĂ€ndert.
RenĂ© Bureau zitiert: âCâest le Blanc qui a apportĂ© la RĂ©ligion!â
„Der WeiĂe hat die Religion ins Land gebracht“ (20) – Dieser Satz erweist seine Vielschichtigkeit erst in den folgenden zwei Jahrhunderten bis heute. (Meine Lesenotizen teile ich darum auf.)
Bevor europĂ€ische Missionare die christliche Botschaft predigten, hatten sich die Duala in mehreren Jahrhunderten beim Sklavenhandel ihr Urteil ĂŒber die WeiĂen gebildet. Das waren oft skrupellose weiĂe Alliierte bei der Unterwerfung der InlandsstĂ€mme. Zugleich waren sie dominateurs und Fremde, die ihre Verachtung afrikanischer Lebensart auch gegenĂŒber den HĂ€uptlingen zur Schau stellten. (21)
1843 und 1845 traten baptistische Missionare, Anti-WeiĂe auf, denen die Notablen der Duala zunĂ€chst vorwarfen âto spoil the marketâ , da sie als „alliĂ©s des faibles“ die herrschende soziale Ordnung unterminierten, weil die am meisten UnterdrĂŒckten in ihnen Verteidiger ihres Wunsches nach Emanzipation sahen. Sie öffneten die Schulen fĂŒr Alle , kĂ€mpften gegen die exklusiven Kultgesellschaften der Duala Aristokraten und predigte die Gleichheit der Menschen vor Gott. Die Chefs arrangierten sich mit der Situation, manche lieĂen sich von Saker taufen. „La religion chrĂ©tienne devint Ă la mode“. (22)
Die Siedlungsstruktur von Cameroon-Stadt, Abbild der Konfliktlinien unter den Duala Familien
Roland Daus beschreibt die Siedlungen anschaulich:
“ Oberhalb eines matschigen Strandes und eines rutschigen Steilhangs zog sich eine Kette von HĂŒtten entlang. (166) Schon die ersten Chronisten stellten verblĂŒfft fest, dass die Ansiedlung âCameroonâ ein seltsames Konglomerat von âseveral townsâ darstellte. Eine unĂŒbersichtlich groĂe Anzahl von Duala-Sippen hatte jede fĂŒr sich ein StĂŒckchen KĂŒstenlinie gesichert, den je nach Gezeiten unterschiedlich breiten Strand, ein StĂŒck der Böschung, wo man seinen Landesteg benutzte und bewachte, und dahinter einen schmalen Streifen Land auf dem Plateau, wo die Felder des Clans lagen, den die Sklaven bearbeiteten. Jede Einzelsippe grenzte sich von ihren Nachbarn durch eine Palmenreihe und eine undurchdringliche Pflanzenmauer ab â denn unablĂ€ssig kam es zu blutigen Fehden, sobald ein reicher WĂŒrdentrĂ€ger starb und seine Erbschaft verteilt werden musste. Man kooperierte und man bekĂ€mpfte einander. Im Prinzip konnte jede Sippe sich verhalten, wie sie wollte. Ausschlaggebend war das jeweilige Oberhaupt. Und nach ihm waren diese Elementarteile von Siedlungen auch benannt (169/70)“, etwa „Bell Town“ oder „Aquastadt“ (Akwa-Stadt, in „Die deutschen Kolonien“ Carl Hessler 1894).
Eine dieser Siedlungen war „Deido„, eine Abspaltung des Akwa-Klans. Der Name soll von einer britischen Corvette HMS Dido ĂŒbernommen worden sein, die davor auf Grund lief. Jahrhunderte lang ankerten die Schiffe nur in der Mitte des sehr flachen Flusses. Die Waren wurden im Pendelverkehr mit Pirogen ans Ufer geschafft oder dort abgeholt. Einer urbanistischen Studie aus Duala („SynthĂšse Douala“, 2016, p.45) entnehme ich: Ein beherzter junger Mann aus dieser Siedlung befreite den Schiffsanker, und Deido erlangte das Recht zurĂŒck, mit den EuropĂ€ern direkt zu verhandeln. Bei der Abspaltung von den Akwa war es Deido entzogen worden. .
1841 könnte die Korvette HSM Dido der Royal Navy in der Bucht von Duala Halt gemacht haben, auf ihrem Weg in den Indischen Ozean, ihr Einsatzgebiet. (Wikipedia; der Artikel erwĂ€hnt aber nicht Duala . Dido lief ĂŒbrigens spĂ€ter noch zweimal auf Grund, vor Tahiti und Peru.
Improvisierte „Hulks“ und luxuriöse Villen
Im 19.Jahrhundert verankerte man dann ausgediente Handelsschiffe in UfernĂ€he. Diese âHulksâ dienten als âschwimmende Faktoreienâ. Ihr groĂer Laderaum war ĂŒber Plankenwege leicht erreichbar. Hier konnten, quasi exterritorial, auch Verhandlungen durchgefĂŒhrt und VertrĂ€ge abgeschlossen werden.
In diesen Territorien konnte man ein paar moderne GebĂ€ude bewundern. Ein britischer Schiffschirurg notierte 1826: Einer der WĂŒrdentrĂ€ger besitze sogar schon ein Haus mit einer zweiten Etage, in der sich Möbel englischer Herkunft befĂ€nden. Und ein anderer wohne in einem groĂen Haus aus Holz in englischem Geschmack, gar nicht so stillos, das ebenfalls mit einem Obergeschoss versehen sei, dessen Fenster sogar mit Glasscheiben ausgestattet waren.“ (Daus 169) – NachgewiesenermaĂen ideal fĂŒr feucht-heiĂes Klima!
Die Duala-Aristokratie in der deutschen Kolonie Kamerun 1884 bis 1914
Der Wunsch des Deutschen Reichs, eigene Enklaven in Ăbersee aufzubauen, musste sich auf relativ unattraktive – also auf sehr arme oder sehr ungesunde oder sehr rebellische oder sehr unzugĂ€ngliche Weltregionen ausrichten. So auch auf ein sehr ungesundes tropisches Flussdelta am Golf von Guinea, das zudem von einer an den Umgang mit EuropĂ€ern gewöhnten Handelsaristokratie kontrolliert wurde . Nach Daus war im Deutschen Reich war im Grunde nur die Hamburger Reederei Woermann an diesem kolonialen StĂŒtzpunkt interessiert, um ihr Fracht- und Passagieraufkommen an der westafrikanischen KĂŒste zu erhöhen. Das Hinterland war den AuslĂ€ndern – wie gesagt – versperrt und unbekannt. (Daus, 165/66)
Der gewalttÀtige Auftakt 1884
Da unter den AuslĂ€ndern vor allem britische Kaufleute dominierten, verdankte sich der „Schutzvertrag“ 1884 mit dem Vertreter der Hamburger Reederei Woermann nur der Ausnutzung einer vorĂŒbergehenden Stimmung bei fĂŒhrenden Klanchefs Bell und Akwa. (Link zu Vertragstexten: âVoeux des Camerounais“) Der Streit von ‚King‘ Lock Priso, einem vehementen Gegner der vertraglichen Bindung an das Deutsche Reich, mit ‚King‘ Bell, dem Freund der Deutschen, steigerte sich bis Dezember 1884 zum Krieg. Die noch nicht durch internationale VertrĂ€ge abgesicherte Landnahme – wĂ€hrend der Berliner Konferenz – schien bedroht.
Zwei Korvetten des neu formierten âWestafrikanischen Kreuzer-Geschwadersâ, die „SMS Bismarck“ und „SMS Olga“ erschienen im MĂŒndungsdelta des Wuri. Ein deutsches Landungskorps vertrieb die Krieger des aufstĂ€ndischen Lock Priso aus der Siedlung Bell-Town auf der Joss-Platte, die sie ein paarTage zuvor erobert und niedergebrannt hatten.
Die SMS Olga beschoss dann mit ihren zehn Kanonen die Siedlung ‚Hickorytown‘ (Bonaberi) des King Lock Priso (K’uma Mbape) am anderen Ufer. Man steckte Siedlung und Residenz in Brand und brachte den reprĂ€sentativen Schiffschnabel ins Museum nach MĂŒnchen. Ăbrigens sind die Kriegskanus von King Bell am Tag nach dem Beschuss noch einmal zur PlĂŒnderung ausgefahren. King Lock Priso entkam und war spĂ€ter wie die ĂŒbrigen Kings an allen Verhandlungen mit den Deutschen beteiligt.
Dieser vielschichtige Konflikt zu Beginn der deutschen Kolonialherrschaft war Thema einer grĂŒndlichen Dissertation von Anne SplettstöĂer an der UniversitĂ€t Göttingen, ebenso wie dessen ‚Fortsetzung‘ in der leidenschaftlichen Kampagne fĂŒr eine RĂŒckerstattung dieses Schiffsschnabels, nach hundertdreiĂig Jahren erfolglos betrieben von einem nicht unumstrittenen Erben des Lock Priso.
Eine Literaturliste mit drei lesenswerten Studien habe ich unter dem Titel „LITERATUR zu einer Objektbiographie“ im Juli ans Ende dieses ersten Teils gesetzt. (1.8.2020)
Kurzer Blick auf die anderen Völker in der Kolonie „Kamerun“
Von den drei Jahrzehnten deutscher Kolonialherrschaft ab 1884 vergingen zwanzig Jahre mit Erkundung, militĂ€rischer Eroberung und Kontrolle der Völker innerhalb der mit GroĂbritannien und Frankreich ausgehandelten Grenzen. Aus strategischen GrĂŒnden reichten die bis an den Tschadsee im Norden und den Kongo im SĂŒdosten. Sie schlossen drei unterschiedliche Zonen ein: den tropischen Urwald und die Gebirge im SĂŒden, in der Mitte die Königreiche des „Graslands“  und in der Sahelzone islamische Herrschaften. Die Vorstellungen der Verwaltung, die Bevölkerung fĂŒr Kopfsteuern und die Fronarbeit an Pisten und Bahnstrecken und im in Plantagen zu gewinnen und dabei noch preuĂische Ordnungsvorstellungen zu verbreiten, trafen auf den Widerstand der Kolonisierten. Der Blutzoll, den diese dafĂŒr zahlten, ist bis heute vor Ort nicht vergessen, wie ich in einem Manuskript dieser Tage gelesen habe. Doch waren die Eroberung und Sicherung von Territorien ĂŒberall brutal, auch in den französischen, englischen und belgischen Kolonien.
Die Duala-Elite ist als Ansatzpunkt fĂŒr die Beurteilung der deutschen Kolonialpolitik in Kamerun jedenfalls wenig geeignet, da sie als versierte GeschĂ€ftsleute aus ihren Privilegien relativ groĂen Nutzen ziehen konnten. Das heiĂt nicht, dass sie heute auf den Opfer-Bonus verzichten wĂŒrden, den eine ‚postkoloniale‘ Stimmung an deutschen UniversitĂ€ten, Museen und in der Berliner Kulturpolitik verspricht. (Beispiel: „Unter_falscher_Flagge“ in der SĂŒddeutschen Zeitung)
Privilegien der Duala-Aristokraten als unverzichtbare Partner
Der Duala-Elite an der KĂŒste hatten die beiden deutschen Vertreter Nachtigal und Buchner im ‚Schutzvertrag‘ 1884 versprochen, dass sich an ihren Privilegien nichts Ă€ndern wĂŒrde. Das war unrealistisch, doch die Duala hatten einen gegenĂŒber anderen Völkern ĂŒberproportionalen Anteil an Verwaltungsposten.(145) Und mancher Beamte der kleinen Kolonialverwaltung suchte die freundschaftliche Beziehung. Die Verwaltungschefs gaben sich MĂŒhe, ihre Entscheidungen in geduldigen Verhandlungen den Duala Chefs zu vermitteln. Sogar im sich ab 1907 dramatische zuspitzenden Streit um Grund und Boden im ‚Hauptort‘ Duala, wie Manuela Bauche das in ihrer Dissertation betont (âMedizin und Herrschaftâ, Campus 2018).
Der Chef des Bell-Klans lieĂ seinen Nachfolger in Deutschland ausbilden, Rudolph Duala Manga Bell, und der wiederum seinen Nachfolger, welcher ĂŒber die Hinrichtung seines Vaters und den Ersten Weltkrieg hinaus dort blieb und, als Frankreich und GroĂbritannien als kĂŒnftige ‚TreuhĂ€nder‘ im Auftrag des Völkerbunds absehbar waren, sogar um den Verbleib der Kolonie beim deutschen Reich kĂ€mpfte.
Bereits die Physis der Duala war fĂŒr deutsche MonokeltrĂ€ger beeindruckend: âDen Hauptstamm an der KĂŒste bilden die Dualla; sie sind die herrschende Rasse und nehmen sowohl in körperlicher als auch in geistiger Beziehung eine hervorragende Stellung vor den anderen ein. Ihre Zahl betrĂ€gt 26000 bis 30000, sie haben eine helle Hautfarbe, sind groĂ und krĂ€ftig gebaut.
…Der Ackerbau liegt den Weibern und Sklaven ob ...â (HeĂler 1894, S.76)
So weit ging die Toleranz gegenĂŒber fremden Eliten, wenn man auf deren UnterstĂŒtzung angewiesen war! („Indirect Rule“, vgl. Harnischfeger 2006 ĂŒber Briten und Fulbe in Nigeria! LINK)

Duala Manga Bell in einem Salon seiner Residenz in Bell-Stadt. Verfasste er vielleicht gerade eine seiner Petitionen an den Deutschen Reichstag in Berlin gegen die EnteignungsplÀne der Kolonialverwaltung ?

„Die Residenz von Rudolph Manga Bell, sehr fremdartig durch ihr asiatisches Aussehen, wurde 1897 durch seinen VorgĂ€nger Auguste Manga Ndoumbe errichtet und beherbergt seit 1936 drei GrĂ€ber.“
Kirche und Gesellschaft (nach RenĂ© Bureau pp.23 – 35)
Nach der Kongo-Konferenz 1885 erschienen 1890 deutsche katholische Pallotiner â als dĂ©tenteurs de la force supĂ©rieure – zusammen mit deutschen Beamten, MilitĂ€rs und Kaufleuten. Man sah sie bald als deren enge VerbĂŒndete mit gleichen Zielen, etwa dem Kampf gegen angeblich ‚barbarische‘ Institutionen (institutions jugĂ©es âsauvagesâ 23f. ) Das galt mehr oder weniger auch fĂŒr die protestantische ‚Basler Mission‘ ab 1886 . Die hatte zunĂ€chst schwer gelitten: „Das Klima ist fĂŒr EuropĂ€er besonders an der KĂŒste gefĂ€hrlich. Die Baseler Mission hatte anfangs einen Verlust von etwa 30 Missionaren und nach drei Jahren aus dem tief versunkenen Volk erst 159 Christen gewonnen ( Dr. K. Heilmann: „Die ĂuĂere Mission“ 1925)
Aber die Pallotiner agierten auch gegen MiĂbrĂ€uche auf Seiten der Verwaltung und der Duala- Chefs. Das machte ihre Position ambivalent (ambiguĂ©) was aber nicht wahrgenommen wurde. (24)
Die damals einsetzende massive Bekehrungswelle, wie sie in der Kirchengeschichte ohne Vorbild war (conversion massive rarement vu lâĂ©quivalent dans lâhistoire de lâĂglise) grĂŒndete sich auf verschiedene Faktoren, vor allem auf den Schulbesuch im Rahmen eines Internats, statt das Heidentum der Erwachsenen frontal anzugreifen, denen das Fundament westlicher Kultur (soubassement de culture occidentale) fehlte. Diese strategische Ausrichtung entprach den WĂŒnschen der Eingeborenen, die von der science des Blancs profitieren wollten, und sei es nur, um als Kaufmann sich nicht mehr ĂŒbervorteilen zu lassen. (26) Auch Verwaltungsstrafen fĂŒr die Eltern âunterstĂŒtztenâ den regelmĂ€Ăigen Schulbesuch. (27)
Doch um 1900 waren die Missionare desillusioniert ĂŒber die soziale WirkmĂ€chtigkeit der Schule. Die Missionsstationen sollten nun autarke Anziehungspunkte werden. Und man erkannte, dass fĂŒr christliche Ehen auch christlich erzogene MĂ€dchen gehörten, die aber normalerweise bereits von den Eltern gegen ein Brautgeld ( „dot „) versprochen waren; die FĂ€lle nahmen aber ab. (28)
Mit der Sekundar-Ausbildung am Priesterseminar konnte man in Duala u.s.w niedrige Verwaltungsjobs ĂŒbernehmen. Im ĂŒbrigen erwarb man Sozialprestige in der eigenen ethnischen Gruppe (33)
Nun spielten die Pallotiner groĂ auf mit massenwirksamen gregorianischen Messen (35) Der Stil Saint-Sulpice (verkitschte europĂ€ische Kirchenkunst > Alain Couturier „Sacred Art“ LINK ) verdrĂ€ngte den Rest an Art NĂšgre gĂ€nzlich (35) im Gebiet der Duala.
Die Verachtung der Pallotiner fĂŒr die traditionellen Riten (diabolique) und Gesellschaften (femmes comme des chĂšvres) trug FrĂŒchte. Die medicine-men gerieten an den Rand, ihre traditionellen Methoden in Vergessenheit (33). Als Abweichler galten nun die verbliebenen Heiden. Die Mission verbot die TĂ€nze, erlaubten nur noch guĂ©risons par les plantes (Heilpflanzen). Doch diese Abgrenzung gelang mangels Kenntnissen nicht (80f.) Die deutsche Kolonialjustiz brachte in einem Klima verbreiteter Christianisierung die institutionelle Initiation des ‚Jengu‘ und seine Praktiken entschlossen (HĂ€ngen fĂŒr rituelle Morde, Verfolgung der ‚Fetischisten‘) zum Verschwinden. Der Glaube an Sirenen (‚mengu‘) schien verschwunden. RenĂ© Bureau hat selber um 1958 nur noch Reste erlebt, da fĂŒr die Mission der Wassergeister-Jengu-Kult das âdiabolischste Elementâ des Heidentums gewesen war (78). Man verurteilte etwas, das man nicht verstand. Denn Konvertiten sahen das EnthĂŒllen des Geheimnisses als todbringend an.
Zwei ökonomische Kolonialerfolge beschĂ€digten die traditionellen gesellschaftlichen Beziehungen noch weiter: Der aufkommende kommerzielle Fischfang rationalisierte zum Teil die an das rituelle Leben geknĂŒpfte TĂ€tigkeit, und die weite Verbreitung der Geldwirtschaft brachte das System der „circulation des cadeaux, den „Kreislauf der Geschenke“ in der Gesellschaft, in Unordnung (81f.).
Die französischen katholischen Missionare konnten in Kamerun nach dem Abzug der Deutschen ’starke Gemeinden‘ ĂŒbernehmen. Sie arbeiteten in Gabun bereits mit denselben Methoden und (30f.)
Konflikt um das deutsche Projekt einer modernen Kolonialstadt
Die ersten fĂŒnfzehn Jahre hatten die Deutschen ihre privaten und öffentlichen GebĂ€ude zwischen die von befreundeten Duala Kings auf die Uferböschung gebaut. 1907 waren es erst vierhundert EuropĂ€er zwischen zwanzigtausend Afrikanern, die meisten aber als ArbeitskrĂ€fte zugewandert. Im halben Jahrhundert zuvor hatten englische Missionare mit ihren WerkstĂ€tten es von den Hulks gerade mal auf den Strand geschafft. Ab 1907 löste das lange verschobene Projekt einer Kolonialstadt und eines „Welthafens“ auf dem Grund und Boden der fĂŒhrenden Duala-Klans Bell und Akwa einen Konflikt aus, der am 8. August 1914 – fĂŒnf Tage nach der KriegserklĂ€rung des Reichs an Frankreich – in Douala mit der Hinrichtung des Rudolf Duala Manga Bell, Oberhaupt des Klans Bell, und seiner SekretĂ€rs Din wegen „Hochverrats“ endete. Bereits wenige Monate spĂ€ter wurden die Deutschen von den konkurrierenden KolonialmĂ€chten aus Douala und Kamerun vertrieben.
1920 bis heute
In den zwanziger Jahren setzte die französische Kolonialverwaltung den Plan spezieller GeschĂ€fts- und getrennter Wohnviertel in der Kolonialstadt Douala durch, so wie auch die Errichtung eines modernen Hafens auf den traditionellen Wohnsitzen der Duala-Klans am Flussufer. Als GrundeigentĂŒmer der neuen Afrikanersiedlungen im ihnen zugewiesenen Hinterland (New Bell, Daus p.198ff) machten sich die Duala als immer kleinere Minderheit inmitten von Zuwanderern aus dem Landesinneren, vor allem Bamileke, keineswegs beliebt. Manche ihrer Mieter und PĂ€chter sagten, sie hĂ€tten ihre SklavenhĂ€ndler-MentalitĂ€t nicht geĂ€ndert.
Eric de Rosny erzĂ€hlt in „Die Augen meiner Ziege“ (30f.) eine dafĂŒr bezeichnende Episode:
„Die Duala und ihre Anverwandten, die Uferbewohner des Wuri und die KĂŒstenbevölkerung beĂ€ugen voller Fiurcht die freidliche Invasion der Bamileke, die schon die HĂ€lfte der Stadt okkupiert haben. Und letztere werfen den duala vor, ihre GrundstĂŒcke zu exorbitanten Preisen zu verpachten. Die Leistung, die beiden Gemeinschaften in einer Kirche zu vereinen und bei den GesĂ€ngen abwechselnd das erste Lied auf duala, das folgende auf bamileke und so fort zu singen, kann dem Pfarrer gar nicht hoch genug angerechnet werden.“
Ăbrigens erschien in den zwanziger Jahren Literatur, die das Bild der deutschen Kolonialzeit wieder aufhellte, eine Form des antikolonialen Widerstands, manchmal sogar Nostalgie. Denn die Fremdherrschaft dauerte noch vierzig Jahren (Vgl. „Spuren und Erinnerungen“ APuZ). “ Vorkoloniale „jengu“-Rechtsprechung und deutsche Kolonialjustiz bekamen beide den Ruf einer justice efficace (Bureau 94) . Auch im Bereich Erziehung und Bildung entstand bei den Ălteren eine nostalgische Einstellung zugunsten der Deutschen (ebd.90).
 „Dechristianisiertes“ Christentum und die Wiederentdeckung unsichtbarer MĂ€chte
In dieser Generation tauchte das ‚Heidentum‘ inmitten des siegreichen Christentums wieder auf, vor allem unter den ausgebildeten modernen ‚ĂvoluĂ©s ‚(36ff.) Die folgenden kurzen Zitate beschreiben diese EnttĂ€uschung:
„Die erwartete Macht der Religion der WeiĂen ist nicht angekommen!“ Jedenfalls haben wir nichts davon erhalten. „Das ‚Geheimnis‘ der WeiĂen haben wir nicht gelĂŒftet!“ (âLa puissance attendue de la religion des Blancs nâest pas venue …Le âsecretâ des Blancs nâest pas percĂ© ; 36)
In der unsicheren sozialen Lage erfĂ€hrt man ein Wertvakuum (37) und eine ‚unheilbare kulturelle Enteignung‘, „une dĂ©possession culturell irrĂ©mĂ©diable“ (39). „Avec les Blancs lâargent est devenu notre Dieu.“ „Mit den WeiĂen ist das Geld unser Gott geworden“. (38)
Wer ist dann aber christlich in den Augen der ĂŒbrigen? Derjenige, der die Tradition verlassen hat. („Celui qui a abandonnĂ© les coutumes“, 44 Anm.)
Christen in Kamerun leben zwei parallele Leben ohne Verbindung. Bureau fragt sich, warum bis auf zwei Ausnahmen (Native Church Duala, Eglise nationale Ngumba) keine ‚afrikanisierten‘ Freikirchen entstanden sind – wie sie von Ghana bis zum Kongo verbreitet sind. (41) Er erklĂ€rt sich das mit den strikten Anforderungen des deutschen Katholizismus, der frĂŒhen Beförderung einheimischer Priester auf höhere Posten und mit den relativen politischen Freiheiten der Kameruner unter dem Statut des Mandatsgebiets (42).
AuffĂ€llig und typisch fĂŒr die Krise ist das Wiederaufleben und die Ausbreitung von „Hexerei“ (sorcellerie). Ist das nun eine De-Christianisierung wie im Westen? Haben die KĂŒstenbewohner Kameruns die europĂ€ische Kirchengeschichte im Schnelldurchgang durchlebt (44),wie RenĂ© Bureau behauptet?
Weitere afrikanische Praktiken treten allmĂ€hlich an die OberflĂ€che: die Initiation in traditionelle ‚GeheimbĂŒnde‘, die Kulte der Wassergeister (cultes des esprits de lâeau) etc.. Anfangs holen sich die KĂŒstenbewohner UnterstĂŒtzung bei den Feticheurs der weniger entwickelten Nachbar-Ethnien. GroĂen Erfolg haben auch aus Europa importierte magische Praktiken, kolportiert von âMagiernâ, die bereits Werbung fĂŒr ihre ‚Praxis‘ plakatieren. (42). In Duala existieren fĂŒr Ratsuchende zwei Medizinen nebeneinander (84).
Da die sozialen Institutionen (wie Heiratsregeln) sich langsamer wandeln als religiöse und kultische, sind sie von diesen Entwicklungen weniger betroffen. Die Generation der Konvertiten zum Christentum hĂ€lt daran zĂ€h fest, zum Leidwesen ihrer Kinder, die noch immer nicht frei heiraten dĂŒrfen (‚dot‘) (43)
Die frĂŒher homogene tribale Kultur der Duala individualisiert sich. (51) – Was das im praktischen Leben bedeutet , zeigt der Erfahrungsbericht des Jesuiten und Ethnologen Eric de Rosny „Die Augen meiner Ziege“ (1996, dt. 1999 Edition Trickster) hautnah auf ĂŒber dreihundert Seiten.
Eine Sehnsucht nach Tradition fĂŒhrt seit den 30er Jahren auch zu Formen der Folklore. Die  bescheren einigen Individuen immerhin diverse Posten und WĂŒrden. Die fĂȘtes traditionelles bleiben steril. (88-91) Gesten der Vergangenheit. Die Riten von heute zeigen nicht mehr Wirkung, haben nur noch Bedeutung, der Glaube daran scheint zu fehlen. (82). Man wĂŒrde gerne glauben. Und man möchte den WeiĂen die Wiedereroberung des verlorenen patrimoine, des gemeinschaftlichen Erbes demonstrieren. (83)
Als Art soziologisches Gesetz formuliert René Bureau: Anpassung an die fremde Kultur auf manchen Gebieten erzeugt einen umso stÀrkeren Widerstand auf anderen Gebieten.
„SAWA“-IdentitĂ€t
Nach dem Zweiten Weltkrieg streben die Duala nach einer gröĂeren und politisch einflussreichen Einheit mit sprachverwandten Völkern der KĂŒstenregion, sie bekennen sich ĂŒbergreifend als „Sawa „und veranstalten seit 1949 fĂŒr die öffentliche Sichtbarkeit das jĂ€hrliche Ngondo-Festival im Stadtteil Deido in Duala am Wuri mit berĂŒhmten Kanu-Regatten, zunĂ€chst am Termin des „Schutzvertrages“ von 1884, bis man das Fest aus der Regenzeit in den Dezember verlegte. Die mit bunten AufsĂ€tzen geschmĂŒckten langen Pirogen zieren heute jeden Tourismus-Prospekt. In ihnen leben die Kriegskanus der alten Duala-Eliten wieder auf. Auch das tradierte Ngondo-Ritual zur BesĂ€nftigung der Flussgötter ist nicht vergessen, aber spielt gegenĂŒber dem sportlichen und gesellschaftlichen Ereignis eine Nebenrolle.
Manu Dibango, der berĂŒhmte Saxophonist aus Duala, lĂ€sst sich 1990 in dem TV-PortrĂ€t âSilencesâ als Beobachter eines solchen Bootsrennens filmen und macht die Piroge zur Metapher seines Welterfolgs: :
Câest par la pirogue que mon pĂšre est venu d‘ un village quarante kilometres de Duala et par un plus grand pirogue jâai parti plus tard toujours en traversant les ocĂ©ans,…
„In der Piroge kam mein Vater aus einem Dorf vierzig Kilometer von Duala und auf einer gröĂeren Piroge bin ich spĂ€ter losgezogen und habe wieder und wieder die Ozeane durchquert….“
Seit der UnabhĂ€ngigkeit iassen immer mehr Zuwanderer aus dem Inneren die Megapolis Duala explosiv wuchern und bislang alle Stadtplanungen zu Makulatur werden. Jede neue Verkehrsachse wird zum Ausgangspunkt neuer wilder Ansiedlungen. WĂ€hrend der ersten Jahrzehnte nach der ‚UnabhĂ€ngigkeit‘ hat sich ‚Duala‘ als unzerstörbarer Gegenpol der Diktatur in YaundĂ© profiliert. Roland Daus zeichnet die Logik einer freiheitlichen Anarchie begeistert nach. Das entsprechende Kapitel seines Buches betitelt er in diesem Sinne „Die StraĂen von Duala“.
Die Duala von heute sind in die stĂ€dtischen und die lĂ€ndlichen Duala aufgeteilt. Jene, die in den StĂ€dten leben, vor allem in Duala selbst, verdienen den Lebensunterhalt zumeist in verschiedenen gelernten und ungelernten Berufen. Viele Duala besitzen immer noch Teile der Stadt, was es ihnen erlaubt, von den Mieten und Investitionen zu leben. Die lĂ€ndlichen Duala arbeiten im Gegensatz dazu als Fischer und Bauern, zumeist auf der Ebene der Subsistenzwirtschaft. Die Fischerei ist die ‚TĂ€tigkeit ihrer Wahl‘. (Victor Julius Ngoh, 1996 in en.wikipedia.org)
 Fortsetzung folgt (LINK)
 Literatur
- „Banlieue â FreirĂ€ume in aussereuropĂ€ischen GrossstĂ€dten“ von Ronald Daus (emeritierter Kulturwissenschaftler an der FU Berlin, *1943; Babylon Metropolis Studies, Ursula Opitz Verlag, Berlin 2003, um 28âŹ) bietet im Kapitel âDualaâ auf hundert Seiten einen urbanistischen LĂ€ngsschnitt durch die Geschichte des Territoriums der âDualaâ bis ‚heute‘, worin auch der Konflikt mit der âSchutzmachtâ Deutsches Reich âurbanistischâ geerdet wird.
- Der Eintrag „Duala People“ in wikipedia.eng ist als Einstieg, Ăberblick und wegen seiner Quellenangeben empfehlenswert
- Bongfen Chem-Langhéé (YaoundĂ©, Editor + Introduction), Ralph A. Austen (Duala), Jean-Pierre Warnier u.a. :âSlavery and Slave-Dealing in Cameroon in the nineteeth and early twentieth Centuryâ
- 2iĂšme AtĂ©lier International de MaĂźtrise d’oeuvre urbaine de Douala Document du Contexte <DOUALA Ă MULEMA> Nov. 2016, www.ateliers.org, 75 pp.,pdf download Abbildungen, historische StadtplĂ€ne, Geografie, Geschichte, Gegenwart; PortrĂ€ts von Plateau Joss und Deido – diskreter und planungs-optimistischer als Daus
- Weitere Wikipedia EintrÀge: H.M.S.Dido, Korvette, Alfred Saker in Cameroon, SMS Olga, Max Buchner (Mediziner), Gustav Nachtigal, u.a.
- Manuela Baucheâs Dissertation âMedizin und Herrschaft: MalariabekĂ€mpfung in Kamerun, Ostafrika und Ostfrieslandâ …. (Bauche) â Militante âPost-Kolonialistenâ (âRassismusâ allenthalben) sollten vielleicht die hier aufscheinende ParallelitĂ€t zwischen Innerer und Ă€uĂerer Kolonisation einbeziehen.
- RenĂ© Bureau „Le peuple du fleuve – Soziologie de a conversion chez les Douala“, (Ăditions KARHALA, Paris 1996), besonders das Kapitel 1. âSociologie de la conversion des cĂŽtiers â Les phases historiques de la conversionâ. Der Ăbertritt zum Christentum seit 1843
   Â
   Eric RenĂ© de Rosny: „Die Augen meiner Ziege – Auf den Spuren afrikanischer Hexer und  Heiler“,   deutsch Edition Trickster im Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1999
- Carl HeĂler: âDeutsche Kolonien. Beschreibungen von Land und Leuten unserer auswĂ€rtigen Besitzungenâ ( mit 61 Abb.; Verlag Georg Lang, Leipzig 1894
- Â Sonderheft „Deutsche Kolonialgeschichte“ von APuZ 40-42/2019 kostenlos oder pdf):
- Albert Gouaffo und Richard Tsogang Fossi âSpuren und Erinnerungenâ im
- Caroline Authaler: âDas völkerrechtliche Ende des deutschen Kolonialreichsâ (APuZ 40-42/2019 S.4-10kostenlos) â Reaktionen darauf in Deutschland, in Kamerun und international
- Barbara J. Heuermann : DER SCHIZOPHRENE SCHIFFSSCHNABEL: BIOGRAPHIE EINES KOLONIALEN OBJEKTES UND DISKURS UM SEINE RĂCKFORDERUNG IM POSTKOLONIALEN MĂNCHEN, LMU MUNICH, Vol 17 Working Papers in Social and Cultural Anthropology, LMU MUNICH, Vol. 17 (LINK zum pdf)
- darin zitiert:Â Harter, Pierre. 1960. Les Courses de Pirogues Coutumieres chez les Duala ou Pembisan a Myoloo Duala. Recherches et Ătudes Camerounaises (1): 71-77.
ERGĂNZUNGEN im JULI 2020 – Die Ergebnisse sind nicht in den Text eingearbeitet, aber sie laden zur Vertiefung des VerstĂ€ndnisses ein!
- Anne SplettstöĂer :  Ein Kameruner Kulturerbe? 130 Jahre geteilte Agency: Das Netzwerk Tange/Schiffschnabel in Stefan Groth, Regina F. Bendix, Achim Spiller (Hsgb.), KULTUR ALS EIGENTUM, Göttingen University Press, 2015 ( als schönes 460 S. Taschenbuch 40⏠)
- Anne SplettstöĂer : splettstoesser_umstrittene sammlungen – Vom Umgang mit kolonialem Erbe aus Kamerun in ethnologischen Museen , Göttinger Studien zu Cultural Property, Band 15, UniversitĂ€tsverlag Göttingen 2019, Dissertation, 403 S. (20 MB; als schönes Taschenbuch 40⏠)
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EIN LESERBRIEF (LEIDER)Â PER EMAIL
Von: Heinrich LĂŒbke (der Redaktion bekannt)Â Â Â Â Â Â Betreff: Duala 1. TEIL Â Â 8.MAI 2020Â Â Nachrichtentext:
Lieber Detlev,
Gerade wenn man wie ich in auĂereuropĂ€ischer Ethnologie nicht bewandert ist, bereitet es VergnĂŒgen, sie zu lesen. Habe zwei halbe Nachmittag damit verbracht, in denen ich viel Neues erfahren habe.
Deshalb folgen jetzt VerbesserungsvorschlĂ€ge, um sie zu optimieren. Es geht nicht um GrundsĂ€tzliches, auch wenn es unten mal so klingt. Ist es aber nicht: eher so Stimmungen, die sich eingeschlichen haben und die ich vermeiden wĂŒrde.
Kameruns Geschichte. Hier ist das Zusammentragen von Material teilweise wichtiger als die Lesbarkeit. Die ist auch gegeben, sonst hÀtte ich es ja nicht gelesen, aber sie könnte besser sein. Es geht einem so ein bisschen wie bei einer Doktorarbeit, bei der in den ersten 50 Seiten die Quellen zitiert werden, die Methode erlÀutert wird usw. Danach fÀngt die Diss meist erst an.
Die Grundfabel dessen, was erzĂ€hlt wird: Nicht nur die Deutschen waren Ganoven, sondern auch die EnglĂ€nder, Franzosen, Belgier, vor allen Dingen die Duala. Eine unangenehme Mischpoke, die jeweils einen Vorteil aus ihrer Mittlersituation zu ziehen versuchte.  Das ist ja nun mal keine besonders aufmunternde Ambivalenz – keine Helden nirgends. Kennt die Geschichte nicht, aber irgendwie scheint das Geschilderte auf den ErzĂ€hler, also dich, abgefĂ€rbt zu haben. Die Bildunterschrift zu König Bell klingt fast schon hĂ€misch. Die Kings waren wahrscheinlich mafiöse Paten, aber dadurch gewinne ich beim Lesen das GefĂŒhl: aha, es geht hier um Restitution und IdentitĂ€t. Nach der Kolonial-Geschichte–die wie sagt man: imperialistischen GroĂmĂ€chte haben zunĂ€chst einmal ihre geschrieben–folgt die der afrikanischen selbstbewussten Nationen. Die stimmt aber auch nicht, weil da einige Leichen im Keller sind. Die Pfarrer und wenige junge Forscher haben in den letzten Jahren dem etwas entgegen gesetzt.  Wahrscheinlich ist es so, dass nicht nur die Pfarrer, sondern auch du damit zwischen allen StĂŒhlen sitzt. Wer will sowas hören? Wer ist der Leser von diesen Texten, an wen richten sie sich? (….)
Man kann die Grundfabel auch anders lesen, sowie das Thackeray oder andere in ihren Geschichten ĂŒber die englische Gesellschaft getan haben: deren Protagonisten waren zwar Blender und knallharte Ganoven und Ganovinnen, aber sie hatten was.    Mit diesen staatstragenden Worten möchte ich schlieĂen,
Heinrich liebe Damen, liebe Herren, liebe N(….) LĂŒbke