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âDemokratisierung und Islamisches Rechtâ : Johannes Harnischfeger analysierte 2006 nicht nur den âScharia-Konflikt in Nigeriaâ 2002
Kursiv gedruckte Wörter und SÀtze sind Originalzitate aus der Studie
Die Studie ist zu Recht in der Reihe âStudien des Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschungâ (Band 51, im Campus-Verlag) erschienen und nicht in einer Reihe der Afrikanistik oder Ethnologie, auch wenn sie detailliert und anschaulich VerhĂ€ltnisse und Historie vor allem des postkolonialen Staates Nigeria schildert.
Sie regt zu grundsĂ€tzlichen Fragen an – zur Sicherheitslage wie zur Innenpolitik – und sollte vor allem der âlinkenâ politischen Ăffentlichkeit in Deutschland zu denken geben. Man denke nur nicht, dass alles halb so schlimm sei, da der âScharia-Konfliktâ nun bereits sechzehn Jahre alt ist und das System âNigeriaâ immer noch recht und schlecht funktioniert!
Trotz klarer Struktur, allein aufgrund seiner FĂŒlle an Informationen, lassen sich die einzelnen Aspekte der Problematik kaum isolieren. Ich habe drei Themen ‚filettieren‘ können: 1. Die historische Islamisierung der Region ist bereits im Netz (in âHeidenmissionâ, Link), 2. die kolonialen Wurzeln des aktuellen politischen Grundkonflikts, 3. die Ăbertragung der Ăberlegungen Harnischfegers auf Europa und seine Probleme mit dem Islam.
Wer es schafft, sollte das Buch im Original lesen. Es ist eine der Studien, die man nicht so leicht vergisst. Empfehlenswert ist aber auch der 2012 veröffentlichte schlanke Aufsatz Harnischfegers zum âBoko-Haram-Aufstand in Nigeriaâ ( in Leviathan Nr.4 unter dem Titel âRivalitĂ€t unter Elitenâ Link zum pdf . Ab 21.11. Link zu einem sehr harten ARTE -Feature (2016) – bis 19.12.
Seit 1993 hat Harnischfeger die Entwicklung im Lande selbst verfolgt. Leider verstarb er bereits 2015.
Eine Passage in der Einleitung (33) wirft ein Licht auf die KomplexitĂ€t seiner Methode, vielleicht auch auf die BefĂŒrchtungen mancher Informanten:
Mein VerstĂ€ndnis der Ereignisse ist vor allem durch GesprĂ€che mit Informanten geprĂ€gt; fĂŒr die Leser dieser Studie habe ich jedoch versucht, die politischen und religiösen Ăberzeugungen der Akteure durch Zitate aus Zeitungen, religiösen Traktaten und wissenschaftlichen Artikeln deutlich zu machen. Die vielen Hinweise auf aktuelle Quellen dienen zugleich dazu, eine Art Chronologie der politischen Ereignisse zu erstellen.
In meinem antiquarischen Exemplar lag erfreulicherweise eine Kunstpostkarte mit eigenhÀndiger Widmung des Verfassers an die Vorbesitzerin.
 Liebe S(..), das Scharia-Buch, mit dem ich mich so lange abgemĂŒht habe, ist endlich erschienen. Die Idee, mich mit dem Thema zu beschĂ€ftigen, kam mir im Tangaleland, als mir immer wieder von den religiösen Auseinandersetzungen erzĂ€hlt wurde. Die Tangale und Jukun werden aber in dem Buch nur kurz erwĂ€hnt; es geht nicht so sehr um die Konflikte im Middle Belt, sondern um die politische Krise, die zur EinfĂŒhrung der Scharia fĂŒhrte. Falls dich noch interessiert, was in den letzten Jahren passiert ist, findest du in dem Buch einen ganz guten Ăberblick.
Beste GrĂŒĂe    Johannes
DER KONFLIKT UND SEINE WURZELN
Das britische System der âindirekten Herrschaftâ in Nigeria legte die Wurzeln zum Konflikt.
Damit arbeiten wir das Thema der historischen Verantwortung Europas, genauer der britischen Kolonialherren, gleich zu Beginn ab. Wir wissen doch: Kurzsichtige Einmischung und profitable GeschÀfte setzen sich bis zum heutigen Tag fort.

Harnischfeger.Scharia-Konflikt.Abb.1 – vorherrschende und andere Ethnien. Auch der ‚Middle Belt‘ zwischen Nord und SĂŒd ist gut erkennbar.
Ich muss leider ein paar liebgewordene Vorurteile ĂŒber das System der âindirekten Herrschaftâ, das Patentrezept des britischen Kolonialismus â wohlgemerkt auĂerhalb der fĂŒr weiĂe Siedler vorgesehenen Kolonien – aufgeben.
Als britische Truppen 1902/03 den Norden Nigerias besetzten, trafen sie auf wenig Widerstand, schreibt Harnischfeger im Kapitel Der Islam als StĂŒtze des Kolonialsystems. Nicht einmal in Sokoto, dem Zentrum des Fulani-Reiches, schien die Bevölkerung bereit, die islamische Obrigkeit zu verteidigen. Die Briten knĂŒpften jedoch aus pragmatischen GrĂŒnden ein BĂŒndnis mit der bisher herrschenden Fulani-Aristokratie und zementierten deren religiöse und ethnische Vorherrschaft ĂŒber die frĂŒher unterworfenen und teilweise versklavten Völker.
Und die britischen Motive fĂŒr die Konservierung der MachtverhĂ€ltnisse?
Erstens Personal- und Geldmangel bei der expandierenden Kolonialmacht. (50) In den Fulani-Emiraten gab es eine funktionierende Administration, der die Bevölkerung Steuern zahlte und deren Anordnungen sie befolgte. Das muslimische Recht (Scharia), das in recht eindeutiger, schriftlich fixierter Form vorlag und von einem effektiven Justizapparat angewandt wurde, lieà sich bequem in das Kolonialregime integrieren. (48f)
Unter den Völkern der MinoritĂ€tengebiete waren die Briten unwillkommen (âEach petty chief is a passive resisterâ Zitat: H.L. Norton-Traill). Daher war es oft bequemer, âbefreundeteâ Fulani als Distrikt- und Dorfvorsteher einzusetzen. (50)
Ein rassistisches Vorurteil kam hinzu: âWe feel that the Fulani and the English races have much in common. Both have a long experience and special aptitude for administering their own and other peopleâs affairs.â (Oberleutnant Beddington 1934). Man teilte deren Verachtung fĂŒr die âunzivilisierten HeidenstĂ€mmeâ. (55).
Das Kolonialregime machte bis zum Ende der Kolonialzeit vom erklĂ€rten Anspruch kaum Gebrauch, anstöĂige Teile der Scharia auĂer Kraft zu setzen. Abgesehen von Amputationen und anderen harten Körperstrafen duldete man fast alle islamischen Rechtspraktiken, auch wenn sie europĂ€ischen Vorstellungen von Gerechtigkeit zuwiderliefen, zum Beispiel in den Beweisregeln. Man nahm billigend in Kauf, dass Nichtmuslime â Frauen ohnehin â in Verfahren und StrafmaĂ massiv diskriminiert wurden. Die Kolonialverwaltung institutionalisierte also in den Emiratsgebieten den inferioren Status der Nichtmuslime. (50) Ihre Beamten bevorzugten auch im Middle Belt die Fulani-Mitarbeiter in der Verwaltung gegenĂŒber den alteingesessenen WĂŒrdentrĂ€gern. (52)
Da man religiös motivierte Unruhen wie im Sudan auf jeden Fall verhindern wollte und die Fulani-Herrscher sich in ihrem Vielvölkerreich nur religiös legitimierten, sperrte die Kolonialverwaltung die meisten Emiratsgebiete fĂŒr christliche Missionare von Anfang an: ‚Whatever threatened the Mohammedan religion threatend the authority of the Emirs and so emperilled (‚gefĂ€hrdete‘) the organisation of ‚Indirect Rule‘. (Stellungnahme des Kolonialministeriums 1917). In vielen StĂ€dten des Nordens hat sich bis heute die Praxis erhalten, dass Kirchen nur in den Randgebieten entstehen dĂŒrfen. (53)
Da verwundert es nicht, dass Ahmadu Bello, der politische FĂŒhrer der Nordregion in den fĂŒnfziger Jahren, verkĂŒndete, die Briten seien âein Werkzeug des Schicksalâ und ihre Eroberung Nigerias âerfĂŒllt den Willen Gottesâ. FĂŒr die Ausbreitung des Islam war der Kolonialismus in der Tat ein GlĂŒcksfall, nicht nur in Nigeria, sondern auch in anderen Teilen Westafrikas. (52)
Das Ergebnis: Der Schulbesuch war gering: Gegen Ende der Kolonialzeit besuchten in Nordnigeria nur 185.000 Kinder die Primarschule, im SĂŒden dagegen 2.3 Millionen. Noch 1994 warnte der Sultan von Sokoto die Eltern: ‚Western education destroys our culture‘. Stattdessen besuchen die Kinder Koranschulen. Bevölkerungswachstum und Analphabetismus blieben hoch. Die Regionen um Sokoto, Katsina und Bauchi (gehören) heute zu den Ă€rmsten und rĂŒckstĂ€ndigsten Gebieten Afrikas (53). – Man muss weder Islamfeind, noch bornierter EuropĂ€er sein, um den Rekurs der machtbewussten traditionellen WĂŒrdentrĂ€ger auf ‚our culture‚ fĂŒr eher zynisch zu halten.
Hingegen eigneten sich die Völker des SĂŒdens und teilweise des Middle Belt nicht nur einen westlich geprĂ€gten Lebensstil an (53), den Briten erschienen die christlichen Konvertiten bald als lĂ€stige Konkurrenz. Missionsschulen galten als BrutstĂ€tten des afrikanischen Nationalismus. (55) Das Ende der Kolonialherrschaft war seit den 1940er Jahren absehbar.
Fast unlösbar schien die Frage der Machtstrukturen bei 500 Völkern und in einer Welt von Nationalstaaten (56). Die traditionellen AutoritĂ€ten schienen zur Leitung ungeeignet und der Vorsprung der Ibo und Yoruba war groĂ: 1960 kamen 98% der Bediensteten in Bundesbehörden aus dem SĂŒden.
Die Eliten des Nordens waren bereits 1953 gegen die UnabhĂ€ngigkeit der Kolonie. Misstrauen herrschte schon vor der StaatsgrĂŒndung (57). Man gab ihnen also eine Autonome Nordregion und bewusst mehr Sitze im Parlament als der SĂŒden, um ihnen die politische Vorherrschaft zu sichern. (58) Erst 2010 kam mit Goodluck Jonathan ein gewĂ€hlter PrĂ€sident 2010 aus dem SĂŒden und spĂŒrte prompt Gegenwind.
Die ErschlieĂung der Erdölvorkommen im SĂŒden machte die Umverteilung der Einnahmen seit den 50er Jahren zum Dauerthema. Der Norden stagnierte wirtschaftlich und hing am Tropf des SĂŒdens. Er kompensierte die unaufhebbare AbhĂ€ngigkeit durch politische Erpressungsmanöver. Dazu kam die ‚islamische‘ ZurĂŒckweisung westlicher Verfassungsprinzipien, auf denen der Gesamtstaat grĂŒndete.
Das neue Staatsgebilde âNigeriaâ stand also von Beginn an unter ungeheurer Spannung. âNordenâ und âSĂŒdenâ passten wirtschaftlich, sozial und mental nicht zusammen. Dazu kamen ethnische GegensĂ€tze und Konflikte innerhalb der Bereiche. Denn ĂŒberall lebten unterworfene und majorisierte Ethnien: im Einflussbereich der Fulani kleine christlich oder âanimistischâ geprĂ€gte Völkeri, aber auch im SĂŒden, wo die Völker des ölreichen Nigerdeltas – unter der Vorherrschaft der Ibo – den Reichtum fĂŒr sich behalten wollten und sich von den Yoruba im Westen wie dem Norden abzuspalten versuchten (âBiafra-Kriegâ).
Da die Briten auch im SĂŒden kleinere Völker unter die Vormundschaft der beiden GroĂen â Yoruba und Ibo â gestellt hatten, etwa die Bini des Königreichs Benin, waren Dauerkonflikte im politische System des âsĂ€kularen Staatesâ vorprogrammiert. Die parlamentarische Verfassung versagte vor der Clearing-Aufgabe und eine MilitĂ€rdiktatur folgte der anderen. Dann finanzierten Politiker ĂŒberall Milizen, die fĂŒr ihre Klientele ethnische Konflikte gewaltsam zu entscheiden versuchten.
Die Details der ebenso unĂŒbersichtlichen wie degenerativen Prozesse findet man in wikipedia und anderswo.
David T. Doris (Vigilant Things, Seattle 2011) erlebte als junger Ethnologe den gesellschaftlichen Verfall an der Atlantik-KĂŒste in den Jahren um 2000. Meine Zusammenfassung steht in einem Blogbeitrag ĂŒber die Verwendung von Fetischen (Link) :
Was (…) tun, wenn in einer anderen Welt, dem Slum, der Favela, der Township, dem FlĂŒchtlingslager oder in der vom BĂŒrgerkrieg verwĂŒsteten Stadt Diebstahl, Einbruch, Raub und PlĂŒnderung der verbliebenen Habseligkeiten NormalitĂ€t sind? Nigeria ist in den Jahrzehnten nach der UnabhĂ€ngkeit in einen solchen Zustand abgeglitten. Die Korruption zerfraĂ das Land und verrohte den Alltag. Korruption wurde zur nationalen Institution (10), zersetzte die MaĂstĂ€be, Ă€nderte die Chemie der sozialen Beziehungen. Ein Trend zur Fortifikation verschandelte GrundstĂŒcke und StĂ€dte (11). Einfache BĂŒrger besannen sich mangels anderer Ressourcen zu ihrem Schutz auf traditionelle Hausmittel: Fetische.
Mutige Journalisten haben nicht aufgehört, Nigerias Krisen öffentlich zu machen. Harnischfeger bedient sich reichlich an ihren Artikeln, etwa, wenn er Achike Udenwa, Gouverneur eines Bundesstaats im Delta zitiert (p.167 hier verkĂŒrzt, nach: Tell, 25.3.2002, p.35):
We, the ordinary people, will expect the man at the top to be corrupt, and if the man is not corrupt, we say that the man has no senses. If Iâm standing for reelection and I come to you, you will expect me to give you money. From where do you think that I get that money?
Mit dem bislang letzten Ăbergang zur Demokratie anfang 1999 nach Jahren ’sĂ€kularer‘ MilitĂ€rdiktatoren kehrte unerwartet die Religion in die Politik zurĂŒck, mit dem Scharia-Konflikt (11).
 Harnischfeger charakterisiert die Lage folgendermaĂen:
Eine brutalisierte Gesellschaft kann aus sich heraus keine gerechte politische Ordnung hervorbringen. Christen wie Muslime stimmen darin ĂŒberein, dass die moralische Erneuerung von einer externen Kraft ausgehen muss, die durch den allgemeinen sozialen Verfall nicht kontaminiert ist. Nur die göttliche Offenbarung, die losgelöst von der korrupten Gegenwart existiert, bewahrt in sich die Idee eines besseren Lebens. (…) Politisch engagierte Christen mögen mit alttestamentarischer Strenge die Verderbtheit der Herrschenden anprangern (…) Im Gegensatz zu den Muslimen besitzen sie keine politische Vision, die sie dem bestehenden System entgegensetzen könnten (…) Der Islam (…) verspricht zugleich, das politische System von Grund auf zu erneuern. (…) Viele Muslime, die frĂŒher linkspopulistischen Parteien anhingen (….), fĂŒhlen sich heute von der Scharia angesprochen. (169-170)
Im Wahljahr 2002 kam einem Kandidaten fĂŒr den Gouverneursposten die zĂŒndende Idee, die religiöse Karte zu spielen, die EinfĂŒhrung des islamischen Rechts âSchariaâ in seinem Bundesstaat zu versprechen, ohne ernsthaft daran zu denken, damit eine grundlegende Erneuerung anzustoĂen. Der Erfolg dieses Programms beim WĂ€hler veranlasste die ĂŒbrigen Bundesstaaten des Nordens (Karte Ill.2), nachzuziehen, ohne die PraktikabilitĂ€t und den gewaltigen sozialen Sprengstoff in Betracht zu ziehen. Sogleich ereigneten sich Progrome und Vertreibungen von âchristlichenâ Zuwanderern aus dem SĂŒden, was Racheakte im SĂŒden auslöste. Undsoweiter. Lesen Sie selbst!
Die verbreitete EnttĂ€uschung ĂŒber die verlogene ‚real-existierende Scharia‘ in den nördlichen Bundesstaaten war fĂŒr die Selbstradikalisierung von Boku Haram, einer von islamischen Politikern im Norden finanzierten Miliz, verantwortlich. (Siehe Harnischfegers Aufsatz (Link) von 2011).
Nigeria ĂŒberlebt heute als ein Land in prekĂ€ren VerhĂ€ltnissen mit labiler Sicherheitslage. Durch den Krieg gegen Boku Haram droht zudem die Militarisierung als Dauerzustand.
Streiflicht auf Europas Problem mit der islamischen Minderheit
Nötig wĂ€re ein Konsens, der nicht nur auf den augenblicklichen MachtverhĂ€ltnissen beruht, schreibt Harnischfeger im Blick auf Nigeria, und fĂ€hrt fort: Das Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten mĂŒsste sich zwanglos und stringent aus den Glaubenslehren ableiten lassen, und nicht bloĂ aus Teilaspekten.
Es kĂ€me darauf an, die Herzen der Menschen zu erreichen. Die unterscheiden nicht zwischen GrundsĂ€tzen des Islam und den ĂŒberkommenen patriarchalischen MachtverhĂ€ltnissen ihrer jeweiligen Herkunftsgesellschaften. Wenn sie intellektuellen muslimischen Reformdenkern ĂŒberhaupt begegnen, gelten diese ihnen als verwestlicht, sĂ€kularisiert, vom Virus der europĂ€ischen AufklĂ€rung angesteckt, als Abweichler oder AbtrĂŒnnige, es sei denn, sie gewinnen die Anerkennung der Orthodoxie und erobern die Kanzeln der Moscheen. – Vielleicht durch staatlich kontrollierte Koranschulen, wie in der TĂŒrkei? Dem wĂ€re nachzugehen.
Und auch dann bleibt das Handicap ‚liberaler‘ Muslime bestehen, ihre Hilflosigkeit gegenĂŒber Selbstradikalisierung aus ihrer Mitte. Die schweigende Mehrheit, die auf lĂ€stige orthodoxe Forderungen listig mit Nichtbeachtung oder Umgehung reagiert, ist strategisch keine UnterstĂŒtzung. Insofern scheint es mir richtig, wenn deutsche Politik versucht, konservative VerbĂ€nde in den Dialog zu ziehen, taktisch klug, nur in der Sache leider ziemlich hoffnungslos.
In Deutschland beginnt der Grundkonflikt gerade erst, sich zuzuspitzen.
Die GrĂŒn-Alternativen (und in zweiter Linie die Linken) sind von allen guten Geistern verlassen, wenn sie einerseits die Grenzen fĂŒr Zuwanderer aus dem Orient offenhalten wollen, andererseits die Ausgestaltung individueller, sich immer stĂ€rker ausdifferenzierender z. B. ‚Gender-Rechte‘ durchdrĂŒcken und feiern. Nach ihnen sollen Grauzonen, Doppelmoral und Diskretion verschwinden, ĂŒberflĂŒssig werden. Dabei wĂ€ren gerade diese â wer hĂ€tte das vor zwanzig Jahren gedacht – eine Ausgangsbasis fĂŒr breiten Konsens und fĂŒr die ‚Integrationâ‘ der Muslime.
In den fĂŒnfziger Jahren, als in Deutschland muffige Volkskirchen und ein allgemeiner Autoritarismus herrschten, hatten die GrundĂŒberzeugungen der heute zu versöhnenden Positionen noch nĂ€her beieinander gelegen.
Glauben Sie vielleicht, dass kĂŒnftig die exhibitionistischen Christopher-Street-Day-Clowns und kurdische, afghanische Trachtentruppen eintrĂ€chtig marschieren in einem globo-brasilianischen Karnevalszug?