BOCCIO CRI-CRI ÀÀLÉ FETISH NKIS(H)I

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Suzanne Preston Blier und David T. Doris  zu einem beziehungsreichen Thema – Kurze Buchvorstellungen –

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Suzanne Preston Blier : African Vodun – Art, Psychology, and Power, Chicago & London 1996

african-vodun-cover-1996

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Seit über zwei Jahren lagern die Notizen – Beobachtungen und Schlussfolgerungen – zu einem gewichtigen Buch auf der Festplatte. (Sie behandeln das erste Drittel des Buchtextes). – Vielleicht gelingt mir wenigstens heute die Ordnung der Kerngedanken! Sie sind mir zu wichtig, um sie in ihrer gelehrten Existenzform weiter schlummern zu lassen, nicht allein wegen einschlägiger Objekte, sondern vor allem ihrer Vergleichbarkeit mit Schutz- und Schadenszauber in anderen Regionen Schwarzafrikas.

Ich habe früher mit „In Search of the Invisible Manvon Toby Green (2001) eine anfangs sehr unterhaltsame, wunderbar durchschaubare Feldstudie gelesen (treffende Rezension! Oder amazon.de ‘Blick ins Buch‘) und erhalte mit „Vodun“ dazu den überkomplexen Kontext, das Handbuch. Toby’s schlichte Versuchsanordnung fällt ins Auge, etwa die Idee, den erhaltenen Talisman (den ‚Bo’, oder ‚CriCri’ wie er in Guinea heißt) ohne ernsten Anlass auszuprobieren. Bereits die Bestellung durch einen neugierigen Weißen ist zweifelhaft. Als ob Geister sich über die lästerliche Absicht täuschen oder gar kaufen lassen würden wie offensichtlich die Hersteller solcher Fetische. Franz Josef Thiel bestätigt den Verdacht durch das Zitat eines Yansi-Heilers im Buch “Jahre im Kongo” (2001, S.188, vor 1971) :”Du bist ein Weißer – bei dir funktioniert mein Fetisch nicht.” – Die Logik: Wer dem System der Yansi nicht unterworfen ist, kann davon auch keine Hilfe erwarten. Freilich bieten sich seit längerem überall ortsfremde Zauberer marktschreierisch an. (Vgl. Strother für die Pende; Link: “Skeptische Klienten, konkurrierende Wahrsager“)

 Der Fetisch oder Talisman

Ein Mittel gegen Gefahren, über die ‚Gott’ die Individuen bereits vor ihrer Geburt informiert hat, vermittelt über Waldgeister. Er ist sehr schwierig herzustellen, wegen vieler Fehlerquellen nicht eigentlich technischer Natur, sondern auf ritueller und symbolischer Ebene. Diese Ebenen sind für den Klienten nicht einsehbar. Er muss dem Hersteller vertrauen. Er kann sich nur an dessen gutem Ruf orientieren.

‚Geheimnis’ spielt jedenfalls eine Rolle, welche ein wenig der ‚Idealisierung’ des Therapeuten im Westen entspricht. Ob es dazu passt, dass der Klient bestimmte seltene Zutaten beschaffen muss?

Erwartungen an den Talisman

Meist lassen das Gefühl der Ohnmacht und daraus die entstehende Furcht den Klienten nach diesem ‚Strohhalm’ greifen. Neben Verzweiflung sind aber auch Gier, Begierde und allgemein das unangenehme Gefühl, im sozialen Rahmen unter seinen Möglichkeiten zu leben, ein wichtiges Motiv. Der Klient macht sich Hoffnungen, mit Hilfe des Talisman über seine eigenen Kräfte und seinen eigenen Wirkungskreis hinaus erfolgreich agieren zu können, über einen Schleichweg an der sozialen Hierarchie vorbei zu kommen. Das gilt als normal, aber zugleich als „ungehörig“ (115).

 Position der Hersteller

Das führt mich zur Frage nach der ambivalenten Position der Hersteller, einer Elite neben der Machtelite. Parallelmacht – und das führt mich zu ‚checks and balances’. Was sagt die Studie über sie? Die Autorin hat die Hersteller kennengelernt. Sie kennen ihre Kunden, das Umfeld und die Spannungen darin. Müssen sie nicht auch Sanktionen fürchten und die Interventionen von Konkurrenten? Sind sie als Waffenlieferanten, Profiteure und damit Drahtzieher nicht Teil des Problems?

 Funktionsweise und Wirksamkeit

Talismane sollten wie Geräte zuverlässig funktionieren, das tun sie in einem magischen Zwischenreich aber nicht. Immerhin kann man sie bestimmungsgemäß effektiv oder tumb und wirkungslos einsetzen. Wobei sie nicht einer Sozialmoral gehorchen, sondern strikt dem individuellen Nutzen.

Was entscheidet also über ihre Wirksamkeit? Respekt und Gehorsam gegenüber dem Hersteller und den ‚guten Geistern’, die sich auf die Seite des Nutzers geschlagen haben und bereit sind, einem anderen zu schaden. Entfernt assoziiere ich die olympischen, amoralisch denkenden Götter der Ilias, die damit eigene Rechnungen untereinander beglichen.

 Talismane als symbolische und materielle Objekte

Es sind Objekte, die ihre Potenzen nicht (nur) symbolisieren, sondern materiell und roh in und an sich tragen, die sie allen Sinnen – also ästhetisch – anbieten. Die Anhäufung bestimmter Materialien sieht nach ‚Materialismus’ aus. Dass die Fon – ebenso wie andere Ethnien – die Ästhetik der Abschreckung statt eine der Verhüllung oder des unscheinbaren Zeichens (David T. Doris: Vigilant Things, Seattle 2011*) gewählt haben, wofür sie von Yoruba (z.B. in Egungun-Masken) geneckt werden, ist wohl eine Folge ihrer die Menschen in ihrem Einflussbereich traumatisierenden Sklavenhändler-Dynastie. Man darf aber bei Schutzamuletten nicht den Adressaten vergessen, dem man die Warnung unter Umständen drastisch vermitteln muss.

 Vielleicht gar nicht zum Verstehen gedacht?

Preston Blier knüpft ein enges Netz sprachlicher Bezüge. Für Bliers gedeutete Verknüpfungen steht immer ein eingeweihter oder wenigstens gelehrter Zeuge ein. Wie repräsentativ ist dieser Gewährsmann? Sind solche Bezüge dem gewöhnlichen afrikanischen native speaker wirklich gegenwärtig und nicht bloß im Sprachgewebe eingelagerte Etymologie? Sprechen normale Afrikaner wirklich ‚bewusster’ als wir? Ist diese Perspektive nicht bloß einer Reflexion auf Sprache zugänglich? Und die wird durch solche Fragen der Forscherin ja eigens angeregt. Entsteht nicht, indem man sich auf seine Sicht einlässt, nicht so etwas wie ein westliches strukturalistisches Konzept? Nach intensiver Bemühung um ein Verstehen keimt bei Preston Blier der Verdacht: Sind sie vielleicht gar nicht zum ‚Verstehen’ gedacht, was wir Intellektuellen zunächst für selbstverständlich nehmen? So leicht kann man nicht der Falle entkommen! Die Eignung bestimmter Materialien soll sich eben auf der Ebene der Symbolik und der Beziehungen entscheiden. Wohl doch nicht ganz: Blut und Sekrete sprechen ihre eigene emotionale Sprache.

Der Klient will so wenig Genaueres wissen, wie der hiesige Patient alten Schlags, der vom Arzt ein Medikament verschrieben oder eine Spritze gesetzt bekommt. Der Vergleich stimmt auch auf Seiten des Herstellers oder des Verordnenden, des Heilers. Wusste doch auch mein Vater nicht, warum seine Verschreibung geholfen hatte – oder warum nicht. Fängt das Quacksalbern nicht bei der falschen Gewissheit an? Und hört die wissenschaftliche Haltung nicht da auf? Auch pharmazeutische Studien ziehen nur fachlogische Schlüsse aus – seriösen oder unseriösen – statistischen Daten, die dann mit rhetorischer Kunst aufgearbeitet werden. Der Placebowirkung ist das alles nicht abträglich, habe ich von meinem Hausarzt gelernt.

 

 

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David T. Doris: Vigilant Things, Seattle 2011

‘Vigilant Things’ ist ein faszinierendes wie sperriges Buch zu einem verwandten Thema, dessen Botschaften mit Fortschreiten der Darstellung aber – wie bei Suzanne Preston Blier – durch die Ausdifferenzierung verblassen. Auch hier liegen meine Notizen noch nutzlos herum. Auf geht’s!  

DINGE, DIE FÜR UNS WACHE HALTEN ….

In der digitalisierten Ersten Welt sind sie keine technische Utopie mehr. Was aber tun, wenn in einer anderen Welt, dem Slum, der Favela, der Township, dem Flüchtlingslager oder in der vom Bürgerkrieg verwüsteten Stadt Diebstahl, Einbruch, Raub und Plünderung der verbliebenen Habseligkeiten Normalität sind?

Nigeria ist in den Jahrzehnten nach der Unabhängkeit in einen solchen Zustand abgeglitten. Die Korruption zerfraß das Land und verrohte den Alltag. Korruption wurde zur nationalen Institution (10), zersetzte die Maßstäbe, änderte die Chemie der sozialen Beziehungen. Ein Trend zur Fortifikation verschandelte Grundstücke und Städte (11). Einfache Bürger besannen sich mangels anderer Ressourcen zu ihrem Schutz auf traditionelle Hausmittel: Fetische. Dem amerikanischen Kunsthistoriker und Ethnologen David T. Doris sind  vor zwanzig Jahren einige davon in der Kleinstadt Modakéké bei Oshogbo im Yorubaland aufgefallen. Er hat seitdem Formen, Logik und Herstellung solcher Fetische untersucht.

Da er die empfindlichen Ohren seiner amerikanischen FachkollegInnen kennt, versichert er gleich zu Beginn, den Ausdruck fetish im Buch nur zu verwenden, wenn bereits seine nigerianischen Interviewpartner ihn benutzt haben, und dann in Anführungszeichen, alles wegen des stain of perversity and otherness (15/16) dieses Ausdrucks. Ich schließe mich dem nicht an, auch wenn Doris einen exotischen, aber bis heute bei uns ungebräuchlichen Ausdruck, Ààlé, zur Verfügung stellt.

Ààlé sind used up emphemeral things, aus trash hergestellt und werden deshalb vom Fremden leicht übersehen. Ihnen mangelt es sogar an grotesken oder gar abstoßenden Zügen, wie sie etwa die Boccio der benachbarten Fon und Ewe zur Schau tragen. (17) Materiell wertlos, sind sie scheinbar willkürlich zusammengesetzt, zum Beispiel aus einem zerfledderten Besen, einem abgetragenen Schuh, einem Fetzen Stoff, einem alten Kamm – das alles mit einem Faden zusammengebunden und gut sichtbar über einem Bündel Brennholz, vor einem Garten oder vor einer Hütte aufgehängt (55, 1.9) oder noch einfacher: ein Häufchen Erde auf einem Holzstoß (1.12), ein grotesk verrenkter Palmwedel (1.13) oder ein der Körner beraubter Maiskolben. Die Möglichkeiten zur Kombination scheinen unbegrenzt, und folgen doch einer inneren Logik.

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Abb. 0.1 auf S. 4

Abb. 0.1 auf S. 4 im besprochenen Buch

Als seine Aufmerksamkeit einmal geweckt war, begann David T. Doris solche Fetische systematisch zu suchen und die Hersteller anzusprechen, schließlich auch Experten für die Herstellung zu befragen. Als vorbildlicher Akademiker entschuldigt sich Doris dafür, im Buch mit Anekdoten und Interviews zu arbeiten. Er hat aber Dank dafür verdient.

David T. Doris versteht sich als Kunsthistoriker. Deshalb bezieht er sich immer wieder auf den established art historical approach, reflektiert ihn immer wieder und weist ihn in die Schranken: Art history tends to glamourize (18). Die begriffliche Zweiteilung von art und artefact wird durch (informelle) Ààlé durchlässig. Bereits in der intimen Verbindung mit visual delectation (19), ästhetischem Genuss, verwandele sich Ààlé, der Fetisch, zum Phänomen der westlichen Konsumsphäre. Auch ich kann mich dem ästhetischen Vergnügen, von dem Doris spricht, gar nicht entziehen.

Das Buch auf dem Tisch trägt eine Menge dazu bei. Vielleicht habe ich es überhaupt nur deshalb gekauft. Die Farbfotos von Doris und der rote Leineneinband (Design: Thomas Eykemans; bound in China) haben mich verführt. Zu meiner Beruhigung hebt Doris auch sofort den Bezug des Ààlé zur bekanntlich ästhetisierenden repräsentativen Yoruba-Kultur hervor! Ààlé verkörperten und kommunizierten cherished cultural values in expressive, extraordinary form. Vielleicht deutet das aber auch auf eine Schwäche des magischen Hausmittels hin: Fetische brauchen zur Wirksamkeit die Basis einer Kommunikation. Die Ààlé spielen z.B. auf Sprichwörter und Redewendungen an und verlangen ein Mindestmaß an ‘metaphorischer Kompetenz’: Ein abgenagter oder gestrippter Maiskolben soll die Strafe symbolisieren, zur ewigen Schande nackt ausgezogen und öffentlich als Verbrecher körperlich gezüchtigt zu werden (Vgl. 288 f). Der Adressat – etwa ein Räuber im Haus, auf dem Feld oder im Garten des Ààlé-Verwenders – muss fähig und bereit sein, die Warnung auf sich selber anzuwenden. Je länger im Land der Prozess der sozialen und kulturellen Verwüstung andauert, desto weniger potentielle Täter sind dazu in der Lage und bereit. Ohnehin können Ààlé gerade das Gemeineigentum und die öffentlichen Kassen  am wenigsten schützen vor denen, die dreist danach greifen. Für eine so gewaltige Beute ist er nicht gemacht.

In den vierzehn Jahren vom Beginn seiner Studien bis zum Erscheinen des Buches hat sich David T. Doris wahrscheinlich in denselben kultivierten Kreisen der nigerianischen Gesellschaft bewegt, die das Konzept des Ààlé weiter hochhalten, aber sicher bin ich dessen nicht, solange ich das Buch nicht zu Ende gelesen habe. (Es besteht die Chance, da es so attraktiv ist.)

Der hintere Klappentext hält schon einen Trost für den kultivierten europäischen Leser bereit:  David T. Doris argues that ààlé are keys to understanding how images functon in Yoruba social and cultural life.

 

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