Marie-Alain Couturier (1897– 1954) und die zerstörten Fetische

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M.-A.Couturier : SACRED ART, Ausgewählte Texte, 1983 Menil Foundation Inc., amerikanische Ausgabe 1989 University of Texas Press, Austin.

Frère Couturier bedauert den Anteil der katholischen Mission an der Zerstörung vorkolonialer Kultur, aber hat mehr zu sagen. (2 Seiten Text in Englisch)


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Ein wunderbares Buch (bis auf den geschäftsmäßigen Ton in der amerikanischen Übersetzung – doch ich sollte dankbar sein). Das Buch ist von Frankreich 1989 nach Texas gereist ohne Halt in Deutschland. Wie bin ich überhaupt in dessen Besitz gekommen? Norberts Antiquariat?

Starke Fotografien im Geist von Bauhaus, Pierre ZervosCahiers d’ART, Malraux’ Musée Imaginaire oder vielleicht noch näher bei den Editions Zodiaque à l’abbaye de la Pierre-qui Vire (Yonne). Dieser ‚Geist’ schafft wie selbstverständlich eine gemeinsame Ebene für antike, frühmittelalterliche, ozeanische und afrikanische traditionelle Skulpturen und solchen der Klassischen Moderne . Dafür ist kein Kommentar mehr nötig.

Diese Stilisierung erscheint nicht als Selbstzweck, als Manierismus. Und sie geht bruchlos in dem Essay Trop Tard (1951) in eine Abbitte für die von europäischen Kolonisatoren und Missionaren angerichteten Zerstörungen über.

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Couturier appelliert in erster Linie an seine Mitbrüder, die Kleriker der Katholischen Kirche, und entsprechend in der Pose der Demut. Beim Lesen denke ich an all die scheußlichen Kirchenräume, die mir vor allem in Frankreich in jedem Urlaub begegnen. Obwohl er sich explizit auf die ästhetische Seite der Spiritualität beschränkt, spürt man, wie weit das führen kann. Er redet von ‚uns’ und ‚unserem’ Verbrechen an fremder Kultur, doch er will sich darin nicht selber an die Brust schlagen, sondern indirekt den Geist tötenden Kitsch in der nächsten Umgebung anklagen. Seine Argumentation lässt daran keinen Zweifel: Es sind ‚Barbaren’, die spirituelle Kultur im angeblich Fremden nicht erkennen und zerstören müssen.

We are not arguing: it may be that the faith could not be spread except at that price. (67) Er wiederholt das ein weiteres Mal. Doch der ‚Preis’ muss zu hoch gewesen sein. Ein Schuldbekenntnis für Verbrechen an der Kultur – zu jener Zeit eigentlich undenkbar – scheint Couturier unabdingbar, obwohl er es mit der Wendung But …. als im Grunde zweitrangige Sache darstellt: But it is important that we know and declare the value of what we forced these peoples to give up. Treasures of the poor, true treasures of the native soul, they were the witness and warrant of its dignity – its astonishing and pure flowers. (67)

Darin steckt natürlich eine Idealisierung. Solchem Vorwurf versucht er (72) vorzubauen: … these arts of fetishists and witch doctors could also, from the depths of their spells and their darkness, have taught us a lesson (72).

Bereits im Begriff des poor, des ‚Armen’ steckt klare Parteinahme. Sind es nicht die, denen nach Jesus von Nazareth ‚das Himmelreich gehört’, selbst oder gerade die ‚Armen im Geiste’ waren gemeint. Und dann konkretisiert er noch einmal das Schuldbekenntnis: But for us, Christans and priests who brought the Gospel to these people, it is heartrending /herzzerreißend/ … the utter destruction of their humble wonderful treasures. This destruction could perhaps have been avoided. If our missionaries had been more sensitive and better prepared, they could have treated these things with mercy, could have welcomed and protectedthings, that in their kind, were infinitely superior to the trash they brought to replace them. Indeed, that is what they are doing now, when all is lost.(70)

Das ist kein unreifes Spielen mit fremden Glaubensinhalten, die man irgendwo aufgeschnappt hat, wie Carl Einstein in seinem ästhetischen Parteiprogramm. Im Namen der verletzten Menschenwürde der Kolonisierten will er sich in ihre religiösen und magischen Angelegenheiten gar nicht einmischen. Er registriert die hinterlassene Spur des ‚zivilisierten’ Vandalismus und den Verlust auch für die Menschheit und appelliert (1951), innezuhalten, vielleicht umzukehren, was ‚Geistlichen’ schließlich nicht so schwer fallen sollte.

Couturier Sacred Art Too Late_0003Und er formuliert am Ende des Textes zwischen zwei äußerst attraktiven Schöpfungen ozeanischer Künstler die Formel, mit der er deren Ästhetik zu fassen sucht:

Komplexe Realitäten, in denen alles vermischt ist, die Formen der Kunst mit denen von Glauben und Leben, und Schönheit mit dem Bösen. Verworrene Wirklichkeiten, in denen wirklich gute Dinge überall mitten in der Unordnung von Gedanken und Gebräuchen gegenwärtig sind (74)

 Ich sehe darin die Formel einer bedingungslosen Menschenliebe. Too late bedeutet nach alledem vielleicht auch einen Verzicht auf den zweifelhaften Anspruch, to bring the Gospel to these people (70). Doch was geschehen ist, ist geschehen: The onward movement of civilization is irreversible. (72) Ein Rätsel bleibt für mich, dass Couturier 1951 fürchtet, ausgerechnet the spell cast by Matisse and Picasso will dissipate more radically than anything else what little is left of the primitive arts. (72) – War Einstein in dieser Frage klüger? Oder war der Mönch so beeindruckt von der verspäteten Abstraktion und vom Nierentisch im Nachbarland Deutschland?

Näheres über den Glaskünstler, Kunstkritiker und Dominikaner Marie-Alain Couturier (Wikipedia dt.)