aktualisiert 9.2. 2022 – Ernüchterung in „Drei junge Männer an der Kamerunküste“(LINK zu 2.5)
KONTEXT
Im Zuge der Weiterentwicklung des Blog-Projekts erhält der Beitrag „Duala Bootsmodelle – Gehandelt, deponiert, zerstört, vergessen, wiederentdeckt“ eine neue Zuordnung und wird zum dritten Beitrag DER ZWEITEN STAFFEL „DUALA KANUS UND IHRE GESCHICHTEN“. (2.3)
Bei einigen Objekten habe ich relativ viel über die Sammler erfahren, über die Kolonialgeschichte und das Schicksal von Individuen, und über den Kunstmarkt damals und heute. Das alles war Thema seit ab Sommer letzten Jahres.
ZWISCHENBERICHT
Dies ist eine Neubearbeitung am 8.2.2022
Bootsmodelle und Bugschnäbel (tange) waren fast vierzig Jahre lang bis zum Ersten Weltkrieg eine beliebte Handelsware der Gattung „Curiosa“. Zahlreiche Geschäftsleute, Kolonialisten und Agenten erwarben solche Modelle unterschiedlicher Qualität meist in Duala, um sie an die neu entstandenen Völkerkundemuseen in ihres jeweiligen Heimatlandes oder an Großhändler wie H.F.G Umlauff zu verkaufen. (LINK 2.1, bisher (7))
Vor einem Jahr wusste ich noch nicht, wie systematisch und international das Geschäft mit Ethnologica und Curiosa betrieben wurde.
Als Curiosa, als ‚PortArt’ spielten sie eine bescheidene eher dekorative Rolle, wurden bei Erwerb durch Ethnografische Museen in der Regel schlecht dokumentiert. Man war interessiert an “nicht kontaminierter Kunst“, geschaffen von eindeutig definierten „Stämmen“. Die preisliche Aufwertung glaubhaft „authentischer“ ritueller Objekte funktioniert noch heute im Handel mit Ethnografica. //glaubhaft gemachte rituelle Verwendung ist immer noch ein starkes Kriterium für „Authentizität“, wenn das auch nicht widerspruchsfrei zu verwenden ist.
Das Kamerun-Delta ist seit dreihundert Jahren eine „Kontaktzone“, eine Zone intensiven kulturellen und wirtschaftlichen Austauschs. Bereits die ‘traditionelle’ ästhetische Kultur der Duala von unterworfenen Nachbarn wie von der Küstenschiffahrt ins Nigerdelta, wie die Studien von Rosalinde Wilcox zeigen. Siehe: Beitrag “Virtuelle Reise ins Nigerdelta”(LINK 1.4, bisher 4). Der atlantische Handel florierte seit dem 18. Jahrhundert. Seit 1846 feierten englische und dann deutsche Missionare ‚zivilisatorische Erfolge’. Rituale und deren Objekte wurden allmählich an den Rand und in den Untergrund gedrängt , die berühmten Bootsregatten der herrschenden Duala wurden immer politischer und verschwanden unter der deutschen Kolonialherrschaft für dreißig Jahre völlig. (LINK 1.1 und 1.2)
Der junge Leo Frobenius, damals noch Stubengelehrter, versuchte bereits 1897 in seinem Aufsatz, in den “Schiffsschnäbeln” der Duala-Boote Spuren einer Tradition zu identifizieren/ isolieren, die mit der Menschheitsgeschichte verbunden war. Ich werde im letzten Beitrag darauf zurückkommen. (Frobenius gegen Buchner)
Bootsmodelle und tange in Europa und Amerika wurden in den Museumsdepots vergessen. Erst Else Leuzinger 1972 (Die Kunst von Schwarz-Afrika Kat. O8, Coll. P.Harter) und Maria Kecskési 1982 setzten drei Bootsschnäbel als Schwarz-Weiß-Abbildung in Kataloge. Unter “Kamerun” verstand man damals “Grasland”.
Auch in Amerika wurden sie erst ab 1968 aus dem Depot geholt, restauriert und ausgestellt, z. B. im Field Museum 1984 (2.1, bisher 7).
Außerdem hatten Museumsdepots im Zweiten Weltkrieg nicht nur in Deutschland Zerstörungen und Verluste erlitten. Die Ordnung ging verloren, manchmal blieben nur farbige Zierteile übrig. Auf meine Anfragen hin tauchten aus verschiedenen Depots unbekannte, unscheinbare und vielleicht nie ausgestellte Bootsmodelle auf.
DAS BOOTSMODELL AUS KRAKAU (POLEN) UND SAMMLER SCZOLZ-ROGOZINSKI
Autor: Jacek Kukuczka in einer Email vom 19.2.2021
Eine schon tragisch zu nennende Objektbiografie erreicht mich im Februar 2021 aus Krakau. Einem der elegantesten Boote im Katalog von Frobenius, der prominent in Farbe abgebildeten Nr. 5., fehlt seit vielleicht einem halben Jahrhundert der Bugschmuck. Der immer noch eindrucksvolle Bootskörper steht ‚kopflos’ in der Ausstellungshalle.
Ein banaler Verlust wäre nicht ungewöhnlich, wegen der instabilen Verbindung (Stift und Scheibe). Eine Verantwortung der deutschen Besatzer in Krakau liegt nahe.Der Kurator lässt das offen. Eindeutig kritisiert er die Deutschen dafür, den Sammler Stefan Szolc-Rogoziński, einen polnischen Forschungsreisenden und Patrioten, 1885 aus Kamerun vertrieben (oder vergrault) zu haben. Dessen Porträt verbindet der Kurator mit der Objektbiografie. Ich übersetze das Schreiben aus dem Englischen:
Guten Tag! Ich bestätige, dass wir Sammlungen aus Afrika einschließlich Kamerun beherbergen. Tatsächlich ist diese Sammlung die größte und älteste unter den historischen afrikanischen Sammlungen in polnischen Museen. Sie ist als Sammlung von Stefan Szolc-Rogoziński (1861-1896) bekannt. Sie wurde zwischen 1882-1885 in Westafrika von den Kanarischen Inseln und Sierra Leone bis Kamerun gesammelt. Die zweite Hälfte dieser Sammlung stammt aus den Jahren 1886-90, aus Äquatorial Guinea
Eines der größten und auch wichtigsten Exponate dieser Sammlung scheint das „Modell des Duala-Kriegskanus/Piroge“ (Nr. 18726/MEK) zu sein. Es ist 241 cm lang, (max) 22 cm breit und etwa 10 cm tief. Das Modell hat 14 Ruderer (früher waren es mehr, aber einige fehlen) mit Rudern. Alle in charakteristischen französischen(?) Mützen. Wir kennen weder den genauen Herkunftsort noch die Umstände des Erwerbs des Objekts. Wahrscheinlich könnte es irgendwo in der Nähe von Limbe oder Victoria sein, sowie im Delta des Wuri-Flusses (von Rogoziński als Kamerun-Fluss bezeichnet).
Ursprünglich hatte das Modell einen verzierten Schnabel (Tange), aber leider hat dieser Schnabel unsere Zeit nicht überlebt (oder er verschwand während oder nach dem Zweiten Weltkrieg). Wir haben nur die Illustration aus dem Buch von Leo Frobenius und einige Archivfotos. Leider kennen wir die Größen und weitere Details zum Schnabel nicht. Kurz gesagt, wissen wir nur, was wir auf Archivfotos sehen. Nach diesen Fotos und Proportionen schätzen wir, dass dieser Tange etwa 50 cm lang sein könnte.
Einige Archivfotos wurden vor 1939 gemacht, als sich unser Museum auf dem Wawelhügel im Komplex des Königsschlosses in Krakau befand (nach dem Zweiten Weltkrieg befindet sich das Museum im ehemaligen Rathaus im Bezirk Kazimierz). Ich kann noch hinzufügen, dass wir zwei originale Duala-Ruder ( ) mit charakteristischen Bemalungen haben – die gleichen wie auf der Seite des Bootsmodells.
Als Kontext zum Objekt sollten Sie grundlegende Informationen zum Sammler kennen. Sein Leben war kurz und tragisch. Aber er hatte einen Traum und er hat sich (zumindest teilweise) erfüllt. Kurz gesagt, Stefan Szolc-Rogoziński, war ein Mann, der in Afrika Pech hatte. Er erschien in Kamerun am „falschen Ort zur falschen Zeit“. Als Pole, der Bürger des Russischen Reiches war, weil Polen im Neunzehnten Jahrhundert als Staat nicht existierte, er versuchte, Afrika, insbesondere Kamerun, für das „zukünftige Polen“ zu erkunden. Damals teilten zwei Reiche (das britische und das Deutsche) diesen Teil Afrikas zwischen sich auf und Rogoziński saß zwischen den Stühlen. Er musste verlieren und er hat verloren. Er musste 1885 „fliehen“, weil nach 1884 kein Platz mehr für „selbständige polnische Entdecker“ war. Doch er gab nicht auf und kehrte bereits 1886 wieder nach Afrika zurück. Diesmal auf Fernando Po (Bioko) in Spanisch-Guinea (Guinea Äquatoriale), wo er sich als Pflanzer versuchte. Die nächsten vier Jahre verbrachte er in Afrika, teilweise mit seiner Frau.
Stefan Szolc-Rogoziński machte mehrere geographische Entdeckungen, aber er ging nicht in die Geschichte ein, sondern wurde von deutschen Entdeckern und Kolonisatoren aus ihr gelöscht. Auch in der Veröffentlichung von Leo Frobenius (1897) findet man keine Information über ihn oder darüber, wer, wann und wie dieses Modell nach Krakau geliefert hat!
Aber Szolc-Rogoziński und seine beiden Freunde (Leopold Janikowski und Klemens Tomczek, der 1884 in Afrika starb) leisteten hervorragende Arbeit als „Explorer ohne Unterstützung und Regierungsmacht“ (im Gegensatz zu Deutschen und Briten). Sie verbrachten fast 3 Jahre auf der kleinen Insel Mondoleh und organisierten mehrere Inlandsexpeditionen, darunter in Kamerun, Gabun und sogar Kongo. Auf diese Weise sammelte Rogoziński mehr als 300 Objekte und transportierte sie glücklicherweise nach… Krakau. Warum Krakau in Österreich? Weil es eine quasi-freie Stadt war und weil es den Polen ermöglichte, Kultur und Wissenschaft zu gestalten und zu entwickeln (Krakau war eine halb unabhängige Stadt mit nationalen Freiheiten).
Wie wir heute wissen, war es eine gute Wahl, denn Krakau überlebte den Ersten und den Zweiten Weltkrieg. Janikowski hatte übrigens weniger Glück – seine Kamerun- und Gabun-Sammlung wurde durch die deutsche Bombardierung der polnischen Hauptstadt in den ersten Septembertagen 1939 zusammen mit dem gesamten Ethnographischen Museum in Warschau vollständig niedergebrannt.
Das ist eine kurze Geschichte und ein breiterer Kontext zu unserem Duala-Kriegskanu.
Mit bestem Gruß, Jacek Kukuczka,
Kurator für außereuropäische Sammlungen, Ethnographisches Museum Seweryn Udziela in Krakau
Randbemerkung
Um an der Kameruner Küste wissenschaftliche Forschung zu betreiben, kam Szolc-Rogoziński zur falschen Zeit nach Kamerun. Hatte er Verbindungen nach London, dem gerade ausmanövrierten Konkurrenten des Deutschen Reiches, wie sein Foto suggeriert?
Eine erste Antwort gibt ein kurzer Eintrag im deutschen Wikipedia (LINK): “Szolc-Rogoziński unternahm mehrere Forschungsreisen in das Landesinnere Kameruns. Durch sogenannte Schutzverträge versuchte er die um das heutige Limbe liegende Region zu vergrößern, das von Großbritannien beansprucht wurde, aber 1887 in deutschen Besitz überging.[1] “.(….)
Inzwischen habe ich darauf konkretere Antworten in einem weiteren Kontext. Ich will sie nicht an dieser Stelle diskutieren. Der Gastbeitrag vom Februar 2021 soll für sich stehen bleiben. Ich war Jacek Kukuszka vor einem Jahr sehr dankbar für sein persönliches Engagement und der Text beeindruckt mich noch immer. 9. Februar 2022
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