Upload: 9. Juni 2021. Überarbeitung: 20. Juni 2022
Johannes Fabian hat für seine Studie „Im Tropenfieber“ (2001) die Reiseberichte verschiedener v o r-kolonialer Afrikaforscher systematisch gelesen. Ich profitierte von mancher Bemerkung, hatte aber nicht die Energie zur Einarbeitung. Die folgenden Zitate aus dem Kapitel XI, dem „Epilog“, belegen: Wieses Bericht hätte perfekt zu Fabians ‚Ahnengalerie‘ gepasst. Auch hier lässt sich der „Mythos der Afrikaforschung“ durchgängig „mit konkreten spezifischen Informationen konfrontieren, die in denselben Quellen enthalten waren, welche diesen Mythos ausagierten und nährten.“ (365) Auch sein Zeugnis enthält reichlich Material für eine unaufgeregte „Gegengeschichte„, welche den Blick für unterschiedliche Perspektiven öffnet, methodisch historische Zeugnisse hinterfragt und sie ‚gegen den Strich zu lesen‘ unternimmt.
Johannes Fabian : Im Tropenfieber – Aus: Kap. XI ‚Epilog‘:
Wir fanden, dass eine ideale und ideologische Geschichte von wissenschaftlicher Forschung als höchst individuellem, kontrolliertem, ja, heroischem Unternehmen, das eine rationale Zielsetzung hatte und noch relativ frei von der Routine einer wissenschaftlichen Disziplin war, seine eigene Gegengeschichte in den überreichen Belegen enthielt…. Pläne und Instruktionen, die in den Metropolen verfasst waren, kollidierten mit örtlichen Verhältnissen und blieben meist in ihnen stecken ….. Was eine Sache der Ausführung von genau umschriebenen Aufgaben hätte sein sollen, verwandelte sich fast immer in einen Kampf ums bloße Überleben …. Menschliche und natürliche Objekte, die den Idealvorstellungen zufolge hätten dazu da sein sollen, sich beobachten zu lassen, erwiesen sich als in verwickelten Beziehungen von Interaktion und Widerstand stehend. Die einfachsten Instrumente und Gewohnheiten der Wissenschaft … funktionieren entweder überhaupt nicht oder ……unter dem Zwang, sich dem Tanz der Verhältnisse anzuschließen ….. Wenn es eine durchgängige Erfahrung gab, die diese Emissäre des Imperialismus und Missionare einer überlegenen Zivilisation, dann war die der Abhängigkeit. Reisende waren von Dingen – Geldmittel, Ausrüstungen und Gebrauchsgegenständen – abhängig und je mehr Dinge sie hatten, desto mehr hatten sie mit Problemen der Logistik zu kämpfen. Und sie waren von Menschen abhängig. Besonders auf ihren ersten Reisen waren sie im Vergleich zu ihren Führern, Dolmetschern und Trägern Amateure auf dem Gebiet der Afrikareisen. Je professioneller diese Helfer waren, desto abhängiger die Forschungsreisenden von deren Wissen, auch bevor sie soweit waren, die Art von Wissen zu produzieren, das sie nach Hause mitbringen sollten. Fügen wir dem allen die Launen einheimischer Herrscher und die Wechselfälle des Klimas und der natürlichen Umwelt hinzu. Eine Erfahrung machten alle diese jungen, kräftigen Männer, und sie steht für alle anderen: die der Abhängigkeit von ihrem Körper. Müdigkeit, kleinere Wunden, größere Krankheiten, Unfälle und beinahe tödliche Verletzungen führten zu Leiden von heroischen Ausmaßen und wiederum von prosaischer Abhängigkeit vom guten Willen ihrer Begleiter und Helfer.
Und als hätten all diese Festlegungen und Zwänge nicht ausgereicht, gab es noch die Erwartung der Selbstkontrolle … ein umfassendes Regime der tropischen Hygiene, das all denkbaren Aktivitäten von der Fußpflege bis zum Tagebuchführen reglementierte….. nur am Rande sorgten sie dafür, dass die Wissenschaftler mit den Menschen, zu deren Studium sie gekommen waren, verständigten. …. ließen ihnen zwangsläufig nur wenig Toleranz für die fortwährenden spielerischen und ernsthaften Herausforderungen, mit denen Afrikaner ihrer Autorität als Karawanenführer begegneten. … / (366) … Schließlich vermochten nur wenige Reisende …. die Augen vor Beweisen zu verschließen, die sie für die Doppelzüngigkeit ihrer imperialen Geldgeber hatten.“ (367)
Fabian zum Sammeln „ethnographischer Objekte“ als materielle Zeichen des wissenschaftlichen Erfolges und als „Kapital der jungen Anthropologie“:
Ethnographische Objekte als Konstruktionen von ungewissem wissenschaftliche Status 260, verglichen mit „Proben der Natur“ 261
Das Sammeln erforderte Hingabe 261
Das Sammeln bei kurzen Aufenthalten am Flußufer ähnelte der Oberflächenarchäologie 261f. Man denke auch an das fehlende Wissen dieser Reisenden von den Gesellschaften und Kulturen, durch die sie auf gebahnten Routen zogen.
„Diese ethnographischen Objekte weigerten sich gewissermaßen, an ihrer ursprünglichen Funktion und ihrem ursprünglichen Kontext festzuhalten.…“ 262 Da wird der Tauschprozess als der erste Moment ihres ‚zweiten Lebens‘ sichtbar. Aber auch das Scheitern des Übergangs ist Thema: „Der afrikanische Besitzer wollte sich von seinem Horn nicht trennen, spielte lieber vor“. Auf der anderen Seite verrät der Forscher Pogge: „Was ich besser brauchen kann als der Häuptling (der Lunda) muss ich verstecken.
Aber die Geschmäcker ‚wandelten sich’ schon während des Tauschprozesses 263 – Da konnte Nützliches erworben, Sehnsüchte erfüllt und die Hoffnung genährt werden, an der Macht der Weißen zu partizipieren.
Zum Druck der Auftraggeber in Europa : Ethnografische Objekte wurden zur „ ‚Datenbasis’ auf der die Anthropologie ursprünglich ihren Ruf als akademische und wissenschaftliche Disziplin aufbaute. In Museen gelagerte ethnographische Objekte waren ein Kapital, ohne das die Anthropologie nicht unter den Paradigmata des Evolutionismus und Diffusionismus institutioniert und professionalisiert worden wäre.“ 265
Nach der Lektüre von Zwernemann:“Leo Frobenius und das Hamburgische Museum für Völkerkunde“ (Mitteilungen…,N.F.17 ,1987, 111-128) sehe ich v. Wieses Enttäuschung über die eigenen Ergebnisse in der aussichtslosen Konkurrenz mit der überragenden Rolle von Leo Frobenius für den strategisch konzipierten „Aufbau“ der Afrika-Sammlungen des Museums durch etwa 10.200 Erwerbungen in den Jahren 1905 bis 1912 (121). Da riskierte selbst Museumsdirektor Thilenius finanziell eine Menge.
Das getippte „Tagebuch“, eine Vorform des Buchtextes
Die Bibliothekarin des Weltkulturenmuseums Frankfurt legt mir ein als „Tagebuch“ betiteltes Typoskript in Fotokopie vor. Mein spontaner Eindruck ist positiv. Gegenüber dem Buchtext sind die Abweichungen nicht erheblich und ich möchte seither den Reisebericht lieber im asketischen Kleid des gebundenen maschinenschriftlichen Textes von 92 Din A4-Seiten lesen als im wilhelminisch aufgetakelten Prachtband „Vom Kongo zum Niger und Nil„und seiner verknautschten ‚deutschen Schreibschrift‘. Das passt mir ästhetisch besser zur Welt des forschenden Militärs. Diktion und Länge der Abschnitte des Berichts erinnern mich irgendwie an Bellum Gallicum.
Der Titel „Tagebuch“ ist irreführend. Über das im Buch Gesagte hinaus fehlen Daten und Details über das Tag für Tag Geleistete und Erlebte. Selbst Beate Schneider und Christine Stelzig zitieren in ihrem großen Essay über die Expedition 1910-11 (in „UBANGI“ Grotaers*, Actes Sud 2007 pp. 261-83, Französisch) nur aus diesem „Tagebuch“ in Frankfurt, dazu ein wenig aus dem Briefwechsel von Wieses. Sind die der Darstellung zugrund liegenden täglichen Notizen oder Tagebücher verloren gegangen, so wie Objekte und zahlreiche Fotos und manches an Dokumentation, oder liegen sie unentdeckt im Archiv des MARKK in Hamburg? – Eine Recherche-Aufgabe. Momentan zu groß für mich.
Der Berichterstatter von Wiese zeigt sich als junger Mann ohne belastende Skrupelhaftigkeit. – Davon sind mir mittlerweile im damaligen Kamerun mehr begegnet (Blog „Duala“). Der deutsche Gast – und Späher – darf gerade dort nicht hin, wo es an diversen Fronten ‚brennt‘. Daraus resultiert etwas zwischen Abenteuerurlaub und Überlebenstraining. Er kann sich aber auf die improvisierte militärische Infrastruktur der gerade eroberten Kolonien verlassen, vor allem aber auf die ‚Kameradschaft‘ unter Standesgenossen trotz der nationalen Rivalitäten. Die wenigen Missionare erlebt er als erfreundliche, hilfsbereite Menschen. Worüber man wohl geredet hat? Die Natur bot Fieber und Erschöpfung gegen ihn auf, Stromschnellen, Unwetter, Mückenschwärme oder Fäulnis und Verlust von Gepäck. Immerhin gab es für den Freiherrn auch Erfreuliches wie die Jagd auf Großwild. Seine Zeichnungen und Aquarelle (?) wurden später vom offiziellen Maler der Gesamtexpedition Heims sensibel überarbeitet. Die für das Buch ausgewählten informativen Fotos von Wieses lassen von der Aufnahme bis zum Abzug die Würde der Aufgenommenen erkennen. Respekt! Die meisten Aufnahmen ging leider bereits auf dem Weg verloren.
Die „Menschenfresser“-Saga verdient genauere Betrachtung
Die von Fabian betonte Abhängigkeit aller durchreisenden ‚Ethnografen‘ von ihren mehr oder weniger zufälligen Gewährsleuten, Begleitern und Informanten ist im „dreiwöchigen Standlager“ in Bangassu, dem „Hauptort des gesamten Mbomu-Distrikts“ (261) unübersehbar. „Sain, ein Halbaraber aus Witu von der ostafrikanischen Küste“ (263, 272) nährte die Menschenfresser-Saga, auf die v.Wiese bereits durch frühere Reiseberichte eingestimmt war.
Wem diente sie?
Dem Geschäftsmann und Vertrauten des Sultans Sain war sie nützlich, weil der schlechte Ruf der Gegend geeignet war, europäische Konkurrenten auf Abstand zu halten.
Dem Sultan und seinen Beratern, die sich „sehr ablehnend gegen die Europäer, mochten es nun Kaufleute oder Regierungsangestellte sein“ verhielten, nützte sie in derselben Weise. Profitierte der Sultan doch von den höheren Preisen der „ihm sympathischeren Freihändler“ dank einer Klausel im Konzessionsvertrag der „Gesellschaft der Sultanate des Oberubangi“, wodurch formal ein Uferstreifen von 25 Metern von deren Handelsmonopol ausgenommen war. (262)
Wie Stelzig und Schneider bemerken, profitierte auch der Autor, und zwar von der ‚Gänsehaut‘ seiner Leserschaft. Geradezu genüsslich walzte er das angebliche Risiko, „im Magen eines Nzakara zu verschwinden“ (269) aus und zog selbst aus ein paar beruhigenden Anekdoten, die unter den Europäern kursierten, keine Konsequenzen. Beispiel : Ein verirrtes Mitglied einer offiziellen französischen „Erkundung“ wurde von „Menschenfressern“ gerettet und durchgefüttert. (269-71)
Selbst als ‚Forscher‘ konnte v.Wiese nur gewinnen, da er als Zeuge (vom Hörensagen) neue zitierfähige Belege lieferte.
Dem Offizier musste die psychologische Taktik der Abschreckung geläufig sein. Noch in der Gegenwart spielen weltweit Inszenierungen neuer Waffensysteme, aber immer auch „Kriegsgreuel“ und ‚barbarische‘ Praktiken nicht nur des „IS“ eine Rolle. Und vergessen wir nicht, dass die afrikanischen Handelspartner an der Atlantikküste jahrhundertelang Europäer auch mit Gruselgeschichten vom Vordringen ins Landesinnere abschreckten. Wie durch spartanische Härte und gnadenlose Anthropophagie kleine Gruppen von Salampasu ihre großen Nachbarn Lunda und Luba auf Abstand hielten, wenigstens bis ende des 19. Jahrhunderts, ist ein weiteres Beispiel. (LINK zum Blog)
Ich gebe zu, ganz unbeeindruckt haben mich selber v.Wieses hartnäckige Wiederholungen nicht gelassen. Dass Stelzig und Schneider das Thema locker nehmen, könnte sich schließlich einer Verabredung unter modernen Wissenschaftlern verdanken. Und das verteufelt kleingedruckte gewichtige moderne Standardwerkwerk „Ubangi“ hat keinen Sachindex.
Noch einmal: von Wieses Ambivalenz gegenüber „Europäisierung“ und „Kolonisation“
Zwar musste er die „Europäisierung“ der Afrikaner als Ziel der „Kolonisierung“ gut finden, aber eben nur im Prinzip, nicht unter den realen Bedingungen, mit denen er vor Ort konfrontiertwar: „…es zeigte sich wiederum, dass es selbst im Innersten Afrikas allerhöchste Zeit ist, ethnographisch zu sammeln und zu retten was noch zu retten ist. In wenigen Jahren findet der Ethnograph nur noch behoste Nigger, europäische Schundwaren statt der Erzeugnisse der Eingeborenen und ein seltsames Gemisch von früheren Stammessitten und europäischen Unsitten; dies alles heißt dann ‚einziehende europäische Kultur’! Die großen Kolonialgesellschaften wollen ja nur gegen ihre Waren Kautschuk und Elfenbein einhandeln, aber nichts für die Erziehung der Neger tun. (275) Zur Tätigkeit der allerersten Missionare konnte er nichts zu schreiben. Er schwadronierte ‚zivilisationskritisch‘ und verquirlte eine politische Kritik an Europa mit der populären Verachtung für die Reaktionsweisen der Afrikaner: In kurzen Worten will ich beschreiben, was ich in Rafai vorfand, und jeder wird daraus ersehen, daß man eher glauben könnte, sich in der Negerrepublik Liberia zu befinden, als bei einem Häuptling der Menschenfresser Zentralafrikas.“ (275) „Dadurch daß der Neger einen europäischen Anzug trägt, wird sein Verlangen nach Menschenfleisch noch lange nicht unterdrückt“ (277).
Der ehemalige Gymnasiast und geschulte Militär fasste die ihm von Sultan Rafai persönlich diktierte „Geschichte des Landes“ (278-280) bündig zusammen, was ihm nicht schwer gefallen sein dürfte, denn es handelte sich um Themen seiner Schulzeit: Dynastiegeschichte, Erbfolgen, Vertreibungen und Kriege, deren Feldzüge sich über Hunderte von Kilometern erstreckten.
Davon unbeirrt ging v. Wiese von der in Europa gerade geltenden Doktrin in sich abgeschlossener traditioneller Kulturen aus. Er betrieb ‚Wissenschaft‘ im Nebenfach und aus der Perspektive des Befehlsempfängers in einer Befehlskette. Er macht sich die Wertungen noch korrekter zu eigen als seine akademischen Vorgesetzten in der jungen Ethnographie, etwa im Streit mit Thilenius um die Sammelwürdigkeit eines typischen ‚Colon‘-Objekts.
An der Tatsache der Unterdrückung verschiedener Völker durch die Azande-Fürsten interessierte ihn nur das vermutete Resultat: kultureller ‚Verschnitt‘: Zunächst hebe ich hervor, daß die meisten Bewohner des Sultanats Rafai gar keine Asande sind, sondern unterworfene Stämme, wie Biri, Ngabu, Nsakkara und verschiedene Banda“ (275-76). Seine ‚Diagnose‘ wiederholt er anlässlich der Verhältnisse im sudanesischen Ort Wau: il s’y trouve un tel mélange de peuplades (…) que la plupart d’entre eux ne savent plus vraiment ce qu’ils sont en réalité; …* „ („Tagebuch“ 86-87 (?) nach Stelzig u. Schneider 273; *Rückübersetzung: Es findet sich hier einer derartige Mischung von Volksstämmen (…) dass die Mehrheit unter ihnen nicht mehr weiß, was sie wirklich sind, …)
Die „Sultanate“
„Die ursprünglichen Sitten und Gebräuche der Asande/Bandja“ (276), sollte er hier ‚erforschen’ ? Er berichtete aus einer von Raubzügen, Kriegen und Vertreibungen über mehr als ein Jahrhundert verwüsteten Region.
Bei Jan Vansina erfahren wir übrigens, was es mit den „Sultani“ auf sich hatte: Sie waren von Eroberern aus dem Norden und Osten, Arabern und Sansibari, als Statthalter eingesetzt worden. Die zwangen die Bevölkerung, sich in großen Dörfern niederzulassen und verhalfen dort den “Sultani“, jungen ehrgeizigen Männern zu Macht, denen die traditionellen Eliten wenig entgegenzusetzen hatten, um ein kollektives Gegengewicht zu bewahren. – Jan Vansina: „Paths in the Rainforest“ p. 242 und BLOG „Gardemaß und radikaler Bauplan“ LINK .
Bei v.Wiese liest sich die Geschichte so: „Von Norden kamen auf ihren Raubzügen arabische Sklaven- und Elfenbeinhändler ins Land. Mit diesen trat Bayaengi und später sein Sohn Rafai in Handelsbeziehungen. Die Araber beließen Rafai als Oberhäuptling und…. Besonders Ziber-Pascha gab an Rafai direkt seine Befehle. Rafai unterwarf die eingesessenen Stämme …..“ (278)
Das Beherrschungsrezept kopierten die Belgier in ihrer Kongo-Kolonie. Von den Sklavenhändlern und ungebildeten Milizen erhielt man spezielle Dienstleistungen, auf man bei der Kolonialeroberung angewiesen war. Europa hat sich in Afrika eingeschlichen. von Wiese nahm die unter öffentlichem Druck erzwungene oberflächliche Zivilisierung der belgischen Kolonialverwaltung nur als Nachteil wahr.
Die Region war ideales Einzugsgebiet, nach Norden offene Savanne und nach Osten und Westen durch Wasserstraßen erschlossen. Die „Sultanate“ Rafai und Bangassu lagen auf Handelsrouten. Auch am bösen Ende der Fresskette konnte man als gut bewaffneter und vernetzter Händler Geld verdienen. Sklaven, Elfenbein und dann Rohgummi waren Exportgüter von großer Bedeutung.
Ein Vergleichsfall
Der schwedische Missionar Karl Laman hat um 1915 von seinen einheimischen Katecheten (Yombe) an der Mündung des Kongo die mündlich überlieferten Informationen über die Zeit des entwickelten Sklavenhandels erfragt, und Wyatt MacGaffey hat die gesellschaftlichen Konsequenzen 2008 kompromisslos zusammengestellt (Siehe Blog „Sklaven, Händler und Despoten“). Es sind dieselben Faktoren:
Die Machtkontrolle durch Konsultation der Honoratioren geht verloren, die materielle Kluft wird unüberbrückbar, wachsende Rechtlosigkeit der Schwächeren und – innerhalb der Familien – der Jugend, Prunksucht, die sich auch auf ‚Humankapital’ (Frauen und Sklaven) erstreckt, bei Gelegenheit demonstrative Verschwendung auch dieses ‚Kapitals’, Verrohung der Sitten …. Und Kriege: Jährliche Angriffskriege gegen bereits unterworfene Nachbarn, wie vom Zwerg-Sultanat „Bangassu“ berichtet, sind auch vom weit älteren Sklavenjägerreich Abomé – die mit den Raubtierfiguren der Könige im Quai Branly (Blog) – bekannt.
ABER ….
Argumente für eine begrenzte Korrektur der Beurteilung Walther von Wieses
Die Argumente finden sich in meinem früheren Bilanz-Text vom 9. Juni 2021:
v. Wieses Kritik zielt auf Entscheidungen der Machteliten außer Reichweite der Militärs: Politik und Finanzkapital. Beide haben einen kurzen Zeithorizont für schnellen Gewinn und geringe Neigung zu Investitionen in die Zukunft; es darf nichts kosten. Die Politik ist populistisch, die Wirtschaft ein weites Feld für Aufsteiger,Sparer und Investoren. Beide Bedingungen sind immer noch aktuell!
Das Militär weiß, was es brauchen würde, aber er bekommt es nicht. Insofern ist der Bericht Wieses ein Zeichen der Ohnmacht und kritisch, offen gegen Frankreich gerichtet, aber indirekt auch gegen das Deutsche Reich.
In den Versäumnissen der Politik sieht von Wiese das Verbrechen an den Menschen, die Ursache für unnötiges Leid der Menschen und Degradierung der künftigen Kolonie. Die Unvermeidlichkeit einer Kolonisierung steht für ihn wie für viele Zeitgenossen außer Zweifel.
Wiese hat ein solides normatives Korsett, in dem Zweckrationalität eine wichtige Rolle spielt.
Eine grundsätzliche Ablehnung und Verachtung „der Neger“ kann ich bei Wiese nicht ausmachen. Geradezu dankbar werden Zeichen von Würde, guter Organisation, Kooperation und Anpassung an die „Zivilisation“ zur Kenntnis genommen. Doch die Kombination von Fremdheit/Unverständnis, Verelendung, sowie Taktiken der Subversion und Rebellion seitens der Schwachen nähren Abscheu und Verachtung. Der Reisebericht ist oft emotional und bedient Emotionen. Auch Weiße werden z.B. als Betrüger und Nichtsnutze wahrgenommen. Die Azande werden jedenfalls gründlich entzaubert.
Die Sprache der moderner Kunstwissenschaftler steckt voller Euphemismen. Ein Grund mag sein, dass sie die Azande als bereits entmachtete zahnlose Tiger kennengelernt haben.
Deren Eliten veredeln ihre Wolfsnatur und ihre ausbeuterischen Dynastiegeschichten mit würdevollem Auftreten und biegen sich die Geschichte zurecht (LINK Storms vs. Lusinga). Was bleibt ihnen denn heute anderes als heroische Mythen, in einer weiter verelendeten Region und in Flüchtlingslagern, auf mehrere zentralafrikanische Staaten verteilt?