Populäre Malereien vom Kongo auf dem Weg in die Tonne!

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MATERIALSAMMLUNG MIT SEITENBLICK AUF JOHANNES FABIAN “…. PAINTING AND POPULAR HISTORY IN ZAIRE”(1996)   (auf Englisch: LINK)

ERSTE SZENE, gemalt von “Kiki”

Als letztes Jahr fünf verknitterte und angeschmutzte Leinwände auf dem Flohmarkt auftauchten, war dies eindeutig ihre letzte Station. Der Händler gab seinen überhöhten Preis nicht auf; er zog es vor, die Fetzen noch einige Male zur Dekoration zu verwenden. Jetzt ist der Flohmarkt tot und der Händler steckt in Afrika fest. Wird das ihr Ende sein?

Eine prominente Publikation als Referenz

Als populäre und touristische “Genre-Malereien” auf  gestempeltem Sackleinen erinnern die Darstellungen entfernt an Chéri Samba’s vitale Malereien (LINK).

Sie sind aber von der Art der Auftragsarbeiten, die ein Tshibumba Kanda Matulu für Johannes Fabian angefertigt hat. Fabian ließ den Straßenmaler, den er zufällig in Lumumbashi / Katanga kennengelernt hatte,  über ein paar Monate eine illustrierte ‘populäre’ Geschichte des Kongo anfertigen, interviewte ihn ausführlich dazu auf Kisuaheli und gab schließlich hundert Bilder mit Tshibumbas bearbeiteten und übersetzten Erklärungen heraus, manche in Form kurzer Dialoge.  Er ‘konfrontiert’ sie diskret mit stark verknappten Ergebnissen westlicher Historiker. “Remembering the Present – Painting and Popular History in Zaire“, UCP Berkeley, erregte nach 1996 als methodisch bahnbrechendes, zwischen ‘Ethnographie’ und ‘afrikanischer Kunstgeschichte’ oszillierendes Projekt großes Aufsehen.  Zoé Strother hat in einem Editorial der Zeitschrift RES (vol. 39, Spring 2001, pp. 5-23) die Kompromisse Fabians und seiner Buchgestalter als “anxious encounter“, “ängstliche oder verkrampfte Begegnung”  kritisiert. Für den fachfremden Leser des Buchs ist entscheidend, dass in der Folge bunter Bilder kein kohärentes historisches Panorama entsteht, weder mit der willkürlichen Auswahl an Szenen, noch mit den Bild- und Textinformationen.

Das Ergebnis in gedruckter Form dieser Zusammenarbeit  erinnert an das Format orientalischer Märchenerzähler und Moritatensänger, die einst überlieferte Legenden vom ‘Großen Alexander’ mit dem Zeigestock und naiven Malereien auf persischen Marktplätzen darboten.

Genre-Bilder mit unterschiedlichen Themen entstanden laut Strother in Katanga zwischen 1966 und 1979 (p.10) und wurden von Einheimischen und Europäern als Zimmerschmuck erworben. Tshibumba konnte nach dem Wegzug der Ausländer, die ihn finanziert hatten, den neuen Lebensstandard nicht mehr halten. Er hatte sich ohnehin keine Lizenz als peintre besorgt. Seine Spur verliert sich auf den Diamantenfeldern in Kasai (Jewsiewicki 1999, ebd.).

Gestempeltes Sackleinen

Mitteilung G.C.: Gehört nicht zu “Colonie Belge”

Tshibumba war nur einer von vielen Straßenmalern. Wir haben mit Fabians Veröffentlichung einen historisch und lokal gesicherten Fundus gängiger Szenen und jedenfalls einem Kommentar zu  verbreiteten Motiven, wie beliebig die auch ausfallen mögen. Über die zweifellos weite Verbreitung der Genre-Malerei im Land erfahren wir von Fabian gar nichts. Ich erwarte mehr von Katalogen und Büchern, die dem modernen ‘Kult’ der Mamiwata (LINK)  gewidmet sind , denn diese ‘spirituelle’ Femme fatale ist häufig das erotische Motiv populärer Genre-Malereien, verbunden mit dem Wunsch nach materiellem Erfolg und persönlicher Anerkennung.

Ausweislich des verwendeten gebrauchten und gestempelten Sackleinens stammen die Bilder vom frankfurter Flohmarkt aus der Provinz “Bas-Congo”, also von der Kongo-Mündung. Die Hafenstadt “Matadi” ist angegeben.

 

Tshibumbas Bild Nr.34  zum Vergleich

Fabian painting 34 Matulu “colonie belge 1885 – 1959” p.68

Die publizierte Erklärung zu Gemälde Nr. 34 ist typisch für das bescheidene Angebot des Straßenmalers. Der peintre-artiste Tshibumba kommentierte das Bild folgendermaßen (Fassung Fabians S.68f in deutsch, Gv ):

Die Kolonialzeit war eine Zeit der Knechtschaft. Sie bringen Leute ins Gefängnis und schlagen sie. Es war nicht mehr so ​​wie früher im Dorf, wenn du ein Verbot übertreten hast, und sie haben dich erwischt und geschlagen. Im Gefängnis war Auspeitschen wie eine Geldstrafe, zu zahlen, wenn du etwas Falsches getan hast. Die Auspeitschung erfolgte während des Appells. Es konnte passieren, du hast in der Reihe gestanden und nicht ganz mitbekommen, was die Vorgesetzten sagten. Dann hast du Prügel bekommen. “
Im Interview wird der Ortsname auf dem Polizeigebäude so erklärt: „Von diesem Bild gibt es viele, und es war Zufall, dass ich dieses an Sie verkauft habe. Andere haben Kakanda, Sakania, Lodja, Matadi bekommen. Ich könnte alle Bezirke oder Städte von Zaire nehmen, weil es an all diesen Orten Gefängnisse gab. (…) Das im Hintergrund ist kein Dorf, sondern die Siedlung der Polizei. Sie liegt in der Nähe ihres Arbeitsplatzes. Jeder Polizist hatte seinen Job. Der eine weckte die Gefangenen am Morgen … Ein anderer verfolgt einen Gefangenen, der versucht, vor der Auspeitschung und dem Gefängnis davonzulaufen. “Holt ihn”, ruft der Polizist, “er rennt in den Busch!” Ein anderer Polizist zieht einen Gefangenen aus, damit er bereit ist, wenn der Appell kommt und  er ausgepeitscht wird. “ Andere tragen Kacke, “denn wenn die Leute im Gefängnis sind, sind die Türen verschlossen und sie erleichtern sich in einen Bottich.” (….) TPM? „Es steht für„ travaux publiques ya méchanisation “Public Works and Motor Pool”.
Diese beiden Frauen sind Ehefrauen von Gefangenen. Sie sind da, weil sie Essen mitgebracht haben. “Bringen wir ihnen morgens eine Schüssel mit Essen und eine Flasche Wasser”, hatten sie gesagt, und dann stellten sie fest, dass einer der Ehemänner geschlagen wurde. Sie sehen hier seine Frau, wie sie ihre Hand in einer Geste der Verzweiflung auf ihre Wange legt. und die andere ist auch traurig. Wir wissen nicht, welcher der Gefangenen ihr Ehemann ist.

Fabian: »Na gut. Und jetzt zu diesem weißen Mann. «

» Er raucht seine Pfeife. Und dann sehen Sie den Polizisten mit seiner Ausweisplakette. Denn als die Belgier regierten, hatte jeder Polizist seine Plakette. Wenn er Ihnen unterwegs Probleme bereitete oder von Ihnen Geld wollte, hätten Sie einfach seine Nummer notiert und und ihn seinem Vorgesetzten gemeldet. Er wäre gerufen worden und gezwungen gewesen, sich den Vorwürfen zu stellen.

Fabian: »Wirklich? «      Tshibumba : »Ja «

Die drei Epochen sind in der Erklärung durch je  ein typisches Merkmal vertreten:

 

21. Juli 2020                                “GERETTET!”

An dem einzigen Afrika-Stand auf dem noch einmal verkleinerten Flohmarkt ( ‘mit Corona’ ) traf ich zu meiner Überraschung ein Ehepaar, das inzwischen eine der von mir bereits aufgegebenen Leinwände bei sich hängen hat. Die Frau war sich sofort ganz sicher, als sie die Abbildungen sah. Hatte sie die Leinwand doch selber auf einen Keilrahmen gespannt. Ihr Mann schickt mir heute das Foto.

G.C.   “Vor der Tonne gerettet!”

Eine weitere Information erhielt ich von einer Freundin über Tshibumba (den Lieferanten für Fabian), die annahm, dessen Bilder seien auch bereits  “auf dem Weg zur Tonne”.

….. Viele Deiner Ausführungen zur afrikanischen Kunst verstehe ich nicht viel und lese manchmal nur den Anfang und denke dann: Nicht mehr  in diesem Leben. Mir fehlt da Wissen und Affinität, Du hast Dich Dein ganzes Leben damit beschäftigt. Du bringst es zwar meistens verständlich, aber mir ist es zu fremd.

Interessiert hat mich aber der Weg der Kunst vom Kongo über die documenta in die Tonne. Ich habe Tshibumba auch und in etwas besserer Qualität gegoogelt, ich gehe seit Jahren auf jede Documenta: Damals ist er mir nicht aufgefallen. Einerseits wird für mich ziemlich deutlich, welche „Weltsicht“ er zeigen will, es erklärt sich von selbst, ohne dass man irgendwelche Kenntnisse oder Vorwissen braucht. Andererseits: Die Erklärungen sollen wohl einen Realismus verstärken, ist doch egal, wo die Polizeikaserne jetzt stand oder ob die Frauen gerade Essen gebracht haben. Aber vielleicht sollte es keine Kunst in dem Sinne sein, dass Objekt und Idee zusammenfallen, sondern eine bebilderte Geschichte. Dann sagt es viel über die documenta aus, dass sie es präsentiert hat.”

Stoff zum Nachdenken! Ich weiß es nicht. Ich kenne die Documenta nur aus dem Programmkino um die Ecke, und nur die 13.  (LINK).

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