MAMIWATA….. und Fragen des Stils

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VON DER GEMEINSCHAFTSORIENTIERUNG ZUM INDIVIDUELLEN GLÜCK

In den ausufernden Städten am Atlantik, wo Männer wie Frauen ständig um Überleben und Glück kämpfen müssen, entwickelten sich auf den Ruinen traditioneller Religiosität neue Kulte – Voodoo – die das individuelle, ja egoistische Glück zu befördern versprechen. Ihre Priester und Priesterinnen rekrutieren sich aus Individuen, deren Berufung an Krankheiten und Visionen erkannt wird. Sie treten in die Gemeinschaft eines Tempels ein.

Man kann auch bloß Anhänger eines Gottes werden und seinen Dienern nach Kräften Spenden geben.

Von Sierra Leone im Westen bis zum Kongo im Süden wird MAMI WATA seit dem zwanzigsten Jahrhundert als eine Art panafrikanische Meeresgöttin verehrt. Ihre Begründer haben lokale Kulte um Nixen und Sirenen einbezogen, was dem Mami-Wata-Pantheon so viele göttliche Inkarnationen beschert wie es uns aus dem Götterhimmel der Hindu bekannt ist. Der Kult entwickelt sich dynamisch weiter und wächst auch unter Afrikanern in der Diaspora – Brasilien, Haiti, Europa. Dank Internet neuerdings darüber hinaus.

Frauen bilden den Kern des Milieus um Mami Wata. Städterinnen in prekären Verhältnissen fühlen sich verstärkt angezogen. Bruce Sonde, eine durch Visionen berufene Autodidaktin, die in Cotonou (Benin) Tempelwände ausmalt, beschreibt ein solches Bild und dabei ihre Träume.

Densu, ein männlicher papi wata, ist so reich , dass er Schuhe aus purem Gold trägt. Die Sirene Mami Apouke ist eine Prostituierte. Sie hängt in Bars und Nachtclubs herum, raucht, trinkt, nimmt einen Mann nach dem anderen. Sie liebt Tanz und Musik, inspiriert Musiker. Sie ist sehr reich, besitzt Alles, wie Autos und mehrstöckige Häuser. Übrigens, wer von diesem Geist besessen ist, wird nie gebären oder Kinder haben. Zu seiner Linken ist Ajapa, der Krokodilsgeist in weiblicher und männlicher Gestalt. Jede hat eine ermächtigende Kalebasse, eine Papageienfeder auf dem Kopf und ein Ei im Maul. Über ihnen schwebt ein indischer Guru, der Mami Apukes muslimischen Ehemann darstellen soll. (Bruce Sonde 2004, bei H. J.Drewal, Mamiwata, p.97)

Die für uns überraschende Rolle von Muslimen im Voodoo-Kult erklärt B. Jewsiewicki mit Blick auf den Nordosten des Kongo: Man führe den kommerziellen Erfolg muslimischer Kaufleute, oft Suahili von der afrikanischen Sansibarküste, auf fremde okkulte Mächte zurück, die sie besser für die Meisterung der modernen Welt präparierten. (ebd. 132).

 

Ob Togo oder Kongo, überall bestimmen ähnliche Wünsche die Mamiwata-Darstellungen. Das POSTER zeigt eine Humoreske des kongolesischen Malers Cheri Samba (Sprechblase):

Oh! Oh Sim! Oh Sim!
Im Namen von Sim Simaro
dass dieses schöne Mädchen
Mamiwata No. 2 mir begegnet Oh Sim!
Oh Zaire-Strom Oh
Kapanga No. 60 Ecke Avenue Bokasa
Oh Sim Simaro! Amen Amen Amen

Der Ethnologe B. Jewsiewicki (ebd. 129) erklärt den Erfolg der Wasserkulte so:

 An der Kongomündung griffen Wassergeister lange schon in Heilungsprozesse ein. In der modernen Stadt betrachtet man auch Geldmangel, geschäftliche Misserfolge und Arbeitslosigkeit als Krankheiten, gegen welche die Sirene eine moderne Heilkraft in Stellung bringen kann.

Doch wie Eva ist sie von einer Schlange begleitet und wird am Ende einen Mann zu Fall bringen. Wie eine Femme fatale isoliert die Sirene ihren Partner von der Welt seiner Frau und Kinder. Im Tausch gegen Reichtümer wird er ihr das Leben enger Verwandter anbieten oder auf weitere Kinder verzichten. Eifersüchtig und besitzergreifend, duldet sie keinen Verstoß gegen die auferlegten Bedingungen. Verführt von dem Glanz moderner Macht, wird der Mann ruiniert durch Vergnügen und Konsum. Der frühere Präsident Mobutu genoss die Protektion der mächtigsten Sirene. Seine schrankenlose Macht, der Tod vieler seiner Freunde, seine Flucht aus dem Kongo und sein einsamer Tod in Marokko passt zu diesem Narrativ.

Den Unterschied zu traditionellen, auf die Dorfgemeinschaft bezogenen Kulten kann man an der Legende um die Wassergöttin JINE FARO aus dem nördlichen Binnendelta des Nigerflusses ablesen.

VOM WASSERGEIST ZUM STAR

Das Bild der MAMI WATA ist von importierten Mustern inspiriert, nach der um 1880 in Hamburg gedruckten Lithographie eines ‚indischen Schlangenbändigers’ (VITRINE) und unter dem Einfluss von populären religiösen Drucken aus aller Welt. Mami Wata wurde und wird mit allem, was auf dem städtischen Markt an Konsumgütern erreichbar, auch Cognac und Parfum, verwöhnt. Die Hilfe in allen Lebenslagen hat eben ihren Preis.

Traditionelle Darstellungen von Wassergeistern (VITRINE), deren Verehrung noch vereinzelt mit am Strand aufgestellten Tongefäßen praktiziert wird, wurden durch weibliche Schönheiten eines internationalen Typs ersetzt.

WAS HEISST ‘AFRIKANISCHER REALISMUS’ ?

Ein gemäßigt naturalistischer Stil ist schon lange an der Atlantikküste heimisch. Die Keramiken der Nok vor zweitausend Jahren, die Benin-Bronzen von Fürsten und gerüsteten Kriegern, die Holzfiguren von der Kongo-Mündung waren so wenig ‚realistische’ Porträts oder ‚naturalistische’ Abbildungen wie die digital retuschierten Ikonen der globalen Konsumgesellschaft. Sie idealisierten das Bild der Ahnen und der Auftraggeber oder karikierten unerwünschtes Verhalten. Den Porträtierten allzu lebensecht darzustellen, war riskant – ein wenig kennen wir das ja auch noch.

Dabei zeigt sich eine große Bandbreite: Die attraktive, ja ‚süße’ Aufsatzmaske des trickreichen Gottes ESCHU könnte auf demselben feierlichen Umzug aufgetreten sein wie die weiß gepuderte Karikatur eines EUROPÄERs auf der Gegenseite des Raums. Er trägt Stammesnarben, ist also voll in den Kult integriert. Beide traten bei Festaufzügen urbane Yoruba in Nigeria auf.

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