Lwalwa – Figur eines jungen Tänzers

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BEGEGNUNG

Der Flohmarkt ist dieses Jahr eine Herausforderung. Die von weither anreisenden Händler haben mein Mitgefühl. Doch diese Figur lohnt die Mühen. Die Verortung bei den Lwalwa durch ein stiltypisches Kennzeichen ist nur eine komfortable Zugabe. Ihre Ausstrahlung entsteht aus der Kraft männlicher Jugend wie aus der künstlerischen Umsetzung. Der Federschmuck tut ein Übriges. Der Körper spricht seine eigene Sprache; über und über rot gefärbt muss er unwiderstehlich gewesen sein.

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ERSTE ORIENTIERUNG

Bei Kerchache/Paudrat (Kunst des schwarzen Afrika, 1989, 593)) lese ich:

An Skulpturen existierten nur einige recht rohe Figurinen, deren Gesichtszüge nach den Masken kopiert sind und die beim Fruchtbarkeitsritual oder auch dem den Boten der Ahnen, Geistern, geweihten Kult eine Rolle spielten. Dagegen heißt es von den Masken, dass sie von großer plastischer Kraft und bemerkenswerter Abstraktion sind …. Der Bildhauer hatte einen privilegierten Status und ließ sich reichlich bezahlen; sein Beruf war erblich und es kam oft vor, dass er durch seinen Reichtum die Funktion des Dorfoberhauptes ausübte und mit der Organisation der Maskentänze betraut war.

Mir erscheint das Ganze eigenartig: Da hebt man die Kunstfertigkeit und den hohen Status der Schnitzer hervor –  und macht dann diese abwertende Bemerkung über Figuren!

Die einzige Literaturangabe führt zu einer schmalen Monographie: P. Timmermans, Les Lwalwa in Africa-Tervuren 1967 (Frobenius-Bibl. : Ps VI 3c XIII -1067). Dieser Aufsatz hat nur 18 Druckseiten mit 25 Abbildungen und endet in Fragen.

Timmermans bildet eine einzige – weibliche – Figur ab (S. 85,89 Fig 18a und b) – aus einem Fruchtbarkeitsritus und beruft sich dabei auf eine mündliche Mitteilung von M.R. Ceyssens. Andere Auskünfte zur Verwendung solcher Figuren habe er nirgends erhalten. Morphologisch urteilt er: Der Kopf korrespondiert mit den Gesichtszügen der Masken. Die anderen Teile des Körpers sind ungelenk und ohne den geringsten Ausdruck. (La tête correspond aux traits des masques. Les autres parties du corps sont raides et sans la moindre expression.)

Statuen sind sehr selten bei den Lwalwa („La statuaire est très rare chez les Lwalwa“) kann also als Entschuldigung für eine gewisse Ratlosigkeit gelesen werden.

Felix (100 Peoples ...) zeigt auch nur ein Figurenpaar (Zeichnung), doch im Stil ganz anders, angeblich handelt es sich um Ahnen.

 

BESCHREIBUNG DER FIGUR

Mit dem Hinweis auf Maskengesichter kann ich etwas anfangen, ich erkenne darin den Typ Shifola mit Kussmund und einer kräftigen gebogenen Nase, deren Wurzel vom Stirnbogen verschattet wird. Wenn man die strenge Frontalsicht verlässt, erscheint das Gesicht der Figur als integraler Teil des Kopfes. Repräsentiert die Figur einen Maskentänzer? (Abbildungen unten)

Der eher kantige Kopf und der muskulös gerundete Körper stehen in kaum wahrnehmbarer Spannung zueinander. Man muss die Masken der Lwalwa schon kennen, um sie an der Figur zu wiederzuerkennen, aber sie sind ja bekannt. Diese Maske wirkt jedenfalls nicht aufgesetzt.

IMG_5961-Lwalwa-Figur RückenObwohl  bereits ohne seinen Federschmuck der Kopf dominiert, ist der kraftstrotzende junge Mann mit der Figur eines Ringkämpfers die muskulöseste afrikanische Figur, die ich kenne. Von hinten gesehen, lässt eine Pilzfrisur den Hinterkopf frei. Der sitzt auf einem klassischen ‚Stiernacken’, und der wächst aus gewaltigen Schultern und einem breiten Kreuz bei eingezogenen Pobacken. Die Beine stehen breit auf dem Boden. Zwischen ihnen sieht man ein beeindruckendes Gehänge.

Von vorn und von der Seite gesehen, sind Brust, Schulter und Bizeps eins und Unterarm und Hand zu bloßen Anhängseln geworden. Muskelpakete und Bauchwölbung bilden einen Dreiklang. Der Penis – nicht erigiert – ist kräftig und beschnitten. Die kurzen Beine sind Säulen auch von vorn, die Füße überdimensionierte Blöcke.

Eine perfekte Rundplastik, in die sich Profil und Dreiviertelansichten bruchlos einfügen. So stelle ich mir vor, dass geschulte und erfahrene Schnitzer weltbekannter Tanzmasken Figuren schnitzen!

Die Oberfläche zeigt Glanz, aber nicht den gereinigter und aufgearbeiteter Figuren, wie ich sie heute wieder bei M. sehen konnte. Manchmal bekommt W. Figuren, die überreich an ‚forensischen‘ Spuren sind, ohne deshalb Ruinen oder primitiv zu sein.

Überall zeigen sich verborgene rote Pigmente – wohl wie bei den Masken aus dem roten Saft der mukula Frucht (Timmermans 85) – an Bauch und Armen auch Spuren von Weiß, wenn das nicht Ausblühungen oder Opferspuren sind. Daraus besteht aber vermutlich die sehr unruhige dunkle Oberfläche. Wegen leichter Fraßspuren an den Oberflächen im Beinbereich der Figur, stärker am Penis, komme ich darauf.

 

DER TANZ IN DER IDEALEN WELT DER TRADITION

Von den zahlreichen Lwalwa-Masken heißt es gewöhnlich: „Sie erscheinen im Augenblick der Beschneidung und gehören zu Geheimbünden, die später bestimmten Mitgliedern eine weitere Vertiefung der Initiation vermitteln, die mit der Initiation begonnen hat. So Laure Meyer in Schwarzafrika (1992, S.89, Nr. 70  Abb.rechts).

LaureMeyer1992-no.70 Nkaki-Maske

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William Fagg formulierte in seinem schönen Buch „Tribes and Forms in African Art“, London 1965 prägnant die traditionelle Rolle dieses Tanzes:

Wie in den meisten Stämmen des südwestlichen Kongo feiern die frisch beschnittenen jungen Männer den Abschluss der Buschuniversität und ihren Eintritt in den Stamm mit rituellen Maskentänzen, die nicht nur ein Mittel der Selbstdarstellung sind, sondern den direkt der Gemeinschaft nützen, indem sie Lebensenergie generieren unter rituell kontrollierten Bedingungen, die das Risiko einer Kontaminierung mit dieser fast radioaktiven Substanz auf ein Minimum beschränken sollen.

Fagg-Tribes 1965 Balwalwa

Fagg: Tribes…. 1965  p.99  Balwalwa

(As in the most of the tribes of the south-west Congo the newly circumcised young men celebrate their graduation from the bush university and their entry into the tribe by performing ritual masked dances which are not only a means of self-expression but are of a direct value to the community by generating life-force under conditions which are ritually controlled so as to minimize the risk of meddling with this almost radioactive substance.) (99)

An der 1930 im Mboi Distrikt gesammelten Maske (Abb.) aus Tervuren hob Fagg die Aggressivität der Nase (aggressive salient nose) hervor. Die der weiblichen Masken sei zurückhaltender (more restraint). Wie bei der Initiation bei den Yaka wird die ‚männliche‘ Lebensenergie gefeiert und mit ‚erigierten‘ Nasen verbildlicht. (Link zu „Drei Masken für festliche Auftritte“). Rik Ceyssens vergleicht in „Masterpieces… Tervuren“ (1996, no.51 p.166) den Nasentyp mit „the overwhelming beak of a kind of calao“ (Hornvogel).

 

 

 

 

TANZ IN DEN FÜNFZIGER JAHREN

Timmermans hatte in den fünfziger Jahren Gelegenheit, einen solchen Tanz  namens bangongo im Dorf Mukwenda des groupement Bishi-Kaluama zu sehen. Er wurde jeweils von einem Dutzend Tänzern mit nacktem Oberkörper und einem Schurz aus dem Fell kleiner Affen oder Schleichkatzen auf den Hüften ausgeführt. (87) Die jungen Männer zwischen 15 und 20 kamen aus einem Buschlager, wo sie zwei oder drei Tage durch Stockschläge und Training auf ihren Auftritt vorbereitet worden waren. Hoch erregt kehrten sie zurück.

Timmermans schildert, wie die Tänzer in acht sehr anstrengenden und perfektionierten Choreographien sich völlig erschöpfen, anfangs auf den Fersen hockend, dann trampelnd, mit Tempo und Artistik, mit konzertierten Schreien, lärmend gegen das Publikum vorrückend. Mehrere Saltos vorwärts hintereinander, die auf den Fersen enden, schließen die Folge ab (87). Am Ende sind die Tänzer kaum noch wiederzuerkennen, sind durchgeschwitzt und ringen nach Atem. Nach einhelligem Urteil der Zuschauer gehören sie zu den besten Tänzern überhaupt. (88) Einen solchen idealen jungen Mann könnte die Figur darstellen.

 

WIE WEIT GING DIE PROFANIERUNG DES TANZES ?

1967 traten feste Tanzgruppen junger Männer unter dem Einfluss westlicher Kultur gelegentlich in Luluabourg oder Tshikapa auf, um damit etwas Geld zu verdienen. (86)

Dieser Trend wird von Zoé Strother für die Pende bestätigt (Link). Andererseits muss man vielleicht den Eindruck relativieren. Arthur Bourgeois beschrieb 1985 bei den Yaka effektvolle Auftritte, die durchaus mit dem ernsten und komplexen Geschehen der Knabenbeschneidung vereinbar waren. Von den erheblichen Unkosten musste wenigstens ein Teil wieder herein kommen. Freilich ist der Auftritt vor einem städtischen Publikum oder bei einem von der staatlichen Obrigkeit organisierten Tanzfestival wohl nicht dasselbe wie vor den zur Solidarität verpflichteten entfernten Verwandten aus den Nachbardörfern. (Link „Yaka – Drei Masken ….“).

Timmermans betonte, dass man während des Tages generell ohne Maske  tanzte –  ohne Gesichtsmaske ? Dabei ist zu bedenken: Der Tanz und das Kostüm sind das Primäre, nicht die hölzerne Maske – und zwar, um die Frauen vor dem Anblick zu schützen, denn das könne böse Folgen haben, namentlich die Fruchtbarkeit und Entbindung gefährden. (85) Ich wäre gespannt zu erfahren, wie lange die Vorsichtsmaßnahme die Profanierung überlebt hat.

 

MASKEN-VIELFALT

Die Lwalwa verwenden vier Maskentypen, schreibt Timmermans. Er orientiert sich an einem Unterscheidungsmerkmal, der Form und Länge der Nase: Die männliche Maske Nkaki hat eine sehr lange gerade Nase, die sich über die Stirn in einem Kamm fortsetzen kann, Mushika, weiblich, trägt eine Stirnhaube und eine etwas kürzere Nase, darin ähnelt ihr die männliche Mwondo. Die Shifola schließlich ist ebenso Darstellung eines Mannes, doch die Nase ist kurz und rund. (85).

Timmermans Lwalwa Masken p,84_shifola

Timmermans Lwalwa Masken p,84_shifola

Timmermans Lwalwa Maske p.86

Timmermans Mushika  p.86

 

 

 

 

 

 

 

Timmermans Lwalwa p.98

Timmermans p.98 Mwondo

Timmermans Lwalwa Maske p.83

Timmermans Nkaki Maske p.83

 

 

 

 

 

 

 

 

Die genannten Kriterien sagen wenig über die Vielfalt in den Maskengesichtern aus, für welche die Lwalwa-Künstler berühmt sind. Ich habe eine ganze Reihe von Abbildungen vor mir liegen.

Da gibt es großflächige breite Gesichter und eher zarte mit hervortretenden Wangenknochen, die Nase kann grotesk oder plump sein oder elegant, die Stirn heiter oder finster, die waagrechten Augenschlitze, parallel oder individualisiert, liegen im Hellen, weil die Augenbrauen zusammen mit der Nasenwurzel weit nach oben versetzt sind, oder wie bei der shifola im Schatten der schweren Augenbrauen. Der Ausdruck des hervorstehenden Mundes variiert zwischen kokett oder ‚schön’ und ‚hässlich’ und brutal. Die Ohren sind eher unwichtig, vor ihnen ragen zwei pockenartige Schmucknarben als seitliche Fixpunkte vor. Alle diese Variationsmöglichkeiten lassen sich noch durch die Bemalung steigern.

Das Maskengesicht der Tänzerfigur ist ein Gesicht von gleichem Recht wie alle die anderen! Auch wenn wir nicht wissen, wann dieser Figurentyp erfunden wurde und welche kultische Rolle er gespielt hat.

 

Was bedeuten unterschiedliche Maskengesichter, männliche wie weibliche?

In der Anmerkung 45 (85) übernimmt Timmermans von Maesen den vollständigen Namen der shifola-Maske, Tshikuluulu, was hibou (Eule) bedeuten soll. Passen dazu Schlitzaugen? Wie demm auch sei, ich habe im Blog (Link) über eine Eulenmaske der Luba gezeigt, dass uns  wir damit jedenfalls mitten in der typischen Drohkulisse von Initiationsveranstaltungen und in der zwielichtigen Sphäre von Geheimbünden befinden. Die Eule ist ein in Afrika gefürchtetes Wesen des Zwielichts.  An traditionellen Bedeutungen erfahren wir hier nicht mehr.

In der Anmerkung 46 macht Timmermans eine Aussage über den zeitgenössischen Auftraggeber und dessen Typwahl!

Der Tänzer bestellt bei einem Schnitzer eine Maske seines bevorzugten Typs. Ohne die Kriterien zu kennen, auf die er die Entscheidung für einen Typ gründet, wissen wir doch, dass die Physiognomie des Tänzers eine Rolle dabei spielt. Man muss dazu bemerken, dass die Männer ebenso in der weiblichen Maske ‚mushika’ tanzen. Der Lohn für den Schnitzer heißt ‚katanu’“.

Das Gesicht der Figur zitiert zwar den Typ der shifola, aber ist ebenso individuell gestaltet wie andere shifola-Masken es sind. Der Tänzer wählt die für ihn passende ‚Mischung‘ der Gender, und das ist gerade heute in Europa ein aktuelles Thema. Strother erzählt von den Pende die Erfahrungen eines eigenwilligen jungen Tänzers (Link: „Modernisierung der Pende-Masken “ – dort im „Nachtrag vom  20.1.17“). Interessant ist auch die moralische Komponente im Verständnis der Pende: ‚Weibliche‘ Zurückhaltung zeichnet auch den idealen Häuptling aus.

Gerade weil die Tänzer im Tanz – in der Choreografie, den Gesichtsmasken und im Kostüm – die Tänzer mit ganzer Kraft – bis zur Erschöpfung – die kollektive Lebensenergie erneuern, spielt ihre ganz persönliche Konstitution eine entscheidende Rolle. Die Anpassung der Maske an die individuelle Physiognomie kann man also als Steigerung der Identifikation mit dieser ‚tragenden Rolle‘ für die Gemeinschaft sehen.

 

FEDERBUSCH

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Den Masken hat die Figur den Federbusch voraus, der aus einer Öffnung auf der Schädelmitte wächst, einem für magische Kraftfiguren wichtigen Ort, von den Yombe und (Ba)kongo über Yaka (Bourgeois, Art of… 1984, no.206, charm container) und Pende (Strother : Pende pl.41) bis zu den dafür notorischen Songye und Luba. – Nun zeigt aber die Facebook-Seite „“ unter dem Datum 26.9.2011 einen Maskentänzer mit Federbusch und Kostüm, Ausschnitt aus einem Feldfoto (anonym). Was der wohl bedeutet?

 

 

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