Ce Shaozheng flaniert durchs alte Peking

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Im Urlaub auf der Insel hatte ich amĂŒsante BĂŒcher dabei, unter anderen:

Ce Shaozhen : Flaneur im alten Peking – ein Leben zwischen Kaiserreich und Revolution (Diederichs Verlag 1987, illustrierte gebundene Ausgabe – der beigelegte Stadtplan ist unbrauchbar. Empfehlung: Link).

Eine Besonderheit: Das Buch musste nicht ins Deutsche ĂŒbersetzt werden, da der Verfasser, ein mongolischer Prinzensohn, der eigentlich Tsedan Dorji hieß und in Peking 1914 geboren wurde und dort aufwuchs, mit 12 Jahren die Deutsche Schule im Gesandtschaftsviertel besuchte und 1930 bis 1934 in Deutschland, Hirschberg, Schlesien, zur Schule ging.

Danach lebte er fĂŒr den Rest seines Lebens wieder mit kurzen Unterbrechungen in Peking. In den achtziger Jahren schrieb er seine Erinnerungen an das Peking vor 1949 in gepflegtem Deutsch nieder mit den Geschichten und GerĂŒchten, die dort erzĂ€hlt wurden. Die Herausgeberin des Buches, Margit Miosga, war von Freunden darauf aufmerksam gemacht worden. Sie hatte dann die Idee, den Verfasser seine eigene Lebensgeschichte ins Mikrophon erzĂ€hlen zu lassen und diese ErzĂ€hlung zwischen die Kapitel zu streuen. So kam ein persönliches und facettenreiches Buch zustande, voller interessanter Details ĂŒber das Leben von Chinesen und vor allem auch AuslĂ€ndern im ‚Gesandtschaftsviertel’. In dem Milieu, in dem Fritz Wiegmann 1936 ein ganzes Jahr verbrachte, ging Ce Shaozhen ein und aus. Der weltgewandte junge Mann, alles andere als ein Kind von Traurigkeit, suchte in den dreißiger und vierziger Jahren unter westlicher und japanischer Herrschaft das Beste aus beiden Welten zu bekommen. Er genoss das Leben und stilisiert sich auch nicht nachtrĂ€glich zum Moralisten. Die Kapitel heißen etwa: Geschichten aus dem Kaiserpalast, Ein Blick auf das alte Peking, Bestechung, Schnaps und leichte MĂ€dchen, Die Rolle der Warlords in China, AuslĂ€nder in Peking. Nach der LektĂŒre sehe ich manches an Wiegmanns EindrĂŒcken anders und schĂ€rfer als zuvor.

So reprĂ€sentierte der von Wiegmann als „verlogenes Theater“ skandalisierte Kunsthandel in der Liulichang nur das, was in der GeschĂ€ftswelt NormalitĂ€t war. Gerissene GeschĂ€ftsleute waren sie alle, clevere Chinesen wie die GlĂŒcksritter aus aller Herren LĂ€nder. Das ist uns heute doch nicht fremd. Selbst Ordensleute drehten krumme Dinger (Immobilien, S.167). Ohne irgendwo einen moralischen oder politischen Vorwurf zu erheben, zeichnet Ce in vielen Facetten (AuslĂ€nder in Peking) die Anwesenheit der EuropĂ€er als Besatzungsmacht, mit der man sich eben arrangierte, nicht anders als dann nach 1938 mit den Japanern. Deren Mitglieder lebten wie die sprichwörtliche Made im Speck. Manche kannten von China kaum mehr als Dienerschaft, Lieferanten und ‚GeschĂ€ftsfreunde’, dazu die Ausflugsziele Pekings. Wozu Chinesisch lernen? Die Annoncen auf der RĂŒckseite des Zeitungsausschnitts im Peiping Chronicle sind typisch. In ihrer kollektiven Dreistigkeit erinnern mich die AuslĂ€nder an die Freier der Penelope in der Odyssee. Auch Wiegmann und der junge Deutsche, der ihm Ende 1938 aus Peking schrieb, gehörten zu dieser ignoranten und parasitĂ€ren Welt. Der Soziologe Albert Memmi hat das koloniale System fĂŒr eine nordafrikanische Kolonie (Tunis) und seine Rollenverteilung modellhaft beschrieben, aber es passte auch auf ‚Old Peking‘. Die westliche Zivilisation war ĂŒberlegen. Wenn ihre typischen ReprĂ€sentanten auch lĂ€cherlich wirken mochten – zumindest fĂŒr gebildete Chinesen –  fiel im PortrĂ€t des  Ce Shaozhen als smarter junger GroßstĂ€dter kein bitteres Wort ĂŒber sie.

Bei Dubosc 1936/37

Bei Dubosc 1936/37

Pidgin? Mit dem Hausherrn Chinesisch!

Pidgin? Mit dem Hausherrn Chinesisch!

NatĂŒrlich gab es Ausnahmen, Fachleute oder Außenseiter. Wiegmann konnte keiner werden. Als Gast und Gehilfe des Kunstsammlers und Diplomaten Dubosc und ohne Beherrschung des Chinesischen stand er nicht auf eigenen FĂŒĂŸen. Auch PortrĂ€tauftrĂ€ge – wie viele ĂŒberhaupt? – erhielt er innerhalb der Kolonie. Wie oft und wie weit gelangte er entdeckend ĂŒber die behĂŒtete Nachbarschaft hinaus? Seine eigenen Fotos zeigen nur bekannte Ausflugsziele und belegen SpaziergĂ€nge vor die Stadtmauer. Im GĂ€stebuch seiner Ausstellung in der Nationalbibliothek Ă€ußerte ein Besucher seine EnttĂ€uschung ĂŒber den engen Aktionsradius des Malers Wiegmann. Und da war ja auch – wie vorher auf Mallorca – die diplomatische Vertretung des Deutschen Reiches nebenan, von der er sich beobachtet fĂŒhlen musste, und die ihm am Ende des Jahres den Pass nicht verlĂ€ngerte. Er war damals das vierte Jahr (unbezahlt) vom Schuldienst in Berlin beurlaubt. Die Ausstellung in der Nationalbibliothek – mit einem offiziellen Dankschreiben als Leistung fĂŒr die deutsche KulturreprĂ€sentation (s. unten Leuthner)  gewĂŒrdigt (im Archiv) – unterstĂŒtzte eine gerĂ€uschlose RĂŒckkehr ins 1933 verlassene Deutschland. Die ende 1938 beantragte  Wiederausreise nach China  wurde dem wehrpflichtigen Deutschen nicht genehmigt. Die deutsche Gemeinde war dem Regime sowieso nicht japanfreundlich genug. (M.Leuthner: Deutschland und China 1937-49. MĂŒnchen 1995, 374 f.)

Über europĂ€ische Stereotype gegenĂŒber Chinesen in der britischen Kolonie Singapur informiert unterhaltsam die die BroschĂŒre „Our Singapore“, die nach 1900 zusammengestellt wurde.

Der Link zum Heft und Kontext.

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