‘Theater in Liulichang’ – Peking 1936

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Undatiertes Manuskript von Fritz Wiegmann, worin er seine Erfahrungen mit dem chinesischen Kunsthandel 1936 humoristisch verarbeitet – im Besitz des Instituts für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main, Transkription D.v.G.

 

Freches Theater in Liu Li Tschang

 

Wenn man von chinesischem Kunsthandel spricht, muss man von Lin Li Tschang erzählen, die Straße oder der Stadtteil wo mit Kunst gehandelt wird!

Mit dem, was man dafür hält, was man gefälscht, was man mit bunten Stempeln bedruckt hat, worauf man echte und ebenso schwierige Inschriften gemalt hat, wo man zu echten Inschriften die verloren gegangenen Malereien wieder malen lassen kann und wo man auf echte unsignierte Bilder etwas passendes schreiben und eine kleine Sammlung Stempel aufdrucken lässt. Es gibt dort auch zuweilen echtes und Liu Li Tschang ist ein Theater in sich, es hat seine Stars und ein gut erprobtes Repertoire an Dramen, Komödien und Operetten, die man mit Kunden, besonders Ausländern, aufführen kann und die alle denselben Titel führen

„Kunst verkaufen“. Dieses Theater ist wirkliches Theater. Die Darsteller, die das Stück kennen, haben den Spass den sonst das Publikum hat und bekommen die Kasse. Das Publikum – der Käufer – hat keine Ahnung, dass es auf einer Bühne steht und seine Rolle ist daher oft besonders wirkungsvoll und komisch, ausserdem muss er bezahlen. Die Improvisationen, die gelegentlich in den erprobten Stücken notwendig sind, werden von den Stars mit viel Witz und mit einer gewissen Sicherheit erfunden. Aber im allgemeinen scheinen die Stücke und Rollen so weit entwickelt zu sein, dass sie reibungslos ablaufen können. Es soll ein Drama aus Liu Li Tschangs Repertoire dem Inhalt nach erzählt werden.

Ein Sammer hat Bilder bei einer Bank deponieren müssen, zweifellos ist er in Geldnot und gezwungen unter Preis zu verkaufen. Vorverhandlungen mit dem Kunden, Fotos die gut aussehen, gelegentlich eine Reise in eine entfernte Stadt.

Feierliche Visite nach einigen Tagen in der Bank. Unterhaltung mit Teetrinken, der Leiter der Bank reserviert, ‚grosser Mann’. Der bedeutende Sammler und Besitzer hat ganz große Objekte in Mengen zu enormen Preisen an ebenso berühmte grosse Sammler verkauft

(Rückseite des ersten Blattes)

Die Darsteller füllen zahlreicher die Szene, man ist von der Klugheit und dem Kunstverständnis des Kunden so bezwungen, dass Sammler und Bankdirektor sich nicht enthalten können zu beraten ob man nicht einige kostbare Bilder zeigen soll – sich selbst und dem Kunden zur Ehre. (Der Händler aus Liu Li Tschang kauert gewissermassen in der Ecke – wer würde vom Geschäft sprechen unter solchen Leuten) Neue Darsteller, Komparsen, holen endlich Bilder, das Licht ist schlecht, Hitze, der Kunde ohne Lupe, ganz nebenbei erfragt der Kunde die Preise, man zeigt eine Liste, festgelegte Preise! Sehr hoch. Nach guter Sitte wird der Kunde später dem Händler seine Angebote machen, etwas unter der Hälfte. Der Kunde muss rasch zugreifen denn der Sammler braucht so sehr das Geld zum Fest wo nach altem Brauch Schulden bezahlt werden müssen, der Arme muss sehr unter Preis verkaufen, der Händler kann dem Boy des Kaufenden keinen Obulus geben da er ja nichts verdient, wenn das Bild so billig verkauft wird. Der Kunde ist glücklich, er ist nach langer Jagd Besitzer des Bildes. Echtheit kein Zweifel, eine Bank sollte auf falsche Bilder Geld leihen? Vorhang. – Die Stars gehen ins Teehaus und mit freundlichen Mädchen und Opium feiern sie die erfolgreiche Inscenierung, den glücklichen Verkauf einer Fälschung. Dieses Drama setzt sich in einer Operette fort.

Vorspiel. Der Kunde hat einem Liu Li Tschang Händler beweisen können dass ein Bild echt war, welches er bei einem 2. Händler, dem natürlichen Feind, des ersten gekauft hat. Das ist noch nicht schlimm aber der erste Händler hat ein gleiches Bild gebracht, dasselbe Motiv, derselbe Maler und der Kunde hat dem ehrlichen und erfahrenen Händler bewiesen dass sein Bild falsch ist. Der Händler steigert seine Rolle ins Monumentale. Die grosse Arie der Operette(…..)

Ende der zweiten Seite. Ein überzeugender Anschluss zum Text der dritten Seite fehlt. Das erste Blatt dünnes Luftpostpapier ist um ein Viertel kürzer, aber das war schon beim Beschreiben so. Der Text wird von der Vorderseite zur Rückseite nicht unterbrochen. Es folgt die Transkription der dritten Seite.

Bilder zu kaufen, vielleicht viel teurere, nur müssen sie in seine Sammlung passen. Man wird verrechnen. Der Psychopath nennt Namen, er wird 〈leicht〉 grosse teure Sachen bringen, wunderbare Bilder, dem Kunden wird etwas Angst ob sein Geldbeutel gross genug sein wird, das alles zu erwerben, was vor ihm erscheinen wird. Vielleicht wird er nicht genug Geld bereit haben um zugreifen zu können, es ist zu schade, wirklich grosse Dinge zu verpassen. Der Psychopath ist geneigt Kredit zu gewähren, sein Geschäft ist viel wert und er kennt ja den Kunden, der auch ghanz schöne Sachen schon hat, die auch etwas wert sind. —

Der Händler bringt nach Wochen ein scheussliches Bild, das garnicht in die Sammlung des Kunden passt. Er versteht nicht dass der Kunde nicht begeistert ist, aber er wird sich mehr auf ihn einstellen, natürlich kann er anderes bringen oder falls der Kunde das Geld will?  jederzeit    . . .   Man ist nicht arm und nicht unhöflich, man wird in 2 Wochen  prachtvolle Sachen von dem Händler sehen oder er wird einfach das bischen Geld zurückgeben . . .

Viele Wochen vergehen, der Kunde geht zum Händler will Geld, der zeigt nochmal die schönen Bilder, sie sind inzwischen von einem grossen Sammler beglaubigt, wäre es nicht klug, wenn der Kunde sie wieder nähme, für ein wenig mehr könnte er sie noch immer haben. — Die Komödie kann noch lange weiter gespielt werden in vielen Variationen. Die Chinesen haben grosse Ausdauer <im Theaterspielen> darin. Da der Kunde aber die Lust verlor als er merkte, dass er auf der Bühne stand, statt als Zuschauer im Saale zu sitzen, brachte der Psychopath nach weiteren Mahnungen und Wochen das Geld zurück. Im Finale erschien ein ehrlicher aber verfolgter Händler, ein Kunde der leider nicht genug von Malerei versteht <um echte Bilder zu begreifen> und ein grosses und wertvolles <Palast>Geschäft mit sehr wenig Geld.

Soweit der erhaltene Text. Ich selber durchschaue die Handlung noch nicht ganz. Der Titel ‘Psychopath’ mir für den Händler nicht einsichtig, vielleicht doch die Folge einer Textlücke.

 

 

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Beim Namen der Straße hatte ich mich zunächst verlesen, fand sie nirgends und fragte eine ortskundige Sinologin. Gestern erhielt ich von ihr folgende Antwort:

Liulichang Jahreswechsel 1992-93 (c) Beppler-Lie

Liulichang Jahreswechsel 1992-93 (c) Beppler-Lie

Lieber Detlev,

Ich denke mal, dass es sich um die Liulichang 琉璃厂handeln wird, und dass bei Deinem “Lin” falsch (ab)geschrieben wurde, während das “Tschang” eine alte Schreibweise ist. Die Liulichang war schon zur Kaiserzeit die Adresse für Kunst und Kunstbedarf. Und ich kaufe dort heute noch gerne ein. 2008 eine tolle Kalligrafie, sehr ausdrucksstark und viel duftende Tusche. Du kannst Dir die Liulichang in Peking im Netz anzeigen lassen.

Herzlich, Marie-Luise

Liulichang Jahreswechsel 1992-93 (c) Beppler-Lie

Liulichang Jahreswechsel 1992-93 (c) Beppler-Lie

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das tat ich denn auch. Bei youtube – hier ein Panorama von ‘Preziosen’ –  wurde ich aber erschlagen von der schieren Fülle, fühlte mich sofort darin verloren, nahm die weltberühmte Kunstadresse, die zugleich Touristenmagnet war und ist, wieder wie  Wiegmann als Spielcasino wahr. Man muss sich auskennen und am besten gute Geschäftsverbindungen haben. (Doch wo ist das nicht so?)

Unter den angebotenen Textseiten schien mir die von news.xinhuanet.com (2008) ausnahmsweise nicht marktschreierisch.

Nachtrag 13. April 

Inzwischen scheint mir die Schilderung Wiegmanns unverhältnismäßig aufgebauscht, als ein Zeichen seiner Fremdheit in diesem Land. Wie hätte er auch seine Befangenheit ablegen können ohne Kenntnisse der Landessprache. Lebte er doch als Gast eines französischen Diplomaten mitten im kolonialen Milieu des Gesandtschaftsviertels. Viel später, in unseren Gesprächen, schien er den chinesischen Kunsthandel auf der Folie eines idealisierten europäischen zu sehen. Doch mit dem banalen Geschäftsleben hatte er bereits in Berlin wenig zu tun, als Beamter und Künstler.

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