1O.2.17
Beschreibung:
Fetisch (Nkishi): Öffnung im Hinterkopf und im Nabel
Sklavin: auf dem Rücken gebundene Hände – Felix (100 Peoples) erwähnt traditionellen Status des Sklaven. Etwas anderes kann das auch nicht sein.
Schöne Frau: kunstvolle adlige Frisur mit ausrasierter Stirn, gerader und recht langer Hals mit drei Wülsten; die Frau trägt 11 winzige Kupfernägel als Ziernarben: 3 von der Nasenwurzel zum Hinterkopf, 2 auf den Augen, 6 rechts und links an den Schläfen; sie hat ausdrucksvolle Bohnenaugen (Erhebungen plus Nägel) und ein entwaffnendes Lächeln wie ein Smiley. Die Figur blickt den Betrachter direkt an mit hochgezogenen und markierten Augenbrauen und präzisen Augen, das Lächeln vermittelt gelassene Heiterkeit. Sie ist nicht zuletzt hochschwanger mit attraktivem Bauch, Hohlkreuz und Po. Die Haltung ist tadellos. Der Meister tat nichts Überflüssiges: So auch keine Schmucknarben am Rumpf – Klar! Es ist doch eine Songye!
Stil, Machart, Pflege, Abnutzung und Erhaltung – Eine perfekte Miniatur!
Proportionen: 21 cm hoch, klassisch und vital. Von vorn: Kopf und Hals über ein Drittel (8,5 cm) der Höhe, Rumpf von den Schlüsselbeinen bis zur Klitoris ebenso (8,5 cm), Knie, Füße und Sockel (4 cm) von vorn. Von hinten gesehen bilden die gebundenen Hände ein tief gesetztes Zentrum: darunter 8 cm und darüber 13 cm.
Machart: Klare Konturen und kräftige Kerben: Frisur, Ohren, Augenbrauen, Augen, Nasenflügel, Mund, Klitoris, Füße
Glättung: Gesicht erscheint gründlich geglättet, soweit das nicht bereits Abrieb ist. Die feinen Schnitte sind sichtbar, angenehm, nicht wegpoliert. Sie lassen das angemessene Werkzeug erkennen, mit viel kleineren Schnitten als beim Mbala-Reiter, wo ich den auch angenehm empfand.
Pflege und Erhaltung: Dunkle Pflegepatina wie die meiner ältesten Ibedji. An Frisur, Ohrmuscheln,, Stirn, Nase und Mundpartie, an den hoch sitzenden Brüstchen, Unterarmen und gebundenen Händen, schließlich den Füßen glänzender Abrieb reflektieren Glanzstellen das Licht, sodass das Figürchen immer interessant ist. Kleine Fehlstellen einem Arm und Unterkörper erscheinen als kleine Holzfehler. Sehr diskreter ‚frischer’ Geruch.
Provenienz
Es hat zwar einen gewissen Reiz, aber wer widerspricht schon leichtfertig dem Lieferanten, der eine Provenienz weitergibt, in diesem Fall war es : Zela oder Luba-Katanga, Hemba, Luba-Shankadi, also eher im Osten des Lualaba auf die großen Seen zu.
Woher kenne ich die Frisur? Von zwei meiner drei Medizin-Miniaturen vom Ostkongo bis nach Tansania. Die Sichelform des Mundes erinnert entfernt an die Affen-Masken der Hemba. War sie mit der – im Osten verbreiteten – Frisur für die Bestimmung ausschlaggebend? Oder war es der Ort der Erwerbung?
Weitere denkbare formale Argumente suche ich bei Nooter/Roberts Memory Luba p.213 cat.90 Kusu male chief (Mund) , p.181 cat. 75 Luba dramatically elongated mask (Mund) , p.158 fig. 149 Luba chief Foto 1916 (Augenbrauen), sowie bei Nooter Secrecy cat. 36 Luba bow stand: Hals, Brüste, Schamlippen, Füße plastisch – aber ansonsten die typischen Unterschiede, auch im Gesamteindruck.
Mein starker Eindruck war von Anfang an: Songye-Belande-Milembwe
Neyt: Songye p.380-81 Style I (vgl. die lächelnden Nkishi, besonders cat. 4 und 8) nördlich der Luba-Shaba, 100 km westlich des Lualaba und heute rund 200 km nordwestlich von den Zela
Die Beispiele, beide 58 cm:
Argumente für eine Herkunft von den Songye-Belande in der Übergangsregion mit Luba!
- – Kein schüchternes Luba-Girl mit gesenktem Blick und Sich-an-die-Brüste-fassen, sondern selbstbewusst.
- – Kein Bauch-, sondern ein wenig Gesichts-Punkt-Tattoo, das genauso gut die Funktion von ‚Medizin’ haben kann. Der Meister hätte es berücksichtigt!
- – Die Kopföffnung könnte ein Hörnchen oder einen Stopfen über der Medizin beherbergt haben
- – Der hochschwangere Körper mit durchgedrücktem Rücken, die körperliche Beweglichkeit, der schicke Po, der lächelnde Belande Mund, der kesse offene Blick von ‚Songye’ 8 und 1-7, vor allem auch die Füße und Sockel: der gerade Trennungsstreifen zwischen den Fußflächen, das aktive sich Anschmiegen der Füße an den halbkugeligen Sockel
- – Zwar sehe ich nirgends im Buch diese ‚technische’ Lösung für die Augen, aber dieselbe Wirkung kann auch anders erzielt werden, zum Teil durch ebenso knubblige Augäpfel.
Unser Palaver (oder Brainstorming)
Jetzt kommt auch noch W. dazu, ebenso Kongolese, und bestätigt: die Frisur ist einfach Luba, die Nase, der Po, die Beine auch – aber die Füße wieder ganz ‘Songye’- er produziert sogar auf dem smartphone einen Mund wie ein Halbmond und kommentiert: ‘Luba’. Nach alledem schließt er aber auf denselben Grenzbereich, an den ich auch denke. Sein Landsmann verbessert sich: Um Kongolo am Lualaba leben Luba, Hemba und Songye bunt gemischt. – Ich sollte hier einmal eine Karte einmontieren!
Frage: Gab es bei den Songye traditionell den Status der ‚Sklavin’?
Aber ja, Merriam (1974) schreibt p.234 über einen zweiten Typ von Ehe, mukashanda a bubika, was grob mit ‚sklavengleiche Ehefrau’ zu übersetzen wäre (neben einem dritten und vierten Typ von Verbindung). Die Frau wird in einer Bargeld-Transaktion erworben und hat einen festgelegten Zwischenstatus. Sie ist keine ‚Ehefrau’, mulangantu. Wenn ihre Familie bekannt sei, müsse man weder ihren Vater respektieren, noch ihre Mutter meiden. Der Brautpreis werde auf einmal bar bezahlt. Ihre Arbeitskraft und ihre Kinder gehören dem Mann und seiner Abstammungslinie. Sollte die Beziehung kinderlos bleiben, könne er sie wieder verkaufen. Das Problem dieses Status für die Frau: Sie habe keinen Rückhalt mehr in ihrer Familie. – Diese Eheform existierte auch unter den Bakongo mindestens seit dem 19. Jh. (MacGaffey). War sie etwa im ganzen Kongo-Raum verbreitet?
Laut den Informanten damals in Lupupa sind diese Frauen nie Songye, sondern eher Luba oder Tetela. – Wir haben es haben es also mit ‚Fremden’ zu tun. Passt das nicht zu Fetischen?
Ich lese ein wenig in Fritz Kramer: „Der rote Fez“ über den ‚pepo’-Kult an der Ostküste (S. 99 ff.) und mir kommen folgende Gedanken:
Die von außen gekauften Frau mag unter dem lebenslang fehlenden familiären Rückhalt leiden, auch ihre Kinder werden ihr ideell enteignet, aber sie bleibt auch ihrem Gatten in bestimmter Weise fremd. (Waren es Nebenfrauen? Warum hat er sie zur Frau genommen? Wie zentral konnte ihre Rolle sein?)
Verkörpert der Fetisch nicht diese Art Fremdheit? Sollte man die gefesselten Hände vielmehr als Zeichen dieses Status lesen als für ein Zeichen der Verfügbarkeit nehmen? Unaufhebbare Fremdheit.
Ist das nicht ein der Zweigeschlechtlichkeit oder Doppelköpfigkeit vergleichbares Zeichen?
Wenn bei den Milembwe und Belande rein weibliche Makishi’ vorkommen, ist vielleicht das Zeichen ‘gebundene Hände’ für die Fremdheit ‚eingefangener Geister’ nur weggelassen, um mit den Händen die Energie aus dem Bauchnabel zu betonen? Oder weil jeder sie bereits ohnehin voraussetzt? Oder weil ein Maskengesicht die weibliche ‚Geist’qualität (Dunja Hersak: On the Concept of Prototype in Songye Masquerades (African Arts, summer 2012, vol.45 no.2, 12-23) repräsentiert? Daraufhin auch den Status der Hexe überprüfen!
Bemerkung zu ‚Sklaverei’ – zu einem Tabu für die Menschen in meiner Umgebung!
Jede Art von ‚Sklaverei’ ist heute in Europa tabu, mit Denkverboten belegt, obwohl sie massenweise vorkommt, auch im Einflussbereich Europas.
Der bei den Songye angesprochene fehlende Rückhalt der eigenen Familie ist bei uns Realität für viele ‚Alleinerziehende’. Der Sozialstaat muss mit Maßnahmen und Transferzahlungen einspringen. Der Rückzug in der modernen Gesellschaft auf die ‚Kernfamilie’ verallgemeinert die Isolierung der Individuen in Problemsituationen. Jetzt wird auch die Institution der ‚Ehe’ aufgeweicht und in die Beliebigkeit aufgelöst. Die Vielfalt ‚traditioneller’ afrikanischer Modelle für Paarbeziehungen ist modern! (…)
27. Februar 17
Widerruf der letzten ‘Bemerkungen’ oder auch “Der Fisch stinkt vom Kopf her”
Heute erscheinen mir die Vergleiche unangemessen, die ich vor ein paar Tagen noch erhellend fand. Der Anlass ist für die Wahrnehmung eines Westeuropäers typisch: ein im Netz kursierender Bericht, und zwar über Zwangsehen im Kongo. Die Webseite des UNHCR – <em>http://www.refworld.org/docid/3f7d4e0a15.html; Dokument RDC41768.F – verbreitet einen Bericht, den das ‘Immigration and Refugee Board of Canada‘ am 14. Juli 2003 von einem Wissenschaftler der Universität Kinshasa erhalten hat. Er wird wohl immer noch aktuell. – Übersetzung aus dem Französischen .
Bei der Mehrheit der Völker des Kongo sind Frauen Opfer übler Bräuche und Traditionen, die sie zum Selbstmord oder in die Flucht treiben.
Bei den matrilinearen Yanzi bereichern die Frauen und ihre Töchter den Klan und vor allem den Großvater der Braut, über den Brautpreis im traditionellen System “Kityul” .
Die Töchter werden gezwungen, ihre Großväter, Cousins oder Neffen zu heiraten. Die Braut kann zwölf Jahre sein und der Bräutigam siebzig oder achtzig. Die Eltern haben dabei nicht mitzureden und erhalten auch keinen Brautpreis. Weigert sich das Mädchen, kann der Großvater auf Freiersfüßen sogar einen fiktiven Brautpreis zurückverlangen, den er nie bezahlt hat. Die horrende Summe schreckt neue Bewerber ab.
Warum dulden die Mädchen die familiäre Gewalt? Warum nehmen die Eltern hin, dass sie übergangen werden? Sie haben Angst, durch Hexerei zu sterben, der bis in die fünfte Generation wirken würde, was (übrigens) den Klan schwächen würde.
Auch geht eine Witwe oder unverheiratete Tochter als Erbgut an Bruder, Cousin oder Großvater des verstorbenen Ehemanns, weil sie den Brautpreis gezahlt haben. Sie suchen dann einen Mann aus, der sie beschlafen muss, um die bösen Geister des Verstorbenen zu vertreiben. (…)
In der Folge ziehen davon bedrohte Mädchen und Frauen, die zur Schule gegangen sind oder durch NGOs sensibilisiert worden sind, es vor, die Flucht zu ergreifen, um anderswo zu leben. Die Praxis, eine Witwe zu vererben, findet sich bei über hundert Völkern im Kongo : bei den Bakongo, den Leuten der Provinz Bandundu, bei den Luba, etc.. Bei den Luba kommt vor, dass ein reicher Diamantenschürfer sich bis zu vier Töchter aus einer Famlie kauft. Wer den Anordnungen des Klans nicht gehorcht, wird verhext, vergiftet und verdient den Tod.
NGOs versuchen auch die Männer gegen die Diskriminierung der Frauen zu sensibilisieren, aber bislang urteilt das Land über die Opfer nach dem Gewohnheitsrecht, weswegen man dem Parlament in Kinshasa verschiedene Gesetze vorgeschlagen hat, um gegen das Phänomen « Kityul » vorzugehen.
2003! Seither ohne Ergebnis.
Eine so destruktive Moral der Chiefs hatte und hat desaströse Auswirkungen auf die Gruppe schürt in der Gruppe und zwischen den Generationen Zwietracht. MacGaffey und und Ekholm Friedman schildern diese spezielle Krankheit der kongolesischen Gesellschaft , die bei den Sklaven handelnden Küstenvölkern im 19. Jahrhundert auftauchte und die Kolonialherrn überdauerte. Verantwortungslose Chiefs und Magier machen sich seit bald zwei Jahrhunderten um kurzsichtiger Vorteile willen verhasst. Ihre Position hoffen sie durch List und Gewalt zu zementieren. Dorfdespoten! Wenn sie tatsächlich immer noch die politische Moral an der Graswurzel repräsentieren, dann gnade Gott der ‘Demokratischen Republik Kongo”. Dann wird Kinshasa aus allen Nähten platzen und das flache Land weiter ausbluten. – Und solche Figuren, Zeugnisse dieser “Tradition” sammeln wir in Europa und Amerika?!