Zum Ende der Schriftkultur und ….

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Der Text vom 3. Mai 2014

Auf diesen Gedanken komme ich bei Schriftasketen, ja Schriftmystikern, bei Philosophen in der Nachfolge von Theologie und Metaphysik mit betontem Wahrheitsanspruch. Um die muss es wohl gehen, wenn – etwa bei Vilém Flusser – vom Ende des Schriftzeitalters (Link) die Rede ist.

Es haben ebenso lange Menschen in den Sachen gedacht und in gesellschaftlichem Kontext, selbst der Jesus der Evangelien. Für sie gilt der Epochenbruch nicht, dabei haben die die Schrift erfunden!

Weil ich in den Sachen und in Kontexten denke und  mich als lebendiger Mensch an Mitmenschen richte, fühle ich mich vom angeblichen ‘Untergang der Schrift’ (Flusser) nicht wirklich bedroht. Bei Paul Feyerabend habe ich gelernt, dass wer in den Sachen, in der Natur forschte, traditionell von Klugscheißern umgeben war, die ihm Vorschriften aus höherer Warte machen wollten, nicht viel anders als einfache Menschen, denen angeblich Gott Theologen und abgehobenen Juristen – bewehrt mit den Zwangsmitteln der Obrigkeit – zu Vormündern bestellt hätte.

Die Kontrahenten haben die ganze Geschichte der Menschheit über miteinander gerungen. Sie trennt ihre Einstellung zum autoritativen Wort, zum Satz, zum Richterspruch, aber auch zum Ritual, generell zum Text, und zur Wahrheit, die daran haftet. Wie Vilém Flusser irgendwo ironisch bemerkte: Wir sterben (als Zivilisation) und leben unbeeindruckt weiter. Schreiben nach dem Tod von was immer. Na und?

Darin steckt der antiautoritäre, respektlose Geist meiner Jugend, der sich auch mit Den Großen, und sei es nur medial, auf gleiche Ebene stellt. Paul Feyerabends Anekdote seiner Begegnung mit Wittgenstein hat mir sehr gefallen (im Römischen Interview des WDR, Link). Selbstaufklärung und Aufklärung funktionieren doch nicht anders. Zu Füßen – von wem in welcher Disziplin auch immer – zu sitzen, taugt nur zur Ausbildung von Priestern und Archivaren.       3.5.14 & 27.10.18

23.5.2010:    Misstrauen gegen die Schriftkultur

Sie war autoritär. Sie ist es noch immer, soweit sie Autoren – Lehrer – hat. Ihre Fokussierungen sollten auch deine werden. Ihre sprachlichen Unschärfen (schon ein Pleonasmus!) wurden auch deine. Jenseits ihrer subjektiven Brille – so sagt man heute, wenn nicht schon gestern – gab es keine erreichbare Kontrollgruppe, keine Kontrolldaten usw. Das war eben wie Schule.

Ja, ich schreibe, aber am liebsten im Verbund mit Bildern und dem Zeigen von Objekten. Ich war immer stolz darauf, dass meine Schüler  an mir oft vorbei auf Bildschirme sahen, mit mir zusammen, und wir über ein insofern gemeinsames Drittes sprechen konnten.

Natürlich ist es eine lächerliche Übung, über eine untergehende Kultur herzuziehen. Wozu also? Ich träume – wie letztlich auch Vilém Flusser – von einer Versöhnung der beiden Kulturen. Die Schriftkultur muss dabei herunter von ihrem hohen Ross… („Was ist das, Herr Lehrer?“ „Che cosa significa „Ross“?) – und die Bildkultur muss die Tür ihres modernen Panzers öffnen.

Meine Vorwürfe sind aber noch nicht zu Ende: Das geschriebene Wort hat uns Jahrhunderte lang gründlich belogen. Kann eigentlich Schlimmeres kommen? – Es kann. (“Yes, We Can“) Auf falsches Bewusstsein könnte Bewusstlosigkeit folgen. (Link)

 

25. Juni 2017    Ist das Alles ?

Sich auf ‘die Schriftkultur’ zu fokussieren, mag für nette Essays und akademische Gesellenstücke ausreichen, aber schon hier wird ‘die Lesekultur’ vergessen, und Blicke nach rechts und links: Hier geht ‘die Bildkultur’ an Erstickung unter. Und was alles noch? Etwa ‘die der Umgangsformen’, soweit sie nicht zur Programmierung von Robotern taugen?

Ich will mich hier auf ‘Bild’ und ‘Ding’ beschränken, damit Leser nicht gleich achselzuckend weiterzappen.

‘Bilder’ lehrte Vilém Flusser – und diskutieren David Hockney und Marin Gayford unterhaltsam in “Die Welt der Bilder” (2016, Link) – folgen einer hochdifferenzierten, aber erlernbaren Grammatik. Sonst ist nämlich Schluss mit der individuellen Freiheit und dem, was daraus folgt, der Möglichkeit, Widerstand zu leisten. Scrollende Fingerspitzen sind eindeutig nicht das erfolgversprechende Instrument.

Wenn auch Dinge ihren Eigenwert verlieren – jenseits von Auktionen, Moden oder Sentimentalitäten, jenseits irgendwelcher Reservate wie Instrumentenbau, ‘bildender Kunst’ oder Museumsgut – ist ein Leben im Dreck buchstäblich vorprogrammiert.

Wenn das Versäumnis des Beherrschens einer Schrift mit einer ganzen Reihe weiterer kultureller Verluste einhergeht – aktiv und passiv, und wer verfügte denn anders über einen nennenswerten ‘Wortschatz’ ? – dann habe ich Angst um die Menschen, die jetzt noch in die Welt gesetzt und durch ‘Bildungssysteme’ geschleust werden, viele ja nicht mal erfolgreich. Wer kann noch lesen,  ich meine: komplexer als ‘funktionelle Analphabeten’ oder vom Smartphone gejagte und gestresste ‘Fachidioten’ (Bitte nicht schimpfen! Nur ein neutraler Begriff; Flusser würde seine Etymologie bemühen, “idiotes” (gr.) und “Fach” wie Schreibtischfach)

Das menschliche Leiden wäre heute bereits unermesslich, wenn es nicht ‘Opium’ gäbe. – Ach Marx! Das ‘Opium’ sollte ‘Religion’ sein?  Er hatte noch eine erfahrungsgesättigte traditionelle Kirche vor Augen, der Glückliche!