Grosse Figur aus dem “Ubangi” (Ngbaka) im Vergleich. Sètò und Nàbo.

|

Die linke Figur hat als Sètò bereits seit 2019 einen Beitrag LINK) – Alle Fotos  c Gv

Die auf dem Bild zentrale, fast 53 cm große Figur mit der konzentrierten Kraft einer kleinen Yanda der Mani-Vereinigungen! (LINK zum Beitrag  von 2014). Sie sind in der Region ebenso präsent wie der lange Einfluss der Azande.

Schöne Glättung und diskrete Ausarbeitung von bezeichnenden Details wie : Bohnenaugen, angedeutete Nasentätowierung, Nasenspitze und Mund, Brüstchen, Nabel, Arme und  Kerbungen an Händen und Füßen. Helle Patina, schwarz hervorgehobene schlichte Frisur über hoher Stirn. Kupferohrringe (2,2cm Durchmesser). Für meine Reihe ‘langer Kerls’ neben dem Bett geeignet und für eine Ausstellung! Fester Stand.

Die so enge formale Verwandtschaft der Drei war mir nicht auf den ersten Blick erkennbar.  Sie lehrt uns, genauer hinzuschauen.

Beschreibung der Zentralfigur:

Angenehme Ausstrahlung. Konzentrierter Ausdruck der betonten Augenlider, sich nach vorn weit öffnenden Ohrmuscheln, über die entspannte Haltung einschließlich der Arme und Beine, Bereitschaft zur Bewegung, aber nicht übertrieben. Der Kopf ist oben birnenförmig, die Stirn vorgewölbt und geht bruchlos in die von einem dünnen Nasenrücken gebildeten Gesichtshälften über. Auf ihm sind zehn  Schmucknarben durch Ritzung nur angedeutet. Nasenspitze und Mund folgen als zwei weitere Ritzungen. Die nach innen gewölbten ‘konkaven’ Wangen gehen in Flügelohren über. Die vier Ohrringe sind aus Kupfer. Der Unterkiefer ist sehr kurz und sehr breit. Der Hals ist gut 7 cm im Durchmesser , aber kaum höher als 1 cm, immerhin genug für einen – hier fehlenden – Halsschmuck. Die fast kindlich wirkenden Brüste sind als Kegelchen hervorgehoben.

Die starken Hüften wölben sich nach außen. Die kräftigen Beine sind leicht gebeugt, aktiv wie üblich. Zwischen ihnen ist viel Platz. Ein Venushügel bildet nach unten ein Dreieck. Die darauf eingekerbte Spalte ist mandelförmig. Kräftige Füße mit hohem Spann stehen parallel und haben fünf gleichmäßig eingekerbte Zehen. Der Stand ist sicher.

Die Wirkung beim Drehen der Figur bleibt auf der gesamten Vorderfront optimal. Die Figur steht leicht schief, nach rechts und zeigt die bekannte leicht nach vorn gebeugte aktive Haltung.

Auch im Profil dominieren – bis auf Gesicht und Ohren – nach außen gewölbte (konvexe) runde Formen. Angesetzte dünne, leicht gebogene Arme liegen zur Hälfte an und enden auf Höhe des kegelförmigen Nabels in flachen, außen eingeritzten Händen. Ein Minimum an formaler Spannung  stellen angedeutete gerade Flächen des schmalen Schultergürtels wie der Arme, der Unterschenkel und Füße her, nicht mehr als die gebogenen Kanten am Kopf.

Die Rückansicht ist integraler Teil der soliden Rundplastik, aber trägtmit der abgeschnittenen Eiform des großen Kopfes, der schmalen Halsrille, mit den von der ‘Keksrolle’ des Rückens abstehenden Armen und kräftigen breit aufgestellten Beinen keine Bedeutungen bei.

Mittlere Glättung. Pflegepatina. Solides Kernholz. Breiter Schwundriss hinter dem rechten Ohr; schmaler und ausgespachtelt ist der hinter dem linken Arm und über die linke Pobacke.

 

Vergleich mit der weiblichen Figur eines kleineren Paares aus derselben Region (rechte Seite)

links m, rechts w

Gegenüber der 53 cm hohen ruhigen Figur wirkt die 37,5 cm hohe wie eine Karikatur, als ob sie uns in einem Zerrspiegel erschiene. Die Grundkonstruktion ist gleich, der Unterschied zum grotesken Gnom entsteht durch kleine Veränderungen.

Der eiförmige Kopf bildet eine Frisur aus vier freihändigen Ritzungen. Oben auf der Stirn beginnt eine senkrechte Kante, die in einer Stupsnase mündet.  Mehr Platz lassen die eng stehenden  gebohrten Augenlöcher auch nicht. Damit wird die dicke Oberlippe am kleinen Mundschlitz zu einem Schnäuzchen.

Die großen Ohren der großen Figur tendieren bereits zu nach hinten gerichteten Elefantenohren, aber lassen genügend Raum für die ausdrucksvollen Bohnenaugen rechts und links des zarten Nasenrückens. Die Kinnpartie rundet das Gesicht nach unten harmonisch ab. Bei der kleinen Figur sind Fledermausohren daraus geworden, die auf Augen und Nase drücken. Zwei Bohrlöcher, worin Kettchen hängen, sind noch größer und auffälliger als ihre Augenlöcher, denen wohl die Glasperlen entnommen worden sind. Bei der Großen wirkt der gleiche Durchmesser angemessen.

Die kleine Figur vereinfacht Hals und Schulterpartie zu einem Kegelstumpf (tronc de cône), wodurch Torso und Körperhaltung harmonischer wirken. Auch dass die angelegten Arme außen eine Kurve beschreiben, ist formal ein Plus. Dafür ist der Rücken rund.

Die große Figur scheint die Schultern hochzuziehen, was aber auch Körperspannung vermittelt und die Aufmerksamkeit des Betrachters direkt auf das große Gesicht darüber lenkt. Harmonisch wirken die starken, leicht gebeugten Beine, die senkrecht zu großzügigen Füßen führen. Dagegen hat die Kleine  (wie ihr Partner) kurze und wulstige Ziehharmonika-Beine, ebenso grotesk wie der Kopf.

Die Patina der kleinen Figur glänzt im Bereich des Torso stärker, wo sie angefasst wird, die große bietet sich – bis auf den geschwärzten Hinterkopf – überall zum Anfassen an. Beide sind nicht nachpoliert.

Ich werde übrigens nachfragen: Existiert zur zentralen Figur vielleicht irgendwo ein männlicher Partner?)

Auch eine dritte Figur (linke Seite) entspricht auf weniger extreme Art dem gemeinsamen Typus.

Es ist die Figur des mythischen Ahnen und Helden Sètò der Ngbaka (UBANGI). 32,5 cm hoch. (LINK (2019) dort mit zwei weiteren Vergleichsfiguren). Sie hat von beiden anderen etwas:

Von der großen zentralen Figur:

Ein bis zu den Ohren verbreitertes Gesicht, Ohrlöcher, Bohnenaugen, senkrechte Ziernarben (neben weiteren), Kurzhalsigkeit und breite Schultern, die aber glatt in die freistehenden Arme münden, eingekerbte Finger, große und massige Füße mit eingekerbten Zehen

Von der kleinen Figur rechts:

die nach außen gewölbten, aber hier massigen Beine, den runden Rücken (aber bei flachem Bauch) und Frisurkerben

 An dieser Stelle können wir den Entwurf vom 13.Dezember fortsetzen!

Ein weiterer Vergleich und Informationen zur Verwendung

Auf S. 126 von „Ubangi“ fällt mir eine weitere Figur ins Auge, die Abb. 3.22:

Ubangi p.126, 3.22 Ngbaka Perlo 1912 h. 48cm

An Übereinstimmungen fallen mir ähnliche Proportionen auf, und an Details der ruhige – diesmal kugelförmige – Kopf mit flacher Kappe, runden Ohrmuscheln mit Ohrringen, die stammestypischen vertikalen Schmucknarben, die konkave Umgebung der Bohnenaugen, der eingeschnittene kleine Mund, die Beugung der diesmal angelegten Arme, eingeschnittene Finger auf der Höhe des prominenten Nabels , ein Hüfttuch entsprechend der guten Sitten und stämmige kurze Beine. – Wenn wir erst aufmerksam geworden sind, können wir Übereinstimmungen mit allen drei vorher verglichenen Figuren finden, die Größe und Ausstrahlung der zentralen Figur, aber auch Details an den Kleinen. Aber im Buch „Ubangi“ und in den Blogs findet man noch mehr Verwandte, etwa 1.18, 4.66, 4.67 oder den Figuren im 1965 fotografisch dokumentierten Heilungsritual „Ndábà“ (zitiert im Blog “Sétò” (LINK) Auch seine Gattin Nabo war Thema (LINK).

Der Beitrag hat bisher den Vergleich der Besonderheiten der Schnitzereien in den Vordergrund gestellt, immer auf der Suche nach Bedeutung tragenden Elementen.

Das konnten stilistische Aspekte sein oder körperliche Signale oder Zeichen für repräsentative oder therapeutische Verwendung oder für Übergangsrituale.

 

 Die äußere Gestalt führt nun dank der vom ortserfahrenen Autor Hermann Burssens (LINK 2014)  zusammengestellten Zeugnisse zu den therapeutischen Fähigkeiten und Aufgaben eines in der Region prominenten Geisterpaar, und zu der jeweils unterschiedlichen Handhabung. Obwohl sie von größter Bedeutung ist (MacGaffey), mehr als die Besonderheiten der benutzten Holzfigur, liest man gewöhnlich fast nichts darüber. Die folgenden Zeugnisse stammen denn auch aus einem halben Jahrhundert (1885-1943).

Der „agent régional“ – wohl der Vertreter einer „Konzessionsgesellschaft“ (vgl. LINK)Jacques Perlo hat das Paar unter der Bezeichnung „fétiche galangba“ aus dem Dorf Bogelima (heute: Karawa an der N24) 1912 an das Kolonialmuseum in Tervuren geschickt hat. Die abgebildete Figur ist 48 cm hoch, fünf Zentimeter niedriger als die Große in meiner Gruppe.

Ronse erwähnt, bereits 1885, dass nach den Ältesten der Ngbaka Nàbó den Beinamen (N)Galengba von Sétó erhielt, weil seine Schwester-Gattin unter nervlichen Krisen litt. Man sagte, dass eine Frau mit solchen Störungen dann unter der Herrschaft des Galengba stand. Einige frenetische Tänze von Frauen wurden als Hommage an Nabò eingeschätzt. De Gruben berichtete 1933 über die Existenz von Geistern, von denen Frauen besessen seien. sie ließen sie in Trance fallen, worin die Frauen von Galengba  Ratschläge zu wirksamen Medizinen bekämen. Der Dorfheiler schnitzte bei dieser Gelegenheit eine Statue, die während später auftretender Besessenheit dienlich sei. Scheywarts (Dossier 1939) berichtete von Statuen, die er alle als <ngarangba> bezeichnete, von denen es männliche und weibliche Exemplare gäbe: Erstere bestrich man mit weißem Ton (argile), die weiblichen mit Rotholzpuder. Ihm zufolge wurden sie im Kampf gegen weibliche Sterilität und (allgemein) gegen Krankheiten verwendet. Man bewahrte sie im Haus auf und stellte sie in der Nacht neben die Patientin. Dem Autor scheint es ‘nicht ausgeschlossen’, dass es sich dabei um Sétó und Nabó handelte. Die Parallelität aller zitierten Fälle sei verblüffend.

De Gruben ergänzte allerdings, dass nach einigen Informanten die Geister <Galingbwa> körperliche Missbildungen (déformations) hätten, die man an den sie repräsentierenden Skulpturen wiederfinde. (Jetzt bin ich gespannt!) . Ronse seinerseits bekräftigte bereits 1885, dass einige Figuren mit Missbildungen zur Heilung von kindliche Gebrechen (infirmités) dienten. Sollte ein Kind mit einer Missbildung (beispielsweise nur einer Hand oder einem Arm) auf die Welt kommen, bildetete der Schnitzer das Handicap auf der Figur ab, die danach zum Wohl des unglücklichen Kindes verwendet würde. Burssens  war aber keine Figur bekannt, die solche Missbildungen auch nur suggeriert hätte. Er vermutet, dass die europäischen Sammler damals – Kolonialbeamte und Missionare – sie vielleicht nicht für würdig befanden, sie Museen und Privatsammlern zu schicken. Er referiert anschließend Crabbeck (1943), der die Kraftfiguren (‚Fetische’) bekimi der Ngbaka und ‚Amulette’ beschrieb, die wie Nábó auch Kinderkrankheiten heilten, Die Mutter presste sie im Bett zwischen sich und das Kind, um den bösen Zauber vom Kind auf die Statue abzulenken. (Soweit meine Übersetzung von S.126)

Zur Ergänzung des Themas ‘Handhabung’ wiederhole ich meine Darstellung eines Sétò der Ngbandi:

Ubangi p. 299 8.8-8.9
c Théophile Decoene vers 1965Ngbandi (LINK):

Der Figurentyp begegnet uns wieder in einer Fotoserie von der Behandlung eines kranken Mädchens,  um 1965 in Karawa in der Nähe des Ubangi. Die Großmutter vollzieht unter Einbeziehung vom Seto und Nabo (LINK) ein schlichtes Opferritual: Mutter und Kind werden dabei wie die beiden Figuren mit dem Hühnerblut bestrichen, alle essen vom Fleisch, die Mutter gräbt die in Eingeweide und Kopf des Huhns eingegangene Krankheit in der Erde ein. Der Vater hat für das Töchterchen der Großmutter ein Band gegeben, um es dem Kind um den Hals zu binden, aber ein Stück davon auch den Figuren (Abbildung).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert