Der freundliche männliche Schutzgeist aus Ubangi (Ngbandi)

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Hochgeladen am 7. Mai, aktualisiert am 5. Dezember 2019 und am 18. Januar 2021
Von West nach Ost, vom Gebirgsriegel am Atlantik bis zum ostafrikanischen Grabenbruch erstreckt sich nördlich des Kongoflusses zwischen der RDC, Congo-Brazzaville. Zentralafrikanischer Republik und Sudan eine disparate ‚Stilregion’ ohne die üblichen ‚Highlights’, und deshalb ebenso stiefmütterlich behandelt wie lange Zeit Tanzania. Als sich bei mir bereits ein Dutzend ‚schräger’ Figuren und Masken angesammelt hatte, begegnete mir kürzlich das erst 2007 (Grootaers*, Actes Sud, Bruxelles) erschienene Handbuch „Ubangi“. Ich profitiere bereits jetzt davon und freue mich darüber, dass wieder ein großer ‚weißer Fleck’ auf meiner inneren Karte verschwindet.

Der erste Eindruck : Ein ‚realistischer’ eher gesamtafrikanischer Stil:

Zierliche Anmut, gemäßigte Disproportionen, aufrechte kraftvolle Haltung, feine Ausstrahlung gerade auch durch den zuweilen nach innen gerichteten Blick.

Sicher gezogene Kanten mit fließenden Formen zu einem nicht zu übersehenden plastischen Schmelz verbunden.

 Ein hervorgehobener und sorgfältig gestalteter Kopf – bemerkenswert: die geschnitzten Augenlider, ursprünglich schwarz gefärbt – die Kraftpose der Arme, hervortretender Nabel, würdevolles Geschlecht, Beugung der kräftigen Beine, große innen kantige, außen gerundete Füße mit Zehen. Auch was Georges Meurant der „Sculpture Ubangi“ (Ubangi,p.166 f.) an Eigenart zuschreibt – dynamische Form, aufrechte Haltung, Energie von den gebeugten Beinen aufwärts, … – findet sich auch überall in der weiteren Nachbarschaft.

Eher in diskreten Details ist die Figur ‚regional’: Senkrechte Stirnnarben, herzförmige Gesichtsmitte mit langer Oberlippe (Richtung ‚Tellerlippe’), durch Rille abgesetzte Stirn (weit ausrasiert) und halbkreisförmige Ohren.

John H. Weeks : Among Congo Cannibals, London 1913

Dass die notorischen senkrechten Stirnnarben auch erst oberhalb des Nasenrückens beginnen konnten, sehe ich nun auch auf einem Feldfoto.

 

 

Vergleich mit Figuren in „Ubangi“

Ubangi p. 299 8.8-8.9
c Théophile Decoene vers 1965

Der Figurentyp begegnet uns wieder in einer Fotoserie von der Behandlung eines kranken Mädchens,  um 1965 in Karawa in der Nähe des Ubangi. Die Großmutter vollzieht unter Einbeziehung vom Seto und Nabo (LINK) ein schlichtes Opferritual: Mutter und Kind werden dabei wie die beiden Figuren mit dem Hühnerblut bestrichen, alle essen vom Fleisch, die Mutter gräbt die in Eingeweide und Kopf des Huhns eingegangene Krankheit in der Erde ein. Der Vater hat für das Töchterchen der Großmutter ein Band gegeben, um es dem Kind um den Hals zu binden, aber auch ein Stück den Figuren (Abbildung).

Bei Seto und Nabo ist die Stirn stark vorgewölbt, die Nase ist lang und führt ganz flach zu zu einem spitzen Kinn, die Ohren stehen ab. Beide Figuren sind weich in den Körperformen. Die Schultern hängen, die Arme sind nur spitz zulaufende Stummel. Ich erkenne darin die regionale Grundform wieder, diesmal bei den Ngbaka!

 

Vergleich mit größeren Figuren

p.154 f. 4.17 45 cm Ngbandi  (das 41 cm hohe weibliche Pendant bilde ich nicht ab)

Ubangi p.154 4.17 Ngbandi

 

‚Archaischer’, kantiger (Kopf, Schultern, Torso, Arme und Beine) sowie pauschaler in den Formen, mehr gehauen (Eindruck von Hartholz) – Aus diesem Gebiet nördlich des Kongoflusses würde man eher solche ‚wilden Gestalten’ erwarten.

Rötlich geölte Oberflächen,

Die Augen weiß hervorgehoben, also ebenso wichtig

Hüftgürtel aus Draht (Schrott, m) oder Stroh (w)

 

p.214 no.17 48 cm Ngbandi (nach Burssens 1958c) (die kleine Zeichnung hier ohne Abbildung):  Kopfform, Proportionen von Rumpf und Gliedern, dicker Hals, Schultern, Haltung der Arme, Nabel, Geschlecht, kräftige Oberschenkel

Ubangi p.167 4.32 60cm Ngbaka

 

 

 

p.166 4.32 60 cm weibliche Figur Ngbaka : Details an einem Kopf von breiterer Grundform, dicker Hals, der längere Körper in gleicher Haltung und ohne überflüssige Details, auch Schultern, Armhaltung, Nabel, diskretes Geschlecht, kräftige Beine und Füße

 

 

 

 

Ubangi p.140,172 Gbaya

 

p.140 (zu 172 Gbaya): Bei der 62 cm hohen Figur steckt ein Pflock in der gleich langen Oberlippe. >

 

Größenunterschiede und Funktionen

Größe hat gewiss mit der Funktion zu tun. Wie Meurant (Ubangi, p.153) vermutet, dienten die oft paarweise auftretenden Figuren der Vermittlung von Gesundheit, Wohlstand und Fruchtbarkeit, Ernte und Jagd. Sie hielten die Verbindung zu den Geistern und wurden dafür geehrt und genährt, vom Klan, vom Dorf, von der Familie oder von Individuen. Damit lassen sich Größenunterschiede erklären. Die Bevorzugung von Großfiguren im Buch haben gewiss auch etwas mit den Sammlern und den Umständen des Erwerbs zu tun.

 

Zustand

Gepflegt – Rotschwarze Perlenaugen und rote Gesichtsfarbe! „Erneuert“ (meint W.), aber dann auch Textilgürtel und Halsband aus Kupferblech? Ich habe die gegenteilige Erfahrung gemacht: Plünderung der Figuren und Masken vor dem Verkauf.

Intakt und ohne Reparatur, eine leicht glänzende gelb-rötliche Pflegepatina – der typische Palmöl-Ton (Vgl. „Ubangi“ p.198) – durch welche die Holzmaserung scheint. Nabel vorn abgerieben.

Die bescheidene Größe (35 cm) meines Exemplars passt jedenfalls gut zu seiner ‚intimen’ Ausstrahlung, zum gepflegten und fein geschmückten Erscheinungsbild.

 

Im Vorübergehen (1.12.2019) an „Resonanzkörper – Musikinstrumente aus Zaire“ von Leo Polfliet bei Fred und Jens Jahn in München 1985 S.34 :

Die Figur eines Musikers, NGOMBE – Holz, schwarzes Harz, Augen aus Glas – 36 cm hoch Mehr Verwandtschaft als zuerst gedacht !

  • Ngombe-Figur Idiophon – Resonanz-Körper 1985

    am Kopf die Ei-Form, Glasaugen, abgesetzte Ohren, dreieckige Nase, nach unten sich verbreiternder Hals

  • darunter ein diesmal breiter Gürtel – aus dem Holz hervortretend – und kräftige Beine, eingeschnittene Zehen und ein diesmal imposantes Gehänge.
  • auch Größe und muskulöser Charakter passen zusammen.

 

 

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