Begegnung mit der ‚schönen Madeleine’, einer ‘Kifwebe’ bei den südöstlichen Luba

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Upload: 5.August 2019

Auf dem Markt

Im Juni bringt der aus dem Kongo zurückgekehrte Wardin Wamba zwei Masken der „weißen Frau“ auf den Markt, die bei Kifwebe-Tänzen der südöstlichen Luba auftreten.

Die besondere Qualität der Version einer reiferen Frau nehme ich zunächst nicht wahr . Das hängt auch mit einem frischen und überdimensionierten Rauschebart aus Raffiastroh zusammen. Wardin schneidet ihn später beherzt ab, und sofort verwandelt sich die Maske in einen schlanken wohlproportionierten Maskenkörper, wie sie das Auge erfreuen und bei Felix („Luba Zoo“, siehe weiter unten) abgebildet sind.

Bei der ersten Gelegenheit erwerbe ich also nur die Version eines junges Mädchen, wie sie die Welt traditioneller weiblicher Skulpturen der Luba, man muss schon sagen, ‚bis zum Abwinken’ bevölkern.

Es ist eine typische Tanzmaske: leicht, innen durch das Kinn und die Schädeldecke eines schmalen Tänzers glänzend gerieben, mit Sicht durch drei Öffnungen, und bis an die Oberkante der kunstvollen Frisur vielen praktischen Bohrlöcher auf drei Ebenen für die Befestigung des Kostüms.

Wardins Bemerkung, die Maske ‚Belle Madeleine’ erscheine zusammen mit den verbreiteten Tiermasken und sein Verweis auf „Bücher und Internet“ lassen mich bei Google Search suchen und gleich fündig werden.

 

Ich zitiere hier eine Reihe aus dem beliebigen Angebot bei ‚Google Bilder zu …’, wo auch meine Uploads – immer ungefragt – erscheinen:

Dokumenttion der genannten Auswahl

‘Belle Madeleine’-Auswahl google-picture.2019-06-22

 

Beschreibung der jugendlichen Madeleine

Das schlichte und plastisch herausgearbeitete Gesicht betont ganz wenige entscheidende Elemente:

  • Objektdokumentation

    ‘Belle Madeleine’ (1) c Slg. v.Graeve

    Die stark hervortretende Eiform mit betonter offensichtlich ausrasierter Stirn,

  • Flankiert durch zwei anmutige runde Öhrchen mit Loch in den Ohrläppchen für einen Ohrring und schönem Ohrknorpel,
  • Begrenzt durch eine klassische Frisur mit fünf Wülsten hinter einem Band
  • Auf der Höhe des oberen Ohrrandes sind zwei breite schwarze Augenbrauen weniger aufgemalt als ausgespart
  • Die zu Schlitzen verengten Augenlider senken den Blick, wie das bei Mädchen und Frauen als schicklich gilt
  • Das eigentliche Gesicht ist relativ klein, es wird durch eine kecke Stupsnase und aufgeworfenen roten Lippen charakterisiert., unter denen von vorn gesehen das Kinn verschwindet.      

Unter dem Kostüm eigentlich unsichtbar, sitzt die Frisur auf einem Kifwebe-typischen Kragen, der anders einen nur leicht gerundeten rechten Winkel bildet und damit spontan an pharaonische Gesichtsmasken aus Altägypten erinnert.

Die Maske ist auf Fernwirkung hin komponiert und kann im direkten Vergleich mit einer weiblichen Maske der Punu durchaus konkurrieren. Ich meine, mir die entsprechende Tanzperformance vorstellen zu können. Auch die ‚Madeleine’ ist eine dörfliche Schönheit nach traditioneller Art.

 

Kontext des Maskentyps

Ich schlage die Fotokopie von Marc Leo Felix (occasional paper – june 1992) „Luba Zoo“ auf und finde auf S.13 vier Masken mit Frauengesichtern, von denen aber bloß eine auf S. 11 als 32 numeriert ist.

Bilddokumente

Felix-Luba Zoo p.13 :
4x “Belle Madeleine”

Bilddokument

Felix-Luba Zoo p.11 nos. 32,33,34

 

Kommentar Marc Felix ( (S. 11; Übersetzung v.Graeve):

„Im Süden zwischen den Städten Ankoro, Kiambi und Manono sind einige überraschende und wenig bekannte Arten rechteckiger weißer Kifwebes aufgetaucht, von denen eine in einer Vielzahl von Stilen und Größen das Gesicht einer europäischen Frau darstellt (Abb. # 32 S. 10 und auf Seite 13). Diese Art von Maske heißt La belle Madeleine und stellt laut lokaler Folklore eine schöne belgische Nonne dar, die angeblich die Geliebte des Häuptlings Noy war. Informanten sind sich über die Zeit, in der diese „Masoeur Madeleine“ lebte, nicht einig, nach frühester Schätzung 1930, nach der spätesten 1950. Die Madeleine-Maske wird jetzt auch von einer synkretistischen freiwilligen Vereinigung (Kirche) namens Baba na Mama verwendet, deren zentrale Andachtsfigur die Jungfrau Maria ist, und sie führt in Verbindung mit einer Reihe zoomorpher Masken ein getanztes Duett auf, das die Schönheit und das Biest kombiniert. Diese Mensch/Tier-Kombination von Masken ist typisch für Südost-Zaire und findet sich bei den Tabwa und anderen lubaisierten Gruppen östlich des Moero-Sees, wo eine Büffelmaske (Abb. 33) in Kombination mit einer weiblichen Maske (Abb. 34) tanzt.

Original (englisch):

Übersichtskarte

Felix-Luba Zoo – Eastern Luba zum Vergrößern bitte anklicken!

In the south between the towns of Ankoro, Kiambi and Manono, some surprising and little-known types of rectangular white Kifwebes have come to light, one of which represents in a variety of styles and sizes the face of a European woman (ill#32 and on page 13). This type of mask is called La belle Madeleine and, according to local folclore, depicts a beautiful Belgian nun, who was said to have been the mistress of chief Noy – Informants disagree as to the date this „Masoeur Madeleine“ lived, the earliest estimate is 1930, the latest 1950. The Madeleine mask is now also used by a syncretic voluntary association called Baba na Mama of which the central figure of devotion is the Virgin Mary, and it also performs, in conjunction with a series of zoomorphic masks, a danced duet combining the beauty and the beast. This human/animal combination of masks is typical of southeast Zaire and can be found among the Tabwa and other Lubaized groups east of the Lake Moero area where a buffalo mask (ill#33) dances in combination with a female mask (ill#34).

 

Eine zweite Maske: Die reife elegante Frau

Objektdokument Slg. v.Graeve

Madeleine (2)

Objektdokumentation

Madeleine (1) und (2) Slg. v.Graeve

 

 

 

 

 

Die zweite Madeleine-Maske ist dem Typ nach eine reife elegante Frau mit großen Augen und scharf geschnittenen Zügen:

Versehen mit Perlenschmuck in der Nase (Ersatz) und an den Ohrläppchen (Ersatz)

Und mit geritzten Ziernarben: Kreuzen an den Wangen, neben der Linie auf dem Nasenrücken.

Eine waagrecht verlaufende hervorgehobene Kante mitten auf den schweren schwarz gefärbten Augenlidern (2,5 von 4 cm Höhe) verschattet die Augenöffnung und richtet den Blick der Frau zugleich ‚gesittet’ nach unten, aber auch ‚meditativ’ nach innen. Manche in       Katalogen vertretene Maske oder Figur zeigt, dass dies unter Luba als schön gilt.

Bilddokument

‘Memory…’ Luba Female Sculpture p.84 Detail

Vergleichsdokument

Striated-Mask-Luba-Memory p.87-cat.32

 

 

 

 

 

 

 

 

Objetdokument v.Graeve

Belle Madeleine (2) Profil

 

Das Profil erscheint durch die Bögen der Nasenflügel und des geschürzten blattförmigen Mundes lebhaft; die Lippen wirken durch die Konturierung schmal , aber suggerieren eine leichte Öffnung.

Das Gesicht ist mit 22 cm Höhe etwas überlebensgroß, wirkt mit 18 cm Breite etwas gespreizt, wölbt sich 14 cm tief ab Hinterkante der Ohren nach vorn, ansonsten bis etwa 10 cm.

 

Porträtähnlichkeit?

Die markanten Gesichtszüge sind an die ovale Grundfläche so realistisch angepasst, dass ich sofort an ein Porträt denke. Die fast kreisförmige Kante des Wangenknochens zentriert das Auge und könnt signalisieren, dass die Frau den Zenit ihrer Jugend überschritten hat.

Dass die beiden Bögen der Augen ungleich groß sind – der linke Bogen 8,5 cm, der rechte 7,5 cm hoch – dass der linke sichtlich größer und markanter geraten ist, verstärkt den Eindruck von Porträtähnlichkeit.

Stilistisch könnte diese Gestaltung sogar in die Richtung des Kasai weisen (LINK), wo doch der Maskentyp der „weißen Frau“ ohnehin überall südlich der Sahara vorkommt: von den Marionetten der Bamana über Masken der Baule, die weit verbreiteten Mamiwata nicht zu vergessen, ebenso Maskengesichter der Punu in Gabun, oder im Osten bei den Lega…..

 

Feldfoto zur Dokumentation

Memory Luba Diviner p.-

Der Blick der Wahrsagerin ?

Abbildungen in „Memory – Luba Art and the Making of History“ (1997) erlauben aber eine andere Deutung. Zum Beispiel das Feldfoto Fig. 170 auf p. 186 von Mary Nooter Roberts 1989 : Die Tracht der Wahrsager(innen) beinhaltet weiß geschminkte Gesichter, sogar eigens weiß hervorgehobene Wangenbögen um die Augen.

Selbstverständlich hat diese Frauenmaske einen ‚spirituellen’ Aspekt, auch wenn die Maskenauftritte von wandernden Tanztruppen heute wesentlich einen Unterhaltungswert – und für Kinder einen Erziehungswert (LINK) besitzen.

‚Die weiße Frau’ ist nicht so frivol oder lächerlich wie wohl ihr Auftritt vermuten ließe, sie ist, wie auch Zoé S. Strother 1988 unter den Pende erfahren hat, als mächtige Hexe gefürchtet (LINK). Die leichte Asymmetrie des Gesichts kann auch als verdächtige Abweichung vom Schönheitsideal gesehen werden. Beide Gesichtshälften werden aber von der elegant geformten und konturierten Nase mit feiner Nasenspitze perfekt in Balance gehalten, sowie von der dünnen Lippenrinne.

MADELEINE DREI : Die Nonne, engelsgleich

Bereits im Oktober 2020 erworben, aber dann bis zum 24. Juli 2022 vernachlässigt

Madeleine Drei – Okt.20.   “Die Nonne engelsgleich”.    c v.Graeve

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erster Versuch einer Beschreibung

Das kleinste Gesicht der drei „Madeleines“, und das perfekteste.

Ein extrem schmaler langer Nasenrücken, der direkt von Modigliani stammen könnte, und zarte sensible Nasenflügel.

Ein besonders kleiner, leicht gespitzter Mund, einer der nur kleine Portionen aufzunehmen in der Lage wäre, der etwas bloß zu hauchen scheint, etwa die Silben eines leisen Gebets.

Im Vergleich zu den beiden anderen Masken sind die Wangen nicht mehr kindlich pausbäckig, aber auch nicht erwachsen ausgeprägt. Ein wohlgeformter kleiner Gesichtsschädel.

Die Augenbrauen hoch gesetzt, scheinen weniger ‚gewachsen’ als bewusst künstlich nachgezogen.

Der Haaransatz weit zurückgesetzt auf dem sich stark verjüngenden Schädeldach und von drei großen Locken gekrönt, deren einziger Schmuck in gleichmäßig und parallel gezogenen Rillen an den Seitenflächen besteht

Ein rein weiß geschminktes Gesicht, aus dem wenige Elemente plastisch respektive farbig abgesetzt hervortreten: der kleine rote Mund, die übergroßen Halbkugeln der halb geschlossenen Augen und ihre schmalen gekrümmten Sehschlitze, die schwarzen Augenbrauen und die delikaten Ohren mit Löchern für (fehlende) Ohrringe.

Der breite dunkle Rahmen, der sich gut sichtbar hinter den Ohren bis zur Frisur hoch zieht, suggeriert mir einen Nonnenschleier.

Der aus jeder Perspektive gleich undurchdringliche Augenschlitz verleiht dem Gesicht einen extrem verinnerlichten Ausdruck.

Nach alledem habe ich Mühe, mir einen Tanzauftritt vorzustellen, bei dem die Maske nicht einen extrem abweisenden und einschüchternen Eindruck hinterlässt.

Notiz zum Hinweis auf Modigliani:

In “Primitivismus” (Rubin 1984, pp. 429ff geht Alan G. Wilkinson ausführlich auf Modiglianis Verarbeitung afrikanischer Einflüsse ein (vgl. Abb. 554 und 558) allesamt um 1910. Und er betont dessen Distanz zu allen Vorbildern (p.432).

Wenn der “Madeleine”-Kult erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sein sollte, gibt es bessere Argumente, nach fremden Einflüsse auf den afrikanischen Künstler zu suchen. Auch die ‘asiatische’ Anmutung der Maske  wäre dabei zu berücksichtigen.

 

 

Aktualisierung  7. April 2022  von der Tribal Arts Auktion bei Zemanek-Münster, Würzburg:   Lot 290

Ein klassisches Modell, zweifellos der Typ einer ‘weißen’ Frau – europäisch oder indisch – mit schmalem Mund, wieder sehr individuell, was die Idealisierung nicht mindert, weil alterslos, mit attraktiver Frisur.

Auffällig ist der – hier schwarze – Punkt zwischen den Augenbrauen, der wohl die indische Sitte zitiert, Frauen zu schützen. (LINK Wkipedia “Bindi”). Die Stelle  soll “das energetische dritte Auge bezeichnen”, oder noch präziser: Sie  “gilt im hinduistischen Glauben als sechstes Chakra und Sitz des geheimen Wissens“. Das magische Zeichen könnte von der Küste des Indischen Ozeans  her eingewandert sein. Die magische Deutung wird durch auf fast geschlossene Augenlider aufgemalte Pupillen verstärkt, elegante Abwandlung des an zentralafrikanischer Figuren und Masken häufig vorkommenden doppelten Augenpaars.

Die drei Reihen Löcher auf der weißen Halsrundung, wovon die unteren zwei eckig gehauenen früher oder später eingeschlagen sein könnten, erinnern uns daran, dass wir das Kostüm dieses Maskentyps noch nicht kennen.

 

Fortsetzung des Beitrags am 5. August 2019

Ein Begleiter muss her : Warum kein Affe, alte(r) Schimpanse oder Bonobo ?

Ich bin auch auf der Suche nach einem repräsentativen Kompagnon, um ein Doppelporträt zu inszenieren, welche die Art ihrer Beziehung offenlässt. Die schwarze längst abgelegte große Affenmaske passt in ihrer Ruhe besser als eine hyper-realistische und pausbackige gefleckte Leopardenmaske mit aggressiv aufgerissenem Maul. Auch sie ist in einem anderen Stil gehauen und stammt ebenso nicht aus der Nachbarschaft.

Objektdolumentation

‘La Belle et la Bête’ Luba Slg. v.Graeve

Objektdokumentation

Bonobo ? Maske Luba – Slg. v.Graeve

 

Steckbrief:

  • Ein großer Kasten: 33 cm h,21 cm breit, bis 15 cm (Stirn) und 17 cm (Maul) tief
  • Unter der typischen, die schmalen Augenschlitze verschattenden vorspringenden flachen Stirn breitet sich das Gesicht in zwei zentralen Elementen aus: der dreieckigen Nase mit hoch angesetzter Nasenwurzel und in der weich geformten Ausbuchtung des vorspringenden Mauls mit langer Oberlippe,
  • Daneben liegen als Wangen und Kinn drei gegeneinander versetzte Ebenen: die kürzeste (7 cm) oben bis zum Jochbein, eine mittlere (11 cm) bis zum Kinnansatz und dann die 13 cm des Kinnes. Die Maske ist mit einem schmalen Rand versehen. In ihn sind von oben bis unten in längeren Abständen (mindestens 4 cm) kleine Löcher gebohrt.
  • Die Streifen sind mit knapp 1 cm großzügig breit und die Rillen flach in entspannter Linienführung ohne erkennbare Verteilungsprobleme
  • Bemerkenswerte Winkel von vorn und noch mehr in der Dreiviertelansicht. Entgegen dem ersten Eindruck sind die dünnen Außenwände gebogen und auf Schnauzenhöhe tailliert, was eine geschlossene Form bewirkt. Die Wände sind angemessen dünn, wenn auch der große Innenraum schlicht kastenmäßig ist.
  • Der Abrieb an Stirn, an der breiten geraden Nasenspitze, vorn an der Schnauze und an den Seitenkanten wirken im Tageslicht als Aufheller.
Man beachte die Stirn, die Nase und die Form des Mauls. Überzeugt?
  • Dokumentation

    Bonobo.Pan_paniscus.Wikipedia – Pierre Fidenci – calphotos.berkeley.edu

 

Mein ganzes Ensemble

An „Luba“-Kifwebe’s habe ich mittlerweile vier verschiedene Typen. Der „Affen“kasten entspricht dem klassischen Typ, mehr als der elegantere „Papagei“ (noch nicht veröffentlicht) oder gar das stark gerundete Paar von „Eulen“ (LINK). Doch er ist ebenso wenig konventionell wie die anderen expressiven Tierdarstellungen. Denn die zoomorphen Charakteristika sind auch hier nicht einem abstrakten gestreiften Kasten aufgesetzt.

 

Modernisierung durch eine Sekte und Popularisierung durch Schlager

Wardin stimmt ein populäres Lied über ‚Madeleine’ auf Kisuaheli an. Darüber will ich aber noch mehr wissen. Unter dem Stichwort „Baba na Mama“ bietet You Tube Videoclips von Solisten und Chören aus dem Kongo, welche süsslich Familienharmonie und den Segen der Eltern zelebrieren. Das passt zwar zum Namen „Papa und Mama“ der Sekte, doch Solisten wie Chöre haben in ihren standardisierten Szenen und Choreografien keinen Bezug zu den Maskentänzen. Wir müssen weiter suchen! Helfen Sie mit?

Bilddokument

Simon Mwambeje-Baba na Mama. Youtube. Standbild Gv am 2019-08-03

 

 

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