‘Glück in zwei Welten’ – Fritz Wiegmann

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Annäherung an den Künstler und Sammler Fritz Wiegmann, der mir China zwischen 1969 und 1973 nahegebracht hat. Für das Katalogbuch der Ausstellung:  „Bilder vom Glück – Chinesische populäre Grafik aus dem 20. Jahrhundert“, Museum der Weltkulturen Galerie 37, Frankfurt am Main 2002 habe ich eine biografische Skizze unter dem Titel ‘Glück in zwei Welten. Annäherung an den Künstler und Sammler Fritz Wiegmann’ verfasst.       Manuskripttext ohne Illustrationen.

Ab Juni 2016 habe ich mit einer breiter angelegten Text-/Bild-Dokumentation zu Fritz Wiegmann begonnen. – Details wären zu korrigieren. Dennoch behält diese erste Darstellung von vor fünfzehn Jahren den Wert größerer Unmittelbarkeit. Wenn Details für Sie wichtig sind, sollten Sie sie einfach noch einmal überprüfen, zum Beispiel über die ‘Suchfunktion’ auf jeder Seite oben rechts. Mai 2017

 

 

Glück in zwei Welten

Einen Text über den Sammler Wiegmann schreiben? In individualistischen Zeiten muss man das schon rechtfertigen. Wir sind umgeben von selbstbewussten, selbstbezogenen und bedeutenden Menschen,  Sie kennen eine gewaltige Menge bemerkenswerter Individuen. Das tägliche Feuilleton spült sie durch unser Bewusstsein. Allerdings ist Wiegmann einer von uns: Er war Künstler (kein großer), ein Lehrer (kein überregional bekannter), er war engagiert (nicht übermäßig), er war Kritiker (im privaten Kreis) und er war als Kulturkonsument ein Kenner!

 

Warum „glückliches Leben“?

Wiegmann hatte mehrfach Glück: das Glück der Begabung, das der Neugier und des Humors. In  finsteren Zeiten ging es für ihn immer gut aus. Auch Rückschläge waren zu etwas gut. Was ihm wichtig war, ist ihm gelungen – das behaupte ich einfach ´mal. Ich bin entschlossen, ihn nicht als Opfer von irgendwas oder irgendwem darzustellen. Denn: Zu klagen war nicht seine Art.

 

Warum die Mühe einer Annäherung?

Für mich als jüngsten seiner Schüler war  die Freundschaft intensiv, aber zu kurz, gerade mal vier Jahre. Wir sprachen viel, aber ein Tonband hatte ich nicht parat. Wiegmann war diskret; er erzählte gern und lebendig, aber hinterließ so gut wie keine Papiere. So muss ein über dreißig Jahre gewachsenes Verständnis die Brücke schlagen. Wiegmann fände das in Ordnung. Er formuliert nach dem Krieg:

„Meine Eindrücke aus China sind in den dazwischen liegenden Jahren nicht schwächer geworden, und  oft habe ich gefunden, dass auch scheinbar flüchtige Eindrücke und Bilder erst später ihre Bedeutung und ihren Wert enthüllen..[1]

 

Von Pommern nach Berlin: 1902-1933

Fritz Wiegmann wird am 1.3.1902 in Köslin, Pommern geboren. Sein Selbstbildnis (Abb.) ist undatiert, doch der Junge verlässt  bereits mit 16 Jahren das Elternhaus. „Auf eigene Verantwortung“ lässt ihn der Vater ziehen. In Berlin lässt er sich zum Zeichenlehrer und Maler ausbilden. Das Examen absolviert er mit zwanzig, noch vor dem Mindestalter für den Schuldienst.

Bei wem lernt er? Der Katalog seines gleichaltrigen Kollegen Rudolf Ausleger  spricht von einer „Novembergruppe“, in der die Jüngeren sich vom „expressiven Ausdruckswillen“ der Gründer Georg Tappert, Möller, Pechstein und César Klein abwenden und als ihre  Vorbilder Georges Braque, Juan Gris und den Picasso  der „synthetisch-kubistischen Periode“ wählen, und damit das Programm einer „theoretisch begründeten Verfestigung der Form“ , die sie „gewissermaßen tendenzfrei verwenden“ wollen. Ein typisches Bild dieser „Schule“ ist Rudolf Auslegers „Fritz am Spiegel“1928 (Abb.)[2]. Zugleich ist es eine gelungene Karikatur des stets korrekt gekleideten Fritz. Ausleger muss ihn häufig im Unterricht vertreten, weil er „fast nie“ da ist. Ist das etwa der Grund der kritischen „Tendenz“?  „Form“ als Methode ja. Doch „Verfestigung“ und „tendenz-frei“ –  Nein,  diese Zäune können Wiegmann nicht halten. Er verehrt und genießt auch die grelle Farbpalette, die schweren Parfüms  von  George Grosz und Otto Dix und Zilles „Milljöh“. Er respektiert die „realistische“ Porträtkunst eines Max Liebermann und dessen tiefsinnige verbale Brutalität: „Das Bild wird mir nicht gerecht!“ – „Gnädige Frau, Sie brauchen nicht Gerechtigkeit, Sie brauchen Gnade.“

Karl Kraus, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky, Bert Brecht und Walther Mehring („der sich Pipidada nannte“) sprechen ihm aus dem Herzen. Und das schlägt „links“, doch nicht im Takt einer „Partei“ und eines Programms. Mehrings „Ketzerbrevier“ begleitet ihn als Glaubensbekenntnis bis in die Bonner Republik. 1970 wird er mir seine  Version aus dem Gedächtnis aufschreiben:

Das Kyrie 

Kyrie Eleison

Alle  die dich loben

Die uns ketten an das Droben

Mit Gelübden und Geboten

In den Krypten der Zeloten

Von der Qual

Und allem Jammer

In Spital und Folterkammer

Alle die dich loben

Gott, blutverwoben

Und bigott

Herr, befreie uns davon

Kyrie eleison.

 

Kyrie eleison

Von Gewalten die dich nennen

Dich bekennen, dich entstalten

Von dem Meineid ihrer Rechte

Der Gemeinheit ihrer Knechte

Von der Treue die sie einigt

Ihrer Reue die uns peinigt

Von dem Gottesgnadentum

Das dich anpreist sich zum Ruhm

Herr, befreie uns davon

Kyrie eleison.

 

Kyrie eleison

Von dem Kult der dich vergottet

Aller Schuld und Unschuld spottet

Von Gebräuchen die verderben

Von den Seuchen die wir erben

Von der  Drachensaat der Rassen

Von dem Klassenstaat der Massen

Rotte Korahs, dem Komplott

das schwört: so helf euch Gott

Herr, befreie uns davon  

Kyrie eleison

 

Kyrie eleison

Vom Betrug der Diplomaten

Von dem Unfug der Soldaten

Von dem Handwerk des Befehlens

Teufelsschandwerk alles Elends

Vom Erlösen, vom Verbannen

Vom Tyrannenblick des Bösen

Von der Unterwürfigkeit

Demut, die vom Himmel schreit

Herr, befreie uns davon

Kyrie eleison.

 

Sein Verständnis der Aufgabe der Kunst  wird Wiegmann um 1950 in seinem Vortragstext über China „engagiert“ zusammenfassen:

Die Kunst muss als eine Satire, als eine Warnung über unserem gelähmten Gefühlsleben , unserem wirklichkeitsfernen Denken  und  unserer naturfernen Lebenshaltung stehen.Sie muss uns in einer schief gelagerten Welt Gradheit lehren, muss unserem Dasein wieder zu Vernunft und Gesundheit verhelfen und uns aus dem Fieber, dem Delirium des allzu angestrengten geistigen Betriebs herausreißen. Sie muss unsere Sinne schärfen, das Band wieder anknüpfen zwischen unserer Vernunft und unserer Menschennatur, und die in Trümmern liegenden Einzelteile eines atomisierten Lebens wieder zum Ganzen verbinden.

Wie elend ist eine Welt, in der die Menschen Wissen ohne Verständnis haben, Kritik ohne Wertgefühl, Schönheit ohne Liebe, Wahrheit ohne Leidenschaft, Rechtschaffenheit ohne Erbarmen, Lebensart ohne Herzenswärme.

1928 beteiligt er sich  an der „1.Hygiene-Ausstellung  Berlin“ von Dr. Joel. Die wenigen erhaltenen kleinen Fotos zeigen den damals gängigen avantgardistischen Plakatstil. Ihr Thema ist  die psychische Gesundheit, die  im „Getriebe der Großstadt“  bedroht ist. „Gebt den Werktätigen Geld, Zeit, Licht, Luft, Raum!“ „Aberglauben“,“Rauschgift“, „Sport“ sind Unterthemen. „Traum“ kommt über die Planung nicht hinaus. Wiegmann selber interessiert dabei, ob es abstrakte Träume gebe, so wie er mit Schulkindern kunstpsychologische Versuche mit kontrastierenden Lasurfarben unternimmt. Dabei geht es ihm um den „verstärkenden Effekt beim Überlegen“, der seit der Renaissance („Simon Martini“) bekannt sein soll. Walter Benjamin schreibt eine Rezension in der „Literarischen Welt“. Wiegmann kennt Benjamin über dessen Schwester Dora. Er hebt den „weiten Umfang“ von Benjamins Persönlichkeit hervor und nennt mir die „Liebe zur Marschmusik“ als Beispiel. Wiegmann fremd ist natürlich auch „das ständig benutzte Notizbuch, in kleinster Schrift beschrieben“. Sie wollen zusammen ein Kinderbuch machen, aber es kommt nicht mehr dazu!  Am 31.Januar 1933 geht die Angst um in der Linken. Ist sich jeder der Nächste?

 

Von Berlin über Mallorca nach Peking 1933 – 37

Galeriekontakte nach Köln, Amsterdam und Paris ( Eric Wolters) öffnen Wiegmann den unauffälligen Ausgang aus dem „3.Reich“ – „Exil“ will er es lieber nicht nennen. Er stößt zur bunten Emigrantengemeinde im noch republikanischen Spanien, auf Mallorca . Albert Vigoleis Thelen schreibt 1952 darüber einen „Schelmenroman“ (Jacobs), den Wiegmann mir dringend empfohlen hat, den ich aber erst jetzt lese: „ Die Insel des zweiten Gesichts“, denn „jeder auf der Insel hatte ein eigenes zweites Gesicht“. Welche soziale Maske trägt Wiegmann wohl auf diesem Foto von 1936 ? ( Abb. 3) .  So wie Thelen ist Wiegmann ein mittelloser, illusionsloser und  damit das Treiben ironisch betrachtender Außenseiter. Den deutschen „Agenten Baron Bär“ habe ich mir als eine der doppelbödigen Gestalten gemerkt. Auch dem von Thelen karikierten Konsul Hitlerdeutschlands[3] muss Wiegmann begegnet sein.Er scheint jedoch genau zur rechten Zeit den jungen französischen Diplomaten J. P. Dubosc zu treffen, vielleicht noch im Juni 1936. Denn Francos Staatsstreich verwandelt die Insel bereits in seiner ersten Nacht in ein blutiges Krisengebiet, aus dem die Fremden in Panik zu flüchten versuchen.  Die Deutschen werden direkt  zurück ins Reich expediert.

Dubosc ist seit  1931 Kulturattaché am französischen Konsulat in Peking  (damals: Peiping ) und offensichtlich – wie bereits André Malraux in Kambodscha – auf Einkaufstour (….)

Wiegmann reist auf einem weißen Ozeandampfer durch den Suezkanal und den Indischen Ozean nach China. Das Land ist in Unruhe; Japan hat längst die Mandschurei als Marionetten-Reich unter Puyi abgespalten und bereitet den totalen Krieg gegen China vor. Davon erzählt Wiegmann nichts. Peking ist nicht die Kolonialstadt Shanghai, deren Elend als erstes Ziel japanischer Angriffe Egon Erwin Kisch bereits 1932  in „China geheim“ geschildert hat. Noch ein Jahr nach Wiegmanns Weggang ist Peking nicht  wirklich vom Krieg berührt.

Lin Yutang repräsentiert mit „Mein Land und mein Volk“ (deutsch 1935 erschienen und später von Wiegmann sehr geschätzt ) überzeugender Wiegmanns Erfahrungen im Lande. Im Kapitel über den Humor steht beispielsweise, er finde sich nicht in der klassischen Literatur, eher schon in Romanen und Opern, auf jeden Fall aber „als burleske Einstellung dem menschlichen Leben gegenüber“:

Dieses „ungewöhnlich realistische Volk“ zeige „seit jeher die Neigung, dem Bösen mit Duldung zu begegnen“ , zu lachen, nicht zu verdammen. Man habe „seinen ersten Auftritt“ oder  gehe „von der Szene“, und wer mit einem hohen Programm hervortrete, von dem heiße es: „Er singt große Oper“. Wiegmann erlebt selber eine Szene dieser „großen Oper“ Bürgerkrieg, deren Unterhaltungswert mit Millionen Opfern seit 1911 zu teuer bezahlt ist:

Im Dezember 1936  nimmt „der Junge Marshall“ Zhang Xueliang den Oberbefehlshaber Chiang Kaishek in einem Thermalbad bei Xian gefangen und erpresst das antijapanische Bündnis mit den Roten Truppen Mao Zedongs.

Wiegmann wird Zhang auf der Terrasse eines Pekinger Hotels begegnen und vom Auftritt mit dem Gefolge an Haremsdamen begeistert sein. Wiegmann hat  jedoch den unmittelbar folgenden Sturz des jungen Helden wohl vergessen, der diesem langjährige Gefangenschaft einbringt.7

Wenn man aktuelle Berichte aus China liest unter Überschriften wie „Man schaut was passiert, und meist passiert nichts“, dann scheint Lin Yutang mit seiner Charakterisierung der Chinesen bis auf Zeiten nackten Terrors richtig zu liegen.[4]

 

Fotos

W. arbeitet im Fotostudio der jungen Ex-Berlinerin Hedda Hammer mit, wo er für Dubosc vor allem Kunstreproduktionen herstellt. Er fotografiert auf Streifzügen durch die Vorstädte und in der Verbotenen Stadt, oder auf Ausflügen in die Westberge. Seine Themen sind in Fotografie und Malerei weitgehend  begrenzt auf Stilleben, Architektur und die Natursymbolik der chinesischen Tradition, soweit sie in den Pekinger „Westbergen“ zu erleben war. Ein Chinese kreidet ihm dies – auf die Malerei bezogen – ungewöhnlich offen im Gästebuch an:

Nur die Stoffwahl ist leider auf das Stilleben vor dem Fenster und auf die kleineren Landpartien beschränkt. Hoffentlich macht der Künstler weitere Fortschritte, damit er mit einer außerge-wöhnlichen künstlerischen Anschauung die Eigentümlichkeit Chinas kennen könnte.

Die Menschen, wie Wiegmann  sie sieht und  sich aneignen will, bringt Hedda Hammer konkurrenzlos stark ins Studio.

 

Opernfotografie

Im Auftrag von Dubosc fotografiert Wiegmann Operndarsteller u.a. auf einem Hoteldach. Ein Foto davon begegnet mir  noch 1981 in dessen Büro in Paris. Anrührend sind die Porträts der Kinderdarsteller. Wir können inzwischen durch Filme wie „Lebewohl, meine Konkubine“ ( Chen Kaige 1993) das frühe Leid dieser Kinder ermessen. (Abb.)

Eine Pekingoper ist besonders nah bei der Großen Politik angesiedelt, denn „Unruhe im Himmelspalast“ herrscht schon seit 1910. Wer ist wohl 1936 in Peking gemeint mit dem  „Affenkönig“, der auf der Bühne mit List und Zaubertricks den Himmel aufmischt und genüsslich die „Pfirsiche der Unterblichkeit“ (Abb.) verspeist?  Mao Zedong wird sich  später zu dieser Figur bekennen und sie in den Jahren der Kulturrevolution propagieren lassen. Wiegmann liebt geradezu die Maske des verräterischen Doppelgesichts – hier weiß, da schwarz: Sie entblößt das „Gesicht“ der politischen Klasse als ganzer. (Abb.)

Dieser junge Mann ahnt oft mehr als er begreift, doch ist stolz darauf, sich dessen bewußsst zu sein. Die deutschen China-Diplomaten hingegen seien mehr als einmal von ihren einheimischen Dolmetschern übers Ohr gehauen worden. Ob Dubosc  ihm das berichtet hat?  Wiegmann. wird mir  die Reportagen der Amerikaner White und Jacoby über die Jahre 1941 bis 1945[5] schenken, worin dies finstere Schmierentheater noch einmal aufgeführt wird, zur Verzweiflung amerikanischer Politiker. Sie wollen den Widerstand gegen  Japan bezahle, doch rüsten sie in Wahrheit  die Bürgerkriegsparteien auf (Kommt uns das nicht bekannt vor?).

 

Die Arbeit mit Dubosc

Wiegmann wohnt bei Dubosc in der Nan C´hang Chieh, Tung Ho Yen15  (Abb.) und begleitet ihn  zu den Ankäufen an Ming- und früher Qin-Malerei. Sein scharfer Blick ergänzt die sinolo-gische Expertise des Chefs. Aus den Erfahrungen mit den Händlern ließe sich eine Ethik des Kunsthandels ableiten. Da werden in großer Geste Mengen von Rollbildern aufgefahren – „Printen“ wie Wiegmann zu sagen pflegt – und verschwinden so schnell wie sie gekommen sind. Ein  paar sparsame Gesten der Beachtung seitens der Besucher werden diskret registriert und haben eine neue qualitätvollere Serie an Angeboten zur Folge. Erst nach weiteren Prüfungen rückt der Händler mit seinen besten Stücken heraus.

Zwei Szenen werfen ein Licht auf die Konkurrenz in der Freundschaft der so unterschiedlich positionierten Männer: Da bemängelt Dubosc an einer Bildrolle einen Schreibfehler in der Kalligrafie; Wiegmann beharrt auf der Echtheit des Rollbilds und wird ein paar Tage später durch eine ältere Ausgabe der zitierten Dichtung bestätigt, die das zweifelhafte Zeichen enthält. Ein andermal schließt er von der Komposition auf einen am unteren Ende fehlenden Bildteil. Der Händler wird schließlich zugeben, dass er einen Brandschaden hat abschneiden lassen. Wir wollen nicht übertreiben:

Wiegmann bilanziert die Schwierigkeit, Echtheit und Qualität auf diesem Gebiet zu erkennen, einmal folgendermaßen:

In der traditionellen Tuschmalerei ist das Nacharbeiten nach älteren Meistern üblich, und zwar nicht als genaue Kopie, sondern als Kopie aus dem Gedächtnis. Viele schlechte Bilder sind als Originale von Meistern im Umlauf. Man muss „nach dem Eindruck“ entscheiden. Es ist „mehr die Intensität der Verwirklichung als die Originalität der Konzeption, die ein Werk wertvoll macht“.

Ein Aufsatz von Dubosc von 1952[6] stellt kompositorische Entsprechungen zwischen Ming-Malern und westlichen Modernen wie Cezanne, Dufy oder Masson heraus. Der Sonderdruck enthält die – handschriftliche – Widmung: „Für Fritz, der die chinesische Malerei mit mir entdeckt hat“. Durfte der Assistent mehr erwarten? Jedenfalls hält die Freundschaft bis zu Wiegmanns Tod.

 

Die eigene Ausstellung im Dezember 1936  in der Nationalbibliothek

Als Künstler hat Wiegmann bereits seinen „Stil“, seinen Weg gefunden. Auf der Staffelei in Peking zeigen Fotos die Stilleben und den kubistischen Stil der Berliner Zeit; für diese Arbeiten bekommt er bei einer Einzelausstellung von den Besuchern Ermutigung und Lob. Das belegt sein kalligrafisch interessantes Gästebuch, in dem wir z.B. lesen: „It may be an interesting experiment or might be an exciting wonderful adventure to combine French cubism and chinese cal(l)igrapy into something new. S.F.“ Wiegmann schwärmt den Rest seines Lebens von den überwältigenden Landschaftsrollen  des 14. bis 18.Jahrhunderts und setzt sich künstlerisch damit auseinander: „Wanderung durch die Natur … Kein Blick aus dem Fenster … Kein fester Standpunkt oder Blickpunkt … Keine Skizzen vor der Natur … Der Maler steht nicht draußen, sondern in seinem Bilde … Sicherheit des Striches. Keine Retouchen möglich! Jeder Fehler sichtbar! direkteste Malart“ (Vortrags-Notizen in Hof /Saale).

„Neujahrsbilder.“

Zusammen mit Dubosc und über das Erlebnis des Neujahrsfestes entdeckt er auch die Welt der volkstümlichen Drucke. Deren ästhetische Qualitäten werden an anderer Stelle angesprochen werden. Wenigstens eine Verbindung möchte ich hier ziehen, und zwar zum farbenprächtigen Bild im Eingangsbereich der Ausstellung in der Galerie 37, das Wiegmann stets mit „Raoul Dufy !“ begrüßt. (Abb.) Ich lerne die Sammlung 1968 in seinem Wohnzimmer kennen. Er blättert sie mir vor. die Bilder sind fremd, farbig und so empfindlich – stets gibt es einen kleinen Schaden am dünnen Papier.

W. liebt als Großstädter die Antiquare und Märkte Pekings. Ob er  die Sammlung selber erworben hat?  Mir gegenüber bleibt er in dieser Frage unklar, spricht aber auch von „Konsularbeamten“, die Material in der Provinz erwarben. Dafür spricht auch, dass  Dubosc 1942 in Peking die erste Ausstellung chinesischer Neujahrsbilder organisiert. ( Dubosc hat wohl 1/4 seiner Neujahrsbildsammlung Wiegmann bei seinem Weggang geschenkt, oder erst später? – Nov. 2016, Gv)

Wiegmann stellt 1971 gegenüber seinem Freund Zgainsky eindeutig fest, seine Blätter seien alle vor 1935 in verschiedenen Provinzen gesammelt und stammten aus der Sammlung Dubosc.

 

Heim ins Reich 1937 – eine Fehlkalkulation ?

Auch in China werden nationalsozialis-tische deutsche Konsuln ungemütlich, wenn die Passverlängerung nötig wird. Wiegmann fügt sich. Er will nicht zum staatenlosen Flüchtling auf einem asiatischen Kriegsschauplatz werden. Europas Lage erscheint vergleichsweise stabil. Das „Pass-foto“ (Abb.) mit Hut und Mantel, 1942 aufgenommen, steht  symbolisch für den heraufziehenden europäischen „Winter“. Die 1933 in Berlin zurückgelassenen  Bilder  – allesamt Kategorie „entartet“ – sind verloren.  Mir gegenüber äußert Wiegmann wiederholt, „die Familie“ habe sie „aus Angst“ zerstört. Ich finde die Geschichte gut, selbst wenn die banalere Version einer späteren Zerstörung in Berlin auch einiges für sich hat. Ein Atelier ist schnell gefunden. Zu Pfingsten 1939 schreibt die Mutter aus Minden: „…Sieht zu, daß du hinaus ins Grüne kommst!“

Den Krieg übersteht Wiegmann trotz einer Ausbildung zum Sanitäter unbeschadet in der Betreuung ausgelagerter Berliner Schüler „bis zur Obertertia“ in Karlsbad. Von dort aus erreicht er 1945 die Stadt Hof in der Amerikanische Zone. Sein politisches Interesse ist wacher denn je. Gespräche mit Graf Stauffenbergs Witwe vermitteln ihm die Überzeugung, dass England an der Selbstbefreiung der Deutschen nicht interessiert gewesen ist. Rolf Hochhuth wird ein wichtiger Autor für ihn werden. 1948 bis 1950 unterrichtet er als Zeichenlehrer an der Granitbildhauer-schule im fränkischen Wunsiedel. Willi Schmidt wird sein Schüler, der dann selber an der Städelschule in Frankfurt unterrichtet und für seine warmherzige figürliche Kunst bekannt ist. Er verwahrt seit 1973 Wiegmanns malerischen Nachlass in Schwalbach am Taunus.

1950 nimmt Wiegmann eine Stelle als Kunsterzieher in Frankfurt an. Am Goethe-Gymnasium habe ich ihn fünf Jahre lang als fairen, den Charakter seiner Schüler achtenden Lehrer erlebt.

Mehr als sechs Grundfarben im Malkasten sind weder nötig noch gut“. Schon damals können sich Lehrer gegenüber den Verlockungen der Konsumgesellschaft nicht mehr durchsetzen. In einem stummen Kollegium von Kriegsverlierern und Kriegsversehrten gehört er zu einer kleinen Gruppe von Außenseitern. Sie brechen das Schweigen über den Krieg, stellen Böll, Andersch und „die Gruppe 47“ an die Stelle von „Schimmelreiter“ und  Droste-Hülshoff,  verweigern sich dem Antikommunismus der Adenauer-Republik.

Wiegmann erneuert Vorkriegsfreundschaften in Richtung Ost-Berlin, so zum Opernregisseur Walter Felsenstein. Er bleibt unbeirrbarer  Freund auch der Volksrepublik China, so wie die Autorin Simone de Beauvoir oder die Verleger Ernst Rowohlt und Johannes Fladung. Sicher teilt er mit ihnen auch die  Faszination durch die jungen Revolutionäre, deren idealisiertes Bild amerikanische Journalisten wie Edgar Snow verbreitet haben, und er hat nicht vergessen, dass Chinas „Humor“ bzw. Praxis immer grausam war. Franz Kuhns Übersetzungen vermitteln die populären Romane der Ming-Epoche  so unverkrampft, dass mir z.B. Jahre lang nicht auffiel, dass es darin auch um Kannibalismus und andere politisch unkorrekte Dinge geht. Wiegmann lacht mit den aufgeklärten Mandarinen der Romane  über Priestertrug  und Despotie, aber er idealisiert sie nicht. Er schätzt die Literaten mit Karriereknick und die im Ruhestand, und er achtet den gewöhnlichen Sterblichen, der mit Witz und Humor sein Glück jagt. Daher kommt Wiegmanns beharrliche Bemühung, die chinesischen „Neujahrsbilder“ in Deutschland zu zeigen.

In den sechziger Jahren wird der politische Horizont in Westdeutschland weiter, aber nicht klarer. Wie wäre das zu ertragen ohne „Die Zeit“, Saul Steinbergs Zeichnungen sowie eine gehörige Portion Sarkasmus? Als die USA 1970 das vietnamesische Schlachtfeld auf Kambodscha aus-weiten, schreibt mir Wiegmann in einem Brief:

Kambodscha kann einen zur Verzweiflung bringen. Ich las in der „Zeit“, dass es in U.S.A. eine neue black power Frauen Bewegung gibt; die Parole ist: „Tod den Männern.“ Falls sie im Pentagon anfangen, haben sie meinen Segen.“

 

Waldklause im Berner Oberland

Das Hessische Ferienhotel in  Beatenberg über dem Thuner See wird für Wiegmann nach der krankheitsbedingten Pensionierung 1962 das halbe Jahr über zur Waldklause, wo er den „Exzentrikern von Yangzhou“ und  den einsamen Poeten auf den großen Landschaftsrollbildern nahe sein kann. Das Relief um den Thunersee ist atemberaubend. Besucher bringen Wein und Gespräche.

In Wiegmanns Malereien könnte man mit Recht den zweiten Pol – die Leere – vermissen; denn er hat die Leinwände und Pappen bis an den Rand gefüllt. Ich finde heute die Leere zwischen den Bildern, in den müßigen Momenten seines Lebens. Den Kunstmarkt hat er nach halbherzigen Anläufen ignoriert, unter Verachtung aller „Galerieknechte“, die vertragsgemäß ihre Menge an „Kopffüßlern“ – sein Paradebeispiel – abliefern. Über Mei Ching, einem der von Wiegmann verehrten Meister der Ming-Zeit, ist von gelehrter Seite geschrieben worden[7]: “…a scholar-poets painting, the work of a sensitive and gifted amateur with a fanciful turn of mind.“

In solcher „Verrücktheit“ arbeitet Wiegmann in seinen letzten Jahren an ungewöhnlichen Themen wie Tannenwäldern und Alpenlandschaften. Willi Schmidt hat das einmal drastisch so formuliert : „Das haben nach Segantini und Corinth nur noch Heimatmaler gemalt.“

Welchen Schluss finden?

Wiegmann zitiert in seinem Manuskript 1950 eine chinesische Legende:

Wu Tao Tzu malte eine grosse Landschaft auf eine Wand des Palastes; und der Kaiser, der sie zu sehen kam,  war hingerissen vor Begeisterung. Wu Ta Tsu klatschte in die Hände. Eine Höhle im Bilde öffnete sich, der Maler trat in sein Bild und war auf Erden nicht mehr gesehen.“

Im Gitterwerk seiner späten „Wälder“ zu verschwinden, war vielleicht sein Traum, oder irgendwo aus dem Bild zu gehen. (Abb.) Im Leben sah das so aus: Ende 1973 nimmt er – von schwerer Krankheit gezeichnet – von seinen Freunden im Westen Abschied und überquert die Berliner Sektorengrenze in Richtung „Charité“. Am 9. November verlässt er diese Welt.

In diesem Frühjahr wäre er übrigens hundert Jahre alt geworden. (2002)

 

[1] handschr.Vortragsnotiz Hof/Saale undatiert    [2] (Kunstamt Wedding , Berlin(W) 1974    [3] Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des Zweiten Gesichts , Neuausgabe Düsseldorf: Claassen Verlag 1981, S.880ff., S.902ff.     [4] Am17.10.2001  berichtet die FAZ vomTod Zhangs im Alter von 101 Jahren in Hawaii    [5] Th. White, A. Jacoby: Donner aus China.  Reinbek: Rowohlt 1947    [6] J.P. Dubosc ( Verständnis und Missverständnis der chinesischen Malerei). In: Critique No.60. Mai 1952.    [7] James Francis Cahill: Fantastics and Eccentrics. New York 1963. S.53

7 Gedanken zu „‘Glück in zwei Welten’ – Fritz Wiegmann

  1. Friedrich Pfäfflin

    Ich habe mit Interesse Ihren Beitrag gelesen, auf den ich im Zusammenhang mit der Hygiene-Ausstellung 1929 gestoßen bin. Sie erwähnen Fotos dieser Ausstellung? Kann ich die kennenlernen? Nach Klaus Täubert, dem Biographen Fränkels, sollen der/oder das einmontierte Kinderfoto von Joels Schwester Charlotte stammen, über die ich arbeite. Gibt es bei Wiegmann im Nachlass Verbindungen zu dem Atelier Joel-Heinzelmann, Berlin-Charlottenburg, Hardenbergstraße 24?

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    1. dvg Beitragsautor

      Ich habe den Kommentar bereits per Email beantwortet. Ich gehe Fragen und Anregungen immer nach. Ergebnisse finden Sie in der Folge auf den Seiten “Fritz Wiegmann – Stationen”.
      Am 9.8. erhalte ich folgende eMail: Sehr geehrter Herr von Graeve,
      das ist eine herrliche Überraschung, das vergrößerte Foto aus der
      ‘Nerven’-Ausstellung. Es sind Kinder-Fotos von Charlotte Joel. Ich lege
      Ihnen erst mal zwei sicher zuordenbare Proben bei (…) Ihr Friedrich Pfäfflin

      Antworten
    2. dvg Beitragsautor

      9.8.16 eMail
      Sehr geehrter Herr von Graeve,
      das ist eine herrliche Überraschung, das vergrößerte Foto aus der
      ‘Nerven’-Ausstellung. Es sind Kinder-Fotos von Charlotte Joel. Ich lege
      Ihnen erst mal zwei sicher zuordenbare Proben bei; die dritte Probe könnte
      das dritte Bild von links oben darstellen, bevor ich mich mit weiteren
      Fragen bei Ihnen melde. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Friedrich Pfäfflin

      Antworten
  2. Werner Denk

    Ein Fritz Wiegmann war zusammen mit meinem Schwiegervater Julius Butzer in Hof in der Hofecker Schule von den Amerikanern interniert. Sie konnten sich frei bewegen und so wurde Herr Wiegmann ein Freund der Familie. Aus Dankbarkeit für die freundliche Aufnahme malte Herr Wiegmann ein Kinderportrait von meiner Frau und meinem Schwager. Es würde mich interessieren ob die Namen identisch sind. Die handschriftliche Vortragsnotiz Hof kann ich leider nicht öffnen. Vielleicht können Sie mich aufklären.
    mfrG

    Antworten
    1. Werner Denk

      Vielen Dank für Ihre kurze Info. Ich bin schon gespannt was W von Hof alles zu berichten hatte. Wenn es von Interesse ist, könnte ich Ihnen ein Foto von dem Kinderportrait mailen.mfrG

      Antworten
      1. dvg Beitragsautor

        Danke für das Foto! Neues Material hat sich überraschend im Frankfurter Stadtarchiv gefunden. das verzögert die Bearbeitung 17.8.16

        Antworten
    2. dvg Beitragsautor

      Ich habe den Kommentar bereits per Email beantwortet. Ich gehe Fragen und Anregungen immer nach. Ergebnisse finden Sie in der Folge auf den Seiten “Fritz Wiegmann – Stationen”. Hier nur so viel: ja, Wiegmann seit den dreißiger Jahren auch als Porträtist tätig.

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